Entscheidungsdatum
30.03.2023Index
L92007 Sozialhilfe Grundsicherung Mindestsicherung TirolNorm
MSG Tir 2010 §19 Abs1 liteText
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Stemmer über die Beschwerde des AA, wohnhaft in Adresse 1, **** Z, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Y vom 27.04.2022, Zl ***, betreffend eine Angelegenheiten nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG)
zu Recht:
1. Der Beschwerdepunkt „Nichtauszahlung der Bezüge für die Kosten der Wohnung“ wird als unzulässig zurückgewiesen.
2. Der Beschwerde wird insofern Folge gegeben, als dass die unter Spruchpunkt 2. vorgenommene Richtsatzkürzung um 40% behoben wird und die einbehaltenen Euro 293,38 auszuzahlen sind.
3. Hinsichtlich Spruchpunkt 3. wird die Auflage insofern abgeändert, als dass es anstelle von „aktuelle fachärztliche Befunde“ „aktuelle Befunde aus den Fachbereichen Orthopädie sowie Psychiatrie“ zu lauten hat. Die angedrohte Kürzung des Richtsatzes gemäß § 19 Abs 1 lit e TMSG im letzten Satz hat anstelle von „um weitere 26%, sohin gesamt um 66%“ „um 40%“ zu lauten.
4. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer steht in dauerndem Bezug der Mindestsicherung. Am 31.03.2022 stellte er einen entsprechenden Folgeantrag. Mit dem angefochtenen Bescheide der belangten Behörde vom 27.04.2022, Zl ***, wurden ihm für den Zeitraum 01.05.2022 bis 31.05.2022 unter Spruchpunkt 1. Leistungen der Mindestsicherung nach den §§ 5 und 9 TMSG zuerkannt. Unter Spruchpunkt 2. erfolgte beim Richtsatz gemäß § 19 Abs 1 lit e TMSG eine Kürzung um 40%, da der Beschwerdeführer sich weigere an der Begutachtung zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit mitzuwirken. Begründend führte die belangte Behörde dazu an: „Bei Ihrer Vorsprache am 26.04.2022 haben Sie angegeben, dass Sie bisher keine entsprechenden Termine bei Fachärzten aversiert haben. Dies haben Sie ebenso in der öffentlichen-mündlichen Verhandlung zum Beschwerdeverfahren des Bescheides vom 02.02.2022 angegeben. Es sind Ihrerseits keinerlei Bemühungen zur Mitwirkung an der Feststellung Ihrer Arbeitsfähigkeit erfolgt und war daher erneut eine stufenweise Kürzung, diesmal um 40% auszusprechen.“
Weiters wurde ihm im angefochtenen Bescheid unter Spruchpunkt 3. aufgetragen, an der Feststellung der Verpflichtung zum Einsatz seiner Arbeitskraft mitzuwirken, diesbezüglich aktuelle fachärztliche Befunde betreffend seiner vom Hausarzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit einzuholen, diese dem Gesundheitsamt Y zu übermitteln und in weiterer Folge sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Bis zum nächsten Verlängerungsantrag habe er entsprechende Bemühungen in dieser Sache vorzuweisen, insbesondere Terminbestätigungen bei entsprechenden Fachärzten. Bei Unterlassung wurde ihm eine weitere Kürzung um 66% angedroht.
