Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §52;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des G in Z, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in Z, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 21. August 1995, Zl. 5/04-14/589/4-1995, betreffend Befristung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Zell am See vom 23. November 1994 wurde die Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, E, F und G auf die Dauer von 4 Wochen (bis 20. November 1994) vorübergehend entzogen. Gleichzeitig wurde, gestützt auf ein amtsärztliches Gutachten, dem der Untersuchungsbefund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle vom 7. November 1994 zugrundelag, die Lenkerberechtigung bis 3. November 1995 befristet. Gemäß § 64 Abs. 2 AVG wurde die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Berufung ausgeschlossen.
Der Beschwerdeführer erhob gegen die Befristung der Lenkerberechtigung und den Ausspruch nach § 64 Abs. 2 AVG Berufung.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 9. Jänner 1995 wurde der zuletzt genannte Ausspruch aufgehoben. Der Beschwerdeführer leistete mehreren an ihn ergangenen formlosen Aufforderungen, sich neuerlich einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, keine Folge. Daraufhin erging der angefochtene Bescheid, mit dem der Berufung gegen die Befristung der Lenkerberechtigung gemäß § 73 Abs. 1 iVm § 69 Abs. 1 lit. b KFG 1967 keine Folge gegeben wurde. Die Befristung der Lenkerberechtigung wurde mit der Maßgabe bestätigt, daß "die Jahresfrist ab der Durchführung der verkehrspsychologischen Untersuchung am 4.11.1994 gerechnet wird".
In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend; er beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde erachtet den angefochtenen Bescheid unter anderem deshalb für rechtswidrig, weil trotz Aufhebung des erstinstanzlichen Ausspruches nach § 64 Abs. 2 AVG mit Bescheid der belangten Behörde vom 9. Jänner 1995 nunmehr die Jahresfrist (bloß) ab Durchführung der verkehrspsychologischen Untersuchung am 4. November 1994 gerechnet werde. Die belange Behörde habe daher "über eine res iudicata hinsichtlich des Punktes der aufschiebenden Wirkung entschieden".
Dieses Vorbringen verkennt, daß die von der belangten Behörde vorgenommene Neufestsetzung der Frist keine (neuerliche) Entscheidung über den erstinstanzlichen Ausspruch nach § 64 Abs. 2 AVG darstellt. Nur dieser, nicht jedoch die Festsetzung der Frist, war Gegenstand des Bescheides vom 9. Jänner 1995. Die belangte Behörde war daher durch diesen Bescheid nicht gehindert, die Frist abweichend vom erstinstanzlichen Bescheid festzusetzen.
2. Die Beschwerde meint, da die Befristung erst mit Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides wirksam werden könne (dieser sei am 28. November 1994 zugestellt worden), sei es unzulässig, daß die Frist bereits mit 4. November 1994 zu laufen beginne. Dies komme einer "rückwirkenden Befristung" gleich und finde im Gesetz keine Deckung.
Dem ist entgegenzuhalten, daß die Befristung einer Lenkerberechtigung das Enden dieses Rechtes zu einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt bewirkt, weshalb von einer "Rückwirkung" auf die Zeit vor der Erlassung des betreffenden Bescheides (anders als bei einer rückwirkenden Entziehung der Lenkerberechtigung) keine Rede sein kann. Daß jenes Ereignis, ab dem die Frist gerechnet wird, zeitlich vor der Erlassung des Bescheides liegt, ist ohne Belang.
3. Nach § 73 Abs. 1 KFG 1967 kann Besitzern einer Lenkerberechtigung, bei denen die geistige und körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und Nachuntersuchungen erforderlich sind, die Lenkerberechtigung durch Befristung eingeschränkt werden. Nach § 69 Abs. 1 lit. b KFG 1967 hat das ärztliche Gutachten bei Personen, deren Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und bei denen Nachuntersuchungen erforderlich sind, "bedingt geeignet" für die entsprechenden Gruppen zu lauten und eine Befristung der Gültigkeit anzuführen, unter der eine Lenkerberechtigung ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit erteilt werden kann.
