TE Vwgh Erkenntnis 1965/1/20 1476/64

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Veröffentlicht am 20.01.1965
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Sozialversicherung - ASVG - AlVG
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

ASVG §44
ASVG §68 Abs1 Satz1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden, Hofrat Dr. Strau, und die Hofräte Dr. Koprivnikar, Dr. Striebl, Dr. Härtel und Dr. Klecatsky als Richter, im Beisein des Schriftführers, Bezirksrichters Dr. Angst, über die Beschwerde des VL in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 7. Juli 1964, Zl. 5-228 Lo 10/12-1964, betreffend Vorschreibung von Sozialversicherungsbeiträgen, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Ein Kostenzuspruch findet nicht statt.

Begründung

Die Steiermärkische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte sprach mit Bescheid vom 25. Februar 1963 gemäß § 410 Z. 2 in Verbindung mit den §§ 4, 44, 48, 49, 54 und 68 ASVG sowie gemäß § 1 und 62 AlVG 1958 aus, daß der Beschwerdeführer - ein Dentist - verpflichtet sei, die mit Beitragsnachberechnung vom 19. Dezember 1962 vorgeschriebenen Beiträge zur Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung sowie die Nebenumlagen, im Ausmaß von S 11.621,94 an die Krankenkasse zu entrichten. Hiebei führte diese in dem Spruch des bezeichneten Bescheides unter den Punkten 1. bis 4. die einzelnen Dienstnehmer, auf welche sich die Nachberechnung bezog, und den Grund der Nachberechnung an. Hinsichtlich des Dienstnehmers WL - des Neffen des Beschwerdeführers - führte die Krankenkasse unter Punkt 2. im Spruch des Bescheides aus, daß für diesen Dienstnehmer während der Zeit vom 1. November 1955 bis Dezember 1957 die allgemeinen Beiträge nicht nach dem vom Beschwerdeführer gemeldeten, sondern nach dem diesem Dienstnehmer auf Grund des Kollektivvertrages gebührenden Entgelt, und die Sonderbeiträge für das Jahr 1958 auch von den vom Beschwerdeführer an diesen Dienstnehmer tatsächlich ausbezahlten 14. und 15. Bezügen zu verrechnen gewesen seien. Der Beschwerdeführer brachte gegen den angeführten Bescheid insoweit, als mit diesem für den Dienstnehmer WL für die Zeit vom 1. November 1955 bis Dezember 1957 Beiträge zur Bezahlung vorgeschrieben worden waren, einen Einspruch ein. Die belangte Behörde gab mit dem angefochtenen Bescheid dem Einspruch keine Folge, bestätigte den Bescheid der Krankenkasse und sprach aus, daß die Sozialversicherungsbeiträge für WL, betreffend die Zeit vom 1. November 1955 bis 31. Dezember 1957, durch die Krankenkasse zu Recht nach dem kollektivvertraglichen Anspruchslohn berechnet und vorgeschrieben worden seien; weiters stellte sie fest, daß die Sonderbeiträge für das Jahr 1958, betreffend WL durch die Krankenkasse zu Recht nach der gültigen Höchstbeitragsgrundlage von S 4.800,-- nachberechnet worden seien, und daß eine Beitragsverjährung nach § 68 Abs. 1 ASVG nicht eingetreten sei. Die belangte Behörde legte in der Begründung ihres Bescheides dar, daß WL ab Beschäftigungsbeginn - 11. Juli 1955 - mit dem damals geltenden kollektivvertraglichen Gehaltsanspruch mit S 1.344,-- zur Sozialversicherung bei der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte angemeldet worden sei und sich demnach die im Einspruch enthaltene Angabe, wonach ein Lohn von S 1.478,40 gemeldet worden sei, nicht als zutreffend erweise; eine diesbezügliche Erklärung habe auch der Vertreter des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 23. Juli 1963 abgegeben. Auch nach der am 1. November 1955 in Kraft getretenen 10%igen Lohnerhöhung sei dem Dienstnehmer WL weiterhin eine monatliche Entlohnung von S 1.344,-- ausbezahlt worden, wobei im Einspruch zugegeben worden sei, daß man die erwähnte Lohnerhöhung übersehen habe. Es stehe unbestritten fest, daß der Beschwerdeführer den Dienstnehmer WL ab Beschäftigungsbeginn mit dem ihm damals bei Einhaltung der Normalarbeitszeit zustehenden kollektivvertraglichen Lohn zur Sozialversicherung gemeldet habe; die 10%ige Lohnerhöhung mit 1. November 