TE OGH 2021/11/18 5Ob188/21i

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Veröffentlicht am 18.11.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj M*, geboren am * 2016 und der mj E*, geboren am * 2017, beide *, infolge des außerordentlichen Revisionsrekurses der Mutter M*, ebenda, vertreten durch Mag. Thomas Breite, LL.M., MBA, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 26. Juli 2021, GZ 16 R 190/21m-225, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 18. Mai 2021, GZ 2 Ps 97/19p-151, teils bestätigt, teils der Rekurs der Mutter dagegen zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Das Revisionsrekursverfahren wird bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Ablehnungsantrag der Mutter gegen die Erstrichterin unterbrochen.

2. Die Akten werden dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, sie erst nach Rechtskraft der Entscheidung über diesen Ablehnungsantrag dem Obersten Gerichtshof wieder vorzulegen.

Text

Begründung:

[1]       Die Minderjährigen sind die ehelichen Kinder ihrer Eltern, die seit März 2019 getrennt leben. Ihnen kommt weiterhin die gemeinsame Obsorge zu. Sowohl die Obsorge – die nicht Gegenstand den Revisionsrekursverfahrens ist – als auch das Kontaktrecht ist zwischen den Eltern strittig.

[2]       Das Erstgericht räumte dem Vater für den Zeitraum vom 18. 5. bis 31. 5. 2021 ein vorläufiges begleitetes Kontaktrecht im Ausmaß und Dauer wie zuvor bereits im Beschluss vom 18. 3. 2021 (ON 114) ein, ab 1. 6. 2021 hingegen sollten die Kontakte des Vaters zu seinen Kindern unbegleitet wie im Beschluss vom 18. 3. 2021 angeordnet stattfinden. Die Familien- und Jugendgerichtshilfe wurde zur Besuchsmittlerin iSd § 106b AußStrG bestellt und über die Mutter aufgrund der Nichteinhaltung der im Beschluss vom 18. 3. 2021 angeordneten Kontakte eine Geldstrafe von 1.000 EUR verhängt. Für den Fall weiteren Zuwiderhandelns wurde die Verhängung einer weiteren Geldstrafe von 1.500 EUR angedroht. Der Vater habe zuletzt am 6. 2. und 20. 3. 2021 Kontakt zu den beiden Kindern gehabt.

[3]       Das Rekursgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss den Rekurs der Mutter insoweit mangels Beschwer zurück, als sie sich gegen das vorläufige begleitete Kontaktrecht im Zeitraum 18. bis 31. 5. 2021, die Verpflichtung der Eltern zur unverzüglichen Kontaktaufnahme mit dem Familienbund Niederösterreich, den Berichtsauftrag an diesen, die Androhung der Verhängung einer weiteren Geldstrafe über die Mutter sowie den Ausspruch nach § 44 AußStrG richtete. Im Übrigen gab es dem Rekurs nicht Folge. Den Revisionsrekurs ließ es mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zu.

[4]       Noch vor Zustellung dieser Entscheidung an ihren rechtsfreundlichen Vertreter gab die Mutter am 28. 7. 2021 bekannt, das Vollmachtsverhältnis aufgelöst zu haben und lehnte die Erstrichterin als befangen ab. Sie begründete dies mit der verfehlten Aufgabenstellung bei Beauftragung der Familiengerichtshilfe, das von der Erstrichterin vorgegebene Ziel der Interaktions- und Verhaltensbeobachtung und die in der Mitteilung vom 16. 7. 2021 wiederholte, von der Familiengerichtshilfe vermeintlich festgestellte Gefährdung der Kinder. Die Ungleichbehandlung betreffend Thema und Dauer der Termine beider Elternteile mit den Kindern sei ebenso wenig sachlich begründet oder nachzuvollziehen wie das Ignorieren aller vorgelegter Stellungnahmen und Atteste (ON 222).

