TE Lvwg Beschluss 2021/7/22 LVwG-M-24/001-2021

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Veröffentlicht am 22.07.2021
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Entscheidungsdatum

22.07.2021

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2
GrekoG 1996 §8
GrekoG 1996 §12
SPG 1991 §2
SPG 1991 §4
SPG 1991 §88
AVG 1991 §6 Abs1

Text

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Mag. Dr. Goldstein als Einzelrichter über eine auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde des Herrn A, vertreten durch die B Rechtsanwälte-Partnerschaft in ***, im Zusammenhang mit einer Amtshandlung durch Organe der Landespolizeidirektion Niederösterreich am 29.03.2021 am Grenzübergang *** / *** (Aufforderung, das Bundesgebiet Österreich wieder zu verlassen, nach *** zurückzufahren und einen anderen Grenzübergang zu verwenden), den

BESCHLUSS

gefasst:

1.   Die Beschwerde wird wegen Unzuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG iVm § 6 Abs. 1 AVG als unzulässig zurückgewiesen.

2.   Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Begründung:

1.   Verfahrensgang:

Mit Schriftsatz vom 8. April 2021 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung eine auf Art 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde im Zusammenhang mit einer Amtshandlung durch Organe der Landespolizeidirektion Niederösterreich am 29.03.2021 am Grenzübergang *** / *** (Aufforderung, das Bundesgebiet Österreich wieder zu verlassen, nach *** zurückzufahren und einen anderen Grenzübergang zu verwenden).

Der Beschwerdeführer sei österreichischer Staatsbürger und mit einer *** Staatsbürgerin verheiratet. Er habe seinen Hauptwohnsitz in Österreich begründet und arbeite auch in Österreich. Weil die Ehefrau des Beschwerdeführers in ***, ***, lebe, pendle der Beschwerdeführer regelmäßig an den Wochenenden von Österreich nach *** und zu Wochenbeginn zurück von *** nach Österreich.

Am Freitag, den 27.03.2021, habe sich der Beschwerdeführer routinemäßig über die aktuell geschlossenen Grenzübergänge erkundigt. In der vom Beschwerdeführer herangezogenen Zeitung sei vermerkt gewesen, dass der Grenzübergang *** / *** am 29.03.2021 geöffnet sei. Daher habe sich der Beschwerdeführer entschieden, die Grenze zwischen *** und Österreich von *** kommend am 29.03.2021 beim Grenzübergang *** / *** zu übertreten.

Bei Ankunft am Grenzübergang habe der Beschwerdeführer davon ausgehen können, dass die Grenze geöffnet sei, weil sich die Vorrichtung zur Schließung der Grenze in einer Führung am Boden befunden habe und einen Grenzübertritt somit weder verhinderte noch die Schließung der Grenze anzeigte.

Als der Beschwerdeführer bereits die Grenze übertreten und sich auf österreichischem Bundesgebiet befunden habe, sei er von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes angehalten worden. Diese hätten die Dokumente des Beschwerdeführers (gültige Einreisedokumente, ausgefülltes Einreiseformular, aktueller COVID-19-Test) kontrolliert und den Beschwerdeführer im Anschluss darüber aufgeklärt, dass der von ihm gewählte Grenzübergang zwar täglich bis 11:00 Uhr geöffnet sei, dies jedoch nur für Bauern, welche einen Acker in *** zu bewirtschaften hätten.

Über diese Einschränkung der Nutzbarkeit des Grenzübergangs sei der Beschwerdeführer unverschuldet nicht informiert gewesen. Da der Beschwerdeführer nach Ansicht der einschreitenden Organe den Grenzübergang nutzen wollte, obwohl dieser geschlossen war, hätten diese den Beschwerdeführer aufgefordert, das Bundesgebiet Österreich zu verlassen, wieder nach *** zurückzufahren und einen anderen Grenzübergang zu verwenden. Aufgrund des gehörigen Respekts vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes sei der Beschwerdeführer dieser Aufforderung nachgekommen.

Diese Aufforderung sei insoweit rechtswidrig gewesen, weil keiner der in § 12a Abs. 6 Grenzkontrollgesetz (idF: GrekoG) normierten Gründe für das Verwehren des Grenzübertritts vorgelegen sei.

Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer die Grenze bereits übertreten und sich auf dem Bundesgebiet Österreich befunden. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes seien daher nicht dazu ermächtigt gewesen, dem Beschwerdeführer als österreichischen Staatsbürger unter Vorlage sämtlicher für den Grenzübertritt notwendiger Dokumente die Weiterfahrt zu untersagen, ihn anzuhalten und aufzufordern, nach *** zurückzukehren. Die Untersagung der Weiterfahrt in Österreich und die Aufforderung nach *** auszureisen, stelle eine Beschränkung der Freizügigkeit des Beschwerdeführers gemäß Art. 4 Abs. 1 Staatsgrundgesetz dar.

Der Beschwerdeführer beantragte den angefochtenen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG zuzusprechen.

Mit Schreiben des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 20. April 2021 wurde der Beschwerdeführer zu Handen seiner ausgewiesenen Rechtsvertretung gemäß § 6 Abs. 1 AVG an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 20. April 2021 erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung, Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.

Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.04.2021 wurde der Landespolizeidirektion Niederösterreich als belangter Behörde die Maßnahmenbeschwerde des Beschwerdeführers mit der Möglichkeit zur Stellungnahme binnen 14 Tagen ab Zustellung übermittelt. Unter einem wurde um Übermittlung sämtlicher in diesem Zusammenhang vorliegender Unterlagen ersucht.

Mit Schreiben vom 07.05.2021 langte eine entsprechende Stellungnahme der belangten Behörde ein. Weiters wurden auch diverse im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Vorfall stehende Unterlagen übermittelt. Unter Bezugnahme auf mehrere in der Stellungnahme näher genannter gesetzlicher Bestimmungen und Verordnungen wurde seitens der belangten Behörde - zusammenfassend - im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer durch den Grenzübertritt entgegen des Benützungsumfanges - da dieser nur für die Zwecke der Durchführung von land- und forstwirtschaftlichen Arbeiten eingeschränkt benutzbar gewesen sei - eine Verwaltungsübertretung nach § 16 Abs. 1 Z 2 GrekoG gesetzt habe. Gegenständlich habe man jedoch von der Einhebung einer Geldstrafe mit Organverfügung abgesehen und den Beschwerdeführer lediglich auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens aufmerksam gemacht. Schließlich sei der Beschwerdeführer der Aufforderung, einen anderen Grenzübergang zu benutzen (auch) freiwillig nachgekommen.

Mit Beschluss vom 10.06.2021 des Bundesverwaltungsgerichtes wurde die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen. Inhaltlich wurde ausgeführt, dass Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung nach der Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder falle.

Mit Schriftsatz vom 24.06.2021 beantragte der Beschwerdeführer, vertreten durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung, eine Entscheidung durch das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich. Für den Fall, dass sich das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich weiterhin für unzuständig erachtet, wurde ersucht, eine entsprechende Entscheidung zu erlassen und die Maßnahmenbeschwerde im Sinne der Rechtsfindung zurückzuweisen.

2.   Feststellungen und Beweiswürdigung

Der unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt und der Entscheidung zugrunde gelegt, zumal die jeweils erstatteten Vorbringen hinsichtlich des Sachverhalts in den wesentlichen Punkten übereinstimmen und ausschließlich die rechtliche Beurteilung der Geschehnisse von den Verfahrensparteien unterschiedlich bewertet wird.

3.   Rechtslage:

Die einschlägigen Bestimmungen des Grenzkontrollgesetzes (GrekoG) idF BGBl. I Nr. 93/2018 lauten auszugsweise:

Behördenzuständigkeit
§ 8.

(1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern nicht anderes bestimmt ist, die Landespolizeidirektion. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die Einhaltung der Bestimmungen des 4. Abschnittes zusätzlich zu überwachen.

(…)

Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes
§ 9.

(1) Die für die Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des 4. Abschnittes zuständigen Behörden können hiefür die ihnen beigegebenen und zugeteilten, die Bezirksverwaltungsbehörden auch die ihnen unmittelbar unterstellten Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einsetzen.

(…)

Durchführung der Grenzkontrolle
§ 12.

