TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/11 W242 1439314-2

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Veröffentlicht am 11.05.2021
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Entscheidungsdatum

11.05.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W242 1439312-2/11E

W242 1439313-2/12E

W242 1439315-2/8E

W242 1439314-2/8E

W242 2007729-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HEUMAYR als Einzelrichter über die Beschwerden des 1.) XXXX , geb. XXXX , der 2.) XXXX , geb. XXXX , des 3.) XXXX , geb. XXXX , des 4.) XXXX , geb. XXXX , und des 5.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , alle StA. Armenien, der minderjährige Viertbeschwerdeführer und der minderjährige Fünftbeschwerdeführer vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin, alle vertreten durch Dr. XXXX , Rechtsanwalt in XXXX , gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 2017, 1.) Zl. XXXX , 2.) Zl. XXXX , 3.) Zl. XXXX , 4.) Zl. XXXX , und 5.) Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.03.2021, zu Recht:

A)       I.       Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide sowie die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 werden als unbegründet abgewiesen.
II.         Im Übrigen wird den Beschwerden stattgegeben, die Bescheide hinsichtlich der Rückkehrentscheidungen, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie der Spruchpunkte III. der angefochtenen Bescheide aufgehoben, eine Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführer für auf Dauer unzulässig erklärt und XXXX , XXXX und XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ sowie XXXX und XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2), beide armenische Staatsangehörige, sind verheiratet und die Eltern des Drittbeschwerdeführers (im Folgenden: BF3) sowie des minderjährigen Viertbeschwerdeführers (im Folgenden: BF4) und des minderjährigen Fünftbeschwerdeführers (im Folgenden: BF5).

Die BF2 reiste gemeinsam mit dem minderjährigen BF4 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte für sich und den BF4 am 06.07.2013 Anträge auf internationalen Schutz.

Am 21.08.2013 reiste auch der BF1 gemeinsam mit dem zum damaligen Zeitpunkt minderjährigen BF3 nach Österreich und stellten sie am selben Tag Anträge auf internationalen Schutz.

Hierzu wurden der BF1 und die BF2 erstbefragt und vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheiden vom 25.11.2013 die Anträge des BF1, der BF2, des BF3 und des BF4 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 wies das Bundesasylamt die Familie aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat Armenien aus (Spruchpunkt III.).

Für den am XXXX in Österreich geborenen BF5 wurde vom BF1 als gesetzlichen Vertreter ein schriftlicher Antrag auf internationalen Schutz eingebracht, welcher am 07.03.2014 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.03.2014 wurden die Beschwerden des BF1, der BF2, des BF3 und des BF4 gemäß § 3 AsylG abgewiesen. Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG wurde den Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. und III. der erstinstanzlichen Entscheidungen stattgegeben, die bekämpften Bescheide diesbezüglich behoben und zur neuerlichen Feststellung des Sachverhaltes und Erlassung eines neuen Bescheides hinsichtlich §§ 8 Abs. 1, 10 AsylG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Mit Bescheid vom 22.04.2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des BF5 auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab und erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel nicht erteilt und gemäß § 10 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen sowie die Abschiebung gemäß § 46 FPG mit 14-tägiger Frist gemäß § 55 FPG für zulässig erklärt (Spruchpunkt III.).

Mit Erkenntnis vom 25.08.2014 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet ab, behob gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG die Spruchpunkte II. und III. betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 sowie die Rückkehrentscheidung und verwies die Rechtssache diesbezüglich zur neuerlichen Feststellung des Sachverhaltes und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück.

Am 28.09.2017 wurden der BF1 und die BF2 erneut vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

Dabei gab der BF1 an, dass der BF4 eine Treppe hinuntergeworfen worden, deshalb mehrfach operiert worden und linksseitig gelähmt sei. Der BF4 erhalte zweimal wöchentlich Massagen, Physiotherapie und eine logopädische Therapie. Medikamente benötige er nicht. Er selbst und die BF2 hätten am 21.04.2001 kirchlich geheiratet, eine standesamtliche Trauung habe nicht stattgefunden. Er habe in Armenien die Volksschule und eine berufsbildende höhere Schule besucht, anschließend seinen Wehrdienst abgeleistet und von 2003 bis 2011 als Berufssoldat gearbeitet. Er habe in Armenien, eine Schwester, die in einem psychiatrischen Krankenhaus behandelt werde sowie mehrere Verwandte. Zudem habe er Verwandte in Moskau und in Georgien. Er sei beim Roten Kreuz, bei der Kirche seiner Wohnsitzgemeinde sowie bei der Caritas ehrenamtlich tätig und beziehe Leistungen aus der Grundversorgung.

Die BF2 wiederholte die Angaben des BF1 zum BF4 und führte ergänzend aus, dass sie in Armenien zunächst die Grundschule und anschließend ein pädagogisches College besucht habe. Sie sei Volksschullehrerin, habe allerdings nur Privatunterricht in Form von Nachhilfe erteilt. Sie habe einen Bruder, der arbeitslos sei und bei ihren Eltern lebe, zwei Schwestern sowie mehrere Tanten und Onkel in Armenien. Zuletzt habe sie bei ihren Eltern gelebt. Sie spreche Deutsch auf Niveau B1, besuche derzeit einen Schneiderkurs, beziehe Leistungen aus der Grundversorgung und engagiere sich ehrenamtlich beim Roten Kreuz, bei der Kirche sowie bei der Caritas.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien ab (Spruchpunkt I.), erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Armenien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.).

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Armenien in eine lebensbedrohende Notlage geraten würden. In Armenien bestehe auch keine derartige Gefahrenlage, dass geradezu jeder einer konkreten Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK ausgesetzt sei. Bei den vom BF4 benötigten medizinischen Behandlungen (Massagen, Physiotherapie, logopädische Therapie) handle es sich um keine aufwändige medizinische Betreuung und seien diese auch in Armenien verfügbar. Der BF1 und die BF2 seien erwerbsfähig, weshalb nicht anzunehmen sei, dass die vom BF4 benötigten Therapien sie an den Rand des Existenzminimums brächten. Zudem könnten die Beschwerdeführer auf ein familiäres Auffangnetz in Armenien zurückgreifen. Die Beschwerdeführer würden sich seit vier Jahren in Österreich aufhalten, seien alle gleichermaßen von einer Rückkehrentscheidung betroffen, hätten darüber hinaus keine familiären Bindungen in Österreich und auch keine besondere Integration dargelegt, zumal sie in einer Asylunterkunft wohnen würden, Leistungen aus der Grundversorgung beziehen würden und weder der BF1 noch die BF2 einer legalen Erwerbstätigkeit nachgehe. Demgegenüber hätten die Beschwerdeführer in Armenien ein familiäres Netzwerk und seien der BF3, der BF4 und der BF5 in einem anpassungsfähigen Alter, weshalb die Rückkehr nach Armenien nicht mit unzumutbaren Härten verbunden sei. Insgesamt überwiege daher das öffentliche Interesse am geordneten Fremdenwesen gegenüber den privaten Interessen der Beschwerdeführer am weiteren Verbleib in Österreich.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang und brachten vor, dass sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht mit der gesundheitlichen Beeinträchtigung, die der BF4 durch einen Sturz aus dem zweiten Stock eines Hauses im Jahr 2011 erlitten habe, auseinandergesetzt habe und mit einer fachgerechten Behandlung erst in Österreich und viel zu spät begonnen worden sei. Eine Stelle an seinem Kopf sei durch die Verletzungsfolgen immer noch nicht vollständig verheilt. Zudem bestehe sonderpädagogischer Förderbedarf und werde er in einer speziellen Klasse mit speziellen Lehrern unterrichtet. Ein Abbruch seiner Behandlung und Betreuung sei mit massiven negativen Folgen für seine Gesundheit und sein späteres Fortkommen verbunden. Zum Beweis dafür, dass die Abschiebung mit unzumutbaren gesundheitlichen Risiken verbunden wäre, werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich Entwicklungspsychologie, Orthopädie und Neurologie beantragt. Das Asylverfahren sei bereits seit mehr als vier Jahren anhängig und hätten sie sich spätestens seit der Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten sowie der Rückkehrentscheidung Hoffnungen auf einen weiteren Verbleib in Österreich machen dürfen. Der BF1 und die BF2 hätten in Österreich standesamtlich geheiratet, was vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht berücksichtigt worden sei.

