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32/01 Finanzverfahren allgemeines AbgabenrechtNorm
BAO §21Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer sowie den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Wien 1/23 in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 16. April 2021, Zl. RV/7104462/2015, betreffend Einkommensteuer 2005 (mitbeteiligte Partei: E in W, vertreten durch die Hason & Partner Steuerberatung KG in 1020 Wien, Praterstraße 33), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Zum bisherigen Verfahrensgang ist zunächst auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Juli 2015, 2011/13/0067, 0139, zu verweisen. Im vorliegenden Revisionsverfahren ist nur mehr die Einkommensteuer 2005 strittig: Die Berufung (Beschwerde) betreffend Wiederaufnahme hinsichtlich Einkommensteuer 2002 bis 2004 sowie betreffend Einkommensteuer 2002 und 2004 war mit Eingabe vom 5. Juni 2019 zurückgenommen worden; der Berufung die betreffend Einkommensteuer 2003 war - nach Einschränkung der Berufung ebenfalls mit Eingabe vom 5. Juni 2019 - nach der Schilderung in der Revision mit Entscheidung vom 25. Juli 2019 stattgegeben worden.
2 Aus dem bisherigen Verfahren ist hervorzuheben, dass das Finanzamt mit Bescheid vom 10. Juli 2006 die Einkommensteuer für das Jahr 2005 festsetzte. Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Berufung.
3 Mit Berufungsvorentscheidung vom 7. Juli 2008 änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2005 ab. Darin wurden insbesondere Einkünfte ohne inländischen Steuerabzug erfasst. In der Begründung wurde ausgeführt, die Ehefrau des Mitbeteiligten habe eine Wohnung „unterpreisig“ erworben. Dies führe zur Hinzurechnung eines Vorteiles aus dem ehemaligen Dienstverhältnis des Mitbeteiligten in Höhe der Differenz zwischen gezahltem (zu niedrigem) Kaufpreis und dem festgestellten Verkehrswert zum Erwerbszeitpunkt (5. August 2005).
4 Mit Bescheid vom 9. Juli 2008 änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2005 gemäß § 295 BAO ab. Damit wurden Beteiligungserträge aus einer Mitunternehmerschaft berücksichtigt.
5 Der Mitbeteiligte beantragte (mit als Berufung bezeichnetem Schriftsatz) die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
6 Mit Bescheid vom 11. November 2011 hob der unabhängige Finanzsenat den Bescheid betreffend Einkommensteuer 2005 unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erster Instanz auf.
7 Mit dem bereits eingangs erwähnten Erkenntnis vom 22. Juli 2015, 2011/13/0139, hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid des unabhängigen Finanzsenates auf.
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der (nunmehrigen) Beschwerde Folge und änderte den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2005 ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
