Entscheidungsdatum
23.07.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W211 2228931-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA: Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige, stellte am XXXX 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich und gab dazu zusammengefasst und soweit wesentlich bei ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX .2019 an, dass ihre Brüder sich dem Militär entzogen hätten, weshalb ständig Mitglieder des Regimes bei ihnen zu Hause gewesen wären. Es würden auch in ihrer Gegend viele Mädchen entführt und vergewaltigt werden.
2. Bei der Einvernahme durch die belangte Behörde am XXXX .2019 führte die Beschwerdeführerin weiter und soweit wesentlich aus, dass sie aus XXXX stamme, wo noch ihre Eltern sowie weitere Familienangehörige leben würden. Drei Brüder seien in Deutschland asylberechtigt. Sie habe traditionell geheiratet; ihr Mann halte sich als Asylberechtigter in Österreich auf. Sie erwarte ein Kind. Syrien habe sie verlassen, weil man in Damaskus oft sexuell belästigt würde. Auch seien Uniformierte des Assad-Regimes immer zu ihnen nach Hause gekommen, weil ihre Brüder sich dem Militär entzogen hätten. Sie seien bedroht worden für den Fall, dass die Brüder nicht kommen würden. Ihre Brüder seien bis ca. Ende 2015 ausgereist. Ihre Eltern und sie seien 2017 bei einem Fluchtversuch an der Grenze erwischt worden. Ihre Mutter habe neun Tage, sie und ihr Vater 33 Tage im Gefängnis verbracht.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.). Das Bundesamt stellte die syrische Staatsangehörigkeit und die arabische Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführerin fest. Eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführerin in Syrien habe diese aber nicht glaubhaft machen können.
4. In der gegen Spruchpunkt I. des Bescheides gerichteten und rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wurden eine Gefährdung als Familienangehörige angeführt, weil sich die Brüder der Beschwerdeführerin dem Wehrdienst entzogen hätten. Außerdem sei die Lage der Frauen in Syrien schlecht.
5. Am XXXX .2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die arabische Sprache und in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und ihrer Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der die Beschwerdeführerin im Detail zu ihren Fluchtgründen befragt wurde. Außerdem wurden aktualisierte Länderinformationen zur Situation in Syrien ins Verfahren eingebracht.
6. Mit Schreiben vom XXXX 2021 gab die Vertretung der Beschwerdeführerin insbesondere zu den Länderberichten eine schriftliche Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Beschwerdeführerin ist eine syrische Staatsangehörige arabischer Volksgruppenzugehörigkeit und stammt aus der Umgebung von Damaskus. Sie besuchte in Syrien 12 Jahre die Schule und lebte danach zu Hause, wo sie von ihrem Vater unterstützt wurde. Ihre Eltern sowie Onkel und Tanten leben nach wie vor in der Heimatgemeinde, XXXX während drei Brüder der Beschwerdeführerin sowie Cousins und Cousinen das Land bereits verlassen haben.
2017/2018 wurde eine Heirat zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem bereits seit 2014 in Österreich aufhältigen Cousin vereinbart. Nach ihrer Ankunft in Österreich wurde eine traditionelle Ehe zwischen der Beschwerdeführerin und XXXX geschlossen. Der Ehe entspringt eine Tochter.
Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zur relevanten Situation in Syrien wird festgestellt wie folgt:
Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung (Letzte Änderung: 28.06.2021):
Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Regimebehörden in Tausenden Fällen solche Praktiken an (USDOS 30.3.2021). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 13.1.2021; vgl. AI 7.4.2021, USDOS 30.3.2021, AA 4.12.2020). Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden (AA 4.12.2020).
NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 30.3.2021; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung nimmt hierbei auch Personen ins Visier, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 30.3.2021). Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren (AA 4.12.2020).
Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod von Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die Untersuchungskommission der Vereinten Nationen zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik (USDOS 30.3.2021). Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festhalten werden (USDOS 30.3.2021; vgl. SHRC 24.1.2019). Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) fest (USDOS 30.3.2021). Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (MOFANL 7.2019).
Zehntausende Menschen sind weiterhin in willkürlicher Haft, darunter humanitäre Helfer, Anwälte, Journalisten und friedliche Aktivisten (AI 7.4.2021). In Gebieten, die unter der Kontrolle der Opposition standen und von der Regierung zurückerobert wurden, darunter Ost-Ghouta, Dara'a und das südliche Damaskus, verhafteten die syrischen Sicherheitskräfte Hunderte von Aktivisten, ehemalige Oppositionsführer und ihre Familienangehörigen, obwohl sie alle Versöhnungsabkommen mit den Behörden unterzeichnet hatten, in denen garantiert wurde, dass sie nicht verhaftet würden (HRW 14.1.2020).
Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits seit der Ära von Hafez al-Assad gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).