Am 09.11.2017 wurden für die Beschwerdeführer von der armenischen Botschaft Heimreisezertifikate ausgestellt.

Am 07.12.2017 übermittelten die Beschwerdeführer eine dem BF1 vom Roten Kreuz ausgestellte Fahrberechtigung für Einsatzfahrzeuge sowie Arbeitsvorverträge des BF1 und der BF2.

Am 24.05.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine der BF2 für den Zeitraum 02. bis 31.05.2018 vom AMS ausgestellte Beschäftigungsbewilligung ein.

Am 25.05.2018 wurde dem Bundesverwaltungsgericht eine Mitteilung des AMS übermittelt, aus der hervorgeht, dass der BF2 neben der übermittelten Beschäftigungsbewilligung für Mai 2018 eine weitere Beschäftigungsbewilligung für den Zeitraum 01.06.2018 bis 31.10.2018 ausgestellt worden sei.

Am 23.12.2020 langten beim Bundesverwaltungsgericht Bestätigungen über die Mitgliedschaft der Beschwerdeführer in der Freien Christengemeinde ein.

Mit Schreiben vom 23.02.2021 gewährte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführern die Möglichkeit, binnen einer Woche ab Zustellung des Schreibens die Einvernahme von Zeugen zu beantragen sowie die als Beweismittel beabsichtigten Urkunden und Dokumente im Original sowie in Kopie vorzulegen, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass fremdsprachigen Dokumenten beglaubigte Übersetzungen in die deutsche Sprache anzuschließen sind.

Am 04.03.2021 übermittelten die Beschwerdeführer diverse Unterlagen zu ihrer Integration sowie medizinische Unterlagen des BF4.

Am 10.03.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für Armenisch sowie des Rechtsvertreters der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher der BF1, die BF2 und der BF3 ausführlich zu ihrer Identität und Herkunft, ihren persönlichen Lebensumständen sowie ihrer Integration in Österreich befragt wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch genannten Namen und Geburtsdaten. Ihre Identität steht fest. Sie sind armenische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Armenier an und bekennen sich zum Christentum. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Armenisch. Der BF1 und die BF2 sind verheiratet. Der volljährige BF3, der minderjährige BF4 und der minderjährige BF5 sind ihre gemeinsamen Söhne.

Der BF1 und die BF2 besuchten in Armenien die Grundschule. Der BF1 schloss anschließend eine berufsbildende höhere Schule ab. Die BF2 besuchte ein pädagogisches College und ist Volksschullehrerin. In ihrem Beruf hat die BF2 nie gearbeitet, gab jedoch mehrere Jahre Nachhilfe. Der BF1 und die BF2 waren vor ihrer Ausreise in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder zu sichern. Die finanzielle Situation der Familie war gut.

Der BF3 und der BF4 wurden in Armenien geboren. Der BF3 besuchte bis zur zweiten Klasse die Schule in Armenien.

Der BF1 und die BF2 lebten bis zur Ausreise des BF1 und des BF3 im Jahr 2011 gemeinsam mit dem BF3 und dem BF4 in einer Eigentumswohnung. Anschließend lebten der BF1 und der BF3 zwei Jahre in der Ukraine, wo der BF1 Kisten für Marillen herstellte. Im Jahr 2011 verkaufte die BF2 die Eigentumswohnung und lebte mit dem BF4 abwechselnd bei verschiedenen Verwandten sowie zuletzt bei ihren Eltern.

Der BF1 hat in Armenien eine Schwester, die in einem psychiatrischen Krankenhaus betreut wird und erkundigt sich bei ihrer behandelnden Ärztin regelmäßig über ihren Gesundheitszustand. Zu seiner Halbschwester, die ebenfalls in Armenien lebt, besteht kein Kontakt. Die BF2 hat in Armenien ihre Eltern, einen Bruder und zwei Schwestern, zu denen regelmäßiger Kontakt besteht.

Der BF1, die BF2, der BF3 und der BF5 sind gesund. Der BF4 leidet an einer infantilen spastischen Hemiparese links, einer Artikulationsstörung bei Zweisprachigkeit, einer kombinierten umschriebenen Entwicklungsstörung, einer skoliotischen Fehlhaltung und einem Beckenschiefstand. Der Behinderungsgrad des BF4 beträgt 70 %. Er wurde vor seiner Ausreise in Armenien im Jahr 2011 am Schädel operiert, erhielt anschließend vorübergehend Physiotherapie und trug NH-Orthesen. Im Jahr 2012 wurde der BF4 ein weiteres Mal in Armenien operiert. In Österreich wurde der BF4 im Jahr 2014 am linken Bein operiert, erhielt zuletzt von 11.11. bis 09.12.2020 eine stationäre Therapie und wird seit 2013 durchgehend ambulant behandelt. Derzeit erhält er jeweils einmal wöchentlich Physio- und Ergotherapie sowie zusätzlich logopädische Förderung. Die behandelnden Ärzte empfehlen für die Zukunft die Fortsetzung der Physio- und Ergotherapie sowie regelmäßige Rehabilitationsmaßnahmen. Die Erkrankungen des BF4 erreichen nicht das Ausmaß einer schwerwiegenden oder gar lebensbedrohlichen Gesundheitsbeeinträchtigung, sind in Armenien behandelbar und für den BF4 kostenlos zugänglich.

Zum (Privat-)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die BF2 reiste gemeinsam mit dem minderjährigen BF4 im Juli 2013 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte am 06.07.2013 Anträge auf internationalen Schutz.

Der BF1 und der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige BF3 reisten im August 2013 unter Umgehung der Grenzkontrollen von der Ukraine nach Österreich und stellten am 21.08.2013 Anträge auf internationalen Schutz.

Der BF5 wurde am XXXX im Bundesgebiet geboren.

Am 15.08.2017 heirateten der BF1 und die BF2 in Österreich standesamtlich.

Die Beschwerdeführer leben gemeinsam in einer Mietwohnung und beziehen Leistungen aus der Grundversorgung.

Der BF1 hat am 15.10.2016 die ÖSD-Prüfung auf Sprachniveau A2 bestanden, spricht jedoch kaum Deutsch. Er besitzt einen Führerschein, nahm an einem 16-stündigen Erste-Hilfe-Grundkurs teil, ist seit 15.02.2017 einmal wöchentlich als freiwilliger Mitarbeiter des Roten Kreuzes bei Essen auf Rädern tätig, war von November 2013 bis Dezember 2016 freiwillige Aushilfskraft im Förderzentrum XXXX , verrichtet seit zumindest Juli 2017 regelmäßig ehrenamtliche Tätigkeiten in der Pfarre XXXX und kann eine Einstellungszusage als Hilfsarbeiter bei einem Fliesenlegerbetrieb im Ausmaß von 25 Stunden pro Woche vorweisen.