(1) Die Grenzkontrolle obliegt der Behörde. Sie ist Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Landespolizeidirektion (§ 12b) vorbehalten, soweit sie durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu besorgen ist. Amtshandlungen im Rahmen der Grenzkontrolle sind entsprechend den Erfordernissen der Zweckmäßigkeit, Einfachheit, Raschheit und Kostenersparnis vorzunehmen. Die Grenzüberwachung ist so durchzuführen, dass Personen daran gehindert werden, die Kontrolle an den Grenzübergangsstellen zu umgehen.

(…) .

Befugnisse der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes
§ 12a.

(1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Personen einer Grenzkontrolle zu unterziehen, sofern Grund zur Annahme besteht, dass diese grenzkontrollpflichtig sind oder dass sie den Grenzübertritt unbefugt außerhalb von Grenzübergangsstellen vornehmen wollen oder vorgenommen haben. Diese Ermächtigung besteht bei Grenzübertritten an Grenzübergangsstellen innerhalb des Grenzkontrollbereiches, sonst an jener Stelle, an der ein Grenzkontrollpflichtiger angetroffen wird; sie besteht auch an jener Stelle, an der eine Person, die den Grenzübertritt unbefugt außerhalb einer Grenzübergangsstelle vornehmen will oder vorgenommen hat, auf frischer Tat betreten wird.

(…)

(6) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind im Rahmen der Grenzkontrolle ermächtigt, Personen, denen

1.

der Reisepass gemäß § 15 PassG, Personalausweis gemäß § 19 Abs. 2 PassG iVm § 15 PassG, Fremdenpass gemäß § 93 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG, BGBl. I Nr.100 oder Konventionsreisepass gemäß § 94 Abs. 5 FPG iVm § 93 FPG vollstreckbar entzogen oder

2.

die Ausstellung eines in Z 1 genannten Dokumentes gemäß § 14 PassG, § 19 Abs. 2 PassG iVm § 14 PassG, § 92 FPG oder § 94 Abs. 5 iVm § 92 FPG versagt wurde,

den Grenzübertritt zu verwehren. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, die von ihnen getroffenen Anordnungen nach Maßgabe des § 50 Abs. 2 und 3 SPG mit unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durchzusetzen.“

Die einschlägigen Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) idF BGBl. I Nr. 124/2021 lauten auszugsweise:

Besorgung der Sicherheitsverwaltung
§ 2.

(1) Die Sicherheitsverwaltung obliegt den Sicherheitsbehörden.

(2) Die Sicherheitsverwaltung besteht aus der Sicherheitspolizei, dem Paß- und dem Meldewesen, der Fremdenpolizei, der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm, dem Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen sowie aus dem Pressewesen und den Vereins- und Versammlungsangelegenheiten.

(…)

Sicherheitsbehörden
§ 4.

(1) Oberste Sicherheitsbehörde ist der Bundesminister für Inneres.

(2) Dem Bundesminister für Inneres unmittelbar unterstellt besorgen Landespolizeidirektionen, ihnen nachgeordnet Bezirksverwaltungsbehörden die Sicherheitsverwaltung in den Ländern.

(3) Der Bürgermeister ist Fundbehörde nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes. Inwieweit Organe der Gemeinde sonst als Sicherheitsbehörden einzuschreiten haben, bestimmen andere Bundesgesetze.

(…)

Beschwerden wegen Verletzung subjektiver Rechte
§ 88.

(1) Die Landesverwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG).

(2) Außerdem erkennen die Landesverwaltungsgerichte über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.“

4.   Erwägungen:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 iVm § 131 Abs. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte der Länder über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit, soweit sich aus § 131 Abs. 2 und 3 B-VG nichts anderes ergibt.

Die gegenständliche Beschwerde bezieht sich auf eine Amtshandlung in Vollziehung des GrekoG. Dieses Gesetz beruht auf der Kompetenzgrundlage „Regelung und Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm“ gemäß Art. 10 Abs. 1 Z 3 B-VG. Diese Angelegenheiten können gemäß Art. 102 Abs. 2 B-VG unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Entsprechend dieser verfassungsrechtlichen Grundlage normiert § 8 Abs. 1 GrekoG eine ausschließliche Zuständigkeit der Landespolizeidirektionen, bei denen es sich um Bundesbehörden im organisatorischen Sinn handelt (VwGH 17.11.2016, Ro 2016/21/0016). Diese besondere Zuständigkeitsvorschrift geht der generellen Festlegung der sachlichen Zuständigkeit gemäß § 2 Abs. 2 SPG iVm § 4 SPG vor (Giese in Thanner/Vogl (Hrsg) SPG2 § 2 Anm. 1).