1955 sei dem Beschwerdeführer seinerzeit nicht bekannt gewesen, und er habe daher geglaubt, seinem Angestellten auch weiter den ihm kollektivvertraglich zustehenden Lohn bezahlt zu haben. Nach dem Kollektivvertrag für Angestellte in Zahnärzte- und Dentistenordinationen betrage die wöchentliche Normalarbeitszeit 45 Stunden; bei vorübergehender Kurzarbeit oder bei Arbeitsausfall ohne Verschulden des Arbeitnehmers sei bis zum Ausfall von einem Monat der volle Monatsgehalt zu gewähren. Wenn aber die Kurzarbeit längere Zeit andauere, sei nach Ablauf eines Monats die gekürzte Arbeitszeit mit dem aliquoten Monatsgehalt zuzüglich eines Zuschlages von 15 % dieses Stundenlohnes zu entlohnen. Im gegenständlichen Falle sei eine Lohnänderungsanzeige über die Verminderung des nach Ansicht des Beschwerdeführers gültigen Kollektivvertragslohnes von S 1.344,-- monatlich nicht erstattet worden. Maßgebend für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge sei die Höhe des Entgelts, auf welches der Dienstnehmer einen Rechtsanspruch habe, doch bilde dann, wenn der Dienstnehmer einen höheren Lohn als den Anspruchslohn erhalte, „dieser“ (hier dürfte es sich sprachlichgrammatikalisch um eine nicht ganz klare Ausdrucksweise handeln; unter dem angeführten Wort sollte offenbar der höhere Lohn verstanden werden) die Beitragsgrundlage in der Sozialversicherung. WL habe unbestrittenermaßen tatsächlich das kollektivvertragliche Entgelt für die Normalarbeitszeit erhalten, obgleich er wöchentlich nur 35 bis 40 Stunden in der Ordination des Beschwerdeführers beschäftigt gewesen sei (Niederschrift vom 11. Mai 1964, aufgenommen mit WL beim Magistrat Graz). Bei dieser Sachlage spiele die zeitlich geringere Beschäftigung hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Beitragsgrundlage keine Rolle, weil das tatsächlich ausbezahlte Entgelt, das zwischen den Parteien als der einem vollbeschäftigten Dentisten-Assistenten zustehende Bezug vereinbart worden sei, zur Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge herangezogen werden müsse. Die mit 1. November 1955 in Wirksamkeit getretene 10%ige Lohnerhöhung sei bei der Vorschreibung der Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen gewesen, weil der Anspruchslohn hiedurch eine Erhöhung erfahren habe, welcher über dem tatsächlich an WL ausbezahlten Entgelt gelegen gewesen sei. Die belangte Behörde legte sodann auch die Gründe dar, warum eine Nachverrechnung hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge für das Jahr 1958 durchgeführt worden sei, und hielt der Einspruchseinwendung, wonach im gegenständlichen Fall nicht die zehnjährige Verjährungsfrist, sondern die zweijährige Verjährungsfrist nach § 68 Abs. 1 erster Satz ASVG anzuwenden gewesen wäre, die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen, derzufolge die zehnjährige Verjährungsfrist auch dann Platz zu greifen habe, wenn nachweisbar unwahre Angaben vorlägen, die ihre Ursache lediglich in der Unkenntnis der in Betracht kommenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften hätten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer macht geltend, daß nach den kollektivvertraglichen Bestimmungen ab 1. November 1955 nur die Mindestgehaltssätze erhöht worden seien und daß demnach einem Angestellten, der schon vor dieser Erhöhung der Mindestsätze ein diese um 10 % übersteigendes Gehalt bezogen habe, kein Anspruch auf diese Gehaltserhöhung zugestanden sei; es habe daher für den Beschwerdeführer keine Verpflichtung bestanden, mit 1. November 1955 das Monatsgehalt seines Neffen WL zu erhöhen, und es sei demzufolge auch die Heranziehung höherer Gehaltssätze als Beitragsgrundlage nicht gerechtfertigt gewesen. Hiebei erscheine die Tatsache, daß der Beschwerdeführer die Erhöhung der Mindestgehaltssätze übersehen habe, rechtlich belanglos, weil nach den vorangehenden Ausführungen keine Verpflichtung zu einer Gehaltserhöhung bestanden habe; unter dem gleichen Gesichtspunkt sei aber auch ein Anlaß zur Erstattung einer Änderungsmeldung nicht gegeben gewesen.