Die BF2 bestand am 19.12.2015 die ÖIF-Deutschprüfung auf Niveau B1 und kann eine einfache Unterhaltung auf Deutsch führen. Sie ist seit 01.11.2015 einmal wöchentlich als freiwillige Mitarbeiterin des Roten Kreuzes bei Essen auf Rädern tätig, absolvierte im Jahr 2015 einen 16-stündigen Erste-Hilfe-Grundkurs, betreute von 03.09.2014 bis 30.11.2016 einmal wöchentlich ehrenamtlich eine Spielgruppe, war von November 2013 bis Dezember 2016 freiwillige Aushilfskraft im Förderzentrum XXXX , arbeitete von Mai bis einschließlich Oktober 2018 sowie von Juni bis einschließlich Oktober 2019 als Küchenhilfe in einem Gastronomiebetrieb, wofür ihr jeweils vom AMS eine Beschäftigungsbewilligung erteilt wurde und besitzt eine Einstellungszusage als Reinigungskraft bei einem Fliesenlegerbetrieb im Ausmaß von 18 Stunden pro Woche.

Der BF3 spricht Deutsch auf muttersprachlichem Niveau, besuchte am 06. und 07.11.2019 Schnuppertage in einem Installateurbetrieb, war von März 2015 bis Ende 2019 Ministrant in der Pfarre seiner Wohnsitzgemeinde, ist ebenfalls als freiwilliger Mitarbeiter des Roten Kreuzes bei Essen auf Rädern tätig und besucht regelmäßig mit seinen Freunden ein Jugendzentrum, von dessen Mitarbeitern er als höflich, hilfsbereit, aufgeschlossen, beliebt und sehr gut integriert wahrgenommen wird. Der BF3 besuchte im Schuljahr 2013/2014 als außerordentlicher Schüler die vierte Klasse Volksschule. Im Schuljahr 2016/2017 sowie 2017/2018 besuchte er jeweils die dritte Klasse der Neuen Mittelschule und wurde im Unterrichtsgegenstand Deutsch jeweils positiv bewertet. Im Schuljahr 2018/2019 schloss der BF3 die vierte Klasse der Neuen Mittelschule positiv ab. Seit dem Schuljahr 2020/2021 geht er in die erste Klasse der Fachschule für wirtschaftliche Berufe. Im ersten Semester wurde der BF3 in allen Fächern positiv bewertet.

Der BF4 kann sich auf Deutsch im Sinne einer einfachen Alltagskommunikation ausdrücken. Während seines letzten Rehaaufenthaltes im Herbst 2020 konnte seine Erzählfähigkeit etwas verbessert werden. Der BF4 nahm am 30.06.2014, 10.08.2016 und 02.08.2018 an Special Olympics Wettbewerben teil, empfing im Jahr 2016 in der Pfarre seiner Wohnsitzgemeinde die Erstkommunion und ist Mitglied der katholischen Jungschar. Er besuchte ab Herbst 2013 eine Integrationsklasse der Volksschule und wechselte im Schuljahr 2014/2015 in die Förderklasse. Derzeit besucht er die vierte Schulstufe der Sonderschule und beendete das letzte Semester mit lauter Einsern und Zweiern. Seine Lehrerin beschreibt ihn als wissbegierigen, pflichtbewussten Schüler, der kontaktfreudig und kommunikativ ist und mit seinen Mitschülern einfühlsam, respektvoll und zuvorkommend umgeht.

Der BF5 kennt alle in der Schule erlernten Buchstaben der deutschen Sprache und versteht den Inhalt von Gelesenem sehr gut. Beim Sprechen und freien Schreiben hat er teilweise Schwierigkeiten mit den Artikeln und der Satzstellung, besucht jedoch den Sprachförderunterricht in seiner Schule und macht dort große Fortschritte. Er wurde am 19.07.2014 in der Pfarre seiner Wohnsitzgemeinde getauft, besuchte ab 2017 den Kindergarten und geht seit September 2020 in die erste Klasse Volksschule. Im ersten Semester erhielt er lauter Einser und Zweier. Seine Lehrerin beschreibt ihn als aufgeweckten und kontaktfreudigen Schüler, der in die Klassengemeinschaft gut integriert ist.

Die Beschwerdeführer haben sich einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut, sind in die Dorfgemeinschaft ihrer Wohnsitzgemeinde gut integriert, pflegen regelmäßig Kontakt zu Ortsansässigen, besuchen sonntags regelmäßig die Gottesdienste der katholischen Kirche ihrer Wohnsitzgemeinde, sind zusätzlich seit 2017 Mitglieder der Freien Christengemeinde und nehmen sonntags regelmäßig auch an deren Gottesdiensten teil.

Der BF1, die BF2, der BF3 und der BF4 sind in Österreich unbescholten, der BF5 ist strafunmündig.

Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

Die Beschwerdeführer sind im Falle der Rückkehr nicht der Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK ausgesetzt.

Der BF1 und die BF2 sind im Falle der Rückkehr nach Armenien in der Lage, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, für sich, den BF3, den BF4 und den BF5 zu befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Notlage zu geraten. Die Fortsetzung der medizinischen Behandlung und Therapie des BF4 ist in Armenien möglich und kostenfrei zugänglich.

Zudem können die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr auf die Unterstützung der Eltern, Schwestern und sonstigen Verwandten der BF2 zurückgreifen.

Zur maßgeblichen Situation in Armenien:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Version 6 vom 24.02.2021) wiedergegeben:

COVID-19

Letzte Änderung: 24.02.2021

Informationen zur COVID-19-Situation in Armenien werden hauptsächlich in diesem Kapitel ihren Eingang finden. Vereinzelte Informationen finden sich jedoch auch in den nachfolgenden Kapiteln.

[…]

Am 16.3.2020 rief die Regierung Armeniens den Ausnahmezustand aus, der fünf Mal verlängert wurde und am 11.9.2020 durch die Nationale Quarantäne ersetzt wurde, die nun bis 11.7.2021 gilt.

Armenien ist das am stärksten betroffene Land im Südkaukasus. Trotz der Notsituation funktionieren fast alle Sektoren der armenischen Wirtschaft wieder, nachdem Unternehmen Anfang Mai 2020 wiedereröffnen durften, um den wirtschaftlichen Zusammenbruch abzuwehren.

Das Einreiseverbot in die Republik Armenien für nicht-armenische Staatsbürger vom 17.3.2020 wurde am 12. August 2020 aufgehoben. Somit können Personen per Flug und per Landweg nach Armenien mit einem negativen PCR-Testergebnis, das max. 72 Stunden vor der Einreise gemacht wurde, einreisen.

Alle Einreisenden, die ohne ein dokumentiertes PCR-Testergebnis einreisen, müssen sich auf eigene Kosten einem PCR-Test im Labor an der Grenze unterziehen und sich dort unter Quarantäne stellen bis das Ergebnis bekannt wird. Die Ergebnisse dieser PCR-Tests werden im ARMED-System registriert und der getesteten Person innerhalb von 48 Stunden zur Verfügung gestellt.

Personen, die mit einer Person mit einem positiven Testergebnis auf COVID-19 in Kontakt waren, werden gebeten, sich 14 Tage unter Quarantäne zu stellen und einem PCR-Test in einem akkreditierten Labor in Jerewan, Armenien unterziehen. Während der Überwachungs- oder Quarantänezeit können Gesundheitsbeamte den Zustand dieser Personen überprüfen.

Die internationalen regulären Flugverbindungen nach/von Jerewan sind derzeit eingeschränkt. Austrian Airlines fliegen Armenien zwei Mal pro Woche aus Wien an.

Am 19. März 2020 haben die armenischen Behörden ein vorübergehendes Ausfuhr-Verbot für bestimmte medizinische Waren erlassen, um die Versorgung des Landes sicherzustellen. Das betrifft solche Güter wie medizinische Schutzausrüstung, Beatmungsgeräte, COVID-19-Test Kits, Atemschutzmasken, medizinische Masken, Desinfektionsmittel auf Alkoholbasis und andere Artikel.