Bezüglich des Anspruches auf Leistungen nach § 6 TMSG (Wohnkosten) führte die belangte Behörde aus, dass dazu ein gesondertes Verfahren durchgeführt werde. Aufgrund des Eigentümerwechsels laut Grundbuchauszug vom 12.04.2022 sei hierbei ein vorheriges und zeitintensiveres Ermittlungsverfahren nötig.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde. Darin wandte er sich zunächst gegen die „Nichtauszahlung der Bezüge für die Kosten der Wohnung“. Hinsichtlich seiner Richtsatzkürzung führte er im Wesentlichen – unter Verweis auf ein bereits laufendes Verfahren – aus, die erteilten Auflagen seien innerhalb der Fristsetzung objektiv nicht erfüllbar gewesen. Er weise eine über 13-jährige Krankengeschichte auf und wolle mit der Amtsärztin abklären, welche Befunde überhaupt wirklich erneuert werden müssten. Zudem seien die meisten Erkrankungen längst chronifiziert und austherapiert und es sei klar, dass sich das Krankheitsbild nicht mehr verändere. Die Reduzierung neuer Untersuchungen sei seiner Ansicht nach auch in Hinblick auf die Strahlenbelastung angezeigt. Die belangte Behörde habe ihm im angefochtenen Bescheid aufgetragen, Nachweise für vereinbarte Arzttermine zu erbringen. Ihm sei dazu gesagt worden, dass Bestätigungsschreiben für vereinbarte Termine nicht üblich seien und zusätzlichen bürokratischen Aufwand bedeuten würden. Er könne lediglich einen Notizzettel mit dem vereinbarten Termin bekommen, solche Notizzettel würden aber nicht per Post versandt, sondern seien selbst abzuholen. Dadurch wäre es notwendig pro Termin zweimal zu einem Arzt zu fahren, was er mit dem Rad bewältigen müsse. Züge würden aktuell nicht verkehren und Schienenersatzverkehr könne er nicht in Anspruch nehmen, weil er damit das Fahrrad für verbleibende Teilstrecken nicht nutzen könne. Er empfinde die Anforderung des Nachweises von vereinbarten Arztterminen stark übertrieben und nicht angemessen angesichts des für ihn hohen Aufwandes. Zudem habe er die Stellungnahme der Amtsärztin in seiner Akte bei der belangten Behörde bisher nicht erhalten. Er sei bereit zu einem Gespräch mit der Amtsärztin zur Frage, für welche Erkrankungen überhaupt neue Befunde notwendig seien, sowie die notwendigen Arzttermine dann wahrzunehmen. Er beantragte die vorgenommene Richtsatzkürzung zurückzunehmen sowie den Entfall der Auflage des Nachweises vereinbarter Arzttermine.
Zur Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes wurde Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den verwaltungsbehördlichen Akt sowie in die Akten des Landesverwaltungsgerichtes Tirol zu LVwG *** und **** sowie LVwG ****. Das gegenständliche Verfahren wurde dabei ursprünglich zu Zahl **** geführt und infolge eines Richterwechsels (Pensionierung) neu zugeteilt. Von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung konnte im konkreten Fall zum einen abgesehen werden, da der gesamte Sachverhalt vor der nunmehr erkennenden Richterin im Zuge der Verhandlung zu LVwG-**** und **** am 26.04.2022 mündlich erörtert wurde. Im Übrigen hat keine der Parteien einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.
II. Sachverhalt:
Der am XX.XX.XXXX geborene Beschwerdeführer bezieht laufend Leistungen der Mindestsicherung.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 23.12.2021, ***, wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, zur Feststellung seiner Verpflichtung zum Einsatz der Arbeitskraft gemäß § 16 TMSG am 19.01.2022 um 11:00 Uhr im Gesundheitsamt der belangten Behörde vorzusprechen, um seine Arbeitsfähigkeit amtsärztlich zu beurteilen. Für den Fall der Nichtmitwirkung wurde ihm eine Richtsatzkürzung gemäß § 19 Abs 1 lit e TMSG um 20% angedroht. Diesen Termin am 19.01.2022 hat der Beschwerdeführer unentschuldigt nicht wahrgenommen.
In der Folge wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 02.02.2022, ***, wegen nicht Erfüllens der Auflage eine Richtsatzkürzung von 20% vorgenommen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 07.06.2022, LVwG ****, als unbegründet abgewiesen.
Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer in diesem Bescheid vom 02.02.2022 unter Spruchpunkt 5. folgende Auflage erteilt: „5. Zur Feststellung Ihrer Verpflichtung zum Einsatz der Arbeitskraft gemäß § 16 TMSG wird Ihnen hiermit vorgeschrieben, aktuelle fachärztliche Befunde betreffend Ihrer derzeitig vom Hausarzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit einzuholen, diese Befunde an das Gesundheitsamt Y zu übermitteln und sich in weiterer Folge einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Ein entsprechender Untersuchungstermin ist nach Übermittlung der Befunde an das Gesundheitsamt Y mit diesem zu vereinbaren. Für die Erledigung dieser Auflage wird eine Frist bis zum 30.04.2022 gesetzt. Bei Unterlassung wird Ihr Richtsatz gemäß § 19 Abs. 1 lit e um weitere 20%, sohin gesamt um 40% gekürzt“. Weder im Spruch noch in der Begründung wurde angeführt, welche fachärztlichen Befunde konkret notwendig sind. Der Beschwerdeführer hat erst in der mündlichen Verhandlung am Landesverwaltungsgericht zu LVwG **** und **** am 26.04.2022 Kenntnis erlangt, dass konkret ein aktueller orthopädischer sowie psychiatrischer Befund erforderlich sind.
