TE OGH 2022/2/22 2Ob64/21g

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Veröffentlicht am 22.02.2022
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé und die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö* Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Martin Wandl & Dr. Wolfgang Krempl Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagten Parteien 1. R* GmbH, *, und 2. S* AG, *, beide vertreten durch die B&S Böhmdorfer Schender Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 185.461,89 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Jänner 2021, GZ 30 R 2/21s-32, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 29. Oktober 2020, GZ 40 Cg 71/19k-28, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1]       Am 29. 7. 2013 ereignete sich in Wieselburg an der Kreuzung der Manker Straße mit der Bahnstrecke der Erlauftalbahn ein Verkehrsunfall, an dem ein mit Schotter beladener entrollter Güterwaggon und ein Pkw beteiligt waren. Der Lenker des Pkw wurde bei dem Unfall getötet. Seine Ehefrau bezieht seit 30. 7. 2013 von der Pensionsversicherungsanstalt eine Witwenpension. Das Verschulden am Entrollen des Güterwaggons traf den Kleinwagenführer, der einen Klemmkeil nicht ausreichend festgezogen hatte.

[2]            Der Kleinwagenführer wurde deshalb mit Urteil des Strafgerichts vom 8. 10. 2015 wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Abs 1 Z 1 StGB rechtskräftig schuldig gesprochen.

[3]       Mit Anspruchsschreiben vom 8. 2. 2016 machte die PVA erstmals Regressansprüche gemäß §§ 332 ff ASVG wegen der von ihr geleisteten Witwenpension gegenüber der Klägerin geltend. Die Hinterbliebenen des Pkw-Lenkers machten gegenüber der Klägerin eigene Ansprüche geltend. Die Klägerin einigte sich mit ihnen auf einen Vergleichsbetrag von 25.000 EUR, der am 26. 7. 2016 bezahlt wurde.

[4]       Ebenfalls am 26. 7. 2016 klagte die PVA die hier Erstbeklagte als Eisenbahn-Verkehrsunternehmen und die nunmehrige Klägerin als Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen und dort Zweitbeklagte wegen der bis zum 30. 6. 2016 geleisteten Witwenpensionen. Sie machte gegenüber beiden Beteiligten eine Solidarhaftung geltend und berief sich dazu auf § 19 EKHG. In diesem Verfahren wurde der hier Zweitbeklagten von der Klägerin der Streit verkündet, sie trat jedoch dem Verfahren nicht bei.

[5]       Die Erstbeklagte vertrat bereits im dortigen Verfahren den Rechtsstandpunkt, sie habe den Kleinwagenführer der dort Zweitbeklagten und nunmehrigen Klägerin nur auf Basis einer Arbeitskräfteüberlassung überlassen. Lediglich die jetzige Klägerin sei Betriebsunternehmerin gewesen. Die jetzige Klägerin sah hingegen die Erstbeklagte als alleinige Betriebsunternehmerin an.

[6]       Das damalige Erstgericht gab mit Urteil vom 20. 9. 2017 dem Klagebegehren gegen beide Beklagte vollinhaltlich statt. Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Beklagter nicht Folge. Der Oberste Gerichtshof wies mit Urteil vom 24. 6. 2019 zu 2 Ob 97/18f die außerordentliche Revision der nunmehrigen Klägerin zurück und gab der außerordentlichen Revision der Erstbeklagten im Sinne einer Klageabweisung Folge. Im Gegensatz zur Zweitbeklagten (nunmehrige Klägerin), die für das Verschulden des Kleinwagenführers nach § 19 Abs 2 EKHG als Betriebsgehilfen hafte, sei diese nicht als Betriebsunternehmerin iSd § 5 EKHG zu qualifizieren. Es treffe sie daher keine Gefährdungshaftung nach dem EKHG und auch keine Haftung gemäß § 19 Abs 2 EKHG für das Verschulden des Kleinwagenführers. Diese Entscheidung wurde der nunmehrigen Klägerin am 3. 7. 2019 zugestellt.