Anfang Mai 2020 wurden die Ausgangsbeschränkungen und Reisebeschränkungen innerhalb Armeniens aufgehoben.

Seit Anfang Juni 2020 gilt in Armenien eine allgemeine Masken-Pflicht für alle Personen und Kinder ab 6 Jahren an öffentlichen Orten inklusive Geschäften, Einkaufszentren, öffentliche Verkehrsmitteln sowie Taxis. Die einzige Ausnahme aus der Masken-Pflicht gilt für Gäste in Cafés und Restaurants.

Seit August 2020 werden bestimmte Risikogruppen, geschlossene Unternehmen oder Institutionen proaktiv getestet. Das heißt, sollte eine positiv getestete Person, die in einer Fabrik, einem Pflegeheim oder einem Supermarkt arbeitet, festgestellt werden, wird das gesamte Personal getestet und nicht nur diejenigen, die sich mit Symptomen meldeten. So können auch die symptomlosen Infizierten isoliert werden.

Alle Schulen und Universitäten sind seit 15.9.2020 unter bestimmten Auflagen und Vorsichtsmaßnahmen wiedereröffnet. Einige Kurse je nach Universität bzw. Hochschule werden jedoch weiterhin online angeboten. Kindergärten sind seit 18. Mai 2020 wieder geöffnet. Viele Unternehmen arbeiten weiterhin zumindest teilweise im Homeoffice.

Das Versammlungsverbot wurde aufgehoben. Erlaubt sind nun öffentliche und private Versammlungen bei Einhaltung eines Mindestabstands von 1,5 Metern und mit obligatorischen Gesichtsmasken.

Die Regierung hat verschiedene finanzielle Hilfspakete für sozial gefährdete Haushalte und Privatpersonen und wirtschaftlich betroffene KMUs, Freizeit- und Tourismusunternehmen, landwirtschaftliche Betriebe, etc. bereitgestellt. Dazu zählen zinsfreie Kredite und staatliche Garantien, Stundungen für Kreditrückzahlungen, Subventionen für Gas- und Stromkosten (WKO 13.1.2021).

Es bestehen aufgrund der Pandemie keine besonderen Beschränkungen innerhalb des Landes (AA 11.2.2021).

Quellen:

AA – Auswärtiges Amt (11.2.2021): Armenien: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/armenien-node/armeniensicherheit/201872, Zugriff 24.2.2021

WKO – Wirtschaftskammer Österreich (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Armenien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-armenien.html, Zugriff 24.2.2021

Politische Lage

Letzte Änderung: 02.09.2020

Armenien (arm.: Hayastan) umfasst knapp 29.800 km² und hatte im ersten Quartal 2019 eine Einwohnerzahl von 2,96 Millionen, was einen Rückgang von 0,3% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres ausmachte (ArmStat 7.5.2019). Davon sind laut der Volkszählung von 2011 98,1% ethnische Armenier. Den Rest bilden kleinere Ethnien wie Jesiden und Russen (CIA 14.2.2019).

Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 findet in Armenien ein umfangreicher Reformprozess auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene hin zu einem demokratisch und marktwirtschaftlich strukturierten Staat statt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen am 9.12.2018 konnten nach übereinstimmender Meinung aller Wahlbeobachter als frei und fair bezeichnet werden. Die im Dezember 2015 per Referendum gebilligte Verfassungsreform zielt auf den Umbau von einer semi-präsidialen in eine parlamentarische Demokratie ab. Die Änderungen betreffen u.a. eine Ausweitung des Grundrechtekatalogs sowie die weitere Stärkung des Parlaments (auch der Opposition). Das Amt des Staatspräsidenten wurde im Wesentlichen auf repräsentative Aufgaben reduziert, gleichzeitig die Rolle des Premierministers und des Parlaments gestärkt (AA 27.4.2020). Der Premierminister und der Präsident werden vom Parlament gewählt. Der Premierminister ist der Regierungsvorsitzende, während der Präsident vorwiegend zeremonielle Funktionen ausübt (USDOS 11.3.2020).

Oppositionsführer Nikol Paschinjan wurde im Mai 2018 vom Parlament zum Premierminister gewählt, nachdem er wochenlange Massenproteste gegen die Regierungspartei angeführt und damit die politische Landschaft des Landes verändert hatte. Er hatte Druck auf die regierende Republikanische Partei durch eine beispiellose Kampagne des zivilen Ungehorsams ausgeübt, was zum schockartigen Rücktritt Serzh Sargsyans führte, der kurz zuvor das verfassungsmäßig gestärkte Amt des Premierministers übernommen hatte, nachdem er zehn Jahre lang als Präsident gedient hatte (BBC 20.12.2018; vgl. AA 27.4.2020). Bei den als „Samtene Revolution“ bezeichneten Demonstrationen im April/Mai 2018 verhielten sich die Sicherheitskräfte zurückhaltend. Auch die Demonstranten waren bedacht, keinerlei Anlass zum Eingreifen der Sicherheitskräfte zu bieten (AA 27.4.2020).

Am 9.12.2018 fanden vorgezogene Parlamentswahlen statt, welche unter Achtung der Grundfreiheiten ein breites öffentliches Vertrauen genossen. Die offene politische Debatte, auch in den Medien, trug zu einem lebhaften Wahlkampf bei. Das generelle Fehlen von Verstößen gegen die Wahlordnung, einschließlich des Kaufs von Stimmen und des Drucks auf die Wähler, ermöglichte einen unverfälschten Wettbewerb (OSCE/ODIHR 10.12.2018). Die Allianz des amtierenden Premierministers Nikol Paschinjan unter dem Namen „Mein Schritt“ erzielte einen Erdrutschsieg und erreichte 70,4% der Stimmen. Die ehemalige mit absoluter Mehrheit regierende Republikanische Partei (HHK) erreichte nur 4,7% und verpasste die 5-Prozent-Marke, um in die 101-Sitze umfassende Nationalversammlung einzuziehen. Die Partei „Blühendes Armenien“ (BHK) des Geschäftsmannes Gagik Tsarukyan gewann 8,3%. An dritter Stelle lag die liberale, pro-westliche Partei „Leuchtendes Armenien“ unter Führung Edmon Maruyian, des einstigen Verbündeten von Paschinjan, mit 6,4% (RFE/RL 10.12.2018; vgl. ARMENPRESS 10.12.2018).

Zu den primären Zielen der Regierung unter Premierminister Paschinjan gehören die Bekämpfung der Korruption und Wirtschaftsreformen (RFL/RL 14.1.2019; vgl. FH 4.3.2020) sowie die Schaffung einer unabhängigen Justiz (168hours 20.7.2018; vgl. FH 4.3.2020). Seit Paschinjans Machtübernahme hat sich das innenpolitische Klima deutlich verbessert und dessen Regierung geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an, auch wenn immer noch Defizite bei der konsequenten Umsetzung der Gesetze bestehen (AA 27.4.2020).

