TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/2 W232 2238221-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2021
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Entscheidungsdatum

02.07.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66 Abs1
FPG §70 Abs3
NAG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W232 2238221-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Serbien, vertreten durch RA Mag. Volkan KAYA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.11.2020, Zl. 1111547501-200359303, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Am 25.01.2016 heiratete die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsangehörige, in Serbien einen ungarischen Staatsbürger. In weiterer Folge stellte sie bei der MA 35 einen Antrag auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsecht, zwecks „Angehöriger eines EWR-Bürgers“, welchem stattgegeben und ihr eine Aufenthaltskarte mit Gültigkeit vom 19.04.2016 bis 19.04.2021 erteilt wurde.

2. Die Ehe mit dem EWR-Bürger wurde am 03.10.2018 rechtskräftig geschieden.

3. Am 09.06.2020 wurde der Beschwerdeführerin die Absicht der Behörde mitgeteilt, gegen sie eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu erlassen und wurde ihr Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen dazu Stellung zu nehmen.

4. Mit Schreiben vom 23.06.2020 übermittelte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme. Vorgebracht wird, dass die Beschwerdeführerin am 11.04.2016 zu ihrem damaligen Ehemann nach Österreich gereist sei. Sie sei geschieden und gesund. Weiters wird unter anderem darauf verwiesen, dass die Beschwerdeführerin als Fußpflegerin beschäftigt sei und über Ersparnisse in der Höhe von 15.000 Euro verfüge. Sie sei in Österreich integriert und verfüge über sehr gute Deutschkenntnisse. Zu beachten sei, dass zur Erfüllung der dreijährigen Frist nach § 54 Abs. 5 Z 1 NAG lediglich knapp drei Monate gefehlt hätten. Die Behörde habe nicht nach den Umständen für die Auflösung der Ehe gefragt, zumal diese nach § 54 Abs. 5 Z 4 NAG relevant seien. Scheidungsgrund sei gewesen, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin offenbar bisexuelle Vorlieben gehabt habe, von welchen sie keine Kenntnis gehabt habe. Der Ehemann habe die Beschwerdeführerin mit einem anderen Mann betrogen. Für die Beschwerdeführerin sei dieser massive Betrug schmerzhaft und nicht tragbar gewesen, weshalb es ihr nicht mehr zumutbar gewesen sei, an der Ehe festzuhalten.

5. Mit dem oben angeführten Bescheid vom 20.11.2020 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 1 FPG 2005 iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs. 3 FPG 2005 ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte im Wesentlichen fest, dass die Beschwerdeführerin nicht mehr die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht erfülle, da ihre Ehe mit einem ungarischen Staatsbürger unter drei Jahren bestanden habe und deshalb seien auch die Erteilungsvoraussetzungen jedenfalls weggefallen. Es sei keine tiefer greifende Integration in Österreich erkennbar.

6. Mit Schriftsatz vom 22.12.2020 wurde gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben und ein Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Vorgebracht wird im Wesentlichen, dass der Beschwerdeführerin ein Festhalten an der Ehe nicht möglich und zumutbar gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe ihren früheren Ehemann „in flagranti“ bei der Begehung eines Ehebruches erwischt, dies mit einem anderen Mann und sei ihr aufgefallen, dass er nicht verhütet habe. Der Betrug auf der einen Seite, die Bisexualität samt den damit zumeist verbundenen Krankheiten auf der anderen Seite seien für die Beschwerdeführerin sehr schmerzhaft gewesen und habe sie unter anderem aus diesen Gründen die Scheidungsklage eingebracht. Der Ex-Ehemann sei außerdem hin und wieder gewalttätig gewesen. Da die Ehe einvernehmlich geschieden worden sei, sei dies nicht im Scheidungsprotokoll festgehalten worden. Die Beschwerdeführerin habe in Österreich ein Privatleben entfaltet, sie spreche Deutsch auf B1 Niveau, gehe einer Vollzeitbeschäftigung nach und habe einen sehr großen Freundeskreis aufgebaut. Ihre Eltern würden zwar in Serbien leben, aber der Kontakt über skype reichte ihr völlig aus.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist eine serbische Staatsangehörige. Ihre Identität steht fest.