9 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, kurz vor dem Ausscheiden des Mitbeteiligten aus seinem Dienstverhältnis im April 2003 sei ihm (oder einer von ihm namhaft gemachten physischen oder juristischen Person) von seinem Arbeitgeber die Option eingeräumt worden, die von ihm damals als Dienstwohnung benutzte Dachgeschoßwohnung zu erwerben. Diese Option habe bis zum 30. Juni 2004 ausgeübt werden können. Im Falle der Ausübung der Option verpflichte sich der Optionsgeber (der Arbeitgeber), den der Option angeschlossenen Kauf- und Wohnungseigentumsvertrag nach allfälliger Berichtigung des Namens des Optierenden binnen 14 Tagen in grundbuchsfähiger Form zu fertigen. Am 29. Juni 2004 - somit einen Tag vor dem Ablauf - sei die Option vom Mitbeteiligten „angenommen“ worden, indem das Schreiben vom 10. April 2003 mit einem handschriftlichen Vermerk des Mitbeteiligten („gegenständliche Option angenommen“ samt dessen Unterschrift) einem Vertreter des Arbeitgebers übergeben worden sei. Am 5. August 2005 sei zwischen der Ehefrau des Mitbeteiligten und dem (ehemaligen) Arbeitgeber des Mitbeteiligten ein Kaufvertrag über die Dachgeschoßwohnung abgeschlossen worden. Darin sei u.a. vereinbart worden, dass die Übergabe und Übernahme der Wohnung am Tag der Vertragsunterfertigung erfolge. Weiters sei vereinbart worden, dass der Kaufvertrag zunächst nicht im Grundbuch eingetragen werden solle. Die Vertragsparteien erteilten aber ihre ausdrückliche Einwilligung, dass die Einverleibung des Eigentumsrechts an die Käuferin erfolgen könne und möge. Der Kaufpreis sei am 9. August 2005 entrichtet worden. Im Grundbuch sei der Kaufvertrag nicht durchgeführt worden. Die Rechtsnachfolgerin des Arbeitgebers habe am 3. Mai 2006 Klagen gegen die Ehefrau und den Mitbeteiligten auf Räumung der Dachgeschoßwohnung eingebracht. Mit weiterer Klage vom 10. Mai 2006 habe sie von der Ehefrau des Mitbeteiligten begehrt, es zu unterlassen, sich gegenüber wem auch immer Rechte an den strittigen Liegenschaftsanteilen anzumaßen, jegliche Verfügung darüber zu unterlassen oder aufgrund des Kaufvertrages vom 5. August 2005 die Einverleibung des Eigentumsrechtes ob diesen Anteilen zu beantragen sowie das Original des Kaufvertrages herauszugeben. Mit Urteil vom 28. September 2008 habe das Landesgericht festgestellt, dass der Kaufvertrag vom 5. August 2005 rechtsunwirksam gewesen sei. Dieses Urteil sei mit Berufungsurteil vom 27. April 2009 bestätigt worden. Darin sei insbesondere ausgeführt worden, mangels Zustimmung des Aufsichtsrates der Arbeitgeberin seien weder die Optionseinräumung vom 10. April 2003 noch der Kaufvertrag vom 5. August 2005 wirksam geworden.
10 Die am 10. April 2003 eingeräumte Option zum Erwerb der Dachgeschoßwohnung sei vom Mitbeteiligten einen Tag vor ihrem Ablauf ausgeübt worden. Zum Einwand des Finanzamts, die Option sei nicht fristgerecht ausgeübt worden, sei festzustellen, dass aus dem Urteil des Landesgerichts vom 28. September 2008 ersichtlich sei, dass nach dessen Ansicht keine Beweisergebnisse vorgelegen seien, die den Umstand der Ausübung der Option am 29. Juni 2004 durch den Mitbeteiligten in Zweifel ziehen würden. Für das Bundesfinanzgericht hätten sich keine neuen Sachverhaltselemente ergeben, die zu einer anderen Beweiswürdigung führen könnten. Mit der Ausübung der dem Mitbeteiligten eingeräumten Option am 29. Juni 2004 sei der Zufluss des Vorteiles im Zusammenhang mit dem verbilligten Erwerb der Dachgeschoßwohnung erfolgt. Der Mitbeteiligte habe mit der Ausübung der Option die wirtschaftliche Verfügungsmacht über den Vorteil des verbilligten Erwerbes der Dachgeschoßwohnung erhalten. Der Zufluss des Vorteiles sei daher im Jahr 2004 erfolgt, das nicht (mehr) verfahrensgegenständlich sei. Die Zurechnung des Vorteils im Jahr 2005 sei zu Unrecht erfolgt.