[…]

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 24.02.2021

Im Ende September 2020 aufgeflammten Konflikt um die von Armenien kontrollierte Region Bergkarabach gelang es, unter Vermittlung Russlands, einen Waffenstillstand zu erreichen. Armenien, das als Schutzmacht für Bergkarabach agiert, stimmte unter massivem Druck der Neun-Punkte-Erklärung zu. In der Erklärung verpflichteten sich die Parteien zu einem vollständigen Einstellen aller Kampfhandlungen auf den zuletzt gehaltenen Positionen. Darüber hinaus werden die von Armenien im ersten Karabach-Krieg Anfang der 1990er Jahre eroberten sieben aserbaidschanische Bezirke rund um Bergkarabach schrittweise an Baku zurückgegeben. Vier davon gingen bereits im Zuge der Kampfhandlungen seit September weitgehend an Aserbaidschan verloren. Mit der Erklärung wurde ebenso eine russische Friedensmission etabliert, welche 1.960 Mann umfasst und die den Waffenstillstand entlang der Kontaktlinie auf Seiten Bergkarabachs sichern soll. Neben den Peacekeepern soll auch ein außerhalb Karabachs befindliches Zentrum zur Überwachung der Waffenruhe entstehen. Ebenso vereinbart wurde ein Austausch der Kriegsgefangenen und gefallenen Soldaten. Der letzte Punkt der Vereinbarung weist auf die Öffnung aller Wirtschafts- und Transportwege in der Region hin. Demzufolge muss Armenien Verkehrsverbindungen zwischen den westlichen Regionen der Republik Aserbaidschan und der südwestlich von Armenien gelegenen und an die Türkei grenzenden aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan sicherstellen. Der Status von Bergkarabach wurde in der Erklärung offen gelassen (IFK 11.2020).

In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Russlands Präsident Wladimir Putin, sein aserbaidschanischer Amtskollege Ilham Alijew und der armenische Regierungschef Nikol Paschinian auf eine neue Grenzziehung und die Stationierung eines russischen Militärkontingents zur Sicherung des neuen Status quo im Konflikt um Berg-Karabach geeinigt. Aserbaidschan übernimmt rund die Hälfte des abtrünnigen Gebiets, darunter die zweitgrößte Stadt Schuscha, die strategisch von immenser Bedeutung ist (DerStandard 10.11.2020).

Die militärische Niederlage löste eine scharfe politische Krise in Armenien aus, in der die Opposition gegen Premierminister Nikol Pashinian seinen Rücktritt forderte (HRW 13.1.2021; vgl. DerStandard 10.11.2020). Tausende Menschen demonstrierten in Jerewan gegen die Waffenruhe. Sie beschimpften Paschinian als „Verräter“ und forderten seinen Rücktritt. Hunderte der Demonstranten stürmten den Regierungssitz und das Parlamentsgebäude (Krone 10.11.2020). Die Polizei ging mit Gewalt gegen Demonstranten vor. Es gab dutzende Festnahmen. Unter den Festgenommenen waren auch mehrere Parlamentsabgeordnete (DerStandard 11.11.2020 vgl. ZeitOnline 11.11.2020).

Tausende Menschen haben bei neuen Protesten in der Südkaukasus-Republik Armenien den Rücktritt von Regierungschef Nikol Paschinian gefordert. Seit dem Ende der Kämpfe um die Konfliktregion Berg-Karabach vor gut drei Monaten kommt es in der Ex-Sowjetrepublik zu Protesten der Opposition. Paschinian lehnte wiederholt einen Rücktritt ab. Er bot stattdessen Neuwahlen in diesem Jahr an. Die Opposition plant, die Abstimmung zu boykottieren, sollte der Ministerpräsident wie angekündigt erneut kandidieren. Sie macht ihn persönlich für die Niederlage gegen Aserbaidschan verantwortlich (DerStandard 20.2.2021; vgl BAMF 22.2.2021).

Unter Vermittlung von Russlands Präsident Wladimir Putin haben die verfeindeten Nachbarn Aserbaidschan und Armenien bei einem ersten gemeinsamen Treffen in Moskau am 11.01.21 neue Schritte für einen Wiederaufbau der umkämpften Südkaukasusregion Berg-Karabach vereinbart. Dies betonte Putin nach einem etwa vierstündigen Treffen mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Aliyev und dem armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan. Rund zwei Monate nach dem Ende der Kampfhandlungen um Berg-Karabach betonten die drei Spitzenpolitiker im Kreml, dass das Waffenstillstandsabkommen weitgehend eingehalten werde. Es seien aber noch nicht alle Punkte umgesetzt, so Paschinian. Besonders die Frage armenischer Kriegsgefangener in Aserbaidschan sei schmerzhaft für sein Land. Zugleich betonte er, dass der Konflikt um Berg-Karabach nicht endgültig beigelegt sei. Insbesondere sei der politische Status ungeklärt. Die nun getroffenen Vereinbarungen für eine Entwicklung der Wirtschaft und Infrastruktur Berg-Karabachs sollen zu noch verlässlicheren Sicherheitsgarantien für beide Seiten führen. Die Vize-Regierungschefs von Aserbaidschan und Armenien sowie Russlands würden nun eine Arbeitsgruppe bilden, um konkrete Projekte bei der Wiederherstellung der Wirtschafts- und Verkehrsverbindungen umzusetzen (BAMF 18.1.2021).

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Regionale Problemzone: Berg-Karabach (Nagorny Karabach)

Letzte Änderung: 24.02.2021

Die sogenannte Republik Berg-Karabach ('RBK', russ.: Nagorny Karabach; in Armenien auch Arzach genannt) wird von keinem Staat völkerrechtlich anerkannt. Auch Armenien erkennt die 'Republik Berg-Karabach' offiziell nicht an, praktisch sind beide aber wirtschaftlich und rechtlich stark verflochten. Die Bewohner von Berg-Karabach erhalten neben ihrem RBK-Pass auch armenische Pässe (AA 27.4.2020). Armenien finanziert 55% des Budgets der Republik Arzach (ChH 4.6.2020).

Nach der Verfassung ist der Präsident sowohl Staats- als auch Regierungschef und hat die volle Autorität, Kabinettsmitglieder zu ernennen und zu entlassen. Im September 2017 wurde das Amt des Premierministers abgeschafft (FH 4.3.2020k).

Am 31.3.2020 fanden in Berg-Karabach - international nicht anerkannte - Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt (HBS 2.4.2020). Die Partei des Freien Vaterlandes von Harutjunyan gewann bei den Parlamentswahlen mehr als 40% der Stimmen und wird 16 der 33 Sitze kontrollieren, während die größte Oppositionskraft, die Partei der Vereinigten Heimat von Samvel Babajan, neun Sitze erhielt (CW 16.4.2020).

Bei der Wahl zum Präsidenten wurde ein zweiter Wahlgang notwendig, der am 14.4.2020, trotz des wegen COVID-19 zwei Tage zuvor ausgerufenen Notstandes, durchgeführt wurde. Die Notstandsregel verbietet öffentliche Versammlungen, beschränkt die Verkehrsanbindung innerhalb von Karabach und untersagt Bürgern Armeniens und anderer Länder die Einreise in die Region (CW 16.4.2020). Arayik Harutjunyan gewann mit mehr als 87% der abgegebenen Stimmen. Harutjunyan war 2017 bis 2018 Außenminister und 2007-2017 Premierminister der Republik Arzach (PA 15.4.2020) und verfehlte bereits im ersten Wahlgang am 31.3.2020 die notwendige Mehrheit nur um wenige hundert Stimmen (Armenpress 2.4.2020; vgl. EN 1.4.2020).

Armenische Wahlbeobachter berichten von weitverbreiteten Verletzungen des Wahlgeheimnisses (EN 1.4.2020). Kritisiert wurde weiters, dass wegen COVID-19 kein Wahlkampf geführt werden konnte wie in „normalen“ Zeiten – und zudem der Urnengang selbst das Risiko einer weiteren Ausbreitung des Virus deutlich erhöht habe (HBS 2.4.2020; vgl. EN 1.4.2020). Der im zweiten Wahlgang unterlegene Präsidentschaftskandidat Masis Mailjan forderte die Wähler auf, wegen der Pandemie nicht an den Wahlen teilzunehmen und weigerte sich auch, an Fernsehdebatten teilzunehmen (CW 16.4.2020).

Die Republik Arzach wurde bis zu den Wahlen von Verbündeten der 2018 von Paschinjan gestürzten armenischen Regierung regiert. Die Führer des ehemaligen armenischen Regimes, darunter die ehemaligen Präsidenten Serzh Sargsyan und Robert Kocharyan, unternahmen einige vage Anstrengungen, um über Berg-Karabach als letzte Bastion die Macht in Armenien wiederzugewinnen. Ihr favorisierter Kandidat, Vitaliy Balasanyan, versäumte bei den Präsidentenwahlen am 31.3.2020 den Einzug in den zweiten Wahlgang (EN 1.4.2020).

Die Justiz ist in der Praxis nicht unabhängig und die Gerichte werden von der Exekutive sowie von mächtigen politischen, wirtschaftlichen und kriminellen Gruppen beeinflusst. Die Verfassung garantiert grundlegende Verfahrensrechte, aber Polizei und Gerichte halten diese in der Praxis nicht immer ein. Die Regierung kontrolliert viele der Medien. Im Jahr 2019 wurden Veränderungen durch die politische Öffnung in Armenien im Jahr 2018 mitbewirkt. Politische Kritiker der Führung, denen zuvor selbst kurze Auftritte verboten waren, wurden zu regelmäßigen Gästen in Sendungen zu aktuellen Themen. Darüber hinaus werden nun regelmäßig Debatten organisiert, um wichtige Themen des lokalen öffentlichen Lebens anzusprechen. Oppositionspolitiker haben auch gute Verbindungen zu unabhängigen Medien in Armenien, wodurch deren Ansichten auch in Berg-Karabach vermittelt werden. Dennoch praktizieren viele Journalisten Selbstzensur, insbesondere bei Themen im Zusammenhang mit dem Friedensprozess. Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit, lässt aber Einschränkungen im Namen der Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und anderer staatlicher Interessen zu. In der Verfassung ist die Armenische Apostolische Kirche als 'nationale Kirche' des armenischen Volkes verankert. Die Religionsfreiheit anderer Gruppen wird in der Praxis eingeschränkt. Proteste sind in der Praxis relativ selten. Die Behörden blockieren Versammlungen und Demonstrationen, wenn sie diese als Bedrohung der öffentlichen Ordnung wahrnehmen (FH 4.3.2020).

Es gibt keine Erkenntnisse, wonach Personen bei Bekanntwerden einer (auch) aserbaidschanischen Herkunft mit staatlichen Übergriffen zu rechnen hätten. In Berg-Karabach gelten den armenischen Regelungen vergleichbare Vorschriften zur kostenlosen medizinischen Behandlung. Im Sozialwesen gibt es 'behördliche' Unterstützung (AA 27.4.2020).

Ein gemeinsames türkisch-russisches Beobachtungszentrum zur Überwachung des Waffenstillstands zwischen Armenien und Aserbaidschan in der Region Berg-Karabach hat am 30.1.2021 seinen Betrieb aufgenommen. Der aserbaidschanische Verteidigungsminister Zakir Hasanov und die stellvertretenden Verteidigungsminister der Regionalmächte Türkei und Russland waren anwesend, um das Zentrum in der Region Agdam zu eröffnen. Die Türkei und Russland einigten sich darauf, ein gemeinsames Beobachtungszentrum zu bilden, kurz nachdem Moskau im November ein Waffenstillstandsabkommen vermittelte, das die heftigen Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan um die abtrünnige Region Berg-Karabach beendete. Die Türkei war einer der Hauptunterstützer Aserbaidschans in dem Konflikt. Im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens wurden ein Teil des aserbaidschanischen Territoriums von Berg-Karabach und alle sieben Bezirke drum herum unter aserbaidschanische Verwaltung gestellt, nachdem sie fast 30 Jahre lang von ethnischen Armeniern kontrolliert wurden. Rund 2.000 russische Friedenssoldaten sind auch entlang der Frontlinie und zum Schutz einer Landverbindung zwischen Berg-Karabach und Armenien im Einsatz (RFE/RL 30.1.2021).

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Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 02.09.2020

Das Gesetz verbietet Folter und andere Formen von Misshandlungen. Dennoch gibt es Berichte, dass Mitglieder der Sicherheitskräfte Personen in ihrer Haft gefoltert oder anderweitig missbraucht haben. Laut Menschenrechtsanwälten definiert und kriminalisiert das Strafgesetzbuch zwar Folter, aber die einschlägigen Bestimmungen kriminalisieren keine unmenschliche und erniedrigende Behandlungen (USDOS 11.3.2020). Menschenrechtsorganisationen haben bis zur „Samtenen Revolution“ immer wieder glaubwürdig von Fällen berichtet, in denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu unverhältnismäßiger Gewaltanwendung gekommen sein soll. Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden (AA 27.4.2020). Gemäß Menschenrechtsanwälten führte die Straffreiheit von Folter in der Zeit vor der „Samtenen Revolution“ dazu, dass Folter weiterhin angewandt wird, wenn auch nun in geringerem Ausmaß, und alte Fälle von Folter werden nicht aufgearbeitet (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 27.4.2020).

Misshandlungen finden auf Polizeistationen statt, die im Gegensatz zu Gefängnissen und Polizeigefängnissen nicht der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Nach Ansicht von Menschenrechtsanwälten gab es keine ausreichenden verfahrensrechtlichen Garantien gegen Misshandlungen bei polizeilichen Vernehmungen, wie z.B. den Zugang zu einem Anwalt durch die zur Polizei als Zeugen geladenen Personen sowie die Unzulässigkeit von Beweisen, die durch Gewalt- oder Verfahrensverletzungen gewonnen wurden (USDOS 11.3.2020). In einem Antwortschreiben an das Helsinki Komitee Armeniens bezifferte der Special Investigation Service (SIS) die Anzahl der strafrechtlichen Untersuchungen bezüglich des Vorwurfes von Folter im Zeitraum zwischen dem 1.1. und dem 23.12.2019 auf 4 (HCA 25.2.2020).

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Allgemeine Menschenrechtslage

Letzte Änderung: 28.09.2020

Die Verfassung enthält einen ausführlichen Grundrechtsteil modernen Zuschnitts, der auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte mit einschließt. Durch Verfassungsänderungen im Jahr 2015 wurde der Grundrechtekatalog noch einmal erheblich ausgebaut. Ein Teil der Grundrechte können im Ausnahmezustand oder im Kriegsrecht zeitweise ausgesetzt oder mit Restriktionen belegt werden. Gemäß Verfassung ist der Kern der Bestimmungen über Grundrechte und –freiheiten unantastbar. Extralegale Tötungen, Fälle von Verschwindenlassen, unmenschliche, erniedrigende oder extrem unverhältnismäßige Strafen, übermäßig lang andauernde Haft ohne Anklage oder Urteil bzw. Verurteilungen wegen konstruierter oder vorgeschobener Straftaten sind nicht bekannt (AA 27.4.2020).

Zu den bedeutendsten Menschenrechtsverletzungen gehören: Folter; willkürliche Inhaftierung, wenn auch mit weniger Berichten; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; Gewalt oder die Androhung von Gewalt gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender oder intersexuelle Personen (LGBTI) und der Einsatz von erzwungener oder obligatorischer Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020, vgl. HRW 14.1.2020). Die Regierung unternimmt Schritte zur Untersuchung und Ahndung von Missbrauch gegen aktuelle und ehemalige Beamte und Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung Armeniens erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt aber erhebliche Anstrengungen, um dies zu erreichen. Sie nahm Gesetzesänderungen und Verordnungen zur Stärkung der Gesundheits- und Arbeitsaufsichtsbehörde vor und führte Schulungen für Strafverfolgungsbeamte durch. Die Behörden erhöhten die Zahl der Ermittlungen und Strafverfolgungen, und die Kommission zur Identifizierung von Opfern funktionierte weiterhin gut. Die Regierung hat seit 2014 keine Verurteilung wegen Zwangsarbeit mehr erhalten. Es fehlt an proaktiven Identifizierungsbemühungen, wie z.B. Standardindikatoren zur Überprüfung gefährdeter Bevölkerungsgruppen. Die Opfer von Menschenhandel sahen sich, wie die Opfer anderer Verbrechen, mit einem eingeschränkten Zugang zur Justiz konfrontiert, u.a. aufgrund fehlender opferorientierter Verfahren und formeller Maßnahmen zum Schutz der Opfer und Zeugen (USDOS 25.6.2020).