In der Folge erließ die belangte Behörde den nunmehr verfahrensgegenständlichen Bescheid, mit dem unter Spruchpunkt 2. der Richtsatz des Beschwerdeführers gemäß § 19 Abs 1 lit e TMSG um 40% gekürzt wurde. Zudem wurde ihm unter Spruchpunkt 3. folgende Auflage erteilt: „Zur Feststellung Ihrer Verpflichtung zum Einsatz der Arbeitskraft gemäß § 16 TMSG wird Ihnen hiermit vorgeschrieben, aktuelle fachärztliche Befunde betreffend Ihrer derzeitig vom Hausarzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit einzuholen, diese Befunde an das Gesundheitsamt Y zu übermitteln und sich in weiterer Folge einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Ein entsprechender Untersuchungstermin ist nach Übermittlung der Befunde an das Gesundheitsamt Y mit diesem zu vereinbaren. Bis zum nächsten Verlängerungsantrag haben Sie entsprechende Bemühungen in dieser Sache vorzuweisen, insbesondere Terminbestätigungen bei entsprechenden Fachärzten. Bei Unterlassung wird Ihr Richtsatz gemäß § 19 Abs. 1 lit e um weitere 26%, sohin gesamt um 66% gekürzt“. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird ausgeführt, dass vor einer amtsärztlichen Untersuchung „orthopädische als auch psychosomatische Befundungen von entsprechenden Fachärzten“ erforderlich sind.
III. Beweiswürdigung:
Dieser Sachverhalt ergibt sich in unstrittiger Weise aus der dem Landesverwaltungsgericht vorliegenden Aktenlage.
Im verwaltungsbehördlichen Akt liegt eine Amtsärztliche Stellungnahme vom 24.03.2022 ein, in der die Amtsärztin näher ausführte, weshalb die vom Beschwerdeführer vorgelegten ärztlichen Atteste der Hausärztlichen Gemeinschaftspraxis im konkreten Fall nicht ausreichen. Sie kam zu dem Schluss, dass aufgrund eines näher beschriebenen umfangreichen Erkrankungsbildes auf orthopädischem Fachgebiet die Vorlage einer diesbezüglichen aktuellen fachärztlichen Befundung bzw Diagnoseerstellung erforderlich ist. Die vom Beschwerdeführer angeführte Depression mit aktuell schwerer Episode ist nach Ansicht der Amtsärztin ebenfalls durch eine fachärztliche Untersuchung bzw Diagnoseerstellung durch einen Psychiater zu bescheinigen. Der Beschwerdeführer hat dazu in der mündlichen Verhandlung am 26.04.2022 angegeben, dass er noch nie einen Psychiater aufgesucht hat, zuletzt habe er 2009 mit einer Psychotherapeutin gesprochen. Er gab an aktuell nicht in psychologischer oder psychiatrischer Behandlung zu sein und seine Erkrankung selbst als nicht behandelbar bzw austherapiert einzuschätzen. Aktuelle orthopädische Befunde gebe es ebenso nicht. Über Vorhalt eines Mails der belangten Behörde vom 04.03.2022, mit dem er aufgefordert wurde ein aktuelles orthopädisches und psychiatrisches Fachgutachten vorzulegen, teilte der Beschwerdeführer mit, dieses Mail infolge einer Änderung der Mailadresse nie erhalten zu haben. Dieses Mail sei ihm heute (26.04.2022) als Ausdruck übergeben worden. Auch die angeführte Amtsärztliche Stellungnahme vom 24.03.2022 wurde dem Beschwerdeführer erst in der mündlichen Verhandlung vom 26.04.2022 bekannt, sie wurde in diesem Rahmen verlesen. Somit war festzustellen, dass der Beschwerdeführer erst in der mündlichen Verhandlung am 26.04.2022 Kenntnis erlangte, dass konkret ein aktueller orthopädischer sowie psychiatrischer Befund erforderlich sind.
