Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AZG §28 Abs2 Z1Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision 1. des Mag. A J (protokolliert zu Ra 2019/11/0130) und 2. des Ö (protokolliert zu Ra 2019/11/0131), beide in G, beide vertreten durch die Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1090 Wien, Rooseveltplatz 10, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 21. Mai 2019, Zl. LVwG 30.29-2308/2018-25, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Graz),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die im Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses als „3. und 4. Übertretung, jeweils den 17. Mai 2017 betreffend“ angeführten Tatvorwürfe richtet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:
Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses wird, soweit er die als „unter 7. angeführten Übertretungen“ bezeichneten Tatvorwürfe betrifft, ebenso wie Spruchpunkt III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis vom 16. Juli 2018 legte die belangte Behörde dem Erstrevisionswerber zur Last, er habe als zur Vertretung nach außen berufenes Organ des Ö (des Zweitrevisionswerbers) zu verantworten, dass näher genannte neun Arbeitnehmer (Übertretungen 1. bis 9.) zu näher genannten Tatzeitpunkten zu einer mehr als zehnstündigen Tagesarbeitszeit herangezogen worden seien. Der Erstrevisionswerber habe dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 9 Abs. 1 iVm. § 28 Abs. 2 Z 1 des Arbeitszeitgesetzes (AZG) in der Fassung BGBI. I Nr. 126/2017 begangen, weshalb über ihn neun Geldstrafen von insgesamt € 1.560,00 samt Ersatzfreiheitsstrafen verhängt und ihm ein Verfahrenskostenbeitrag vorgeschrieben wurde. Weiters wurde ausgesprochen, dass der Zweitrevisionswerber gemäß § 9 Abs. 7 VStG für die Geldstrafe, die Verfahrenskosten und sonstige finanzielle Unrechtsfolgen zur ungeteilten Hand hafte. Dagegen erhoben die Revisionswerber Beschwerde an das Verwaltungsgericht.
2 Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde hinsichtlich der im Straferkenntnis angeführten Übertretungen 1., 2., 3. (betreffend den 24. Mai 2017), 4. (betreffend den 16. Mai 2017), 5., 6., 8. und 9. statt, behob das angefochtene Straferkenntnis in diesem Umfang und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 zweiter Fall VStG iVm. § 38 VwGVG ein (Spruchpunkt I.). Betreffend die im Straferkenntnis unter 3. und 4. angeführten Übertretungen, jeweils vom 17. Mai 2017, sowie die unter 7. angeführten Übertretungen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt II.). Weiters wurde ein Kostenbeitrag vorgeschrieben (Spruchpunkt III.) und gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof unzulässig sei (Spruchpunkt IV.).
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht zu Spruchpunkt I. seines Erkenntnisses aus, dass jene Tatvorwürfe, die eine Tagesarbeitszeit von unter zwölf Stunden beträfen, aufgrund der mit BGBl. I Nr. 53/2018 erfolgten Novellierung des § 9 Abs. 1 AZG nicht mehr strafbar seien.
4 In der Begründung des Spruchpunkts II. führte es zu den unter 3. und 4. im Straferkenntnis angeführten Übertretungen, jeweils vom 17. Mai 2017, aus, das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass der Arbeitnehmer P eine tägliche IST-Arbeitszeit (abzüglich der Ruhepausen) von 13 Stunden und 19 Minuten, der Arbeitnehmer S eine IST-Arbeitszeit (abzüglich der Ruhepausen) von 12 Stunden und 33 Minuten absolviert habe. Der Arbeitnehmer P sei am 17. Mai 2017 von 06:00 bis 22:30 Uhr, der Arbeitnehmer S von 07:09 bis 22:30 Uhr beschäftigt gewesen. Beide Arbeitnehmer hätten an diesem Tag eine Besprechung beim Stützpunkt Z gehabt, um ein neues Tracking-Programm vorzustellen. Aufgrund eines Hubschraubereinsatzes beim Kunden habe die Besprechung erst um ca. 21 Uhr stattfinden können. Dem Vorbringen des Erstrevisionswerbers, dass eine unvorhersehbare Verzögerung vorgelegen sei, könne nicht gefolgt werden, weil bereits beide Arbeitnehmer einen „normalen Arbeitstag“ gehabt hätten, bevor sie zur Besprechung nach Z gefahren seien. Auch für die eingewendete Rufbereitschaft gebe es im vorliegenden Fall keine Hinweise.