[7]       Die Zweitbeklagte hatte mit der Klägerin für die Zeit von 29. 1. 2009 bis 31. 12. 2013 einen Rahmenvertrag abgeschlossen. Die ursprünglich als Subunternehmerin der Zweitbeklagten agierende Erstbeklagte trat nach dem 31. 12. 2011 in diesen ein, die Haftung der Zweitbeklagten blieb ausdrücklich aufrecht. Am 18. 3. 2013 „beantragten“ beide Beklagten bei der Klägerin, diesen Vertrag mit allen Rechten und Pflichten auf die Erstbeklagte zu übertragen. Die Zweitbeklagte bestätigte, dass sie als ursprüngliche Auftragnehmerin die Haftung für die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtung durch die Erstbeklagte übernehme.

[8]       Der Rahmenvertrag enthielt unter anderem die Regelung der Zurverfügungstellung von Zugführern für Arbeitszüge und näher definierte Dienstleistungen im Bereich sicherheits- und bahnspezifischer Leistungen bei Arbeiten der Klägerin im Gefahrenraum von Gleisen. Der Kontrakt enthält auch eine genaue Leistungsbeschreibung für die Erbringung der Leistungen der Zugführer und deren erforderliche Qualifikationen.

[9]       Die AGB-Dienstleistungen der Klägerin, auf welche der Rahmenvertrag Bezug nahm, waren der Zweitbeklagten sowie der Erstbeklagten bekannt und auch auf der Homepage der Ö* veröffentlicht.

Pkt 3.6 dieser AGB lautet:

Der Auftragnehmer hat für die Einhaltung der zum Schutz von Personen und Sachen bestehenden allgemeinen und der im Einzelfall seitens der Bahndienststellen bekanntgegebenen besonderen Vorschriften unter eigener Verantwortung zu sorgen. Der Auftragnehmer ist verpflichtet, den Auftraggeber gegenüber allen Ansprüchen Dritter, die daraus erwachsen, dass diese Vorschriften vom Auftragnehmer oder seinen Leuten nicht eingehalten werden, zur Gänze schad- und klaglos zu halten.

[10]     Mit der nunmehrigen Klage vom 19. 7. 2019 begehrt die Klägerin insgesamt 173.461,89 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Ansprüche insbesondere der PVA. Der Klagsbetrag setze sich aus der Vergleichszahlung von 25.000 EUR an die Hinterbliebenen, der Zahlungspflicht laut dem Urteil im Vorprozess in Höhe von 89.959,17 EUR, inklusive Zinsen und Kosten, sowie dem eigenen Kostenaufwand von 57.062,42 EUR, bestehend aus den (betragsmäßig nicht aufgeschlüsselten) Vertretungskosten im eingestellten Strafverfahren gegen die Klägerin selbst, uneinbringlichen Privatbeteiligungskosten im Strafverfahren gegen den Kleinwagenführer und Vertretungskosten der Klägerin im Vorprozess, sowie Barauslagen von 1.440,30 EUR zusammen. Davon sei der Klägerin ein Betrag von 73.461,89 EUR von ihrer Haftpflichtversicherung ersetzt, aber (auch hinsichtlich künftiger Ansprüche) rückzediert worden. Auch allfällige Feststellungsansprüche der Haftpflichtversicherung seien an die Klägerin zediert worden. Die Klägerin stützte ihre Ansprüche auf den Rahmenvertrag und die darin enthaltene Verpflichtung, die Klägerin gegenüber allen Ansprüchen Dritter schad- und klaglos zu halten.

[11]     Der von der Erstbeklagten beigestellte Kleinwagenführer habe sich in mehrfacher Hinsicht vertragswidrig verhalten und den Unfall vom 29. 7. 2013 verschuldet. Er habe Sicherheits- und Betriebsvorschriften nicht beachtet, wie etwa zur Sicherung eines abgestellten Fahrzeugs bei einem Gefälle.

[12]     Der bei der Klägerin eingetretene Schaden sei hinsichtlich der Vergleichszahlung am 26. 7. 2016 und hinsichtlich der Zahlungsverpflichtung aus dem Urteil im Vorprozess erst mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 2 Ob 97/18f im Juli 2019 festgestanden. Das Klagebegehren sei daher nicht verjährt. Die Erstbeklagte hafte für den Kleinwagenführer als ihren Erfüllungsgehilfen, die Zweitbeklagte wegen der von ihr ausdrücklich übernommenen Garantie für die Einhaltung sämtlicher Vorschriften.