Es liegt daher eine Rechtssache in einer Angelegenheit der Vollziehung des Bundes vor, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. Über eine solche Rechtssache erkennt gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG das Verwaltungsgericht des Bundes.

Insbesondere liegt keine (im genannten Beschluss des BVwG genannte) Vollziehung im Rahmen der Sicherheitsverwaltung im Sinne des Art. 78a B-VG vor. Die in Art. 78a B-VG verankerte Behördenorganisation ist ein Vollzugsmodell, das eine Mischform darstellt und außerhalb des Art. 102 B-VG steht. Hierbei werden Bundes- und Landesbehörden in einer Weise kombiniert, die weder der mittelbaren noch der unmittelbaren Bundesverwaltung eindeutig zuzuordnen sind. Es handelt sich um eine Mischform, bei der auf unterer Ebene die Elemente der mittelbaren Bundesverwaltung dominieren, während sie auf mittlerer Ebene der unmittelbaren Bundesverwaltung nachgebildet ist. Aus diesem Grund kommt in solchen Angelegenheiten die Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG zur Anwendung, was die grundsätzliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder zur Folge hat (VwGH 25.06.2019, Ra 2017/19/0261; VfSlg. 19.986/2015; RV 1618 BlgNR 24. GP 15).

In diesem Sinne war gemäß § 8 Abs. 1 GrekoG, BGBl. Nr. 435/1996, Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes, sofern nicht anderes bestimmt war, die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeidirektion diese. Diese Struktur der „Grenzkontrollbehörden“ entsprach ausweislich der Gesetzesmaterialien jener der Behörden der Sicherheitsverwaltung gemäß § 2 SPG (RV 114 BlgNR 20. GP, 16). Seit dem FNG-Anpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2013, werden die Bestimmungen des Grenzkontrollgesetzes jedoch ausschließlich durch die Landespolizeidirektionen vollzogen. Ihnen obliegt gemäß § 12 Abs. 1 GrekoG die Grenzkontrolle. Bezirksverwaltungsbehörden werden nunmehr - wohl auf Grund eines Redaktionsversehens - ausschließlich in § 9 Abs. 1 GrekoG erwähnt, ohne dass Ihnen jedoch eine Zuständigkeit übertragen wird. Die Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm erfolgt somit ohne Einbindung von Behörden der Länder, sodass die Mischform der Sicherheitsverwaltung nicht mehr vorliegt. Die Vollziehung des Grenzkontrollgesetzes erfolgt nun vielmehr im Rahmen der unmittelbaren Bundesverwaltung gemäß Art. 102 Abs. 2 B-VG iVm § 8 Abs. 1 Grenzkontrollgesetz.

Die Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG kommt daher nicht zur Anwendung und ist keine Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich gegeben (vgl. VwGH 25.06.2019, Ra 2017/19/0261; 25.04.2017, Ro 2016/01/0005).

Eine Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich könnte sich bloß auf Grundlage eines Bundesgesetzes gemäß Art. 131 Abs. 4 Z 1 B-VG ergeben, das nur mit Zustimmung der Länder kundgemacht werden darf.

Im gegenständlichen Fall ist daher zu prüfen, ob eine solche Zuständigkeit durch § 88 Abs. 1 SPG begründet werden kann, zumal die Sicherheitsverwaltung gemäß § 2 Abs. 2 SPG auch aus der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm besteht.

Gemäß § 88 Abs. 1 SPG erkennen die Landesverwaltungsgerichte über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG).

Wie bereits dargelegt, hat sich der Gesetzgeber im vorliegenden Fall jedoch dazu entschieden, die Bestimmungen des GrekoG, somit Teile der Sicherheitsverwaltung im Sinne des § 2 Abs. 2 SPG, außerhalb des Vollzugsmodells der Sicherheitsverwaltung iSd Art. 78a B-VG bzw. § 4 SPG ausschließlich unmittelbar von Bundesbehörden vollziehen zu lassen (wozu er grundsätzlich berechtigt ist; VwGH 25.06.2019, Ra 2017/19/0261). Es liegt daher gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG - da es sich um unmittelbare Bundesverwaltung im Sinn des Art. 102 Abs. 2 B-VG handelt - eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes des Bundes vor.

