TE OGH 2022/4/25 5Ob16/22x

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Veröffentlicht am 25.04.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun-Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Mag. Andrea Willmitzer, Rechtsanwältin in Leobersdorf, gegen die beklagte Partei I*, vertreten durch Mag. Paul Philipp Pöllinger, Rechtsanwalt in Baden, wegen Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 15. Oktober 2021, GZ 58 R 81/21s-12, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Baden vom 31. Mai 2021, GZ 7 C 1605/20d-8, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]            Die Streitteile sind (neben anderen, nicht am Verfahren beteiligten Personen) Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft, der Kläger seit 2018, der Beklagte seit 1983. In einer am 2. August 2002 geschlossenen Benützungsvereinbarung ordneten sämtliche damaligen Miteigentümer die vorhandenen Stellplätze (im Freien und in den Garagen) jeweils bestimmten Wohnungseigentumsobjekten zu und vereinbarten, dass die Benützung dieser Plätze den jeweiligen Wohnungseigentümern ausschließlich zustehe und jeder Wohnungseigentümer alle Aufwendungen für den von ihm genutzten Kfz-Stellplatz selbst zu tragen habe. Sie hielten ausdrücklich fest, dass es sich dabei um die schriftliche Festlegung der seit Jahren ausgeübten Benützungsregelung der Stellplätze handle. Vor dem Erwerb der Wohnung durch den Kläger wurde der seinem Wohnungseigentumsobjekt zugeordnete Stellplatz nicht regelmäßig zum Abstellen eines Pkw benützt, sondern nur ab und zu waren dort Anhänger und selten vorübergehend Pkw abgestellt. Der Kfz-Stellplatz des Klägers liegt rechtwinkelig zum angrenzenden Parkplatz des Beklagten und ist nur erreichbar, indem man über den südlichen Teil des Parkplatzes des Beklagten fährt, weil sich zur Straße hin (parallel zum Parkplatz des Klägers) eine mit Begrenzungssteinen eingefasste Grünfläche befindet. Der Beklagte stellt seinen Pkw auf seinem Stellplatz regelmäßig so ab, dass er fast die gesamte Länge seines Platzes ausnützt, wodurch der Kläger nicht auf seinen Stellplatz fahren kann. Die Stadtgemeinde hat ihr Einverständnis dazu erklärt, dass der Kläger auf seine Kosten eine Zufahrtsmöglichkeit von der anderen Seite her (durch Entfernen von dort befindlichen Verkehrstafeln und Büschen) herstellen lassen kann.

[2]            Der Kläger begehrte, den Beklagten schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, den ihm zugeordneten Kfz-Stellplatz so zu benutzen, dass der Kläger mit einem Pkw zu dem ihm zugeordneten Parkplatz nicht ungehindert ein- und ausfahren kann.

[3]            Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, ihm komme die ausschließliche Nutzung seines Stellplatzes zu; er parke stets innerhalb seiner Fläche. Die vom Kläger gewünschte Unterlassungsverpflichtung laufe auf eine Änderung der Benützungsvereinbarung hinaus, die keine Zufahrtsmöglichkeit zur Parkfläche des Klägers enthalte.

[4]            Das Erstgericht gab der Klage statt.

[5]            Die Benützungsvereinbarung könne nicht so ausgelegt werden, dass die Eigentümer einen Stellplatz hätten schaffen wollen, der in Wahrheit von vornherein gar nicht als Kfz-Abstellplatz genutzt werden könne. Die Parteien hätten den Umstand, dass die von der Stadtgemeinde errichtete Grünfläche zur Zufahrtsstraße schon damals vorhanden gewesen sei, erkennbar nicht bedacht. Durch ergänzende Vertragsauslegung sei die Benützungsvereinbarung daher so auszulegen, dass der Beklagte seinen Stellplatz nur so benützen dürfe, dass auch ein Zufahren zum Stellplatz des Klägers möglich sei.

[6]            Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass es die Klage abwies.

[7]       Nach ständiger Rechtsprechung sei, wenn ein gesetzliches Schriftformgebot bestehe, die ergänzende Auslegung von Urkunden durch den Formzweck beschränkt. Die Ermittlung des Willens der Vertragsparteien dürfe nicht dazu dienen, einen in der Urkunde nicht genannten Teil durch Auslegung anderer Vertragsbestimmungen zu ergänzen. Nach der schriftlichen Benützungsvereinbarung komme jedem Wohnungseigentümer die ausschließliche Nutzung des ihm zugeordneten Stellplatzes zu. Eine Einschränkung dieser Nutzung dahin, dass sich diese nur auf das Parken und nicht auch auf das Zufahren beziehe, lasse sich der Regelung nicht entnehmen.

