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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, in der Revisionssache des M M H, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in 8054 Seiersberg-Pirka, Haushamer Straße 2/4. OG, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Jänner 2021, W195 2224260-2/4E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte erstmals am 31. Mai 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit dem im Rechtszug ergangenen Erkenntnis vom 15. Juni 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
2 Am 4. Jänner 2021 stellte der Revisionswerber, nachdem er am Flughafen nach der Sicherheitskontrolle seine Abschiebung verhindert hatte, einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er werde in seinem Herkunftsstaat aufgrund einer Zeugenaussage seines Zwillingsbruders strafrechtlich verfolgt. Es handle sich um ein politisch motiviertes Verfahren. Gegen ihn liege auch ein Haftbefehl vor. Außerdem brachte er vor, seit dem Jahr 2009 homosexuell zu sein, was er bislang verheimlicht habe.
3 Mit am 25. Jänner 2021 mündlich verkündetem Bescheid hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 den faktischen Abschiebeschutz des Revisionswerbers auf.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss sprach das BVwG aus, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes rechtmäßig und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Begründend führte das BVwG zur behaupteten strafrechtlichen Verfolgung aus, der Revisionswerber habe den behaupteten Grund für den Haftantrag im Verfahren vor dem BFA (von „Sabotage“ auf „Mord“) gesteigert. Dem vorgelegten Haftantrag, einem nur rudimentär vorhandenen, handschriftlichen Dokument, fehle jede Glaubwürdigkeit. Hinsichtlich der behaupteten Homosexualität widerspreche sich der Revisionswerber (aus näher dargelegten Gründen) mehrfach und in einem Ausmaß, dass dieses Vorbringen als reine Schutzbehauptung zur Verhinderung der Abschiebung und Verzögerung des Verfahrens zu deuten sei. Es sei unglaubwürdig, dass der Revisionswerber wegen seiner Homosexualität aus seinem Herkunftsstaat geflüchtet sei, weil er keine Verfolgung in Zusammenhang mit seinen homosexuellen Kontakten, welche seit dem Jahr 2009 bestanden haben sollen, vorgebracht habe und im Jahr 2017 freiwillig in seinen Herkunftsstaat gereist sei. Die missbräuchliche Antragstellung ergebe sich allein schon daraus, dass der Revisionswerber nunmehr überraschend einen seit dem Jahr 2009 vorliegenden Fluchtgrund behaupte, der ihn aber nicht davon abgehalten habe, im Jahr 2017 in seinen Herkunftsstaat zu reisen. Es sei kein neues Vorbringen erstattet worden, von dem anzunehmen sei, dass der Antrag nicht wegen entschiedener Sache zurückzuweisen wäre.
6 Mit Beschluss vom 8. Juni 2021, E 873/2021-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG sei von der (näher genannten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil sich auf Grund des Vorbringens des Revisionswerbers und der von ihm vorgelegten neuen Anzeige gegen ihn die Notwendigkeit ergeben habe, sich umfangreich beweiswürdigend mit seinem Vorbringen auseinanderzusetzen. Es könne somit nicht mehr davon gesprochen werden, dass auf Grund einer Grobprüfung die spätere Zurückweisung des Folgeantrages auf der Hand liege.
11 Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 („wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist“) hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, es müsse das vom Gesetz angestrebte Ziel beachtet werden, den faktischen Abschiebeschutz nur für klar missbräuchliche Anträge beseitigen zu wollen. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtige daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es müsse sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichne. Nur dann könne auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolge, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deute - unter Bedachtnahme auf näher bezeichnete unionsrechtlichen Vorgaben - etwa die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich seien aber auch andere Umstände, die den Schluss zuließen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (vgl. dazu grundlegend VwGH 19.12.2017, Ra 2017/18/0451; vgl. etwa auch VwGH 26.3.2020, Ra 2019/14/0079, mwN).
12 Wie zuvor dargestellt, hat sich das BVwG sowohl mit dem zur Begründung des Folgeantrages vorgebrachten Fluchtvorbringen als auch mit der Frage, ob die Folgeantragstellung missbräuchlich erfolgt sei, näher auseinandergesetzt. Die Revision zeigt fallbezogen nicht auf, dass das BVwG von den Leitlinien der dargestellten Rechtsprechung abgewichen wäre.
13 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 15. Oktober 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190320.L00Im RIS seit
11.11.2021Zuletzt aktualisiert am
11.11.2021