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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz betreffen einen Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelhafte Begründung dafür, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat keiner Verfolgung wegen Homosexualität ausgesetzt und sein Vorbringen nicht glaubhaft ist, sondern "asyltaktisches" Vorgehen vorliegeSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er ist in der Provinz Maidan Wardak geboren und wuchs in Kabul auf. Am 26. November 2015 stellte er seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 30. November 2016 abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. Februar 2019 als unbegründet abgewiesen.
2. Am 27. November 2019 stellte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet den hier maßgeblichen Antrag auf internationalen Schutz. Er bringt vor, homosexuell zu sein, was ihm seit dem Donauinselfest 2018 bewusst sei. Er habe seither wiederholt gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte gehabt und befinde sich seit ca Juni 2020 in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung. Außerdem gibt der Beschwerdeführer an, vom islamischen Glauben abgefallen und aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten zu sein. Diesbezüglich legt er eine Bescheinigung der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten vom 19. November 2019 vor. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde er sowohl wegen seiner Homosexualität als auch auf Grund des Umstandes bestraft, dass er aus dem Islam ausgetreten sei.
3. Mit Bescheid vom 4. Februar 2021 wies das BFA diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und setzte eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise.
4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 12. Juli 2021 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht führt im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer keine individuell gegen seine Person gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen habe können. Insbesondere drohe dem Beschwerdeführer keine Verfolgung auf Grund seiner sexuellen Orientierung, da sein Vorbringen aus unterschiedlichen Gründen nicht glaubhaft sei:
4.1. Zunächst habe der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA und bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht abweichende Angaben im Zusammenhang mit Anrufen nach dem Donauinselfest gemacht: Vor dem BFA habe er angegeben, ein Freund habe ihn angerufen, um ihn zu informieren, dass ihn ein Bekannter, dessen Vater mit dem Vater des Beschwerdeführers befreundet sei, am Fest dabei beobachtet habe, als er einen Mann geküsst habe und dieser Bekannte den Beschwerdeführer nun suche, da er das nicht gutheiße. Der Beschwerdeführer habe daraufhin Angst bekommen, seine Familie könne davon erfahren und dabei auch an seine Verlobte denken müssen. Er habe sie in der Folge angerufen und die Verlobung aufgelöst. In der mündlichen Verhandlung habe er angegeben, nach dem Donauinselfest ein Gefühlschaos verspürt und deshalb seine Verlobte kontaktiert zu haben, um sich von ihr zu trennen. Anschließend habe er seinen Freund angerufen, der ihn wiederum bezüglich des Bekannten gewarnt habe. In seinen beiden Ausführungen unterscheide sich damit nicht nur die Reihenfolge der Anrufe, sondern auch der Grund, seine ehemalige Verlobte anzurufen: so sei es beim BFA die Angst vor dem Bekannten gewesen und in der mündlichen Verhandlung sein eigenes Gefühlschaos. Dies seien zwei doch unterschiedliche Umstände, denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung verwechsle man im Rahmen einer ausführlichen Erzählung nicht ohne Weiteres, was die Auflösung der eigenen Verlobung ausgelöst habe.
4.2. Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu den Telefonaten mit seinem Vater und seinem Bruder seien ebenso widersprüchlich. Zudem habe sich der Beschwerdeführer bei seinen Schilderungen in Widersprüche verstrickt, wann er sich nicht mehr durch den Bekannten bedroht gefühlt habe, der ihn am Donauinselfest beim Küssen mit einem Mann beobachtet habe. Aus diesem Grund und auch weil sich der Beschwerdeführer geweigert habe, deshalb zur Polizei zu gehen, sei es nicht glaubhaft, dass dieser Bekannte tatsächlich existiere.
4.3. In ihrer Gesamtheit betrachtet erweckten die Ausführungen des Beschwerdeführers den Eindruck einer gut durchdachten und aus asyltaktischen Gründen erfundenen Geschichte. Dafür spreche auch, dass sich der Beschwerdeführer erst nach Erhalt der rechtskräftigen negativen Entscheidung des Vorverfahrens seiner Anwältin anvertraut habe. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, weshalb er seinem besten Freund und dessen Frau noch 2018 und somit während des laufenden ersten Asylverfahrens alles erzählt habe, aber weder der Freund noch dessen Frau versucht hätten, ihn davon zu überzeugen, die Furcht vor Verfolgung auf Grund seiner vorgeblichen Homosexualität bereits im ersten Asylverfahren vorzubringen.
4.4. Fragen zu seiner aktuellen Beziehung habe der Beschwerdeführer ferner nur sehr oberflächlich beantwortet. Dies zeuge von einem emotionalen Desinteresse und einem "mangelnden Naheverhältnis von der inneren Überzeugung her".