[13]     Die Beklagten bestritten das Klagebegehren und erhoben – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – einen Verjährungseinwand. Die Klägerin könne keine Regressansprüche geltend machen, weil der Oberste Gerichtshof im Vorverfahren die Mithaftung der Erstbeklagten verneint habe. Daher sei für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist nicht auf den Zeitpunkt der Zahlung oder auf die Verpflichtung zur Zahlung abzustellen. Die Klägerin habe unmittelbar nach dem Unfall noch im Jahr 2013 über sämtliche anspruchsbegründenden Elemente Kenntnis erlangt. Bereits 2015 sei der Kleinwagenführer wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung rechtskräftig verurteilt worden. Die Hinterbliebenen hätten sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen; bereits 2015 seien daher derartige Ansprüche voraussehbar gewesen. Die dreijährige Verjährungsfrist sei daher jedenfalls bereits abgelaufen.

[14]           Das Erstgericht wies das Klagebegehren wegen Verjährung ab. Die Beklagten hafteten grundsätzlich
ex contractu gemäß § 1313a ABGB für das Verschulden des Kleinwagenführers. Die Klägerin habe bereits am Unfalltag vom Unfall Kenntnis erlangt und hätte mit Ansprüchen von Hinterbliebenen des Verstorbenen rechnen müssen. Die Beklagten hätten von Anfang an den Standpunkt vertreten, nur als Arbeitskräfteüberlasserinnen aufgetreten zu sein, und hätten daher eine Haftung abgelehnt. Die Klagsansprüche seien daher deutlich vor Klagseinbringung verjährt.

[15]     Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung in ein die mangelnde Verjährung feststellendes Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO ab. Bei Regressansprüchen beginne die Verjährungsfrist erst mit der tatsächlichen Zahlung an den Geschädigten zu laufen. Es werde zwar kein reiner Regressanspruch nach § 896 ABGB geltend gemacht, weil aufgrund des Vorverfahrens keine Solidarhaftung gegenüber den Geschädigten bestehe. Der vertragliche Schadenersatzanspruch der Klägerin ergebe sich aus der Schad- und Klagloshaltungsverpflichtung der Beklagten. Diese Verpflichtung knüpfe an das Entstehen von Ansprüchen Dritter an. Der Zeitpunkt des Entstehens solcher Ansprüche Dritter sei daher auch nach den für Regressansprüche § 896 ABGB von der Rechtsprechung herangezogenen Kriterien zu beurteilen, weil die vertragliche Regelung eine Situation schaffe, wie sie von Gesetzes wegen im Falle einer festgestellten Solidarhaftung nach außen gegeben wäre. Der Lauf der Verjährungsfrist habe daher erst mit dem Ersatz des Schadens im Fall der Vergleichszahlung bzw mit dem Feststehen der alleinigen Ersatzpflicht der Klägerin im Außenverhältnis gegenüber der PVA, somit der letztinstanzlichen Entscheidung im Vorverfahren begonnen.

[16]           Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Parteien mit dem Ziel der Klagsabweisung; hilfsweise werden Teilabweisungs- und Aufhebungsanträge gestellt.

[17]           Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[18]           Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage teilweise verkannt hat; sie ist insofern auch berechtigt im Sinne des Aufhebungsantrags.

[19]     1. Ein Zwischenurteil über die Verjährung gemäß § 393a ZPO hat nur zu ergehen, wenn zumindest ein schlüssiges Tatsachenvorbringen der klagenden Partei zum Anspruchsgrund vorliegt; andernfalls hätte eine Klageabweisung zu erfolgen (RS0129001). Es spricht nur über den Verjährungseinwand ab, ohne die – nur auf ihre Schlüssigkeit zu prüfenden – Anspruchsvoraussetzungen zu beurteilen (RS0127852 [T6]).

[20]           2. Aufgrund der Entscheidung 2 Ob 97/18f steht fest, dass eine Solidarhaftung der Erstbeklagten mit der Klägerin nach dem EKHG gegenüber den Geschädigten und den Legalzessionaren nicht besteht. Das bedeutet entgegen den umfassenden Ausführungen der Revision insbesondere zur behaupteten Bindungswirkung der Vorentscheidung aber nicht, dass nicht dennoch im Innenverhältnis eine Haftung der Beklagten gegenüber der Klägerin bestehen kann.