11 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamts. Zur Zulässigkeit wird u.a. geltend gemacht, das Bundesfinanzgericht habe ohne hinreichende Beweiswürdigung festgestellt, dass die Option rechtzeitig und rechtsgültig am 29. Juni 2004 ausgeübt worden sei; es habe sich dabei lediglich auf das Urteil des Zivilverfahrens berufen, es bestehe aber keine Bindungswirkung an dieses Urteil. Das Bundesfinanzgericht habe es unterlassen, eigenständige Ermittlungen hinsichtlich des Tatgeschehens durchzuführen. Es entspreche nicht der Logik, eine Option selbst anzunehmen und über ein Jahr später einen Kaufvertrag durch die Ehefrau abschließen zu lassen, wenn überdies eine Frist von 14 Tagen zur Umsetzung vereinbart gewesen sei. Die Revision sei auch deswegen zulässig, weil das Bundesfinanzgericht entgegen der eindeutigen vertraglichen Ausgestaltung der Option, wonach die Übereignung der Liegenschaftsanteile verbunden mit Wohnungseigentum an der Dachwohnung ausdrücklich an den Abschluss des Kaufvertrages gebunden gewesen sei, den Zufluss des geldwerten Vorteils aus dem verbilligten Ankauf der Dachwohnung dennoch im Jahr der angeblichen Optionsausübung angenommen habe, obwohl der Kaufvertrag erst rund 15 Monate nach Optionsausübung abgeschlossen worden sei.
12 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Die Revision ist zulässig und begründet.
15 Wie bereits im Vorerkenntnis (VwGH 22.7.2015, 2011/13/0067, 0139) ausgeführt, ist eine Einnahme zugeflossen, wenn der Empfänger über sie rechtlich und wirtschaftlich bzw. tatsächlich verfügen kann, sich der Zufluss also wirtschaftlich in einer Vermehrung des Vermögens des Steuerpflichtigen auswirkt. Die Einnahme muss tatsächlich in das Vermögen des Steuerpflichtigen übergegangen sein, der Steuerpflichtige muss über die Einnahme „frei verfügen“ können. Ein Eigentumsübergang nach bürgerlichem Recht ist nicht Voraussetzung für einen Zufluss. Bei wirtschaftlicher Anknüpfung ist für die Besteuerung der eingetretene wirtschaftliche Erfolg von Bedeutung. Diese Wirkung tritt im Bereich der wirtschaftlich anknüpfenden Tatbestände ein, gleichgültig ob die zugrundeliegenden Rechtsgeschäfte zulässig sind oder nicht. Die zivilrechtliche Nichtigkeit eines Rechtsgeschäftes ist für die Erhebung der Abgaben insoweit und so lange ohne Bedeutung, als die am Rechtsgeschäft beteiligten Personen dessen wirtschaftliches Ergebnis eintreten und bestehen lassen.
16 Der geldwerte Vorteil aus dem „unterpreisigen“ Erwerb einer Liegenschaft fließt im Zeitpunkt der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums an der Liegenschaft zu (vgl. VwGH 29.3.2012, 2008/15/0170; vgl. weiters Mayr/Hayden in Doralt et al, EStG18, § 19 Tz 30 „Geldwerte Vorteile“; vgl. auch (deutscher) BFH 17.11.2011, IV R 2/09; 26.8.2020, VI R 6/18).
17 Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass sowohl die Optionseinräumung vom 10. April 2003 als auch der Kaufvertrag vom 5. August 2005 zivilrechtlich nichtig sind (keine wirksame Vertretung auf Seiten des - ehemaligen - Arbeitgebers). Für die Erhebung von Abgaben ist insoweit entscheidend, ob die beteiligten Personen das wirtschaftliche Ergebnis haben eintreten und bestehen lassen.
18 Die Vereinbarung eines Optionsrechts (oder hier: die einseitige Einräumung einer Option) bewirkt im Allgemeinen noch nicht den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums. Erst die Ausübung dieses Optionsrechts kann (allenfalls) zu dessen Übergang führen (vgl. VwGH 24.10.2019, Ro 2019/15/0177, mwN). Für die Frage des wirtschaftlichen Eigentums ist insbesondere von Bedeutung, wer die Chance von Wertsteigerungen und das Risiko von Wertminderungen trägt (vgl. VwGH 27.11.2020, Ra 2019/15/0162, mwN; vgl. auch VwGH 17.2.1992, 90/15/0117).