Die belangte Behörde stützte mit dem Hinweis, mangels Mitwirkung des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren habe ein weiteres ärztliches Gutachten nicht erstellt werden können, die bekämpfte Maßnahme auf das Gutachten des Amtsarztes der Erstbehörde. Danach sei der Beschwerdeführer unter der "Bedingung" einer Nachuntersuchung in einem Jahr zum Lenken von Kraftfahrzeugen geeignet. Diesem Gutachten liegt der (vom Amtsarzt übernommene und in sein Gutachten integrierte) Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle vom 7. November 1994 zugrunde. Er umfaßt die "Vorgeschichte", die Angabe der angewendeten Untersuchungsverfahren und deren Befunde hinsichtlich der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen und der "fahrverhaltensrelevanten Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale". Er endet mit folgender "Zusammenfassung der Befunde/Gutachten":
"Die kraftfahrspezifischen Leistungen sind in unterschiedlichem Ausmaß gegeben. Leistungsschwächen zeigen sich in der Reaktionszeit und Sicherheit. Im Versuch am Wr. Determin. Ger. ergeben sich auf den beiden höheren Anforderungsstufen unterdurchschnittliche Ergebnisse, dies kann allerdings zumindest teilweise auf die für den U. erschwerten Testbedingungen (u.a. Vorgabe von farbigen Reizen bei bestehender Farbsinnstörung) zurückgeführt werden. Die intellektuelle Leistungsfähigkeit entspricht den Anforderungen. Im Persönlichkeitsbefund müssen unauffällige Testwerte an der geringen Offenheit relativiert werden. Hinweise auf erhöhtes Dominanzstreben, sehr hohe Selbstsicherheit, eine Neigung zu unbekümmerten Verhaltensweisen, hohe Risikobereitschaft und sehr geringe Ängstlichkeit sind faßbar. Zudem ergeben sich Anhaltspunkte für eine nur geringe Bereitschaft des U. zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Person und dem eigenen Fahrverhalten. Diese Befunde finden auch in den Auffälligkeiten in der Fahrvorgeschichte des U. Bestätigung. Insgesamt scheint daher vor allem im Hinblick auf die erhöhten Anforderungen beim Lenken von Kfz. der Gr. A C und E die nötige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung nur mit Einschränkung gegeben.
Bei obiger Befundlage erscheint Herr G vom Standpunkt verkehrspsychologischer Begutachtung aus unter der Voraussetzung geeignet, Kfz. der Gr. A B C E F und G zu lenken, daß die Fahrerlaubnis für die Dauer eines Jahres befristet erteilt wird und vor einer Verlängerung eine entsprechende Verkehrsbewährung abgewartet wird.
Bei erneuter gravierender Auffälligkeit müßte die Fahreignung dann jedoch verneint werden."
Vorweg ist festzuhalten, daß die belangte Behörde durch die mangelnde Mitwirkung des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren keineswegs gehindert war, auf eine Ergänzung des verkehrspsychologischen Befundes und des darauf aufbauenden ärztlichen Gutachtens zu dringen (dessen hätte es, wie noch darzustellen sein wird, jedenfalls bedurft). Wenn es dazu einer neuerlichen Untersuchung des Beschwerdeführers bedurfte, bestand die Möglichkeit, einen Aufforderungsbescheid nach § 75 Abs. 2 KFG 1967 zu erlassen und den Beschwerdeführer auf die Folgen der Nichtbeachtung eines solchen Bescheides hinzuweisen (Entziehung der Lenkerberechtigung ohne weitere Ermittlungsschritte). Angesichts dieser Rechtslage kann es dem Beschwerdeführer nicht zum Nachteil gereichen, daß eine hinreichende Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes unter anderem wegen seines Verhaltens im Berufungsverfahren unterblieben ist.
Davon abgesehen war es der belangten Behörde nicht verwehrt, ihre Entscheidung auf die Ermittlungsergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens (deren Mängelfreiheit vorausgesetzt) zu stützen. Dabei wäre die im erstinstanzlichen Bescheid fehlende Begründung nachzutragen gewesen.