[21]           3. Die Klägerin erhebt hier unterschiedliche Ansprüche, die ihrerseits gegenüber der Erstbeklagten und der Zweitbeklagten auf unterschiedliche Anspruchsgrundlagen gestützt werden:

[22]           3.1. So macht die Klägerin einerseits Ansprüche aus Leistungen gegenüber Dritten geltend, also aus ihrer Vergleichszahlung an die Hinterbliebenen und der Zahlung aufgrund der Verurteilung zum Ersatz im Vorprozess gegenüber der PVA. Andererseits begehrt sie Ersatz für eigene Schäden in Form der eigenen Vertretungskosten im Vorprozess und im eigenen Strafverfahren sowie jener als Privatbeteiligte im Strafverfahren gegen den Kleinwagenführer.

[23]           3.2. Gegenüber der Erstbeklagten können die erstgenannten Ansprüche nach dem Vorbringen auf vertragliche Haftung aus der Verletzung des Leistungskontrakts durch den Kleinwagenführer als Erfüllungsgehilfen der Erstbeklagten abgeleitet werden oder aus der behaupteten Schad- und Klagloshaltungspflicht nach Pkt 3.6 der AGB.

[24]           Die zweite Anspruchsgruppe kann, weil sich die Schad- und Klagloshaltungspflicht nach Pkt 3.6 der AGB nur auf Ansprüche Dritter bezieht, der Erstbeklagten gegenüber dagegen nur aus der Verletzung des Leistungskontrakts resultieren.

[25]           3.3. In Bezug auf die Zweitbeklagte stützt sich das gesamte Begehren dagegen auf deren übernommene Haftung für die Einhaltung der vertraglichen Pflichten durch die Erstbeklagte.

4. Zur Verjährung gegenüber der Erstbeklagten:

[26]           4.1. Leistungen der Klägerin an Dritte gestützt auf die Verletzung des Leistungskontrakts:

[27]           4.1.1. Insoweit macht die Klägerin Schadenersatzansprüche aus der Übertretung einer Vertragspflicht geltend. Nach § 1489 ABGB verjährt jede Entschädigungsklage in drei Jahren von der Zeit an, zu welcher der Schaden und die Person des Beschädigers dem Beschädigten bekannt wurde. Erfasst werden nicht nur Schadenersatzansprüche wegen deliktischer Schädigung, sondern auch Ansprüche auf Ersatz, die aus der Verletzung von vertraglichen Verpflichtungen abgeleitet werden. Auch alle Ersatzforderungen wegen Nichterfüllung oder mangelhafter Erfüllung eines Vertrags, mag der Erfüllungsanspruch selbst auch der 30-jährigen Verjährung unterliegen, sind unter § 1489 ABGB zu subsumieren (5 Ob 18/01k; RS0017007 [T3]; RS0017735 [T3]; RS0034346).

[28]           4.1.2. Seit der Entscheidung eines verstärkten Senats (1 Ob 621/95 = SZ 68/238) wird in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass die kurze Verjährungsfrist des § 1489 ABGB nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginnt und nicht schon mit dem schädigenden Ereignis, sofern Ungewissheit darüber vorliegt, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist (2 Ob 15/10k; RS0083144 [T36]). Besteht eine solche Ungewissheit darüber und ist über diese Frage ein Rechtsstreit anhängig, ist auf die Rechtskraft der Gerichtsentscheidung abzustellen, weil erst dann der Schadenseintritt „unverrückbar“ feststeht (1 Ob 203/11a; 9 Ob 66/18y; RS0083144 [T14, T17, T31]; RS0034374 [T29 und T36]). Grundsätzlich kann somit bis zur (rechtskräftigen) gerichtlichen Entscheidung zugewartet werden, wenn eine objektive Unklarheit über die Haftung besteht (1 Ob 162/07s; 10 Ob 111/07g; RS0083144 [T22]; RS0083144 [T29]).

[29]           4.1.3. Hier war im 2016 eingeleiteten Vorprozess sowohl die Stellung der nunmehrigen Klägerin als auch jene der nunmehrigen Erstbeklagten als Eisenbahnbetreiberin im Sinne des EKHG strittig. Die Haftungsverteilung zwischen einem Eisenbahninfrastrukturunternehmen und einem Eisenbahnverkehrsunternehmen insbesondere bei Unfällen auf einem Baugleis wurde erst sukzessive durch die während des Prozesses ergangene Rechtsprechung klargestellt, sodass damals die Haftungslage objektiv unklar war und der Klägerin daher auch nicht vorgeworfen werden kann, einen Prozess unvertretbar zur Hinauszögerung des Verjährungsbeginns von Regressforderungen geführt zu haben.