19 Das Bundesfinanzgericht ist davon ausgegangen, dass es im Revisionsfall bereits im (nicht mehr streitgegenständlichen) Jahr 2004 mit der Optionsausübung zu einem Zufluss des Vorteils aus dem Dienstverhältnis an den Mitbeteiligten gekommen sei, weshalb die Zurechnung des Vorteils im Jahr 2005 zu Unrecht erfolgt sei.
20 Ob die Option - wie vom Bundesfinanzgericht angenommen - rechtzeitig (bis zum 30. Juni 2004) ausgeübt wurde, oder ob dies - wie vom Revisionswerber vertreten - nicht der Fall gewesen war, kann im Revisionsfall dahinstehen. Wie die Revision nämlich zutreffend aufzeigt, fehlt im angefochtenen Erkenntnis jegliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob die beteiligten Personen das wirtschaftliche Ergebnis des nichtigen Rechtsgeschäfts bereits im Jahr 2004 hätten eintreten und bestehen lassen oder ob die beteiligten Personen dazu erst mit Abschluss des schriftlichen Kaufvertrages im Jahr 2005 bereit gewesen sein könnten. Gerade darauf kommt es nach dem Vorerkenntnis aber entscheidend an.
21 Entgegen dem Vorbringen in der Revisionsbeantwortung wurde die Option - nach den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts - nicht von der Ehefrau des Mitbeteiligten, sondern vom Mitbeteiligten selbst (erkennbar im eigenen Namen) ausgeübt. Wenn es auch für die Zurechnung der Einkünfte (aus dem ehemaligen Dienstverhältnis) an den Mitbeteiligten belanglos ist, ob die geldwerten Vorteile dem Mitbeteiligten selbst oder seiner Ehefrau zukamen (vgl. VwGH 18.12.2014, 2012/15/0003, mwN), ist für die Frage des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums zu prüfen, an wen dieses übergehen sollte. Die Ausübung der Option durch den Mitbeteiligten selbst sollte bewirken, dass die Vereinbarung über den Ankauf der Wohnung unmittelbar mit dem Mitbeteiligten zustande komme; bereits durch diese Ausübung sollte der Vertragsabschluss bewirkt werden. Dieser (nach den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts) bereits zustande gekommene Vertrag sollte sodann innerhalb von 14 Tagen in grundbuchsfähiger Form gefertigt werden. Die verbücherungsfähige Vertragsurkunde wurde aber nicht binnen 14 Tagen unterfertigt, sondern erst am 5. August 2005; als Käufer schien darin nicht der Mitbeteiligte, sondern dessen Ehefrau auf. Auch weicht der Inhalt dieser Kaufvertragsurkunde - worauf auch der Mitbeteiligte im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht hingewiesen hat - vom Inhalt der Optionseinräumung vom 10. April 2003 ab (insbesondere Punkt XI: zunächst keine Eintragung im Grundbuch; ein Umstand, der allerdings auch für die Beurteilung der Frage zu berücksichtigen sein wird, ob das wirtschaftliche Ergebnis überhaupt eintreten und bestehen bleiben sollte). Weiters enthält die Vertragsurkunde die ausdrückliche Regelung, dass Lasten und Gefahren, Vorteile und Nutzungen (erst) mit dem Tag der Vertragsunterfertigung übergehen sollen.
22 Welche Umstände diesen Abweichungen (und Verzögerungen) zu Grunde liegen, wird im angefochtenen Erkenntnis nicht dargetan. Vor diesem Hintergrund kann vom Verwaltungsgerichtshof nicht abschließend beurteilt werden, ob der Vorteil aus dem (ehemaligen) Dienstverhältnis (bereits) im Jahr 2004 zugeflossen ist und schon deshalb eine Zurechnung im Jahr 2005 nicht in Betracht kommt.
23 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 31. Jänner 2022
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021130095.L00Im RIS seit
14.03.2022Zuletzt aktualisiert am
18.03.2022