Allgemeine Menschenrechtslage (Letzte Änderung: 30.06.2021):
In dem seit mehr als neun Jahren andauernden Bürgerkrieg gab es nach Schätzungen bereits rund eine halbe Million Tote (Welt 30.6.2020; vgl. BBC 12.7.2020). Das Regime wurde durch den Erfolg seiner von Russland und Iran unterstützten Kampagnen so gefestigt, dass es keinen Willen zeigt, integrative oder versöhnende demokratische Prozesse einzuleiten. Dies zeigt sich in der Abwesenheit freier und fairer Wahlen sowie in den gewaltsamen Maßnahmen zur Unterdrückung der Rede- und Versammlungsfreiheit. Bewaffnete Akteure aller Fraktionen, darunter auch die Regierung, versuchen ihre Herrschaft mit Gewalt durchzusetzen und zu legitimieren (BS 29.4.2020).
Weiterhin besteht in keinem Teil des Landes ein umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch die zahlreichen Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen. Dies gilt auch für Landesteile, insbesondere im äußersten Westen des Landes sowie der Hauptstadt Damaskus, in denen traditionell Bevölkerungsteile leben, die dem Regime näher stehen. Selbst bis dahin als regimenah geltende Personen können aufgrund allgegenwärtiger staatlicher Willkür grundsätzlich Opfer von Repressionen werden (AA 19.5.2020).
Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 4.12.2020). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern oder Abtrünnigen werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen (UNHRC 31.1.2019). Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in von der Opposition kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019; vgl. UNHCR 7.5.2020, SNHR 26.1.2021).
Tausende Menschen starben seit 2011 im Gewahrsam der syrischen Regierung an Folter und entsetzlichen Haftbedingungen (HRW 14.1.2020). Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019). Die syrischen Regimekräfte und ihre Sicherheitsapparate setzen ihre systematische Politik der Inhaftierung und des Verschwindenlassens von Zehntausenden von Syrern fort. Trotz der Verringerung des Tempos der Inhaftierungen und des gewaltsamen Verschwindenlassens im Jahr 2020 konnte keine wirkliche Veränderung im Verhalten des Regimes beobachtet werden, sei es in Bezug auf die Freilassung der Inhaftierten oder die Aufdeckung des Schicksals der Verschwundenen (SHRC 1.2021).
Ein besonderes Merkmal des Konflikts in Syrien ist, dass verschiedene Konfliktparteien häufig größeren Gruppen von Menschen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen oder ethnischen Gruppen oder ganzen Städten, Dörfern oder Nachbarschaften, durch Assoziation eine politische Meinung zuschreiben. Als solche können Mitglieder einer größeren Einheit, ohne individuell herausgegriffen zu werden, zum Ziel von Repressalien durch verschiedene Akteure aufgrund von tatsächlicher oder vermeintlicher Unterstützung einer anderen Konfliktpartei werden. Die Wahrnehmung einer politischen Meinung oder Zugehörigkeit zu einer Konfliktpartei basiert oft auf wenig mehr als der physischen Präsenz einer Person in einem bestimmten Gebiet (oder der Tatsache, dass sie aus einem bestimmten Gebiet stammt) oder ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund (UNHCR 3.2021).
Sonstiges:
Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle, wie einem Checkpoint, von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Personals am Kontrollpunkt oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite zu gewärtigen haben, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter. Zu als oppositionell oder regierungsfeindlich angesehenen Personen gehören einigen Quellen zufolge unter anderem medizinisches Personal, insbesondere wenn die Person in einem von der Regierung belagerten oppositionellen Gebiet gearbeitet hat, Aktivisten und Journalisten, die sich mit ihrer Arbeit gegen die Regierung engagieren und diese offen kritisieren, oder Informationen oder Fotos von Geschehnissen in Syrien, wie Angriffe der Regierung, verbreitet haben sowie allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben. Einer Quelle zufolge kann es sein, dass die Regierung eine Person, deren Vergehen als nicht so schwerwiegend gesehen wird, nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit festnimmt (FIS 14.12.2018). Jeder Geheimdienst führt eigene Fahndungslisten und es findet keine Abstimmung und Zentralisierung statt. Daher kann es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen kommen (AA 4.12.2020).
1.3. Die Beschwerdeführerin versuchte bereits im Jahr 2017 einmal mit ihren Eltern aus Syrien auszureisen. Noch bevor sie Idlib erreichen konnten, wurden sie festgenommen. Die Mutter der Beschwerdeführerin verblieb neun Tage, ihr Vater und sie selbst waren 33 Tage in Haft. Dementsprechend wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin bereits einmal vom syrischen Regime festgenommen wurde und daher von diesem als oppositionell wahrgenommen wird.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin, ihrem Leben in Syrien, ihren Familienangehörigen in Syrien und in Österreich sowie dazu, dass sie strafgerichtlich unbescholten ist, beruhen auf den gleichbleibenden Angaben der Beschwerdeführerin im Laufe des Verfahrens und auf einem Auszug aus dem Strafregister. Sie werden auch im Wesentlichen durch die belangte Behörde im Bescheid nicht angezweifelt.