Die Ausführungen der belangten Behörde über die Höhe des WL zustehenden Entgeltsanspruches für den in Rede stehenden Zeitraum können - im einzelnen betrachtet - nur daß verstanden werden, daß - nach Auffassung der belangten Behörde bei Beginn des beschriebenen Dienstverhältnisses zwischen - WL und dem Beschwerdeführer ausdrücklich vereinbart worden sei, WL habe stets Anspruch auf die kollektivvertraglichen Mindestsätze eines Dentisten - Assistenten, und zwar ungeachtet des Umstandes, daß seine wöchentliche Arbeitszeit lediglich 35 bis 40 Stunden betrage, also in ihrem Auslaß unter der im Kollektivvertrag vorgesehenen Normalarbeitszeit von 45 Stunden pro Woche liege. Darüber aber, ob eine solche Vereinbarung bezüglich des Entgeltes bestanden habe, ist WL weder anläßlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 11. Mai 1964 noch ansonsten befragt worden, obwohl der Beschwerdeführer bereits in seinen Einspruch vorgebracht hatte, daß seinem Neffen ein Anspruch auf das erhöhte Entgelt laut Kollektivvertrag ab 1. November 1955 mangels der in diesem Vertrag festgesetzten Stundenanzahl nicht zugestanden sei, womit doch offenbar auch das Vorliegen einer Vereinbarung dahin gehend, daß der Letztgenannte während seines Dienstverhältnisses immer Anspruch auf die jeweiligen kollektivvertraglichen Sätze haben sollte, bestritten erscheint. Demnach hätte aber die belangte Behörde im Ermittlungsverfahren, und zwar insbesondere auch durch eine diesbezügliche Befragung des WL klarzustellen gehabt, ob eine Vereinbarung der angeführten Art bei Begründung des Dienstverhältnisses oder später tatsächlich zustande gekommen ist. Hiebei sei hervorgehoben, daß die Angabe des Beschwerdeführers, wonach er die Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestgehälter übersehen habe, nicht als hinreichender Beweis für das Vorliegen einer solchen Vereinbarung angesehen zu werden vermag, weil die erwähnte Angabe auch dahin verstanden werden könnte, daß der Beschwerdeführer anläßlich der Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestsätze mit 1. November 1955, sofern sie ihm damals schon bekanntgeworden wären, eine Erhöhung den Gehaltes seines Neffens vorgenommen hätte, obwohl weder nach dem Kollektivvertrag noch auf Grund einer sonstigen Vereinbarung ein Anspruch seines Neffen auf eine derartige Gehaltserhöhung bestanden habe. Demzufolge ist der Sachverhalt der nach Auffassung der belangten Behörde für die Entscheidung maßgebend sein sollte, in einem wesentlichen Punkte ergänzungsbedürftig geblieben. Soweit jedoch die Steiermärkische Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte in der von ihr als mitbeteiligter Partei erstatteten Gegenschrift in bezug auf die erörterten Umstände vorbringt, daß der mit 1. November 1955 abgeschlossene Kollektivvertrag eine Begünstigungsklausel enthalte, wonach die bereits vor dem Inkrafttreten des Kollektivvertrages bestehenden Vereinbarungen zwischen Dienstnehmer und Dienstgeber „unvermindert“ aufrecht zu bleiben hätten, falls sie für den Angestellten besser gewesen seien, so hätten diese kollektivvertraglichen Bestimmungen - auf welche die belangte Behörde im übrigen in ihrem Bescheid gar nicht Bezug genommen hat - nur dann eine Stütze- für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bilden können, wenn die Annahme, daß von Anfang an eine Vereinbarung des Beschwerdeführers und seines Neffen dahin gehend, daß dieser stets Anspruch auf ein Entgelt in der jeweiligen Höhe der kollektivvertraglichen Mindestsätze haben sollte, vorgelegen gewesen sei, in einem mängelfreien Verfahren zustande gekommen wäre, was aber den obigen Ausführungen zufolge nicht zutrifft. Dafür aber, daß die in Rede stehende kollektivvertragliche Regelung für die Zeit ab 1. November 1955 etwa besagt haben sollte, daß ab dem genannten Tag die bis dahin tatsächlich gezahlten Gehälter („Ist-Gehälter“) generell um 10 % erhöht wurden, ergeben sich nach der Aktenlage keine hinreichenden Anhaltspunkte. Weiter sei auch hervorgehoben, daß dann, wenn tatsächlich WL ab 1. November 1955 ein Anspruch auf die erhöhten kollektivvertraglichen Mindestsätze zugekommen wäre, im Sinne der von der belangten Behörde herangezogenen einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe insbesondere das Erkenntnis vom 14. März 1962, Sl. Nr. 5747/A) - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Anschauung - gemäß § 68 Abs. 1 zweiter Satz ASVG die zehnjährige Verjährungsfrist - und nicht die zweijährige Verjährungsfrist nach § 68 Abs. 1 erster Satz ASVG Platz zu greifen hätte.