Zu den unter 7. im Straferkenntnis angeführten Übertretungen führte das Verwaltungsgericht aus, es habe am 25. und 26. April 2017 ein Kurs unter der Leitung des Arbeitnehmers W in L stattgefunden. W weise für den 25. April 2017 eine IST-Arbeitszeit (abzüglich der Ruhepausen) von 15 Stunden und 18 Minuten und für den 26. April 2017 von 15 Stunden und 15 Minuten auf. Ein unvorhersehbarer bzw. ungewöhnlicher Umstand - wie vom Erstrevisionswerber behauptet - liege nicht vor, weil der Kurs längst geplant gewesen sei und sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer klar gewesen sei, dass dieser nicht nach zehn bzw. zwölf Tagesarbeitsstunden zu Ende sein würde.
5 Ausschließlich gegen Spruchpunkt II. und III. dieses Erkenntnisses richtet sich die vorliegende, unter Anschluss der Verfahrensakten vorgelegte außerordentliche Revision, zu der die belangte Behörde keine Revisionsbeantwortung erstattete.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
7 Das Arbeitszeitgesetz (AZG), BGBl. Nr. 461/1969, lautete in der zur Tatzeit maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 114/2016 auszugsweise:
„Höchstgrenzen der Arbeitszeit
§ 9 (1) Die Tagesarbeitszeit darf zehn Stunden und die Wochenarbeitszeit 50 Stunden nicht überschreiten, sofern die Abs. 2 bis 4 nicht anderes bestimmen. Diese Höchstgrenzen der Arbeitszeit dürfen auch beim Zusammentreffen einer anderen Verteilung der wöchentlichen Normalarbeitszeit mit Arbeitszeitverlängerungen nicht überschritten werden.
...
Strafbestimmungen
§ 28 (1) ...
(2) Arbeitgeber, die
1. Arbeitnehmer über die Höchstgrenzen der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit gemäß § 2 Abs. 2, § 7, § 8 Abs. 1, 2 oder 4, § 9, § 12a Abs. 5, § 18 Abs. 2 oder 3, § 18b Abs. 5 oder 6, § 19a Abs. 2 oder 6, § 20a Abs. 2 Z 1 oder § 20b Abs. 6 hinaus einsetzen;
...
sind, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 1.815 Euro, im Wiederholungsfall von 145 Euro bis 1.815 Euro zu bestrafen.
...“
8 Das AZG lautet in der Fassung BGBl. I Nr. 53/2018 auszugsweise:
„Höchstgrenzen der Arbeitszeit
§ 9. (1) Die Tagesarbeitszeit darf zwölf Stunden und die Wochenarbeitszeit 60 Stunden nicht überschreiten, sofern die Abs. 2 bis 4 nicht anderes bestimmen. Diese Höchstgrenzen der Arbeitszeit dürfen auch beim Zusammentreffen einer anderen Verteilung der wöchentlichen Normalarbeitszeit mit Arbeitszeitverlängerungen nicht überschritten werden.
...
Strafbestimmungen
§ 28. (1) ...
(2) Arbeitgeber, die
1. Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer über die Höchstgrenzen der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit gemäß § 2 Abs. 2, § 7, § 8 Abs. 1, 2 oder 4, § 9, § 12a Abs. 5, § 18 Abs. 2 oder 3, § 18b Abs. 5 oder 6, § 19a Abs. 2 oder 6 oder § 20a Abs. 2 Z 1 hinaus einsetzen;
...
sind, sofern die Tat nicht nach anderen Vorschriften einer strengeren Strafe unterliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe von 72 Euro bis 1.815 Euro, im Wiederholungsfall von 145 Euro bis 1.815 Euro zu bestrafen.
...“
Zu Spruchpunkt I.:
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen (VwGH 27.4.2020, Ra 2019/11/0045, mwN).
