Entscheidungsdatum
27.08.2021Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
G303 2235887-8/11E
SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 14.04.2021 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren zur Überprüfung der Anhaltung in Schubhaft des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Marokko, IFA-Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.04.2021, zu Recht erkannt:
A) Es wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht verhältnismäßig ist.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am .2020 wurde (im Folgenden: betroffener Fremder oder kurz: BF) im Zuge einer polizeilichen Personenkontrolle ohne Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet betreten.
2. Mit Mandatsbescheid vom .2020 verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz: BFA) die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG über den BF.
3. Am .2020 stellte der BF im Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, der rechtskräftig negativ entschieden wurde. Gleichzeitig wurde gegen den BF eine nunmehr durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen.
4. Die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung des BF in Schubhaft wurde bereits mehrfach, zuletzt mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.03.2021, GZ: G305 2235887-7/7E, überprüft. In allen Anlassfällen stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Forstsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorgelegen hätten und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig gewesen sei.
5. Am 09.04.2021 wurde vom BFA neuerlich der Akt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht zur amtswegigen Überprüfung der Anhaltung vorgelegt.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 14.04.2021 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF nach polizeilicher Vorführung aus dem AHZ Vordernberg, eine Dolmetscherin sowie eine Vertreterin des BFA teilnahmen. Nach Schluss der Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis mündlich verkündet. Die Behördenvertreterin beantragte eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der volljährige BF ist nicht österreichischer Staatsbürger. Seinen eigenen Angaben zur Folge ist er marokkanischer Staatsangehöriger. Eine Identifizierung des BF durch die marokkanischen Behörden erfolgte bis dato nicht.
Der BF verfügt über kein gültiges Reisedokument und über keine Berechtigung zur Einreise in das österreichische Bundesgebiet und zum Aufenthalt in diesem.
Der BF reiste zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt illegal in das Bundesgebiet ein. Er wurde am 15.06.2020 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Tamsweg aufgegriffen.
Mit Mandatsbescheid des BFA vom 16.06.2020 wurde über den BF die gegenständliche Schubhaft angeordnet.
Am 25.06.2020 stellte der BF im Stande der Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 18.07.2020, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, sowie des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung mit zulässiger Abschiebung in dessen Herkunftsstaat Marokko erlassen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, GZ: I409 2233518-1/5E, vom 18.08.2020 als unbegründet abgewiesen.
Der BF befindet sich seit XXXX .06.2020, XXXX Uhr, durchgehend in Schubhaft, die derzeit im AHZ XXXX vollzogen wird.
Seitens des BFA wurde die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bei der marokkanischen Botschaft am 10.08.2020 beantragt, jedoch bis dato nicht ausgestellt. Auf die einzelnen Urgenzen erfolgte seitens der marokkanischen Botschaft keine Rückmeldung. Derzeit sind keine Interviews bzw. Vorführtermine bei der marokkanischen Vertretungsbehörde möglich. Im bisherigen Jahr 2021 konnte keine einzige zwangsweise Rückführung nach Marokko durchgeführt werden.
Der BF ist nicht bereit freiwillig nach Marokko zurückzukehren.
Der BF hat in Österreich keine familiären, beruflichen oder sonstigen sozialen Bindungen. Er verfügt über keine eigene gesicherte Unterkunft und über keine ausreichenden Existenzmittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
2. Beweiswürdigung:
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA, und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes. Zudem wurde in die Vorakten des BVwG betreffend die vorangegangenen amtswegigen Überprüfungen Einsicht genommen.
Die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und die angeführte Staatsangehörigkeit beruhen auf den eigenen Angaben des BF. Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person im gegenständlichen Verfahren.
Die Feststellungen zum fehlenden Reisepass, zum fehlenden Aufenthaltsrecht und zur Einreise sowie zum Aufgriff durch Organe des Sicherheitsdienstes ergeben sich aus dem unbestrittenen Akteninhalt.