Weil § 88 SPG in der Fassung des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetzes-Inneres, BGBl. I Nr. 161/2013, jedoch ohne Zustimmung der Länder kundgemacht worden ist, kann § 88 Abs. 1 SPG im vorliegenden Fall keine Anwendung finden. Eine sich in Hinblick auf § 2 Abs. 2 SPG ergebende Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte für Angelegenheiten der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm wäre nämlich nicht mit Art. 131 B-VG in Einklang zu bringen, zumal sich eine Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte mangels der hierfür notwendigen Zustimmung der Länder auch nicht auf Art. 131 Abs. 4 Z 1 B-VG stützen ließe (siehe VwGH 25.06.2019, Ra 2017/19/0261 in Bezug auf § 88 Abs. 2 SPG und die Vollziehung eines Bereichs des Passwesens iSd § 2 Abs. 2 SPG nach den Bestimmungen des FPG).

Hierbei macht es keinen Unterschied, ob die in Frage stehende Angelegenheit von einer Behörde wie dem BFA vollzogen wird, die nicht zu den Sicherheitsbehörden im Sinne des Art. 78a B-VG zählt oder von einer Sicherheitsbehörde, die jedoch nicht im Rahmen Sicherheitsverwaltung im Sinne des Art. 78a B-VG, sondern in unmittelbarer Bundesverwaltung tätig wird. Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt § 88 Abs. 1 SPG nämlich auch in Angelegenheiten, die in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen werden nicht als Rechtsgrundlage für eine an das Landesverwaltungsgericht zu richtende Maßnahmenbeschwerde gegen eine Landespolizeidirektion in Betracht (VwGH 25.04.2017, Ro 2016/01/0005).

Die Wortfolge „sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt“ ist daher verfassungskonform dahin auszulegen, dass sie sich nur auf die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Rahmen der Sicherheitsverwaltung gemäß Art. 78a B-VG bezieht (vgl. VwGH 25.06.2019, Ra 2017/19/0261).

Auch der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg. 19.986/2015 bereits explizit ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht des Bundes gemäß Art. 131 Abs. 6 B-VG zur Entscheidung über Richtlinienbeschwerden im Zusammenhang mit der Ausübung der Fremdenpolizei – somit eines Teils der Sicherheitsverwaltung gemäß § 2 Abs. 2 SPG - gemäß Rückverweisung auf Art. 131 Abs. 2 B-VG zuständig ist, da diese von Bundesbehörden vollzogen wird.

Zumal jenes Verwaltungsgericht zur Entscheidung über einfachgesetzlich eingerichtete Verhaltensbeschwerden (zu denen sowohl Richtlinienbeschwerden als auch Beschwerden gemäß § 88 Abs. 2 SPG zählen) zuständig ist, das in der jeweiligen Angelegenheit über Beschwerden gegen die „Haupttypen“ gemäß § 130 Abs. 1 B-VG entscheidet, muss selbiges auch für Maßnahmenbeschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gelten (siehe ebenso VfSlg. 19.986/2015).

Ebenso wenig kann eine Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte aus erläuternden Bemerkungen abgeleitet werden, auch wenn diese offensichtlich von einer solchen Zuständigkeit ausgehen (RV 2144 BlgNR 24. GP 33).

Abschließend ist festzuhalten, dass die Unabhängigen Verwaltungssenate auch vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 nicht für Maßnahmenbeschwerden im Bereich der Sicherheitsverwaltung im Sinne des § 2 Abs. 2 SPG in Angelegenheiten zuständig waren, die unmittelbar von Bundesbehörden vollzogen worden sind. Eine unmittelbare Bundesvollziehung war in diesen Materien schlichtweg nicht vorgesehen.