IV. Erwägungen:
1. Zur Rechtzeitigkeit
Der gegenständliche Bescheid wurde vom Beschwerdeführer am 29.04.2022 (Freitag) persönlich übernommen. Die vorliegende Beschwerde datiert vom 25.05.2022, 23:47 Uhr. Adressiert war die per Mail eingebrachte Beschwerde zum einen an den zuständigen Sachbearbeiter der belangten Behörde sowie an das Landesverwaltungsgericht Tirol. Donnerstag, der 26.05.2022 war ein Feiertag (Christi Himmelfahrt). Auf der Homepage der belangten Behörde findet sich eine Bekanntmachung der Bezirkshauptfrau zum Rechtswirksamen Einbringen im elektronischen Verkehr, gültig ab 25.04.2022. Dabei wird dezidiert ausgeführt: „Anbringen, die an die personalisierten E-Mail-Adressen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie an sonstige E-Mail- oder Telefax-Kontakte gerichtet werden, gelten nicht als rechtswirksam eingebracht.“ Somit war die Übermittlung der Beschwerde an die persönliche Mail-Adresse des Sachbearbeiters kein wirksames Einbringen. Seitens des Landesverwaltungsgerichtes wurde am 27.05.2022 telefonisch mit der belangten Behörde Kontakt bezüglich der Weiterleitung der Beschwerde aufgenommen. In diesem Gespräch wurde zwischen den Kanzleien vereinbart, von einer faktischen Übermittlung abzusehen, da die Beschwerde bereits in der Sphäre der belangten Behörde ist. Vor dem Hintergrund dieser konkreten Konstellation ist davon auszugehen, dass durch die Einbringung der Beschwerde beim LVwG und der besprochenen Weiterleitung am 27.05.2022 von einer rechtzeitig erhobenen Beschwerde auszugehen ist.
2. Zum Beschwerdepunkt „Nichtauszahlung der Bezüge für die Kosten der Wohnung“
Der Beschwerdeführer wendet sich in seiner Beschwerde zunächst gegen die Nichtauszahlung der Wohnkosten, insbesonders dass diese direkt an den Vermieter ausbezahlt werden. Dazu wurde bereits im Erkenntnis zu LVwG-**** ausgeführt: „Der Beschwerdeführer hatte in der Vergangenheit wiederholt Leistungen der Mindestsicherung, die er zur Sicherung seines Wohnbedarfes erhalten hatte, nicht an den Vermieter weitergeleitet, was schlussendlich zu einer Räumungsklage führte. Vor diesem Hintergrund bestehen hinsichtlich dem Vorgehen der belangten Behörde, die Miete direkt an den Vermieter anzuweisen, keine Bedenken, da damit der Wohnbedarf des Beschwerdeführers bestmöglich gesichert ist. § 6 Abs 5 TMSG sieht die Möglichkeit, Geldleistungen zur Sicherung des Wohnbedarfes direkt an Dritte auszubezahlen, explizit vor.“
In der mündlichen Verhandlung vom 26.04.2022 hat sich ergeben, dass es zu einem Eigentümerwechsel des Mietobjektes gekommen ist, wobei der neue Eigentümer in Belgien wohnhaft ist. Vor diesem Hintergrund, insbesondere den damit zusammenhängenden erforderlichen Ermittlungsschritten, begegnet das Vorgehen der Behörde, über die Frage der Wohnkosten in einem späteren Bescheid zu entscheiden, auch in Hinblick auf § 59 Abs 1 AVG keinen Bedenken.
„Sache“ des verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens ist nach ständiger Rechtsprechung die Angelegenheit, die den Gegenstand des behördlichen Verfahrens und des abschließenden Bescheides gebildet hat (vgl ua VwGH 28.11.2022, Ro 2022/09/0003). Da mit dem angefochtenen Bescheid nicht über die „Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfes“ iSd § 6 TMSG abgesprochen wurde, sondern diese Entscheidung vielmehr dezidiert aus nachvollziehbaren Gründen ausgelagert wurde, war die Beschwerde insoweit als unzulässig zurückzuweisen.