[8]            Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob und inwieweit Benützungsvereinbarungen nach § 17 Abs 1 WEG ergänzend ausgelegt werden dürften.

[9]            In seiner Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt der Kläger die Abänderung dahin, dass das Ersturteil wiederhergestellt werde; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[10]     Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11]           Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil sie keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt.

[12]           1.1 Seit dem Inkrafttreten des WEG 2002 mit 1. Juli 2002 sind Benützungsvereinbarungen schriftlich abzuschließen (§ 17 Abs 1 WEG 2002). Vorher konnte eine Benützungsregelung wie jede andere Vereinbarung auch durch schlüssiges Verhalten zustande kommen (RS0013638 [T8]). Das Formerfordernis der Schriftlichkeit verhindert das Zustandekommen schlüssiger Benützungsvereinbarungen und die damit in aller Regel verbundenen Beweisprobleme und Rechtsunsicherheiten (5 Ob 198/16b mwN). Eine vertragliche Benützungsregelung kann gemäß § 17 Abs 1 WEG 2002 nur „verfügbare“ allgemeine Teile erfassen und scheidet daher aus, wenn die allgemeinen Teile notwendig der allgemeinen Benützung dienen (RS0117862 [T1]; RS0105691 [T4]; vgl RS0013206).

[13]           1.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist – wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte – im Fall eines gesetzlichen Schriftformgebots eine ergänzende Auslegung von Urkunden durch den Formzweck beschränkt (RS0117165). Nach der wohnrechtlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sind der Wohnungseigentumsvertrag, Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft und Vereinbarungen nach § 32 Abs 2 WEG 2002 nur nach dem einer objektiven Auslegung zugänglichen Wortlaut auszulegen, während die Feststellung des Willens der Parteien unmaßgeblich ist (5 Ob 198/16b mwN).

[14]           1.3 Allgemein hat die Auslegung einer vertraglichen Vereinbarung stets unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu erfolgen und könnte nur dann eine erhebliche Rechtsfrage begründen, wenn der zweiten Instanz eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (RS0042936; RS0042776); dies gilt auch für Benützungsvereinbarungen (4 Ob 93/18g).

[15]           1.4 Die vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegte Auslegung der Benützungsvereinbarung der Miteigentümer vom 2. August 2002 über die Stellplätze begegnet keinen Bedenken. Dem Objekt des Beklagten ist die gesamte Fläche seines Stellplatzes (auch der Länge nach) zugeordnet, die er auf eine von ihm selbst gewählte Weise (allenfalls auch durch einen Anhänger oder ein weiteres Fahrzeug) nutzen kann. Eine Einschränkung seines Nutzungsrechts dahin, dass er die Verwendung eines (nicht näher definierten) Teils dieser Fläche (immer oder nur zu bestimmten Zeiten?) unterlassen müsste, geht aus der Benützungsvereinbarung nicht hervor. Die Tatsache, dass eine Zufahrt auf die dem Objekt des Klägers zugeordnete Abstellfläche derzeit nur über einen (hinteren, südlichen) Teil des Parkplatzes des Beklagten und daher nur dann möglich ist, wenn diese Teilfläche von ihm nicht benutzt wird, haben die Miteigentümer in ihrer schriftlichen Vereinbarung nicht berücksichtigt. Für eine ergänzende Auslegung der Vereinbarung in der vom Kläger gewünschten Weise bietet der Wortlaut aber keinen Anhaltspunkt.

[16]           2. Die in der Revision zitierte Entscheidung zu 2 Ob 29/19g hatte ein Unterlassungsbegehren von Miteigentümern gegen ein Unternehmen zum Gegenstand, dessen Fahrzeuge die Zufahrt zur Liegenschaft der Kläger blockierten; der Oberste Gerichtshof entschied, dass ein Eingriff ins Eigentumsrecht der Kläger vorliege, weil mehrmals wöchentlich Anlieferer des Unternehmens auf der Gemeindestraße so parkten, dass den Klägern das Zu- und Abfahren zu und von ihrer Liegenschaft verwehrt war. Daraus lässt sich für den Standpunkt des Klägers allerdings schon deswegen nichts gewinnen, weil er sein Unterlassungsbegehren gegen den Beklagten aus der Benützungsvereinbarung der Miteigentümer ableitet und nicht gegen einen Dritten richtet.

[17]           3. Die Revision des Klägers setzt sich im Übrigen mit der Begründung des Berufungsgerichts und mit der in der Zulassungsbegründung genannten Rechtsfrage der (fehlenden) Möglichkeit einer ergänzenden Auslegung einer formgebundenen Benützungsvereinbarung nicht auseinander; insoweit ist sie daher nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043603 [T9]).

[18]           4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Textnummer

E134512

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00016.22X.0425.000

Im RIS seit

25.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

25.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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