2.2. Die Länderfeststellungen unter 1.2. gründen sich auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien mit den darin angegebenen Daten der letzten Aktualisierung, und da wiederum auf die folgenden Einzelquellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (4.12.2020): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://milo.bamf.de/milop/cs.exe/fetch/2000/702450/683266/683300/684459/684542/6038295/22065632/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt,_Bericht_%C3%BCber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_(Stand_November_2020),_04.12.2020.pdf?nodeid=22479918&vernum=-2, Zugriff 18.1.2021
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.5.2020): Fortschreibung des Berichts über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom November 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2031629/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Fortschreibung_des_Berichts_%C3%Bcber_die_Lage_in_der_Arabischen_Republik_Syrien_vom_November_2019_%28Stand_Mai_2020%29%2C_19.05.2020.pdf, Zugriff 7.9.2020
? AI – Amnesty International (7.4.2021): Syrien 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048575.html, Zugriff 10.6.2021
? BBC – BBC News Russkaya Sluzhba [Russian Service] (12.7.2020): "??????? ???????? ??????": ??? ???????????? ?????? ??? ? ????? ????? ???? ????? ????? ["Dem russischen Druck nachgeben." Die gesamte humanitäre Hilfe der UNO für Syrien wird über Assad abgewickelt], https://www.bbc.com/russian/news-53353049, Zugriff 7.9.2020
? BS – Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report – Syria, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029497/country_report_2020_SYR.pdf, Zugriff 22.7.2020
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2043510.html, Zugriff 26.1.2021
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2022683.html, Zugriff 22.7.2020
? FIS – Finnish Immigration Service [Finland] (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 22.7.2020
? MOFANL – Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands – Department for Country of Origin Information Reports (7.2019): Country of Origin Information Report Syria – The security situation [Niederlande], per E-Mail am 27.8.2019
? SHRC – Syrian Human Rights Committee (1.2021): The 19th Annual Report on Human Rights in Syria 2020, https://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2021/01/SHRC-English-report_20210112.pdf, Zugriff 29.1.2021
? SHRC – Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 22.7.2020
? SNHR – Syrian Network for Human Rights (26.1.2021): The Bleeding Decade - Tenth Annual Report: The Most Notable Human Rights Violations in Syria in 2020, https://sn4hr.org/wp-content/pdf/english/Tenth_Annual_Report_The_Most_Notable_Human_Rights_Violations_in_Syria_in_2020_en.pdf, Zugriff 3.2.2021
? TWP – The Washington Post (23.12.2018): Syria’s once teeming prison cells being emptied by mass murder, https://www.washingtonpost.com/graphics/2018/world/syria-bodies/?noredirect=on&utm_term=.6a8815bb3721, Zugriff 22.7.2020
? UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (3.2021): International Protection Considerations with regard to people fleeing the Syrian Arab Republic - Update VI, https://www.ecoi.net/en/file/local/2049565/606427d97.pdf, Zugriff 14.6.2021
? UNHRC – United Nations Human Rights Council (31.1.2019): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/40/70], https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoISyria/A_HRC_40_70.pdf, Zugriff 8.9.2020
? UNHCR – United Nations High Commissioner for Refugees (7.5.2020): Relevant Country of Origin Information to Assist with the Application of UNHCR's Country Guidance on Syria; Participation in Anti-Government Protests; Draft Evasion; Issuance and Application of Partial Amnesty Decrees; Residency in (Formerly) Opposition-Held Areas; Issuance of Passports Abroad; Return and "Settling One's Status", https://www.ecoi.net/en/file/local/2030290/5ec4fcff4.pdf, Zugriff 7.9.2020
? USDOS – United States Department of State [USA] (30.3.2021): Country Report on Human Rights Practices 2020 – Syria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048105.html, Zugriff 10.6.2021
? Welt (30.6.2020): Deutschland sagt Opfern des Syrienkrieges Milliarden-Hilfe zu, https://www.welt.de/politik/ausland/article210741853/Syrienkrieg-Deutschland-sagt-Opfern-Milliarden-Hilfe-zu.html, Zugriff 21.8.2020
Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit, Richtigkeit und Aktualität der darin enthaltenen Informationen zu zweifeln. Die Stellungnahme der Vertretung richtet sich im Ergebnis nicht gegen diese Feststellungen.