10 Die Revision rügt in ihrer Zulässigkeitsbegründung, der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses stehe im klaren Widerspruch zu dessen Begründung, nach der jene Tatvorwürfe, die eine Tagesarbeitszeit von unter zwölf Stunden beträfen, nicht mehr strafbar seien. Mit diesem Vorbringen wird keine Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgeworfen, von deren Lösung das Schicksal der Revision abhängt, weil sich der kritisierte Begründungsteil lediglich auf den - nicht angefochtenen - Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses bezieht und der Erstrevisionswerber ohnehin nur für Übertretungen bestraft wurde, bei denen die Tagesarbeitszeit mehr als zwölf Stunden betrug.
11 Soweit die Revision weiters vorbringt, dem Verwaltungsgericht seien gravierende Feststellungsmängel und eine offenkundige Aktenwidrigkeit anzulasten, weil nicht festgestellt worden sei, dass der Arbeitnehmer S „und/oder“ der Arbeitnehmer P am 17. Mai 2017 in Rufbereitschaft gewesen seien, übersieht sie, dass das Verwaltungsgericht davon ausging, es hätten sich „für eine Rufbereitschaft, wie vom Vertreter der Beschwerdeführer eingewendet, ... im Beweisverfahren keinerlei Hinweise“ ergeben. Die Revision wendet sich somit gegen die (vom Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung vorgenommene) Beweiswürdigung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge daher nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 16.5.2018, Ra 2018/11/0088, mwN), was die Revision aber nicht aufzeigt.
Zu Spruchpunkt II.:
12 Die Revision ist, soweit sie sich gegen die im Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses als die „unter 7. angeführten Übertretungen“ bezeichneten Tatvorwürfe wendet und hierzu vorbringt, das Verwaltungsgericht weiche mit der Verhängung zweier separater Strafen von der hg. Rechtsprechung zum „fortgesetzten Delikt“ ab, zulässig und auch begründet.
13 Gemäß § 22 Abs. 2 VStG sind die Strafen nebeneinander zu verhängen, wenn jemand durch mehrere selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat oder wenn die Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt. Eine Ausnahme von diesem Kumulationsprinzip besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes beim fortgesetzten Delikt bzw. beim Dauerdelikt. Das fortgesetzte Delikt ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Reihe von Einzelhandlungen von einem einheitlichen Willensentschluss umfasst war und wegen der Gleichartigkeit ihrer Begehungsform sowie der äußeren Begleitumstände im Rahmen eines erkennbaren zeitlichen Zusammenhangs zu einer Einheit zusammentraten (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 21.4.2021, Ra 2020/02/0252, mwN).
14 Die Voraussetzungen für die Annahme eines fortgesetzten Deliktes liegen im Revisionsfall auf der Grundlage der Feststellungen des Verwaltungsgerichts vor: Der Erstrevisionswerber wurde zweimal wegen Übertretungen des § 28 Abs. 2 Z 1 AZG für schuldig erkannt, obwohl der Arbeitnehmer W die täglich zulässige Arbeitszeit in zwei aufeinander folgenden Tagen durch Abhaltung ein und desselben Kurses überschritten hat. Auch der einheitliche Willensentschluss ist im vorliegenden Fall zu bejahen, weil nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes der Kurs längst geplant war und sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer vorauszusehen war, dass durch die Abhaltung des Kurses die Tagesarbeitszeit jeweils überschritten würde. Da somit nicht mehrere selbständige Taten iSd. § 22 Abs. 2 erster Fall VStG vorlagen, hätte das Verwaltungsgericht - wie schon die belangte Behörde - nur eine Strafe verhängen dürfen.
15 Das angefochtene Erkenntnis war somit in seinem Spruchpunkt II., soweit er die als „unter 7. angeführten Übertretungen“ bezeichneten Tatvorwürfe betrifft, sowie in dem daran anknüpfenden Kostenspruch (III.) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
17 Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht durchgeführte mündliche Verhandlung, unterbleiben.
Wien, am 11. November 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019110130.L00Im RIS seit
06.12.2021Zuletzt aktualisiert am
20.12.2021