TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/6 I403 2242550-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.07.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

06.07.2021

Norm

BFA-VG §18 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §67 Abs4
FPG §70 Abs3
StGB §127
StGB §130 ersterFall
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I403 2242550-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Rumänien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.04.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.06.2021 und am 06.07.2021 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein rumänischer Staatsangehöriger, befindet sich seit Oktober 2019 im Bundesgebiet. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 01.03.2021 zu Zl. XXXX wurde er wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 Abs 1 erster Fall StGB zu einer (für eine Probezeit von 3 Jahren) bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

Mit „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ vom 25.03.2021 wurde der Beschwerdeführer über die Absicht der belangten Behörde, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu verhängen, informiert und ihm die Möglichkeit gegeben, eine Stellungnahme zu seinem Privat- und Familienleben abzugeben. Einer im Akt einliegenden (undatierten) Eingabe ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer gesund sei, in Österreich kein Familienleben führe, dass er aktuell beschäftigt und zugleich beim AMS gemeldet sei, dass er über einen umfassenden Versicherungsschutz verfüge und nach Österreich auf der Suche nach einem besseren Leben gekommen sei.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 16.04.2021 wurde gemäß § 67 Absatz 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Absatz 3 Fremdenpolizeigesetz wurde ihm kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Absatz 3 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Es wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer strafrechtlich verurteilt worden sei und eine Gefährdung von ihm ausgehe.

Mit Schriftsatz vom 12.05.2021 wurde gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben und beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot zur Gänze beheben, in eventu die Angelegenheit an das BFA zurückverweisen, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbotes reduzieren und der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen. Die belangte Behörde habe den Sachverhalt unzureichend ermittelt, tatsächlich halte sich der Beschwerdeführer bereits seit 2019 im Bundesgebiet auf und gehe er nunmehr seit dem 19.04.2021 wieder einer Vollbeschäftigung nach. Zudem würden sich seine Lebensgefährtin, das gemeinsame, 2018 geborene Kind und die zwei Kinder seiner Lebensgefährtin beim Beschwerdeführer aufhalten. Der Beschwerdeführer bereue seine Tat und habe sich sonst nichts zu schulden kommen lassen. Es gehe keine Gefahr von ihm aus.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 19.05.2021 vorgelegt. In der Verhandlung am 14.06.2021 erklärte der Beschwerdeführer nach entsprechender Belehrung durch die erkennende Richterin, dass er den Beistand eines Rechtsvertreters wünsche. Die Verhandlung wurde daher auf den 06.07.2021 vertagt und der Beschwerdeführer im Beisein seiner nunmehrigen Rechtsvertretung einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Rumäniens und somit EU-Bürger. Seine Identität steht fest. Der Beschwerdeführer verließ Rumänien, weil er über keine Ausbildung verfügt und sich in Österreich bessere Arbeitsmöglichkeiten versprach. 2018 hielt er sich bereits für einige Monate in Großbritannien auf, um dort zu arbeiten.

Der Beschwerdeführer ist seit 13.03.2020 durchgehend in Österreich gemeldet, er hält sich aber bereits seit Oktober 2019 im Bundesgebiet auf. Am 30.10.2019, vom 04.11.2019 bis 16.12.2019 und vom 28.01.2020 bis 29.02.2020 war er in XXXX bei einem Gastronomiebetrieb beschäftigt. Am 15.09.2020 war er für einen Tag bei einem Bauunternehmen in XXXX beschäftigt. Daneben war er immer wieder für einige Wochen bei einem Bauunternehmen in XXXX gemeldet, konkret vom 06.04.2020 bis 03.07.2020, vom 05.08.2002 bis 11.09.2020, vom 09.10.2020 bis 04.12.2020 und ab 10.02.2021 bis 17.04.2021 zunächst geringfügig, seit dem 19.04.2021 wieder über der Geringfügigkeitsgrenze. Von 28.12.2020 bis 18.04.2021 bezog er Arbeitslosengeld. Am 10.06.2020 wurde dem Beschwerdeführer eine Anmeldebescheinigung ausgestellt. Seit dem 19.04.2021 besteht durchgehend ein Arbeitsverhältnis.

Der Beschwerdeführer führt eine Beziehung mit XXXX , ebenfalls eine rumänische Staatsbürgerin. Die Beziehung bestand bereits 2017, als der Beschwerdeführer noch minderjährig war. Nach der Trennung kam am XXXX 2018 XXXX zur Welt, nach den Angaben des Beschwerdeführers seine Tochter. Der Beschwerdeführer unterstützte in der Folge XXXX und gegen Ende 2020 beschlossen beide, wieder eine Beziehung zu beginnen. XXXX zog nach Österreich, wo sie seit 03.12.2020 gemeldet ist. Es besteht ein gemeinsamer Wohnsitz mit dem Beschwerdeführer, XXXX und den beiden Kindern von XXXX aus einer früheren Beziehung (beide im Jahr 2014 geboren). Der Beschwerdeführer erhält die Familie, XXXX geht keiner Beschäftigung nach, weder sie noch die drei Kinder sind krankenversichert. Die beiden älteren Kinder besuchen eine Schule, für XXXX wird ein Kindergartenplatz im Herbst gesucht. Gegen XXXX wurde von der belangten Behörde bereits am 20.12.2020 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet, allerdings wurden noch keine Verfahrensschritte gesetzt.