Durch Einsichtnahme in das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister und Einsicht im Gerichtsakt GZ: I409 2233518-1 konnten die Feststellungen zum Asylverfahren und zur Rückkehrentscheidung getroffen werden.
Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich durch die Einsichtnahme im Strafregister.
Die bisherige Anhaltung in Schubhaft konnte durch Einsichtnahme in die Anhaltedatei festgestellt werden.
Anhaltspunkte für familiäre, soziale oder berufliche Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet bzw. eine maßgebliche berufliche Integration konnten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden. Auch konnte nicht festgestellt werden, dass der BF über ausreichende finanzielle Mittel zur Sicherung seines Lebensunterhaltes oder über einen gesicherten Wohnsitz verfügt.
Die Tatsache, dass der BF ausreiseunwillig ist, ergibt sich aus seiner Aussage im Rahmen der mündlichen Verhandlung, wonach er eindeutig angab, nicht nach Marokko zurückkehren zu wollen.
Die getroffenen Feststellungen zum Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates ergeben sich aus dem Akteninhalt, insbesondere der Stellungnahme des BFA im Rahmen der Aktenvorlage, durch Einsichtnahme in das Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, indem eingetragen wurde, dass seit 10.08.2020 ein HRZ-Verfahren geführt wird, und den Angaben der Behördenvertreterin des BFA im Rahmen der mündlichen Verhandlung.
Die Tatsache, dass im Jahr 2021 keine einzige zwangsweise Rückführung nach Marokko durchgeführt werden konnte, ergibt sich aus den Angaben der Behördenvertreterin des BFA in der mündlichen Verhandlung.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu Spruchteil A.):
Gesetzliche Grundlagen:
Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 87/2012 lautet:
§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.
Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 lautet:
§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.
Der mit "Dauer der Schubhaft" betitelte § 80 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 lautet:
§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.
(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.
Voraussetzung für die Fortsetzung der Schubhaft ist, dass nach wie vor die Aussicht besteht, dass für den BF ein Heimreisezertifikat erlangt werden kann. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats der marokkanischen Botschaft ist für den BF realistischerweise nicht zu erwarten, zumal bereits am 10.08.2020 ein Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates bei der Botschaft des Königsreiches Marokko eingebracht wurde und die Vertretungsbehörde auf die bisherigen unzähligen Urgenzen nicht reagiert hat (vgl. VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0144).
Bloße Bemühungen der Behörde genügen für die Annahme einer rechtzeitigen Erlangbarkeit des Heimreisezertifikats nicht, sie müssten vielmehr zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgversprechend sein (vgl. VwGH 26.11.2020, Zl. Ra 2020/21/0070).
Auch ist entscheidungswesentlich zu berücksichtigen, dass zum Entscheidungszeitpunkt keine Interviews bzw. Vorführtermine bei der zuständigen Vertretungsbehörde möglich sind und im bisherigen Jahr 2021 keine einzige zwangsweise Rückführung nach Marokko durchgeführt werden konnte.
Die weitere Fortsetzung der am 16.06.2020 verhängten Schubhaft erweist sich daher als unverhältnismäßig, da keiner keinerlei Aussicht besteht, ein Heimreisezertifikat für den BF zu erlangen und der BF sich zum Entscheidungszeitpunkt bereits weit über neun Monate in Schubhaft befindet.
Aufgrund der obigen Ausführungen kann die Fortsetzung der Schubhaft auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass sie gemäß § 80 Abs. 4 Z1 und 2 FPG gesetzlich bis zu 18 Monaten aufrecht gehalten werden könnte.
Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ist daher auszusprechen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen und die weitere Aufrechterhaltung der Schubhaft nicht verhältnismäßig ist.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden. Es war daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.
Schlagworte
Rechtswidrigkeit Schubhaft SchubhaftbeschwerdeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G303.2235887.8.00Im RIS seit
09.11.2021Zuletzt aktualisiert am
09.11.2021