Am 25.01.2016 heiratete die Beschwerdeführerin einen ungarischen Staatsbürger und stellte sie in Folge bei der nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständigen Behörde einen Antrag auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. Ihr wurde als „Angehöriger eines EWR-Bürgers“ eine Aufenthaltskarte mit Gültigkeit vom 19.04.2016 bis 19.04.2021 erteilt.

Die Ehe, die kinderlos blieb, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts in Novi Sad vom 03.10.2018 rechtskräftig geschieden und setzte die Beschwerdeführerin am 29.11.2018 die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständige Behörde davon in Kenntnis. Mit Schreiben vom 08.06.2020 setzte diese das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 55 Abs. 3 NAG in Kenntnis.

Die Beschwerdeführerin ist gesund, arbeitsfähig und strafrechtlich unbescholten. Sie ist seit 11.05.2016 fast durchgehend erwerbstätig in Österreich und kommt für ihren Lebensunterhalt auf. Seit 02.05.2020 arbeitet sie als Fußpflegerin, ist selbsterhaltungsfähig, sozialversichert und verfügt über Ersparnisse. Die Beschwerdeführerin spricht Deutsch auf B1 Niveau (Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz und zu Werte- und Orientierungswissen am 24.05.2019 bestanden). In Österreich verfügt sie über keine Familienangehörigen, ihre Eltern leben in Serbien und besteht regelmäßiger Kontakt zu diesen.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich unzweifelhaft aus dem vorliegenden Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)

Die Beschwerdeführerin ist als Staatsangehörige von Serbien Fremde iSd § 2 Abs. 4 Z 1 FPG 2005 und Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG 2005.

Als Ehegattin eines EWR-Bürgers, der sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat, kam der Beschwerdeführerin die Stellung als "begünstigte Drittstaatsangehörige" iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG 2005 zu.

Ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, bleibt selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts (im gegenständlichen Fall: Ehescheidung) bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG 2005 rechtmäßig aufhältig und ist in einer solchen Konstellation zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 4. Abschnitt des 8. Hauptstückes des FPG, somit eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, vorliegen, ohne dass es mehr auf das Vorliegen einer Eigenschaft des Fremden als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG 2005 ankommt (vgl. dazu VwGH 23.01.2020, Ro 2019/21/0018; VwGH 18.6.2013, 2012/18/0005).

Der mit „Ausweisung“ betitelte § 66 FPG 2005 lautet:

,,(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(4) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"

Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechtes für mehr als drei Monate“ betitelte § 55 NAG lautet:

„(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."

Der mit „Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers“ betitelte § 54 NAG lautet:

„(1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;

2. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.

(3) Das Aufenthaltsrecht der Angehörigen gemäß Abs. 1 bleibt trotz Tod des EWR-Bürgers erhalten, wenn sie sich vor dem Tod des EWR-Bürgers mindestens ein Jahr als seine Angehörigen im Bundesgebiet aufgehalten haben und nachweisen, dass sie die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 bis 2 erfüllen.

(4) Das Aufenthaltsrecht von minderjährigen Kindern eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt auch nach dem Tod oder nicht bloß vorübergehenden Wegzug des EWR-Bürgers bis zum Abschluss der Schulausbildung an einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule erhalten. Dies gilt auch für den Elternteil, der Drittstaatsangehöriger ist, sofern dieser die Obsorge für die minderjährigen Kinder tatsächlich wahrnimmt.

(5) Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 erfüllen und

1. die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet;

2. die eingetragene Partnerschaft bis zur Einleitung des gerichtlichen Auflösungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet;

3. ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder des EWR-Bürgers übertragen wird;

4. es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann, oder

5. ihnen das Recht auf persönlichen Umgang mit dem minderjährigen Kind zugesprochen wird, sofern das Pflegschaftsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass der Umgang - solange er für nötig erachtet wird - ausschließlich im Bundesgebiet erfolgen darf.