3. Zur Richtsatzkürzung
Die belangte Behörde hat unter Spruchpunkt 2. eine Richtsatzkürzung gemäß § 19 Abs 1 lit e TMSG um 40% (Euro 293,38) vorgenommen. Begründet wurde diese Richtsatzkürzung damit, dass der Beschwerdeführer der ihm mit Bescheid vom 02.02.2022 erteilten Auflage nicht nachgekommen sei. Diese Auflage war folgendermaßen ausgeführt: „5. Zur Feststellung Ihrer Verpflichtung zum Einsatz der Arbeitskraft gemäß § 16 TMSG wird Ihnen hiermit vorgeschrieben, aktuelle fachärztliche Befunde betreffend Ihrer derzeitig vom Hausarzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit einzuholen, diese Befunde an das Gesundheitsamt Y zu übermitteln und sich in weiterer Folge einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Ein entsprechender Untersuchungstermin ist nach Übermittlung der Befunde an das Gesundheitsamt Y mit diesem zu vereinbaren. Für die Erledigung dieser Auflage wird eine Frist bis zum 30.04.2022 gesetzt. Bei Unterlassung wird Ihr Richtsatz gemäß § 19 Abs. 1 lit e um weitere 20%, sohin gesamt um 40% gekürzt“.
Ob eine einem Bescheid beigefügte Auflage im Sinne des § 59 Abs 1 AVG ausreichend bestimmt ist, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Anforderungen an die Umschreibung von Auflagen dürfe nicht überspannt werden. Eine Auflage ist nicht schon dann zu unbestimmt, wenn ihr Inhalt nicht für jedermann unmittelbar eindeutig erkennbar ist. Ausreichende Bestimmtheit einer Auflage ist dann anzunehmen, wenn ihr Inhalt für den Bescheidadressaten objektiv eindeutig erkennbar ist (vgl ua VwGH 21.05.2019, Ra 2018/03/0074).
Im Bescheid vom 02.02.2022 war weder im Spruch noch in der Begründung angeführt, welche „aktuellen fachärztlichen Befunde“ konkret notwendig sind. Der Beschwerdeführer hat wie festgestellt erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht am 26.04.2022 Kenntnis erlangt, dass konkret ein aktueller orthopädischer sowie psychiatrischer Befund erforderlich sind. Vor diesem Hintergrund war davon auszugehen, dass die Auflage im Bescheid vom 02.02.2022 nicht ausreichend bestimmt war und dem Beschwerdeführer nicht die erforderliche Möglichkeit eingeräumt wurde, dem Leistungsauftrag ohne neuerliche Nachforschungen zu entsprechen (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 59 (Stand 1.7.2005, rdb.at, Rz 37ff). Folglich war die auf die Nichterfüllung dieser nicht ausreichend bestimmten Auflage gestützte Richtsatzkürzung nicht zulässig und der angefochtene Bescheid entsprechend abzuändern.
4. Zur Auflage
Der Beschwerdeführer wendet sich in seiner Beschwerde auch gegen die unter Spruchpunkt 3. erteilte Auflage, die wie folgt lautet: „Zur Feststellung Ihrer Verpflichtung zum Einsatz der Arbeitskraft gemäß § 16 TMSG wird Ihnen hiermit vorgeschrieben, aktuelle fachärztliche Befunde betreffend Ihrer derzeitig vom Hausarzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit einzuholen, diese Befunde an das Gesundheitsamt Y zu übermitteln und sich in weiterer Folge einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Ein entsprechender Untersuchungstermin ist nach Übermittlung der Befunde an das Gesundheitsamt Y mit diesem zu vereinbaren. Bis zum nächsten Verlängerungsantrag haben Sie entsprechende Bemühungen in dieser Sache vorzuweisen, insbesondere Terminbestätigungen bei entsprechenden Fachärzten. Bei Unterlassung wird Ihr Richtsatz gemäß § 19 Abs. 1 lit e um weitere 26%, sohin gesamt um 66% gekürzt“. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wird ausgeführt, dass vor einer amtsärztlichen Untersuchung „orthopädische als auch psychosomatische Befundungen von entsprechenden Fachärzten“ erforderlich sind.