[5]       Die Vorsteherin des Erstgerichts wies diesen Ablehnungsantrag mit Beschluss vom 27. 8. 2021 zu GZ 1 Nc 77/21p-5 des Erstgerichts zurück (ON 231 des Ps-Aktes). In ihrem dagegen gerichteten Rekurs lehnte die Mutter auch die Vorsteherin des Erstgerichts als befangen ab. Dieser Ablehnungsantrag wurde dem zuständigen Senat des Landesgerichts Wiener Neustadt zu AZ 16 Nc 2/21y vorgelegt, das den Ablehnungsantrag mit Beschluss vom 14. Oktober 2021 zurückwies. Dieser Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. Im Hinblick darauf ist auch im Rekursverfahren zur Ablehnung der Erstrichterin (AZ 16 R 301/21k des Landesgerichts Wiener Neustadt) noch nicht entschieden worden.

[6]       In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs strebt die Mutter eine Abänderung der Entscheidung des Rekursgerichts dahin an, dass ihrem Antrag auf Aussetzung des vorläufigen Kontaktrechts des Vaters stattgegeben und dessen Anträge auf Verhängung einer Beugestrafe sowie auf begleitetes vorläufiges Kontaktrecht abgewiesen werden. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[7]       Das Erstgericht legte dem Obersten Gerichtshof die Akten zur Entscheidung über den außerordentlichen Revisionsrekurs vor.

[8]       Das Revisionsrekursverfahren ist zu unterbrechen.

Rechtliche Beurteilung

[9]       1. Die Geltendmachung der Befangenheit ist auch nach Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung bis zur Rechtskraft zulässig (RIS-Justiz RS0041933; RS0042028). Wird dem Ablehnungsantrag stattgegeben, ist gemäß § 25 letzter Satz JN erforderlichenfalls auszusprechen, ob und in welchem Umfang Verfahrenshandlungen der abgelehnten Richterin aufzuheben sind (2 Ob 57/14t; RS0045994). Davon könnte auch die mit dem außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter bekämpfte erstgerichtliche Entscheidung betroffen sein (vgl RS0042046), die diesfalls mit einem schweren Verfahrensmangel iSd § 58 Abs 4 Z 1 AußStrG behaftet wäre (2 Ob 57/14t; 1 Ob 116/18t). Ein derartiger Verfahrensverstoß wäre auch dann von Amts wegen aufzugreifen, wenn er – wie hier – im außerordentlichen Revisionsrekurs nicht ausdrücklich geltend gemacht wurde (vgl 1 Ob 116/18t).

[10]     2. Ein vom Senat amtswegig wahrzunehmender Mangel nach § 58 Abs 4 Z 1 AußStrG läge aber nur dann vor, wenn der Richter erfolgreich abgelehnt wurde (vgl RS0042046 [T4]; 1 Ob 116/18t). Darüber hat das nach § 23 JN zuständige Gerichtsorgan (Vorsteherin des Bezirksgerichts) zu entscheiden. Die erstinstanzliche Entscheidung der Vorsteherin des Erstgerichts ist hier zwar (im zurückweisenden Sinn) bereits ergangen, führte aber zur Ablehnung der Vorsteherin einerseits und wurde andererseits mit Rekurs bekämpft. Eine rechtskräftige Entscheidung über die behauptete Befangenheit der Erstrichterin liegt somit noch nicht vor.

[11]     3. An den in Rechtskraft erwachsenen Beschluss des Ablehnungsgerichts wäre das Rechtsmittelgericht im Hauptverfahren gebunden (RS0042079; 2 Ob 57/14t). Demgemäß führt die Ablehnung eines Richters im (oder wie hier während des) Rechtsmittelverfahren(s) zu dessen Unterbrechung bis zur Entscheidung des für die Ablehnung zuständigen Gerichts. Auch ein Revisionsrekursverfahren ist bei Geltendmachung einer Befangenheit des Erstgerichts nach Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung zu unterbrechen (RS0042028 [T7, T10]). Davon sieht die Rechtsprechung nur dann ab, wenn keine konkreten Befangenheitsgründe ins Treffen geführt werden oder die Ablehnung offenkundig rechtsmissbräuchlich erfolgt (RS0042028 [T15]). Davon ist hier nicht auszugehen.

[12]     4. Das Revisionsrekursverfahren ist daher bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Ablehnungsantrag zu unterbrechen.

Textnummer

E133307

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00188.21I.1118.000

Im RIS seit

22.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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