Am 01.08.2020 wurde der Beschwerdeführer bei einem versuchten Diebstahl eines T-Shirts betreten; das entsprechende Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Am 26.11.2020 wurde er einer Fahrzeugkontrolle unterzogen und dabei festgestellt, dass er über keinen Führerschein verfügt.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 01.03.2021 zu Zl. XXXX wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 Abs 1 erster Fall StGB zu einer (für eine Probezeit von 3 Jahren) bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Er hatte am 12.09.2020 in Vösendorf im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilten F. G. und einer weiteren, noch auszuforschenden weiblichen Person als Mittäter (§12 StGB) fremde bewegliche Sachen, nämlich insgesamt 25 Bekleidungsartikel im Wert von insgesamt € 3.084,75, Verfügungsberechtigten der Firma XXXX mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er mit den Kleidungsartikeln in eine Umkleidekabine ging, dort die Diebstahlsicherungen mit einer Zange entfernte und der Mittäter G. sämtliche 25 Artikel in zwei Taschen verbarg, der dann unter Beobachtung des Ladendetektivs das Geschäft verließ , wobei er den Diebstahl unter Einsatzes eines besonderen Mittels, sohin gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 1 StGB), zu begehen suchte. Mildernd wurden bei der Strafbemessung das Tatsachengeständnis, der bisher ordentliche Lebenswandel, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und das Alter unter 21 Jahren gewertet, erschwerend dagegen nichts.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum) und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf dem unbestritten gebliebenen Akteninhalt der belangten Behörde und den Angaben im ZMR, wo sein rumänischer Personalausweis vermerkt ist. Seine Beschäftigungsverhältnisse ergeben sich aus einem Versicherungsdatenauszug und den in der Verhandlung vorgelegten Empfehlungsschreiben bzw. Dienstvertrag, die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung aus einem Auszug des Informationsverbundes Fremdenregister (IZR).

Der Beschwerde beigelegt waren die rumänischen Geburtsurkunden von XXXX , welche seinen Angaben nach seine Lebensgefährtin ist, sowie von deren drei Kindern. Bei keinem der Kinder ist ein Vater eingetragen, der Beschwerdeführer behauptet in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung die Vaterschaft zu XXXX . Dass gegen XXXX von der belangten Behörde ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet wurde, ergibt sich aus einem Auszug des Informationsverbundes Fremdenregister (IZR); dass noch keine Verfahrensschritte gesetzt wurden, ergibt sich aus einer Rückfrage bei der belangten Behörde. Der gemeinsame Wohnsitz ergibt sich aus einem Auszug des Zentralen Melderegisters.

Die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich und dem im Akt einliegenden Urteil des LG XXXX vom 01.03.2021. Die Einstellung des Verfahrens wegen des versuchten Diebstahls eines T-Shirts ergibt sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft XXXX vom 03.03.2021 zu Zl. XXXX . Dass er ohne Führerschein ein Auto in Betrieb nahm, ergibt sich aus einer Meldung der LPD XXXX vom 26.11.2020 zu Zl. XXXX .

Sowohl für die Verhandlung am 14.06.2021 wie auch für jene am 06.07.2021 wurde XXXX als Zeugin geladen; sie erschien zu beiden Terminen nicht, laut Auskunft des Beschwerdeführers aufgrund fehlender Kinderbetreuung. Er gab an, auf eine Einvernahme seiner Lebensgefährtin verzichten zu wollen. Aufgrund des Umstandes, dass sich der relevante Sachverhalt (Straftat, aktuelle Beschäftigung) aus der Aktenlage ergibt, konnte aus Sicht der erkennenden Richterin auf die Einvernahme von XXXX verzichtet werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.1. Rechtslage:

Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet:

„(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.       auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.       der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I. Nr. 87/2012).“

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu vorzunehmen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091, mwN).

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den vorliegenden Fall:

Mangels eines fünf- bzw. zehnjährigen kontinuierlichen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet ist weder der Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab noch jener des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG im vorliegenden Beschwerdefall maßgeblich.