2.3. Die Feststellung dazu, dass die Beschwerdeführerin bereits einmal mit ihren Eltern auf einem ersten Fluchtversuch 2017 festgenommen und nach 33 Tagen wieder freigelassen wurde, beruhen auf ihren diesbezüglich gleichbleibenden Angaben im Laufe des Verfahrens, wobei für deren Glaubhaftigkeit auch spricht, dass die Beschwerdeführerin davon Abstand nahm, ihre Erlebnisse in der Haft auszuschmücken, sondern in der mündlichen Verhandlung meinte, dass sie „ehrlich gesagt“ nicht gequält worden sei (s. 7 des Verhandlungsprotokolls vom XXXX 2021). Die erkennende Richterin hat keinen Anlass, an der Angabe zu einer bereits erfolgten Festnahme zu zweifeln.
Aus den festgestellten Informationen zur Situation in Syrien geht nun ausreichend deutlich hervor, dass das syrische Regime Personen, denen es eine oppositionelle Gesinnung auch nur unterstellt, festnimmt, misshandelt, foltert und verschwinden lässt. Systematische Folter sowie die Haftbedingungen führen häufig zum Tod von Insassen in Gefängnissen, und sind auch sexueller Missbrauch und Vergewaltigung weit verbreitet. In keinem Landesteil besteht umfassender und langfristiger Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Repression durch Sicherheitsdienste, Milizen und sonstige regimenahe Institutionen.
Da die Beschwerdeführerin bereits einmal verhaftet worden ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass syrische Sicherheitskräfte über diese Verhaftung entsprechend informiert sind und aus diesem bereits vorher bestanden habenden Kontakt mit dem Regime eine oppositionelle Einstellung ableiten.
Die erkennende Richterin übersieht nicht, dass die Beschwerdeführerin zwischen ihrer Verhaftung und ihrer Ausreise noch ca. zwei Jahre unbehelligt in Syrien mit ihren Eltern leben konnte. Aus den Länderberichten geht aber wiederholt und nach wie vor aktuell ein vorherrschendes Element der Willkür im Verhalten der syrischen Regierungskräfte hervor, weshalb auch bei einem bisherigen Absehen von Repressalien durch das Regime zwischen 2017 und 2019 nicht mit einer notwendigen Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass auch zukünftig davon abgesehen werden würde.
Zu den weiteren Fluchtgründen ist nur zusammengefasst anzumerken, dass aus den konkreten Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verfahren eine Gefährdung ihrer Person wegen ihrer Brüder nicht abgeleitet werden kann: diese verließen das Land bereits 2015/2016; und machte die Beschwerdeführerin auch nicht geltend, wegen ihrer Brüder 2017 verhaftet worden zu sein. Eine diesbezügliche Gefährdung erscheint daher für eine Feststellung nicht vordringlich genug. Während die Situation der Frauen in Syrien keinesfalls banalisiert werden soll, ist die Beschwerdeführerin keine alleinstehende, und damit besonders vulnerable und schutzlose, Frau, weshalb sie auf ihr familiäres Umfeld und auf den damit einhergehenden rudimentären Schutz zu verweisen ist. Eine allenfalls illegale Ausreise aus Syrien alleine vermag ebenfalls kein Bedrohungsszenario zu begründen. Dieses Faktum kann allerdings die Bedrohung wegen ihrer früheren Verhaftung verstärken.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu A)
3.1.1. Rechtsgrundlagen:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.
3.1.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:
Die Beschwerdeführerin wurde bereits einmal im Jahr 2017 von syrischen Regierungskräften im Zuge eines ersten Fluchtversuchs verhaftet und 33 Tage angehalten, bevor sie wieder freikam. Auf Basis der Länderinformation ist davon auszugehen, dass ihr das syrische Regime auf dieser Basis zumindest eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Daher besteht für die Beschwerdeführerin eine aktuelle und maßgebliche Verfolgungsgefahr aus Gründen der, auch nur unterstellten, politischen Gesinnung durch syrische Regierungskräfte.
Die drohende Verfolgung geht vom Staat aus, weshalb eine Schutzwilligkeit der staatlichen Behörden in Syrien nicht angenommen werden kann. Eine innerstaatliche Fluchtalternative kann auf Basis der Rechtskraftwirkung der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht angenommen werden.
Die Beschwerdeführerin hält sich somit aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer (unterstellten) politischen Gesinnung außerhalb Syriens auf und ist im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren.
Da auch keine Ausschlussgründe nach § 6 AsylG vorliegen, ist der Beschwerde stattzugeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 schon aus diesem Grund der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 („Asyl auf Zeit“) gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall bereits Anwendung finden.
3.2.) Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben unter 3. dargestellte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.
Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung politische Gesinnung Sippenhaftung unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W211.2228931.1.00Im RIS seit
24.11.2021Zuletzt aktualisiert am
24.11.2021