[30]           Erst mit der Rechtskraft der letztinstanzlichen Entscheidung, 2 Ob 97/18f vom 24. 6. 2019, in diesem Verfahren stand die alleinige Haftung der nunmehrigen Klägerin als Eisenbahnbetriebsunternehmerin im Sinne des EKHG und damit der Schadenseintritt bei ihr „unverrückbar“ fest. Vor diesem Zeitpunkt begann daher im Sinne der obigen Ausführungen die Verjährungsfrist für die Regressansprüche nicht zu laufen.

[31]           4.1.4. Die Verjährungsfrist war somit insoweit im Zeitpunkt der Klagseinbringung in Bezug auf die Leistung an die PVA noch nicht abgelaufen. In Bezug auf die Haftung gegenüber den Hinterbliebenen bestand zwar die gleiche Ungewissheit. Die Klägerin hat aber aufgrund des Vergleichs am 26. 7. 2016 Zahlung geleistet. Auch insoweit war die Klagserhebung am 19. 7. 2019 rechtzeitig.

4.2. Leistungen an Dritte gestützt auf die Schad- und Klagloshaltungspflicht nach den AGB:

[32]           Rechte aus einem Vertrag verjähren nach §§ 1478 ff ABGB mangels einer kürzeren Verjährungsfrist in 30 Jahren (RS0080886). Die auf eine übernommene Verpflichtung zur Schad- und Klagloshaltung gestützte Regressforderung verjährt nach der Rechtsprechung in 30 Jahren (6 Ob 185/06h; RS0080886 [T3]).

Im Sinn dieser Rechtsprechung wäre daher Verjährung gegenüber der Erstbeklagten jedenfalls nicht eingetreten.

4.3. Eigene Vertretungskosten der Klägerin:

[33]     4.3.1. Da wie gesagt als Anspruchsgrundlage für diese Schadenersatzansprüche der Klägerin gegenüber der Erstbeklagten nur die Verletzung vertraglicher Haupt- oder Nebenpflichten bei der Leistungserbringung in Frage kommt, gilt das oben zu § 1489 ABGB Gesagte (Pkt 4.1.1. f).

[34]           4.3.2. Entstehen einer Partei durch die Verletzung vertraglicher Haupt- oder Nebenpflichten Schäden, fallen auch reine Vermögensschäden grundsätzlich in den schadenersatzrechtlichen Schutzbereich. Auch die Kosten von Rechtsverfolgungs- bzw Verteidigungs-handlungen, die typischerweise reine Vermögensschäden sind, sind daher Teil des bei Vertragsverletzung zu ersetzenden Schadens (2 Ob 168/01x; 2 Ob 256/00m mwN).

[35]           Da der aus den eigenen Vertretungskosten im Vorprozess abgeleitete Eigenschaden ebenfalls erst mit Ende des Vorprozesses unverrückbar feststand, ist auch insoweit Verjährung nicht eingetreten.

[36]           4.3.3. Anderes gilt für die behaupteten Eigenschäden an Vertretungskosten im eigenen Strafverfahren der Klägerin und jene als Privatbeteiligte. Diese waren nicht Gegenstand des Vorprozesses. Ihre Verjährung ist daher unabhängig davon zu beurteilen.

[37]           Das Strafverfahren gegen den Kleinwagenführer, dem sich die Klägerin als Privatbeteiligte anschloss, endete 2015 und daher auch die damit verbundenen Privatbeteiligtenkosten der Klägerin, die der Höhe nach nicht feststehen. Spätestens in diesem Zeitpunkt stand dieser Schaden in all seinen Aspekten fest. Seine Verjährung war daher bei Einbringung der vorliegenden Klage bereits eingetreten.

[38]           In Bezug auf die behaupteten Kosten eines gegen die Klägerin selbst geführten Strafverfahrens fehlen jegliche Feststellungen, sodass insofern Verjährung nahe liegt, was aber mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden kann.

