TE Vwgh Beschluss 2022/2/3 Ra 2021/19/0269

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Veröffentlicht am 03.02.2022
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §33 Abs1
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des M Q, vertreten durch Mag. Martin Corazza, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 9, als bestellter Verfahrenshelfer, dieser vertreten durch Mag. Laszlo Szabo, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Claudiaplatz 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juni 2021, W176 2198876-1/25E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

I. Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, zurückgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Revision als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 829,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 15. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe in Afghanistan ein Lebensmittelgeschäft gehabt und sei Zeuge von Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und der Armee gewesen. Als er einmal gesehen habe, dass die Taliban Minen vergruben, habe er dies der Armee mitgeteilt. Die Taliban hätten aus diesem Grund sein Haus angegriffen und er habe fliehen müssen.

2        Mit Bescheid vom 9. Mai 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG - soweit hier maßgeblich - aus, der Revisionswerber habe eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen können und auch den christlichen Glauben nicht derart verinnerlicht, dass ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Glaubens Verfolgung drohen würde. Dem Revisionswerber sei eine Rückkehr in seine Heimatprovinz Ghazni aufgrund der dort herrschenden Sicherheitslage nicht möglich. Es bestehe jedoch vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in der Stadt Mazar-e Sharif, in der die Lebensgrundlage des jungen, gesunden Revisionswerbers im Hinblick auf sein Alter, seine Arbeitsfähigkeit, seinen Gesundheitszustand sowie seine Schulbildung und Arbeitserfahrung ausreichend gesichert sei.

5        Gegen dieses Erkenntnis brachte der Revisionswerber die vorliegende Revision ein, über die der Verwaltungsgerichtshof mit verfahrensleitender Anordnung vom 22. November 2021 gemäß § 36 VwGG das Vorverfahren einleitete.

6        Mit Erkenntnis vom 30. November 2021, E 2716/2021-13, hob der Verfassungsgerichtshof das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf.

7        Im Übrigen - somit hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten - lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Zu I.:

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist gemäß § 34 Abs. 3 VwGG in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei zur umfassenden Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts verpflichtet und müsse den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme geben, wenn sich nach Schluss der mündlichen Verhandlung aufgrund neuer Länderberichte oder als notorisch anzusehender Nachrichten ergebe, dass die Änderung der Lage im Herkunftsstaat für das Verfahren Bedeutung haben könnte. Wenn das Gericht der Meinung sei, dass die Nachrichten keinen Einfluss auf die Entscheidung hätten, müsse das Gericht dies im Erkenntnis begründen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde sei eine Änderung der politischen Verhältnisse in Afghanistan schon absehbar gewesen, da zu diesem Zeitpunkt bereits das Vorrücken der Taliban bei gleichzeitigem Abzug der Westmächte im Gange gewesen sei.

12       Die Revision übersieht, dass das BVwG das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers als nicht glaubhaft erachtete und feststellte, dass dem Revisionswerber bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung durch die Taliban drohe. Mit dem Vorbringen, im Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG sei das Vorrücken der Taliban bei gleichzeitigem Abzug der Westmächte bereits im Gange gewesen, entfernt sich die Revision daher von den - unbestrittenen - Feststellungen des BVwG. Da die Revision somit nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht, gelingt es ihr schon deshalb nicht, insoweit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen (vgl. VwGH 7.5.2021, Ra 2021/19/0145).

13       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher, insoweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Zu II.:

14       Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach seiner Anhörung die Revision mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

15       Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt u.a. dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung - wie hier - durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde (vgl. VwGH 3.9.2020, Ra 2019/19/0219, mwN).

16       Der Revisionswerber teilte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 17. Jänner 2022 mit, im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses durch den Verfassungsgerichtshof klaglos gestellt zu sein.

17       Die Revision war daher, insoweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und die darauf aufbauenden Spruchpunkte wendet, gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.

18       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 55 zweiter Satz VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 3. Februar 2022

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021190269.L00

Im RIS seit

01.03.2022

Zuletzt aktualisiert am

01.03.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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