4.5. Schließlich würden "Whats app"-Nachrichten des Beschwerdeführers eine emotionale Verbundenheit zu einer Frau aufzeigen, mit der der Beschwerdeführer auch Geschlechtsverkehr gehabt habe. Dies stünde im groben Wiederspruch zu seinem Vorbringen, dass er homosexuell sei.
4.6. Der Beschwerdeführer habe seine angebliche Homosexualität sowie die sexuellen Beziehungen zu unterschiedlichen Männern aus asyltaktischen Gründen vorgebracht. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde der Beschwerdeführer daher auch nicht nach außen erkennbar homosexuell leben; es drohe ihm dementsprechend keine Verfolgung. Da niemand in Afghanistan von den sexuellen Beziehungen des Beschwerdeführers mit anderen Männern wisse, drohe ihm auch deshalb dort keine Verfolgung.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift mit Verweis auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Abstand genommen.
II. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem Bundesverwaltungsgericht vorzuwerfen:
2.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellt zum einen fest, dass der Beschwerdeführer "mit einem Mann eine sexuelle Beziehung führt sowie auch mit zwei weiteren Männern sexuelle Beziehungen hatte". Zum anderen erachtet es jedoch das Vorbringen für nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer homosexuell sei und ihm deshalb Verfolgung im Herkunftsstaat drohe. Es geht davon aus, dass der Beschwerdeführer lediglich aus einer "asyltaktischen Überlegung" vorgebracht habe, homosexuell zu sein und nur aus diesem Grund gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen eingegangen sei.
2.2. Insbesondere vor dem Hintergrund der Feststellungen, dass der Beschwerdeführer zu drei unterschiedlichen Männern sexuelle Beziehungen geführt habe, ist ein erhöhter Begründungsaufwand erforderlich, weshalb dennoch nicht davon auszugehen wäre, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsland auf Grund seiner sexuellen Orientierung verfolgt werden wird. Diesen qualifizierten Anforderungen an die Begründung wird das Bundesverwaltungsgericht nicht gerecht:
2.3. Zunächst stützt es sich auf Widersprüche zwischen Aussagen des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung und der Einvernahme vor dem BFA. Es bezieht sich dabei insbesondere auf die Reihenfolge von Telefonaten des Beschwerdeführers mit seiner damaligen Verlobten und einem Freund bzw mit seinem Vater und seinem Bruder. Wie das Bundesverwaltungsgericht selbst konstatiert, bleiben die Ausführungen des Beschwerdeführers allerdings "im Wesentlichen gleich" und weichen nur "in gewissen Details voneinander ab". Diese, bloß Nuancen betreffenden Abweichungen in den Aussagen des Beschwerdeführers lassen daher jedenfalls nicht den Schluss zu, dass das Vorbringen insgesamt nicht glaubhaft sei (vgl VfGH 25.2.2019, E3632/2018; 21.2.2014, U2600/2013; 13.3.2013, U1175/2012 ua). Das Bundesverwaltungsgericht vermag auf Basis dieser von ihm als Begründung herangezogenen Aussagen des Beschwerdeführers – die keine Zweifel an seiner homosexuellen Orientierung an sich hervorrufen – nicht substantiiert zu begründen, weshalb es die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Furcht vor Verfolgung in Afghanistan auf Grund seiner Homosexualität als nicht schlüssig erachtet.
2.4. Das Bundesverwaltungsgericht führt des Weiteren aus, die Tatsache, dass der Beschwerdeführer erst nach rechtskräftigem negativen Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens und erst auf Nachfrage seiner Anwältin sich dieser anvertraut habe, spreche für ein "asyltaktisches" Vorgehen. Allerdings hatte der Beschwerdeführer – wie das Bundesverwaltungsgericht selbst feststellt – bereits im Sommer 2018 und damit noch lange vor Erlassung der rechtskräftigen negativen Entscheidung im Erstverfahren seinen ersten gleichgeschlechtlichen sexuellen Kontakt. Insofern ist nicht nachvollziehbar, inwiefern es sich hier um ein Vorgehen aus asyltaktischen Gründen handeln soll.
2.5. Zumal das Bundesverwaltungsgericht selbst davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer mit mehreren Männern und über einen längeren Zeitraum sexuelle Beziehungen eingegangen ist, vermag schließlich auch der bloße Umstand, dass der Beschwerdeführer – wie das Bundesverwaltungsgericht aus Chatprotokollen folgert – mit einer Frau emotional verbunden gewesen sei und mit dieser auch Geschlechtsverkehr hatte, für sich allein genommen die Glaubhaftmachung des Vorbringens noch nicht zu erschüttern.
2.6. Vor dem Hintergrund seiner Feststellungen hat das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar begründet, weshalb es das Vorbringen des Beschwerdeführers für nicht glaubhaft erachtet, dass er homosexuell und deshalb im Herkunftsland Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt sei. Es hat seine Entscheidung sohin mit Willkür belastet.
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung, Verhandlung mündlicheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E3001.2021Zuletzt aktualisiert am
01.03.2022