(6) Der Angehörige hat diese Umstände, wie insbesondere den Tod oder Wegzug des zusammenführenden EWR-Bürgers, die Scheidung der Ehe oder die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben.

(7) Liegt eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30), eine Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) oder eine Vortäuschung eines Abstammungsverhältnisses oder einer familiären Beziehung zu einem unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger vor, ist ein Antrag gemäß Abs. 1 zurückzuweisen und die Zurückweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt."

Mangels Bestehens der Ehe für mindestens drei Jahre bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungsverfahrens blieb das Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin bei der Scheidung nicht gemäß § 54 Abs. 5 Z 1 oder 3 NAG erhalten. Die Beschwerde macht geltend, im gegenständlichen Fall lägen die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 54 Abs. 5 Z 4 NAG vor. Danach bleibt das Aufenthaltsrecht bei Scheidung der Ehe erhalten, wenn dies zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere, weil dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe nicht zugemutet werden kann.

Ein derartiger „Härtefall“ ist aber nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 6.10.2020, Ra 2020/21/0384 bis 0386, Rn. 7, sowie zuletzt VwGH 18.2.2021, Ra 2020/21/0495 und 0496, Rn. 10) aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zum alleinigen Verschulden ihres ungarischen Ex-Ehemannes an der Zerrüttung der Ehe nicht abzuleiten. Die Beschwerdeführerin hat keine Scheidungsklage erhoben, aus der eine Scheidung (aus alleinigem Verschulden des Gatten) ersichtlich wäre, um so allenfalls – bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - einen Härtefall geltend zu machen. Sie selbst bringt vor, dass es sich um eine einvernehmliche Scheidung gehandelt habe. Ein besonderer Härtefall iSd § 54 Abs. 5 Z 4 NAG wird mit dem bloßen Hinweis auf ein - sei es auch ausschließliches - Verschulden des anderen Ehepartners an der Scheidung nämlich nicht dargelegt (vgl. VwGH 15.3.2018, Ro 2018/21/0002). Trotz der Behauptung der Beschwerdeführerin, ein Festhalten an der Ehe könne ihr wegen des „Fremdgehens“ und der Bisexualität ihres Ex-Ehemanns nicht zugemutet werden, liegt kein Härtefall iSd § 54 Abs. 5 Z 4 NAG vor. Mit dieser Bestimmung wurde Art. 13 Abs. 2 lit. c der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG, siehe § 2 Abs. 4 Z 18 FPG) im nationalen Recht umgesetzt, wonach die Ehescheidung dann nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts führt, wenn es aufgrund besonders schwieriger Umstände erforderlich ist, wie etwa bei Opfern von Gewalt im häuslichen Bereich während der Ehe. Vor dem Hintergrund dieses Beispielfalls stellt der vorliegende Scheidungsgrund keine "besonders schwierigen Umstände" dar, aufgrund derer die Aufrechterhaltung des bisherigen Aufenthaltsrechts des anderen Eheteils "erforderlich" wäre (VwGH 15.03.2018, Ro 2018/21/0002).

Dass die Beschwerdeführerin Opfer häuslicher Gewalt während der Ehe wurde oder vergleichbare andere "besonders schwierige Umstände" vorliegen, wurde nicht glaubhaft vorgebracht. So erwähnte die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom 23.06.2020 derartiges in keinster Weise, wobei dezidiert auf das Vorliegen eines Härtefalls verwiesen wurde mit der Begründung, dass es der Beschwerdeführerin aufgrund des Ehebetruges nicht mehr zumutbar gewesen sei, an der Ehe festzuhalten.

Mangels Erfüllung eines der Tatbestände des § 54 Abs. 5 NAG ist das abgeleitete, unionsrechtliche Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin als Angehörige eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers mit seit 03.10.2018 rechtskräftiger Scheidung von diesem erloschen.

Im Ergebnis kommt daher der Beschwerdeführerin ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht als begünstigte Drittstaatsangehörige im Bundesgebiet nicht mehr zu und hat die Beschwerdeführerin mangels fünf Jahre dauerndem, rechtmäßigem Aufenthalt als Angehörige eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger, nicht das unionsrechtliche Daueraufenthaltsrecht gemäß § 54a NAG erworben, weshalb das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den Ausweisungstatbestand des § 66 Abs. 1 FPG 2005 herangezogen hat.