Aufgrund der oben aufgezeigten Erwägungen ergibt sich sohin, daß der angefochtene Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften im Sinne des § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1965 behaftet ist. Er war daher gemäß der zitierten Gesetzesstelle aufzuheben.

Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, daß sich der Verwaltungsgerichtshof im gegenständlichen Fall mit der Frage, ob selbst dann, wenn eine besondere Vereinbarung - wie sie die belangte Behörde als gegeben angenommen hat - zwischen dem Beschwerdeführer und WL bezüglich des Entgeltes des letzteren für die Zeit ab 1. November 1955 nicht bestanden haben sollte, dem genannten Dienstnehmer ungeachtet seiner gegenüber der im Kollektivvertrag vorgesehenen wöchentlichen Normalarbeitszeit verringerten Arbeitszeit während der ganzen in Betracht kommenden Zeiträume Anspruch auf die kollektivvertraglichen Mindestsätze zugestanden sei, nicht auseinanderzusetzen hatte, weil die belangte Behörde auf die angeführte Frage - wenngleich auf diese in der zum Einspruch des Beschwerdeführers erstatteten Stellungnahme der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte Bezug genommen worden war - nicht eingegangen ist. Verwiesen sei jedoch in diesem Zusammenhang auf das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 1963, Zl. 2030/62, dem zu entnehmen ist, daß in dem Fall, als in einem Kollektivvertrag zwar eine Normalarbeitszeit festgelegt ist, die Vereinbarung einer kürzeren als der Normalarbeitszeit der Arbeitszeitregelung in einem derartigen Kollektivvertrag nicht widerspricht.

Dem durch Vorlage eines Kostenverzeichnisses vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf Kostenersatz konnte keine Folge gegeben werden, weil die Voraussetzungen für einen derartigen Anspruch nach den Vorschriften des § 47 Abs. 1 und 4 VwGG 1952 in der ursprünglichen Fassung - nach denen im Sinne des Artikels II Abs. 2 in Verbindung mit Artikel III Abs. 2 der Novelle zum Verwaltungsgerichtshofgesetz 1952, BGBl. Nr. 216/64, trotz des mittlerweiligen Inkrafttretens die er Novelle im gegenständlichen Falle vorzugehen war - nicht gegeben sind.

Wien, am 20. Jänner 1965

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1965:1964001476.X00

Im RIS seit

02.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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