5. Zur Verjährung in Bezug auf die Zweitbeklagte:

[39]           5.1. Die Zweitbeklagte hat hier nach dem Vorbringen ohne Einschränkung die Haftung für die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen durch die Erstbeklagten gegenüber der Klägerin übernommen.

[40]           Will der Verpflichtete ohne Einschränkung für den Erfolgseintritt einstehen, liegt eine Leistungsgarantie (Erfolgszusage) nach § 880a Satz 2 ABGB vor. Die Wirksamkeit einer solchen Leistungsgarantie ist von der Existenz und Durchsetzbarkeit einer gegen den Dritten gerichteten Forderung unabhängig, also nicht akzessorisch, sondern abstrakt (1 Ob 608/88; P. Bydlinksi in KBB6 § 880a ABGB Rz 2 mwN).

[41]           5.2. Eine solche Garantie hat, was nicht zuletzt der Wortlaut des § 880a ABGB („Haftung für volle Genugtuung“) deutlich macht, immer Ersatzfunktion (5 Ob 215/08s; RS0124549). Sie soll einen Schaden, den der Begünstigte durch den Nichteintritt eines Erfolgs erleidet, ausgleichen, auch wenn es sich nicht um Schadenersatzansprüche im eigentlichen Sinn handelt, weil sie losgelöst von Verursachung, Rechtswidrigkeit und Verschulden bestehen (4 Ob 200/20w; RS0124549 [T2]).

[42]           5.3. Hier umfassen die vertraglichen Pflichten der Erstbeklagten nach dem Vorbringen sowohl die ordnungsgemäße Leistungserbringung als auch die Schad- und Klagloshaltung. Die Zweitbeklagte hat daher nach ihrer Erklärung in beiden Fällen iSd § 880a Satz 2 ABGB für den Erfolg einzustehen. Das führt somit in Bezug auf die Zweitbeklagte in allen Fällen zur Anwendbarkeit des § 1489 ABGB (5 Ob 215/08s; RS0017007 [T5 und T6]).

[43]           5.4. Der Beginn der Verjährungsfrist für Rechte aus Garantieverträgen setzt, weil die Leistungspflicht des Garanten von einer Erklärung des Berechtigten, also dem Abruf der Garantie, abhängt, erst dann ein, wenn die Inanspruchnahme der Garantie erstmals ohne Rechtsmissbrauch erfolgen kann. Ab diesem Zeitpunkt steht für die Einbringung der Klage die gesamte Frist zur Verfügung (5 Ob 215/08s mwN).

[44]           Dieser Zeitpunkt kann hier in Bezug auf die vom Ausgang des Vorprozesses abhängigen Ansprüche nicht vor Beendigung dieses Verfahrens angesetzt werden, weil erst in diesem Zeitpunkt die Haftung der nunmehrigen Klägerin unverrückbar feststand und daher der Garantiefall eingetreten sein konnte. Gleiches gilt für die Leistung an die Hinterbliebenen mit der Zahlung. Insoweit ist daher Verjährung nicht eingetreten.

[45]           Dagegen ist aufgrund des Endes des Strafverfahrens gegen den Kleinwagenführer im Jahr 2015 auch hier davon auszugehen, dass ab diesem Zeitpunkt die Inanspruchnahme der Garantie möglich war, sodass auch insoweit das Klagebegehren verjährt ist.

[46]           Für die Kostenansprüche im eigenen Strafverfahren fehlen dagegen ebenfalls ausreichende Feststellungen zu diesem Zeitpunkt, sodass eine abschließende Beurteilung der Verjährung insoweit derzeit nicht möglich ist.

6. Ergebnis:

[47]           Da somit keine ausreichenden Feststellungen für die endgültige Beurteilung der Verjährung aller geltend gemachter Ansprüche vorliegen bzw bei den jedenfalls verjährten die Höhe nicht feststeht, sind die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die nach Pkt 4.3.3. und Pkt 5.4. fehlenden Feststellungen nachzutragen haben, ehe hinsichtlich der danach nicht verjährten Forderungen die weiteren Anspruchsvoraussetzungen geprüft werden können.

[48]     7. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

Textnummer

E134338

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00064.21G.0222.000

Im RIS seit

08.04.2022

Zuletzt aktualisiert am

08.04.2022
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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