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Todesstrafe

Letzte Änderung: 02.09.2020

Armenien hat im September 2003 die Todesstrafe für alle Verbrechen abgeschafft; dies ist in Artikel 24 der Verfassung verankert (AA 27.4.2020, vgl. AI 21.4.2020, Standard 19.4.2003).

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Religionsfreiheit

Letzte Änderung: 02.09.2020

Die Religionsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert und darf nur durch Gesetze und nur soweit eingeschränkt werden, wie dies für den Schutz der staatlichen und öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral notwendig ist. Gemäß Verfassung wird zudem die Freiheit der Tätigkeit von religiösen Organisationen garantiert. Es gibt keine verlässlichen Angaben zum Anteil religiöser Minderheiten an der Gesamtbevölkerung; Schätzungen zufolge machen sie weniger als 5% aus. Auch in den 2015 beschlossenen Verfassungsänderungen genießt die Armenisch-Apostolische Kirche (AAK) nach wie vor Privilegien, die anderen Religionsgemeinschaften nicht zuerkannt werden (Zulässigkeit der Eröffnung von Schulen, Herausgabe kirchengeschichtlicher Lehrbücher, Steuervorteile u. a. bei Importen, Wehrdienstbefreiung von Geistlichen, Kirchenbau). Religionsgemeinschaften sind nicht verpflichtet, sich registrieren zu lassen. Religiöse Organisationen mit mindestens 200 Anhängern können sich jedoch amtlich registrieren lassen und dürfen dann Zeitungen und Zeitschriften mit einer Auflage von mehr als 1.000 Exemplaren veröffentlichen, regierungseigene Gelände nutzen, Fernseh- oder Radioprogramme senden und als Organisation Besucher aus dem Ausland einladen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Religionsgemeinschaften die Registrierung verweigert wurde bzw. wird. Bekehrungen durch religiöse Minderheiten sind zwar gesetzlich verboten; missionarisch aktive Glaubensgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas oder die Mormonen sind jedoch tätig und werden staatlich nicht behindert. Dies wird von offiziellen Vertretern der Zeugen Jehovas bestätigt (AA 27.4.2020).

In Artikel 18 der Verfassung wird die Armenische Apostolische Kirche als "Nationalkirche" anerkannt, die für die Erhaltung der armenischen nationalen Identität verantwortlich ist. Religiöse Minderheiten haben in der Vergangenheit über Diskriminierung berichtet und einige hatten Schwierigkeiten, Genehmigungen für den Bau von Gotteshäusern zu erhalten (FH 4.3.2020). Mitglieder religiöser Minderheiten werden bei der Beschäftigung im öffentlichen Dienst benachteiligt (USDOS 11.3.2020).

Menschenrechtsaktivisten äußerten weiterhin ihre Besorgnis über die Zustimmung der Regierung, dass die AAK am Unterricht an Schulen mitwirkt und die Zugehörigkeit zur AAK mit der nationalen Identität oft gleichsetzt wird, was die staatliche und gesellschaftliche Diskriminierung anderer religiöser Organisationen verstärkt (USDOS 10.6.2020).

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Relevante Bevölkerungsgruppen

Letzte Änderung: 02.09.2020

Frauen

Letzte Änderung: 24.02.2021

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte für Frauen und Männer. Hinweise auf geschlechtsspezifische Verfolgung gibt es nicht. Dieses Verfassungsgebot umzusetzen gehört allerdings nicht zu den Prioritäten der Regierung. Die Rolle der Frau in Armenien ist gleichwohl durch das in der Bevölkerung verankerte patriarchalische Rollenverständnis geprägt (AA 27.4.2020, vgl. USDOS 11.3.2020).

Frauen sind in Führungspositionen im öffentlichen Sektor deutlich unterrepräsentiert. Im Jahr 2018 lag die durchschnittliche Arbeitslosenquote der Frauen in Armenien bei 17,3%. Auch in der Exekutive bleibt die Beteiligung von Frauen auf den höchsten Entscheidungsebenen, auf regionaler und lokaler Ebene sowie im diplomatischen Dienst gering. Ungleichheit im Bereich der Löhne ist besonders offensichtlich (CoE-CommDH 29.1.2019, vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.3.2020).

Vergewaltigung ist eine Straftat. Die Höchststrafe beträgt 15 Jahre. Allgemeine gesetzliche Bestimmungen zur Vergewaltigung gelten für die Verfolgung von Vergewaltigungen in der Ehe (USDOS 11.3.2020). Häusliche Gewalt ist weder ein eigenständiges Verbrechen noch ein erschwerender Umstand im Strafgesetzbuch und die armenische Gesetzgebung schützt die Opfer häuslicher Gewalt nicht effektiv (HRW 13.1.2021; vgl. USDOS 11.3.2020). Es gibt Berichte, dass die Polizei, insbesondere außerhalb von Jerewan, in Fällen häuslicher Gewalt nur ungern tätig wird und Frauen davon abhält, Beschwerden einzureichen. Die meisten Fälle häuslicher Gewalt werden per Gesetz als Vergehen von geringer oder mittlerer Schwere betrachtet und die Regierung stellt nicht genügend weibliche Polizeibeamte und Ermittlerinnen für die Arbeit vor Ort ein, um diese Verbrechen zu untersuchen (USDOS 11.3.2020).

In Armenien gibt es nur zwei Frauenhäuser für Opfer häuslicher Gewalt, die vom Women's Rights Center betrieben werden und insgesamt Platz für 17 bis 20 Personen bieten (HRW 13.1.2021).

Trotzdem hat Armenien seit 2015 bedeutende Fortschritte bei der Schaffung und Verbesserung des Rechtsrahmens zur Bekämpfung häuslicher Gewalt gemacht. Wichtige gesetzgeberische Maßnahmen wurden von Sensibilisierungskampagnen begleitet, die zu einer öffentlichen Debatte und einem spürbaren Einstellungswandel zum Thema häusliche Gewalt führen. Trotz dieser begrüßenswerten Entwicklungen und sehr lobenswerten Bemühungen bleibt die häusliche Gewalt in Armenien ein schwerwiegendes, weit verbreitetes und teilweise noch unterschätztes Phänomen (CoE-CommDH 29.1.2019). Das neue Gesetz über häusliche Gewalt hat einige Elemente und Normen des Istanbuler Übereinkommens übernommen, verschiedene Formen häuslicher Gewalt definiert und den staatlichen Behörden eine positive Verpflichtung auferlegt, solche Gewalt zu verhindern und ihre Opfer zu schützen. Es verpflichtet die Behörden auch, eine nationale Strategie zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zu entwickeln und umzusetzen, Unterkünfte für Opfer von Gewalt einzurichten, ihnen kostenlose medizinische Versorgung zu bieten und regelmäßige Schulungen für alle in diesem Bereich tätigen Fachleute durchzuführen (CoE-CommDH 29.1.2019).