Gemäß § 9 BFA-VG ist unter anderem eine Ausweisung gemäß § 66 FPG 2005, die in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingreift, zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet auszugsweise:

,,(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

[…]“

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Die Beschwerdeführerin verfügt über keine Familienangehörigen in Österreich, weshalb ein Eingriff in ihr Familienleben auszuschließen ist.

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 25.04.2018, Ra 2018/18/0187; vgl. auch VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwN).

Die Beschwerdeführerin ist nun seit etwas mehr als fünf Jahren in Österreich aufhältig. Im gegenständlichen Fall ist zwar zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerin lediglich bis zu ihrer Scheidung über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht als Angehörige eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers in Österreich verfügte. Nichtsdestotrotz war ihr darüberhinausgehender Aufenthalt gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG 2005 rechtmäßig. Die Beschwerdeführerin kam auch ihrer Verpflichtung gemäß § 54 Abs. 6 NAG, wonach Umstände, wie etwa die Scheidung, der Behörde unverzüglich bekannt zu geben sind, nach, jedoch unterließ die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständige Behörde eine unverzügliche Befassung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und erstattete erst mehr als eineinhalb Jahre später die entsprechende Mitteilung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Der Beschwerdeführerin kann sohin nicht vorgeworfen werden, dass sie das Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verzögert hätte. Im Gegenteil, sie hielt sich weiterhin rechtmäßig in Österreich auf und nutzte die Zeit, ihr Privatleben in Österreich zu entfalten. Zu Recht rügt die Beschwerde die Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, wonach dieses annimmt, dass sich die Beschwerdeführerin (auch) in Serbien aufgehalten hätte. Aus dem vorgelegten Versicherungsdatenauszug geht eine nahezu durchgehende Beschäftigung in österreichischen Unternehmen hervor. Zu Gunsten der Beschwerdeführerin ist zu werten, dass sie sich gute Deutschkenntnisse angeeignet hat und von Beginn an bestrebt war, selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Sie ging mehr oder weniger über den gesamten Zeitraum ihres Aufenthaltes in Österreich einer Erwerbstätigkeit nach, ist sozialversichert und verfügt über Ersparnisse. Die Beschwerdeführerin bezog für einen lediglich kurzen Zeitraum Arbeitslosengeld (Corona bedingt). Seit 02.05.2020 ist sie wieder berufstätig und kann ihren Unterhalt durch Einkünfte aus ihrer Erwerbstätigkeit sichern. Sie nutzte auch Fortbildungsmöglichkeiten und bestand einen Grundkurs für Diabetische Fußpflege.

Die Beschwerdeführerin hat zwar noch Bindungen zu ihrem Heimatstaat, wo sie auch den Großteil ihres bisherigen Lebens verbrachte und familiäre Bindungen hat, allerdings hat die Beschwerdeführerin ihre Aufenthaltsdauer zur ausgeprägten sozialen und beruflichen Integration genutzt.

Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG ist daher davon auszugehen, dass gegenständlich die privaten Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet jene an ihrer Ausweisung überwiegen. Deren Ausspruch bedeutet daher eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin nach Art. 8 EMRK und erfolgte die Ausweisung daher nicht zu Recht. Dies bedingt auch die Gegenstandslosigkeit des der Beschwerdeführerin gewährten Durchsetzungsaufschubs.

Im Ergebnis war der Beschwerde sohin stattzugeben und der angefochtene Bescheid zu beheben.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Da aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit Beschwerde angefochtenen Bescheid aufzuheben war, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Aufenthaltsrecht Ausweisung Ausweisung aufgehoben Behebung der Entscheidung Deutschkenntnisse Durchsetzungsaufschub Integration Interessenabwägung Privatleben Selbsterhaltungsfähigkeit Unionsrecht Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W232.2238221.1.00

Im RIS seit

08.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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