Um den Anforderungen des § 59 Abs 1 AVG zu entsprechen, wird die Auflage insofern angepasst, als dass die Vorlage einer aktuellen orthopädischen sowie psychiatrischen Befundung aufgetragen wird. Da gegenständlich die vorgenommene Richtsatzkürzung behoben wurde, war auch die Androhung der (weiteren) Richtsatzkürzung entsprechend anzupassen. Dabei war die rechtskräftige Richtsatzkürzung des Vorbescheides vom 02.02.2022 um 20% miteinzubeziehen, sodass nunmehr infolge der stufenweisen Kürzung eine Kürzung von 40% anzudrohen war.
An der vom Beschwerdeführer grundsätzlich bekämpften Auflage, sich um zwei konkrete Facharzttermine, die für eine amtsärztliche Feststellung der Arbeitsfähigkeit erforderlich sind, zu bemühen und dies nachzuweisen, bestanden keine Bedenken.
5. Hinweis auf die Subsidiarität der Mindestsicherung
Abschließend wird – wie bereits im Erkenntnis zu LVwG-2022/45/0717 – nochmals auf die Subsidiarität der Mindestsicherung und die dortigen Ausführungen hingewiesen.
Über Nachfrage in der mündlichen Verhandlung am 26.04.2022, ob der Beschwerdeführer einen Antrag auf Invaliditätspension in Österreich gestellt hat, hat dieser angeführt, in Österreich nicht über entsprechende Anwartzeiten zu verfügen. Er führte aus, dass es ein entsprechendes Pendant in Deutschland gibt und er im Zuge seiner Hartz IV-Bezüge einmal einen Antrag stellen wollte, davon aber Abstand genommen habe, weil die Antragstellung so kompliziert gewesen sei. Er führte weiters aus, dass die allfällige Rentenleistung aus Erwerbsunfähigkeit ca Euro 400,-- betragen würde. Dazu führte er in seinem Schreiben an das Landesverwaltungsgericht im Anschluss an die mündliche Verhandlung aus, dass von ihm nicht erwartet werden könne sich in Deutschland eine Erwerbsunfähigkeitsrente durch Lügen zu erschleichen um das Land Tirol zu entlasten. Mit diesem Vorbringen dringt er nicht durch. § 17 TMSG normiert den Grundsatz der Subsidiarität von Mindestsicherungsleistungen. Demnach hat der Hilfesuchende vor der Gewährung von Mindestsicherung öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Ansprüche auf bedarfsdeckende oder bedarfsmindernde Leistungen gegen Dritte zu verfolgen, soweit dies nicht offensichtlich aussichtslos oder unzumutbar ist. Der Beschwerdeführer hat selbst eingeräumt sich über eine entsprechende Antragsmöglichkeit bereits erkundigt und auch den Antrag schon eingeholt zu haben. Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer seit 2018 durchgehend krankgeschrieben ist und von Seiten seiner Hausärztin seit 2009 als arbeitsunfähig eingestuft wird, ist eine Antragstellung wegen Erwerbsunfähigkeit in Deutschland nicht als „offensichtlich aussichtslos“ oder „unzumutbar“ zu werten. Ebenso kann dem Beschwerdeführer zugemutet werden, sich – wie bei der Feststellung der Arbeitsfähigkeit auch – entsprechenden medizinischen Untersuchungen zu unterziehen.
Im fortgesetzten Verfahren wird der Beschwerdeführer von der belangten Behörde anzuhalten sein, diese Ansprüche in Deutschland zu verfolgen. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf § 19 Abs 1 lit c TMSG, wonach eine Kürzung von Leistungen auch in Betracht kommt, wenn der Hilfesuchende seine Ansprüche gegenüber Dritten nicht in zumutbarer Weise verfolgt.
V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen. Soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr.in Stemmer
(Richterin)
Schlagworte
RichtsatzkürzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2023:LVwG.2023.45.0852.1Zuletzt aktualisiert am
20.04.2023