Das Gesetz verlangt, dass bestimmte Dienstleistungen für diejenigen erbracht werden, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, es sieht aber keine Maßnahmen für monetäre Entschädigungen der Opfer vor. Die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen - Verwarnungen und Schutzanordnungen - reichen möglicherweise nicht aus, um die Menschenrechtsverpflichtungen des Landes zum Schutz der Betroffenen von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt zu erfüllen, dies infolge des Umfanges des Ermessensspielraum für die Strafverfolgungsbehörden und Richter, der vorgesehenen limitierten Fristen (z.B. Wegweisung) sowie der schwachen Konsequenzen, die Täter häuslicher Gewalt zu erwarten haben. Das Gesetz enthält zudem keine Details hinsichtlich der Beweislast, die für die Erlangung von Verwarnungen oder Schutzanordnungen oder für die strafrechtliche Verfolgung von Tätern häuslicher Gewalt erforderlich ist. Es ist letztendlich nicht klar, ob das Gesetz für alle Paare gilt, oder nicht registrierte Ehen bzw. Lebensgemeinschaften ausnimmt (OHCHR 29.3.2019).

Die Tatsache, dass die Zahl der von der Polizei registrierten Vorfälle häuslicher Gewalt hoch ist, ist auf die gesetzlichen Anforderungen zurückzuführen, die 2017 verabschiedet wurden. Die Polizei ist nun verpflichtet, alle Aussagen in Bezug auf häusliche Gewalt zu registrieren, auch wenn das Opfer die Beschwerde zurückzieht. Es ist nicht bekannt, in wie vielen von der Polizei registrierten Fällen es einen positiven Ausgang gegeben hat und wie viele Opfer tatsächlich Unterstützung erhielten. Das Gesetz regelt nicht effektiv schnelle Reaktion und Schutzmaßnahmen, die nach der Erklärung über häusliche Gewalt zu ergreifen sind. Ernsthafte Probleme entstehen nach der polizeilichen Verwarnung nach der ersten Anzeige, wenn sich die Situation in der Familie weiter verschärft. Ein klarer Mechanismus für weiteren Schutz wird jedoch nicht vorgegeben. Die Mechanismen zur Verhinderung der Verletzung von Schutzmaßnahmen durch den Täter und die Sanktionen, die im Falle solcher Verletzungen angewendet werden, sind nicht effizient. Im Hinblick auf die Sicherung eines gesetzlich vorgeschriebenen Präventions- und Schutzmechanismus wurden im ersten Quartal 2019 in Armenien soziale Unterstützungszentren eingerichtet: drei in Jerewan und weitere in Vanadzor, Gjumri und Kapan. Diese Zentren haben die Aufgabe, Familien durch Sozialarbeiter zu unterstützen, sobald Fälle von häuslicher Gewalt bekannt werden. Allerdings haben die Zentren bisher wenig Vertrauen genossen, und ihre Funktionen sind noch nicht vollständig geklärt. Gewaltopfer weigern sich aus verschiedenen Gründen, die Zentren zu besuchen; z.B. weil das Zentrum zu weit von ihnen entfernt liegt, oder weil die Opfer nicht über ihre häuslichen Probleme sprechen möchten (HCA 25.2.2020).

Im Global Gender Gap Index 2020 nahm Armenien Rang 98 von 153 Ländern ein. In den Unterkategorien Gesundheit Rang 148 und politische Teilhabe Rang 114 (von 152) sowie in der Unterkategorie „Teilhabe an der Bildung“ Rang 45 (WEF 2020).

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Bewegungsfreiheit

Letzte Änderung: 02.09.2020

Die gesetzlich garantierte Bewegungsfreiheit im Land, Auslandsreisen, Emigration und Repatriierung werden generell respektiert (USDOS 11.3.2020, vgl. FH 4.3.2020).

Aufgrund des zentralistischen Staatsaufbaus und der geringen territorialen Ausdehnung gibt es kaum Ausweichmöglichkeiten gegenüber zentralen Behörden. Bei Problemen mit lokalen Behörden oder mit Dritten kann jedoch ein Umzug Abhilfe schaffen (AA 27.4.2020).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie hat Armenien die Einreise von Personen untersagt, die weder Staatsbürger Armeniens noch Familienangehörige eines Staatsbürgers oder rechtmäßige Bewohner Armeniens sind. Reisende, denen die Einreise nach Armenien gestattet ist, müssen sich 14 Tage lang in Selbstquarantäne begeben. Georgien und Armenien haben bilateral ihre Landgrenze bis auf weiteres geschlossen. Staatsbürger Armeniens oder Georgiens dürfen in ihre jeweiligen Länder zurückkehren. Ebenso ist die Grenze zwischen dem Iran und Armenien für die meisten Reisenden geschlossen (USEMB 23.4.2020; vgl. Gov.am o.D.). Eine landesweite Ausgangssperre wurde am 16.3.2020 ausgerufen, alle Personen mussten Deklarationsformulare und Ausweise stets bei sich tragen (Garda 31.3.2020; vgl. USEMB 23.4.2020). Verstöße gegen die Quarantänebestimmungen und Ausgangsbeschränkungen waren gesetzlich strafbar (USEMB 23.4.2020; vgl. Gov.am o.D.). Die Bestimmungen wurden jedoch häufig nicht eingehalten und nicht durchgesetzt (ChH 4.6.2020; vgl. TASS 4.6.2020). Bis Anfang Mai 2020 wurden die meisten Beschränkungen wieder aufgehoben (RFE/RL 2.6.2020; vgl. EN 3.6.2020, TASS 4.6.2020).

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Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 24.02.2021

Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung ist nach wie vor finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Nach Schätzungen der Weltbank für 2019 leben 22,2 % der Armenier unterhalb der Armutsgrenze (2016: 29,4%). Ein Großteil der Bevölkerung wird finanziell und durch Warensendungen von Verwandten im Ausland unterstützt. Das die Armutsgrenze bestimmende Existenzminimum beträgt in Armenien ca. 60.000 armenische Dram (AMD) im Monat, der offizielle Mindestlohn 55.000 AMD (= ca. 100 Euro). Das durchschnittliche Familieneinkommen ist mangels zuverlässiger Daten schwer einzuschätzen. Der Großteil der Armenier geht mehreren Erwerbstätigkeiten und darüber hinaus privaten Geschäften und Gelegenheitstätigkeiten nach (AA 27.4.2020).

Die Arbeitslosenquote liegt bei 16,6%, die Inflationsrate 2019 bei 1,44% (laenderdaten.info; vgl. CIA 5.2.2021)

Das Durchschnittseinkommen beträgt AMD 192.450 pro Monat (IOM 2020).

Trotz relativ günstiger Wachstumsraten ist es nicht gelungen, den Lebensstandard für breite Bevölkerungsteile spürbar zu erhöhen. Wegen der Corona-Krise 2020 ist er nun massiv bedroht (SWP 5.2020).

Der UNDP Human Development Index, ein Messwert zur Beurteilung der Humanentwicklung und der Ungleichheit, ergab 2017 für Armenien einen Wert von 0.757 [Statistischer Bestwert ist 1] (im Vergleich der HDI von Österreich beträgt 0.908). Damit belegte Armenien, dessen Wert sich seit 1990 kontinuierlich verbesserte, Platz 83 von 189 Staaten (UNDP 15.7.2018).

Rohstoffgewinnung und deren Verarbeitung dominieren die armenische Industrie. Auch der Landwirtschaftssektor spielt eine wichtige Rolle, vor allem in Exporten des Landes (WKO 5.202023.7.2018). Nach den politischen Veränderungen im Jahr 2018 ging es mit der armenischen Wirtschaft steil bergauf. Sie wuchs schnell und überholte die ihrer Nachbarländer: Das Wachstum im Jahr 2019 betrug laut Weltbank 7,6% (Euronews 20.4.2020; vgl. WKO 5.2020).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie ist die Produktion in einigen Sektoren um 90% gesunken. Der Bau- und Tourismussektor haben am meisten gelitten, da sie mit anderen W

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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