Insbesondere waren die Bezirksverwaltungsbehörden als Landesbehörden im organisatorischen Sinn in die Vollziehung des Grenzkontrollgesetzes eingebunden (siehe § 8 Abs. 1 Grenzkontrollgesetz idF vor dem FNG-Anpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2013). Diese Struktur entsprach jener der Behörden der Sicherheitsverwaltung gemäß § 2 SPG (siehe ausdrücklich RV 114 BlgNR 20. GP, 16) und ist auch in der geltenden Rechtslage zum Beispiel in § 48 Abs. 1 Waffengesetz 1996, § 9 Abs. 1 Vereinsgesetz 2002 oder § 16 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 vorgesehen. Selbiges galt etwa auch für die Vollziehung des FPG (siehe § 3 Abs. 1 FPG idF vor dem Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, welcher hinsichtlich der Behördenzuständigkeit sogar explizit auf § 4 SPG verwies).

Diesbezüglich ist auch zu beachten, dass gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtslage vor dem Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetz-Inneres, BGBl. I Nr. 161/2013, die in § 88 Abs. 1 SPG geregelte Beschwerdemöglichkeit kein selbständiges Rechtsinstitut war, sondern nur ein Fall der im Allgemeinen im B-VG und AVG vorgesehenen sogenannten Maßnahmenbeschwerde (VwGH 26.05.2009, 2005/01/0203). Der Bestimmung des § 88 Abs. 1 SPG kam keine eigenständige normative, sondern ausschließlich deklarative Bedeutung zu, zumal diese Befugnis des UVS insowiet bereits unmittelbar aufgrund des Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG bestand (Wessely in Thanner/Vogl (Hrsg) SPG2 § 88 Anm. 1).

Zusammenfassend kann eine Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich auch nicht aus § 88 SPG abgeleitet werden.

Gleiches gilt auch dann, wenn die gegenständliche Beschwerde als Verhaltensbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG iVm § 88 Abs. 2 SPG zu qualifizieren wäre, weil Art. 131 Abs. 6 B-VG eine zu den typengebundenen, verfassungsrechtlich zwingend eingerichteten Zuständigkeiten akzessorische sachliche Zuständigkeit begründet. Eine sich in Hinblick auf § 2 Abs. 2 SPG ergebende Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte wäre nicht mit Art. 131 B-VG in Einklang zu bringen, zumal sich eine Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte mangels der hierfür notwendigen Zustimmung der Länder auch nicht auf Art. 131 Abs. 4 Z 1 B-VG stützen ließe (vgl. VwGH 25.06.2019, Ra 2017/19/0261; siehe auch VfSlg. 19.986/2015, wonach das Verwaltungsgericht des Bundes zur Entscheidung über typenfreies Verwaltungshandeln [hier Richtlinienbeschwerde] im Bereich der Fremdenpolizei zuständig ist, da diese von Bundesbehörden vollzogen wird).

Schließlich hat sich die Beschwerde weder auf § 88 Abs. 1 SPG noch auf § 88 Abs. 2 SPG berufen.

Kostenersatz war dem Beschwerdeführer nicht zuzusprechen, weil er gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG infolge der Zurückweisung der Beschwerde als unterlegene Partei anzusehen ist. Der belangten Behörde sind im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich keine ersatzfähigen Aufwände entstanden, sodass auch ihr kein Kostenersatz zuzusprechen war.

5.   Zur Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die Revision ist zulässig, weil eine (ausdrückliche) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehlt, ob die Verwaltungsgerichte der Länder zur Entscheidung über Maßnahmenbeschwerden im Bereich der Sicherheitsverwaltung im Sinne des § 2 Abs. 2 SPG zuständig sind, wenn diese in Abweichung von der in Art. 78a B-VG bzw. § 4 SPG vorgesehenen Behördenzuständigkeit in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen wird. In der bisherigen, jeweils zitieren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurden zwar bereits entscheidende Grundsätze hinsichtlich der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen dem Verwaltungsgericht des Bundes und den Verwaltungsgerichten der Länder im Bereich der Sicherheitsverwaltung dargelegt, jedoch bestehen, wie auch aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes ersichtlich, weiterhin verschiedene Rechtsansichten. Somit war im Beschwerdeverfahren eine Rechtsfrage zu lösen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Sicherheitsverwaltung; Verfahrensrecht; Unzuständigkeit;

Anmerkung

VwGH 05.01.2022, Ro 2021/01/0023-6, Aufhebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.M.24.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.01.2022
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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