Ein Aufenthaltsverbot kann nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG gegen einen Unionsbürger, der sich unter potentieller Inanspruchnahme seines unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechtes in Österreich aufhält oder aufgehalten hat (vgl. dazu VwGH 19.9.2019, Ro 2019/21/0011, Rn. 9), erlassen werden, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Die belangte Behörde stützte das gegenständlich angefochtene Aufenthaltsverbot im Wesentlichen auf das strafrechtswidrige Fehlverhalten des Beschwerdeführers, welches seiner rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde lag. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 01.03.2021 zu Zl. XXXX wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 Abs 1 erster Fall StGB zu einer (für eine Probezeit von 3 Jahren) bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Er hatte am 12.09.2020 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem zwischenzeitlich rechtskräftig verurteilten F. G. und einer unbekannten weiblichen Person als Mittäter fremde bewegliche Sachen, nämlich insgesamt 25 Bekleidungsartikel im Wert von insgesamt € 3.084,75, Verfügungsberechtigten der Firma XXXX mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er mit den Kleidungsartikeln in eine Umkleidekabine ging, dort die Diebstahlsicherungen mit einer Zange entfernte und der Mittäter G. sämtliche 25 Artikel in zwei Taschen verbarg, der dann unter Beobachtung des Ladendetektivs das Geschäft verließ, wobei er den Diebstahl unter Einsatzes eines besonderen Mittels, sohin gewerbsmäßig, zu begehen suchte.

Das Bundesverwaltungsgericht ist sich im Klaren, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers den Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG („Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.“) erfüllt und dass daher eine Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten die Annahme rechtfertigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Allerdings wurde das in § 53 Abs. 3 Z 1 FPG genannte Mindestmaß nicht stark überschritten (vgl. etwa VwGH, 16.07.2020, Ra 2020/21/0091 in Bezug auf eine Verurteilung zu einer siebenmonatigen bedingten Freiheitsstrafe).

Vor dem Hintergrund, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes überdies strafgerichtliche Milderungs- und Erschwerungsgründe im Rahmen einer Entscheidung bezüglich der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/21/0305), ist auch ins Kalkül zu ziehen, dass das Strafgericht in der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers sein Geständnis, den bisher ordentlichen Lebenswandel, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist und das Alter unter 21 Jahren als mildernd gewertet hatte, während keinerlei Erschwerungsgründe hervorkamen und überdies befunden wurde, dass mit einer zur Gänze bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten das Auslangen gefunden werden könne.

Anders als zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides ist der Beschwerdeführer inzwischen auch in Vollzeit beschäftigt. Auch befinden sich seine Lebensgefährtin, seine Tochter und deren beide Kinder aus einer früheren Beziehung im Bundesgebiet. Diese Aspekte tragen zur Stabilisierung der finanziellen und persönlichen Situation des Beschwerdeführers bei, der in der Verhandlung den Eindruck erweckte, sich der Folgen eines weiteren Verstoßes gegen das Strafgesetzbuch in offener Probezeit vollkommen bewusst zu sein. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass der Umstand, dass der Beschwerdeführer bereits im August 2020 auf frischer Tat ertappt wurde, als er ein Kleidungsstück stehlen wollte, ihn nicht davon abhielt, erneut straffällig zu werden. Nachdem aufgrund seines erneuten Diebstahlversuchs im September 2020 das Strafverfahren aber nicht eingestellt wurde, sondern zu der genannten Verurteilung führte, scheint dies zu einem Bewusstseinswandel beim Beschwerdeführer geführt zu haben.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände vermag der Beschwerdeführer aufgrund seines persönlichen Verhaltens den Gefährdungsmaßstab einer "tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr " im Sinne des § 67 Abs. 1 FPG (gerade noch) nicht zu erfüllen und ändert daran auch die gegen ihn verhängte, seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in die gegenständliche Entscheidung miteinbezogene Verwaltungsübertretung, wobei es sich um das Lenken eines PKW ohne Lenkberechtigung handelte, nichts.

Das mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides verhängte Aufenthaltsverbot erfolgte somit nicht zu Recht, was zugleich auch die Gegenstandslosigkeit des Ausspruchs hinsichtlich der Nichtgewährung eines Durchsetzungsaufschubes (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) bedingt.

In Stattgabe der Beschwerde war der angefochtene Bescheid daher ersatzlos aufzuheben.

Sollte der Beschwerdeführer in Zukunft noch einmal straffällig werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Angemessenheit Aufenthalt im Bundesgebiet Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben aufschiebende Wirkung Behebung der Entscheidung Diebstahl Eigentumsdelikt Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose Gewerbsmäßigkeit Interessenabwägung Kassation mündliche Verhandlung öffentliche Interessen öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Privat- und Familienleben private Interessen Vergehen Verhältnismäßigkeit Vermögensdelikt Wiederholungsgefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I403.2242550.1.00

Im RIS seit

25.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

25.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten