Entscheidungsdatum
01.07.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W170 2208851-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 28.09.2018, Zl. 1184911000-180277961/BMI-BFA_WIEN_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß §§ 28 Abs. 2 VwGVG, 3 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigte für drei Jahre zu.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und -gegenstand:
XXXX (in Folge: Beschwerdeführerin) hat am 20.03.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit (verfahrensgegenständlichem) Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 28.09.2018, Zl. 1184911000-180277961/BMI-BFA_WIEN_AST_01, hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen, dem aber hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten stattgegeben wurde; unter einem wurde der Beschwerdeführerin eine befristete Aufenthaltsberechtigung zuerkannt.
Gegen Spruchpunkt I. (Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten) wurde von der Beschwerdeführerin rechtzeitig das Rechtmittel der Beschwerde eingebracht, diese wurde am 05.11.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichts wurde am 08.06.2021 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an deren Ende im Einvernehmen mit den Parteien die mündliche Verkündung des Erkenntnisses unterblieb; diese hat nun zu erfolgen.
Verfahrensgegenständlich ist die Frage, ob der Beschwerdeführerin (zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt) der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen ist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. XXXX ist eine volljährige syrische Staatsangehörige, deren Identität feststeht und die in Österreich unbescholten ist.
1.2. XXXX stammt aus der Stadt XXXX . Es lässt sich nicht mehr feststellen, ob XXXX Syrien bereits im Jahr 2012 verlassen hat oder diese etwa im Jahr 2012/2013 mit ihrer Familie vor dem anrückenden IS nach XXXX geflüchtet ist, wo sie dann gelebt haben will, bis der IS auch XXXX angegriffen hat.
Es kann daher auch nicht mehr festgestellt werden, ob XXXX Syrien legal oder illegal verlassen hat, jedenfalls ist sie im Besitz eines syrischen Reisepasses, in dem ein syrischer Ausreisestempel vom 17.04.2012 angebracht ist, zu dem sich korrespondierende türkische Einreisestempel finden. Spätere syrische Grenzkontrollstempel finden sich weder hinsichtlich einer Ein- noch einer Ausreise.
1.3. Die Stadt XXXX ist in der Hand der kurdischen Kräfte, also der YPG, in der Stadt XXXX besteht eine kurdische Zivilverwaltung, militärisch ist die Stadt XXXX aber in der Hand der syrischen Armee bzw. in der Hand von deren Verbündeten.
1.4. Das Vorbringen der XXXX , dass diese von kurdischen Kräften in der Stadt XXXX aufgefordert worden sei, mitzukämpfen, ist einerseits nicht glaubhaft und andererseits nicht aktuell, da derzeit kein reales Risiko, wenn auch eine theoretische Möglichkeit besteht, dass die kurdischen Kräfte junge Frauen zwangsrekrutieren. Das syrische Regime selbst führt hinsichtlich von Frauen keine Zwangsrekrutierungen durch.
Weiters ist das Vorbringen, XXXX habe in Syrien an Demonstrationen teilgenommen, nicht glaubhaft; jedenfalls hatte sie nach ihren Ausführungen wegen der Teilnahme an den Demonstrationen keine Schwierigkeiten und sind auch deshalb - selbst bei Wahrunterstellung der Demonstrationsteilnahme - zukünftig keine Schwierigkeiten mit dem syrischen Regime oder YPG zu erwarten.
Allerdings ist das Vorbringen der XXXX , sie habe vier Brüder namens XXXX (im Alter von ca. XXXX Jahren), XXXX (im Alter von ca. XXXX Jahren), XXXX (im Alter von ca. XXXX Jahren) und XXXX (im Alter von XXXX Jahren), die sich alle außerhalb Syriens befinden, glaubwürdig. Ebenso ist glaubwürdig, dass diese Brüder in Syrien bis dato keinen Wehrdienst geleistet haben und nach 2011 aus Syrien ausgereist sind, um keinen Wehrdienst leisten zu müssen.
1.5. Jedenfalls könnte XXXX zum Entscheidungszeitpunkt nur über die Grenzübergänge zum Libanon oder über den Flughafen von Damaskus sicher und legal nach Syrien zurückkehren. Sowohl die Grenzübergänge zum Libanon als auch der Flughafen von Damaskus sind in der Hand des syrischen Regimes.
1.6. Es besteht das reale Risiko, dass man XXXX im Falle ihrer Rückkehr am jeweils frequentierten Grenzübergangsposten als illegal ausgereiste bzw. lange im Ausland aufhältige junge Syrerin einer genaueren Kontrolle unterziehen würde. Dabei würden die syrischen Sicherheitsorgane feststellen, dass sich die Brüder der XXXX dem Militärdienst durch Flucht ins Ausland entzogen haben, nachdem sie diesen Wehrdienst lange Zeit aufgeschoben haben. Diesfalls besteht das reale Risiko, wenn auch nicht die absolute Sicherheit, dass man XXXX verhaften und zumindest einer mit Folter verbundenen mehrtägigen Anhaltung zuführen würde, da man dieser wegen der Wehrdienstverweigerung aller vier Brüder eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellen würde; man würde sie nach den Brüdern fragen und ggf. versuchen, die Brüder durch die Anhaltung der XXXX unter Druck zu setzen, um diese zur Rückkehr zu zwingen.
1.7. XXXX hat keine Asylausschluss- oder -endigungsgründe verwirklicht.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zu 1.1. ergeben sich hinsichtlich der Identität aus den vorgelegten Identitätsdokumenten, hinsichtlich der Unbescholtenheit aus der in das Verfahren eingebrachten Strafregisterauskunft.
2.2. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin aus der Stadt XXXX stammt, ist ihren diesbezüglich glaubhaften, weil gleichbleibenden Angaben geschuldet; dass sie in der Erstbefragung als letzte Adresse „ XXXX “ angegeben hat, steht dem nicht entgegen, weil dies nach ihren Angaben tatsächlich ihr letzter Aufenthalt in Syrien gewesen wäre.
Dass sich nicht mehr feststellen lässt, ob die Beschwerdeführerin Syrien bereits im Jahr 2012 verlassen hat oder diese etwa im Jahr 2012/2013 mit ihrer Familie vor dem anrückenden IS nach XXXX geflüchtet ist, wo sie dann gelebt haben will, bis der IS auch XXXX angegriffen habe, ergibt sich daraus, dass diese nach den Stempeln im Reisepass zu schließen am 17.04.2012 in die Türkei gereist ist (zwar lässt sich nicht klar erkennen, ob der syrische Stempel ein Ein- oder Ausreisestempel ist, aber anhand der korrespondierenden türkischen Stempel steht fest, dass die Beschwerdeführerin am 17.04.2012 legal in die Türkei gereist ist) und in weiterer Folge nicht mehr legal nach Syrien zurückgereist ist. Das lässt sich mit der von der Beschwerdeführerin als Erklärung vorgebrachten Urlaubsreise nicht in Einklang bringen. Auch versuchte die Beschwerdeführerin den Stempel als bei der Ausstellung üblichen Stempel zu erklären um dann - erst über Vorhalt der türkischen Stempel - auf den angeblichen Urlaub zu sprechen zu kommen. Auch die als Zeugin einvernommene Mutter kann sich über Frage des Richters an keinen Urlaub in der Türkei erinnern (Verhandlungsschrift, S. 12: „R: Waren Sie mit Ihrer Tochter jemals auf Urlaub in der Türkei? Z: Nein.“), obwohl sie laut den Angaben der Beschwerdeführerin dabei gewesen sei. Erst über nochmalige Frage der Tochter bestätigt die Zeugin dann - aus Sicht des Gerichts unglaubwürdig - den Urlaub. Dieses Aussageverhalten zeigt auch, dass die Zeugin alles sagen würde, was aus ihrer Sicht der Beschwerdeführerin helfen würde. Auch ist die Familie der Beschwerdeführerin in Syrien gut etabliert gewesen, der Vater war selbständig und die Familie hat es geschafft alle vier Söhne bis zu einem relativ fortgeschrittenen Alter dem Wehrdienst zu entziehen. Der Umstand, dass die Familie gut etabliert war und die Söhne nach Beginn des Krieges damit rechnen mussten, nunmehr doch eingezogen zu werden, spricht auch für eine frühere Ausreise; gegen diese und für die Angaben der Beschwerdeführerin spricht, dass diese (erst) in XXXX maturiert haben will und ein entsprechendes Zeugnis vorlegen kann. Aber einerseits war XXXX zu diesem Zeitpunkt in der Hand der Kurden, also hätte die Beschwerdeführerin gegebenenfalls ohne Einreisestempel zurückreisen und die Matura ablegen können, und andererseits sind syrische Dokumente nicht sicher, da diese laut dem Amtswissen und dem Länderinformationsblatt in großer Menge in die Hand der Rebellen und wohl auch der Kurden gekommen sind und daher deren Ausstellung nicht überprüft werden konnte. Es kann daher auch nicht mehr festgestellt werden, ob die Beschwerdeführerin Syrien legal oder illegal verlassen hat.
Dass sie im Besitz eines syrischen Reisepasses ist, in dem ein syrischer Ausreisestempel vom 17.04.2012 angebracht ist, zu dem sich korrespondierende türkische Einreisestempel finden, ergibt sich ebenso aus der Aktenlage als dass sich in diesem Pass keine späteren syrischen Grenzkontrollstempel, nämlich weder Ein- noch Ausreisereisestempel, finden.
2.3. Die Feststellungen zur Machtverteilung in XXXX und XXXX ergeben sich aus einer Nachschau auf https://syria.liveuamap.com/, der Faktenlage laut dem Länderinformationsblatt sowie den in das Verfahren eingebrachten Artikeln (The Defense Post vom 16.10.2019, Reuters vom 13.10.2019). Diese Schlüsse wurden den Parteien vorgehalten und sie sind diesen nicht entgegengetreten.
2.4. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass diese von kurdischen Kräften in der Stadt XXXX aufgefordert worden sei, mitzukämpfen, ist deshalb nicht glaubhaft, weil sie dies im Administrativverfahren nicht einmal angedeutet hat. Darüber hinaus ist den Länderberichten (siehe LIB, S. 55 samt den dort erwähnten Quellen) zu entnehmen, dass derzeit Frauen freiwilligen Militärdienst in den kurdischen Einheiten leisten können und es zwar Berichte von Zwangsrekrutierungen von Frauen und minderjährigen Mädchen gibt, diese aber in geringer Zahl und eher anekdotenhaft erscheinen, als dass sie ein reales Risiko einer Zwangsrekrutierung begründen können. Viel höher ist das Risiko einzuschätzen, dass Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, diese wieder zu verlassen. Dass das syrische Regime selbst hinsichtlich von Frauen keine Zwangsrekrutierungen durchführt, ergibt sich aus dem Länderinformationsblatt.
Das Vorbringen, die Beschwerdeführerin habe in Syrien an Demonstrationen teilgenommen, ist nicht glaubhaft, weil sie es vor dem Bundesamt nie erwähnt hat; dass sie wegen der Teilnahme an den Demonstrationen keine Schwierigkeiten hatte, ergibt sich aus ihren Ausführungen vor dem Bundesverwaltungsgericht. Daraus ist zu schließen, dass wegen dieser Teilnahmen die Beschwerdeführerin auch zukünftig keine Schwierigkeiten mit dem syrischen Regime oder YPG zu erwarten hat.
Dass die Beschwerdeführerin vier Brüder hat, die sich im Ausland befinden, hat diese (seit der Erstbefragung) durchgehend angegeben; daher kann diesen Angaben - deren Relevanz sie jedenfalls bei der Erstbefragung der Lebenserfahrung nach nicht erkannt hat - die Glaubwürdigkeit nicht abgesprochen werden.
Dass es glaubwürdig ist, dass diese Brüder in Syrien bis dato keinen Wehrdienst geleistet haben und nach 2011 aus Syrien ausgereist sind, um keinen Wehrdienst leisten zu müssen, ergibt sich aus dem Umstand, dass dies von der Beschwerdeführerin nachvollziehbar und lebensnahe behauptet wurde. Zwar wurde sie diesbezüglich vor dem Bundesamt in keiner Art und Weise befragt, aber dies ist ihr nicht vorzuhalten. Im Lichte der Machthaber in XXXX und XXXX erscheint es auch nachvollziehbar, dass die Probleme der Brüder kein Ausreisegrund gewesen sind bzw. - wenn dies der Fall war - die Beschwerdeführerin gemeinsam mit diesen ausgereist ist, aber die Relevanz dieses Umstandes nicht erkannt und daher kein entsprechendes Vorbringen vor dem Bundesamt erstattet hat.
2.5. Dass die Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt nur über die Grenzübergänge zum Libanon oder über den Flughafen von Damaskus sicher und legal nach Syrien zurückkehren kann, ergibt sich aus einer Zusammenschau des Länderinformationsblattes und des (aktuelleren) Berichts von OCHA (Syrian Arab Republic: COVID-19, Humanitarian Update No. 25, vom 05.04.2021), aus dem sich ergibt, dass der Grenzübergang Fishkabour/Semalka nur für humanitäre Güter und Personal geöffnet ist, nicht aber für andere Grenzübertritte. Dem sind die Parteien in der Verhandlung auch nicht entgegengetreten.