Nach den Ausführungen im verkehrspsychologischen Befund waren offenbar Bedenken hinsichtlich der nötigen Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Verkehrsanpassung (sie bildet ein Element der geistigen Eignung einer Person zum Lenken von Kraftfahrzeugen - vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Jänner 1991, Slg. 13361/A) der Grund für die Befristung seiner Lenkerberechtigung. Solche Bedenken bestanden bereits aufgrund der aktenkundigen Vorgeschichte (siehe dazu den Antrag des Gendarmeriepostenkommandos Zell am See vom 5. Oktober 1994, die Anzeige der Verkehrsabteilung des Landesgendarmeriekommandos für Salzburg vom 24. Oktober 1994 und die Vorstrafenaufstellung vom 11. Oktober 1994). Aufgrund dieser Bedenken wurde gemäß § 75 Abs. 1 KFG 1967 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und der verkehrspsychologische Befund vom 7. November 1994 eingeholt. Dieser Befund enthält allerdings keine nachvollziehbare Begründung für die vorgeschlagene Maßnahme. Aus ihm sind zwar die angewendeten Untersuchungsverfahren und deren Ergebnisse ("Testwerte") ersichtlich. Nicht dargetan wurde aber, welche Schlußfolgerungen aus den einzelnen Ergebnissen gezogen wurden und welche Erwägungen dafür jeweils maßgebend waren. Der Befund ist daher insoweit unschlüssig.
Dazu kommt das Fehlen einer nachvollziehbaren Begründung für die Notwendigkeit einer Nachuntersuchung. Die Befristung einer Lenkerberechtigung setzt die Feststellung einer "Krankheit" voraus, bei der ihrer Natur nach mit einer zum Verlust der Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen führenden Verschlechterung gerechnet werden muß (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Mai 1990, Zl. 89/11/0215, und vom 21. Jänner 1992, Zl. 91/11/0122; nach dem zweitgenannten Erkenntnis umfaßt der Begriff "Krankheit" auch die Eignungskomponente der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung). Der verkehrspsychologische Befund geht nun davon aus, daß beim Beschwerdeführer die nötige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung (wenn auch eingeschränkt) gegeben sei. Er gibt aber keine Begründung dafür, daß und weshalb mit einer zum Wegfall dieser Bereitschaft führenden Verschlechterung zu rechnen sei. Er enthält dazu lediglich die unter Hinweis auf die "obige Befundlage" aufgestellte Behauptung, vor einer Verlängerung der Lenkerberechtigung müsse erst "eine entsprechende Verkehrsbewährung abgewartet" werden. Die insoweit fehlende Begründung kann nicht mit dem Hinweis auf die erfahrungsgemäß immer gegebene Möglichkeit der Begehung neuerlicher strafbarer Handlungen ersetzt werden. Andernfalls genügte für die Befristung der Lenkerberechtigung in derartigen Fällen bereits der Rückgriff auf die allgemeine Lebenserfahrung und bedürfte es nicht der Befassung einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle. Die Notwendigkeit einer Nachuntersuchung kann auch nicht damit begründet werden, daß bei "gravierender Auffälligkeit" (womit offenbar schwerwiegende Verstöße gegen die Verkehrsvorschriften gemeint sind) die Fahreignung verneint werden müßte. Dazu bedarf es der Befristung der Lenkerberechtigung gar nicht, ist doch ein derartiges Verhalten jedenfalls geeignet, begründete Bedenken im Sinne des § 75 Abs. 1 KFG 1967 zu erwecken, was zur Folge hat, daß von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung des (Weiter-)Vorliegens der Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung gemäß § 64 Abs. 2 KFG 1967 einzuleiten ist.
Da der Sachverhalt der Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften verletzt wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordung BGBl. Nr. 416/1994.
Angesichts der Erledigung der Beschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Gutachten Ergänzung Gutachten Überprüfung durch VwGH Sachverständiger Arzt Vorliegen eines Gutachtens Stellungnahme Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der RechtswirkungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1995:1995110318.X00Im RIS seit
12.06.2001