Dass sowohl die Grenzübergänge zum Libanon als auch der Flughafen von Damaskus in der Hand des syrischen Regimes sind, ergibt sich aus der Berichtslage, insbesondere aus dem Länderinformationsblatt.
2.6. Die Feststellungen zu 1.6. ergeben sich aus folgenden, auf dem Länderinformationsblatt fußenden Überlegungen:
Der Sicherheitssektor kontrolliert den Rückkehrprozess in Syrien. Die Sicherheitsdienste institutionalisieren ein System der Selbstbeschuldigung und Informationsweitergabe über Dritte, um große Datenbanken mit Informationen über reale und wahrgenommene Bedrohungen aus der syrischen Bevölkerung aufzubauen. Gesetz Nr. 18 von 2014 sieht eine Strafverfolgung für illegale Ausreise in der Form von Bußgeldern oder Haftstrafen vor. Entsprechend einem Rundschreiben wurde die Bestrafung für illegale Ausreise jedoch aufgehoben und Grenzbeamte sind angehalten, Personen, die illegal ausgereist sind, „bei der Einreise gut zu behandeln“.
Eine Person wird für die Sicherheitserklärung nach Familienmitgliedern, die von der Regierung gesucht werden, befragt, wobei nicht nur Mitglieder der Kern- sondern auch der Großfamilie eine Rolle spielen.
Es ist schwierig, Informationen über die Lage von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer, oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern. Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen der Regierung nicht mehr mit Journalisten oder sogar mit Verwandten sprechen, nachdem sie nach Syrien zurückgekehrt sind. Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es, wohl auch aufgrund deren geringen Zahl, keine Angaben. Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle, wie einem Checkpoint, von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Personals am Kontrollpunkt oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite zu gewärtigen haben, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter. Zu als oppositionell oder regierungsfeindlich angesehenen Personen gehören einigen Quellen zufolge unter anderem medizinisches Personal, insbesondere wenn die Person in einem von der Regierung belagerten oppositionellen Gebiet gearbeitet hat, Aktivisten und Journalisten, die sich mit ihrer Arbeit gegen die Regierung engagieren und diese offen kritisieren, oder Informationen oder Fotos von Geschehnissen in Syrien, wie Angriffe der Regierung, verbreitet haben sowie allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben. Einer Quelle zufolge kann es sein, dass die Regierung eine Person, deren Vergehen als nicht so schwerwiegend gesehen wird, nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit festnimmt. Jeder Geheimdienst führt eigene2 Fahndungslisten und es findet keine Abstimmung und Zentralisierung statt. Daher kann es trotz positiver Sicherheitsüberprüfung eines Dienstes vor Einreise jederzeit zur Verhaftung durch einen anderen kommen. Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Checkpoint beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. In einem Ort, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, zu wohnen oder von dort zu stammen kann den Verdacht des Kontrollpersonals wecken.
Es ist nicht immer klar, wen die syrische Regierung als Gegner ansieht, bzw. kann sich dies im Laufe der Zeit auch ändern. Demnach gibt es keine Gewissheit darüber, wer vor einer Verhaftung sicher ist. Viele Flüchtlinge berichteten, dass der Verzicht auf regimefeindliche Aktivitäten keine sichere Rückkehr garantiert. Es wurde regelmäßig von Verhaftungen von und Anklagen gegen Rückkehrer gemäß der Anti-Terror-Gesetzgebung berichtet, wenn diesen Regimegegnerschaft unterstellt wird. Diese Berichte erscheinen laut Deutschem Auswärtigem Amt glaubwürdig, konnten im Einzelfall aber nicht verifiziert werden.
Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegenüber Personen, die nach Syrien zurückgekehrt waren. Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört – inklusive Geflüchteten, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrten, IDPs aus von der Opposition kontrollierten Gebieten, und Personen, die in durch die Regierung wiedereroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung unterschrieben haben. Sie wurden in manchen Fällen gefoltert. Aus der Gruppe der ins Ausland Geflüchteten wurden alleine auf dem Heimweg 19% verhaftet.
Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen. Neben anderen Personengruppen sind regelmäßig auch Deserteure und Wehrdienstverweigerer Ziel der umfassenden Anti-Terror-Gesetzgebung (Dekret Nr. 19/2012) der syrischen Regierung.
Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben. Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie.
2.7. Die Feststellungen zu 1.7. ergeben sich aus dem Umstand, dass solche Gründe nicht im Ansatz zu erkennen sind.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß § 3 AsylG 2005 ist Asylwerbern auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesen im Herkunftsstaat – dies ist im vorliegenden Fall gemäß § 2 Abs. 1 Z 17 AsylG zweifellos Syrien – Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.
3.2. Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; ebenso droht entsprechende Verfolgung einer Person, die staatenlos ist und sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes ihres gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Es ist auszuführen, dass § 3 Abs. 1 AsylG 2005 auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK verweist. Danach ist entscheidend, ob glaubhaft ist, dass den Fremden in ihrem Herkunftsstaat Verfolgung droht. Dies ist dann der Fall, wenn sich eine mit Vernunft begabte Person in der konkreten Situation der Asylwerber unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat fürchten würde (VwGH 24.06.2010, 2007/01/1199). Weiters setzt die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung nicht voraus, dass der Asylwerber vor seiner Ausreise eine individuell gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung bereits erlitten haben müsste oder ihm zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre; eine derartige Befürchtung ist auch dann gerechtfertigt, wenn die Verhältnisse im Heimatland des Asylwerbers dergestalt sind, dass die Angst vor der vorgebrachten, drohenden Verfolgung objektiv nachvollziehbar ist (siehe VwGH 25.01.1996, 95/19/0008, wenn auch zum Asylgesetz 1991, BGBl. Nr. 8/1992 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 76/1997, jedoch unter Bezugnahme auf den Flüchtlingsbegriff der GFK).
Die beschwerdeführende Partei würde im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Einreise über einen vom Regime kontrollierten Grenzübergang wegen ihrer rechtswidrigen Ausreise bzw. ihrem langjährigen Auslandsaufenthalt genauer überprüft werden. Dabei würde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass sich all deren Brüder dem Militärdienst entzogen haben. Diesfalls besteht das reale Risiko, wenn auch nicht die absolute Sicherheit, dass man die Beschwerdeführerin verhaften und zumindest einer mit Folter verbundenen mehrtägigen Anhaltung zuführen würde, da man dieser wegen der Wehrdienstverweigerung aller vier Brüder eine oppositionelle politische Gesinnung unterstellen würde; man würde sie nach den Brüdern fragen und ggf. versuchen, die Brüder durch die Anhaltung der Beschwerdeführerin unter Druck zu setzen, um diese zur Rückkehr zu zwingen.
Daher droht der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr nach Syrien Verfolgung wegen einer unterstellten politischen Gesinnung und als Mitglied einer sozialen Gruppe, nämlich ihrer Familie.
Daher liegt eine der beschwerdeführenden Partei objektiv drohende asylrelevante Verfolgung vor.
3. Die rechtskräftige Gewährung von subsidiärem Schutz durch das Bundesamt steht mangels einer diesbezüglichen relevanten Änderung der Rechts- oder Tatsachenlage einer Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/18/0054). Dazu würde sich das Problem vor allem bei der Einreise, die sicher und legal nur über einen vom Regime kontrollierten Grenzübergang möglich ist, stellen, sodass diesfalls der innerstaatlichen Fluchtalternative keine Relevanz zukommt.
4. Da darüber hinaus keine von der beschwerdeführenden Partei verwirklichte Asylausschluss- oder -endigungsgründe festzustellen waren, ist der Beschwerde stattzugeben, der beschwerdeführenden Partei der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und auszusprechen, dass dieser somit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt; anders wäre die Sache zu beurteilen, wenn der Beschwerdeführerin eine Rückkehr in ihr Herkunftsgebiet XXXX über einen von den Kurden kontrollierten Grenzübergang möglich wäre. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG kommt der beschwerdeführenden Partei damit eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigte zu.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die relevante Rechtsprechung unter A) dargestellt und diese der Entscheidung zu Grunde gelegt; daher kann es keine offene Rechtsfrage erkennen.
Schlagworte
Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Bürgerkrieg Familienangehöriger Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung politische Gesinnung Sippenhaftung soziale Gruppe unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung Wehrdienstverweigerung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W170.2208851.1.00Im RIS seit
27.10.2021Zuletzt aktualisiert am
27.10.2021