TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/28 W201 2181495-1

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Veröffentlicht am 28.06.2021
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Entscheidungsdatum

28.06.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W201 2181495-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF als Einzelrichterin, über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Dr. Martin ENTHOFER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX vom 22.11.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.05.2021

A)

beschlossen:

I.       Das Beschwerdeverfahren wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides eingestellt.

zu Recht erkannt:

II.      Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 57 AsylG 2005 wird als unbegründet abgewiesen.

III.    Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK auf Dauer unzulässig ist.

IV.       XXXX wird gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsbürger reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 05.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Bei der Erstbefragung am selben Tag gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, er schon als Kind Afghanistan verlassen und im Iran aufgewachsen. Als der Beschwerdeführer neun Jahre alt gewesen sei, habe er seinen Vater verloren und habe fortan arbeiten müssen um die Familie zu versorgen. Die finanzielle Situation sei sehr schlecht gewesen, daher habe ihn seine Mutter nach Europa geschickt. Er kenne sein Heimatland nicht und in den Iran könne er nicht zurück, da er dort illegal aufhältig gewesen sei.

3.       Am 04.10.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge ‚belangte Behörde‘ bzw. BFA genannt). Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, dass er sein Heimatland nicht kenne, da er bereits im Alter von zwei Jahren Afghanistan verlassen habe. Im Iran habe der Beschwerdeführer als Schweißer gearbeitet. Die finanzielle Situation sei jedoch schwierig gewesen, da er vier Schwestern zu ernähren gehabt habe. Die Afghanen seien im Iran auch immer gefährdet gewesen verhaftet zu werden. Aus der Haft habe man sich zwar freikaufen können, in letzter Zeit seien die Verhafteten aber auch immer vor die Wahl gestellt worden, nach Afghanistan ausgeliefert zu werden oder nach Syrien in den Krieg zu ziehen. Manchmal seien sie auch ohne Wahlmöglichkeit nach Syrien geschickt worden. In Syrien seien viele zu Tode gekommen, daher habe der Beschwerdeführer Angst davor gehabt. Dies sei der ausschlaggebende Grund für die Ausreise gewesen. Nach Afghanistan wolle der Beschwerdeführer nicht, da er dort über keine Wurzeln verfüge und die allgemeine Situation auch schlecht sei. Überdies habe die Familie Afghanistan verlassen, weil der Vater dort Probleme gehabt habe. Um welche Probleme es sich dabei genau gehandelt habe, wisse er nicht, er wisse nur, dass sein Vater bei einer Partei gewesen sei und dadurch Probleme gehabt habe.

3.1.    Im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens wurden Unterlagen zu Deutsch- bzw. sonstigen Kursen sowie integrationsbescheinigende Beweismittel und Nachweise über ehrenamtliche Tätigkeiten vorgelegt. Ebenso wurden ein ärztlicher Kurzbrief vom 18.08.2017 der einen Steinabgang rechts bei Nephrolithiasis diagnostiziert und die Bestätigung des Todes des Vaters des Beschwerdeführers vorgelegt.

4.       Mit Stellungnahme vom 12.10.2017 brachte der bevollmächtigte Vertreter vor, dass sich eine aktuelle und konkrete Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer in Afghanistan aufgrund der dort herrschenden Gesamtsituation ergebe. Es könne nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein. Vor allem sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer über keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge.

4.       Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde vom 22.11.2017 wurde über den Antrag des Beschwerdeführers wie folgt abgesprochen:

„I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 05.07.2015 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

IV. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.
V. Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

VI. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.“

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass eine aktuelle Bedrohung oder Verfolgung nicht habe festgestellt werden können. Es seien keine Umstände ersichtlich, dass der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr nicht ein existenzgesichertes Leben würde aufnehmen können. Die notwendigen Rahmenbedingungen für sein wirtschaftliches Überleben seien gegeben. Es bestehe auch kein Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung des Privat- und Familienlebens, da das öffentliche Interesse an einer Außerlandesschaffung überwiege.

5.       Mit Verfahrensanordnung vom 24.11.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß
§ 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE-Rechtsberatung Volkshilfe, Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung als Rechtsberater zur Seite gestellt.

6.       Gegen den Bescheid vom 22.11.2017 erhob der Beschwerdeführer im Wege der bevollmächtigten Vertretung fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang in welcher im Wesentlichen die Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens infolge einer mangelhaften Beweiswürdigung, und eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurden. Dem Beschwerdeführer drohe bei einer Überstellung nach Afghanistan ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Er könne in Afghanistan nicht die notwendigen und grundlegenden Lebensbedürfnisse befriedigen. Dies vor allem aufgrund des fehlenden sozialen und familiären Netzes.

Zur Untermauerung des Vorbringens, Asylrelevanz sowie schlechter Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, wird höchstgerichtliche Judikatur und aus UNHCR-Richtlinien sowie Berichten zur Lage in Afghanistan zitiert.

Auch wurde auf die lange Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich sowie dessen besondere Integrationsbestrebungen hingewiesen.

7.       In der Folge legte die belangte Behörde den Verwaltungsakt mit Schreiben vom 29.12.2017 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

8.       Mit Schriftsatz vom 15.05.2018 erfolgte die Vollmachtbekanntgabe des nunmehrigen Vertreters des Beschwerdeführers. Es wurde beantragt, den Ausgang der erstinstanzlichen Asylverfahren der der Mutter und der vier Schwestern des Beschwerdeführers abzuwarten, da er davon ausgehe, dass die den Angehörigen gewährten asylrechtlichen Bedingungen in gleicher Form für ihn zu gelten hätten. In der Folge wurden die Geschäftszahlen der Mutter und der Schwestern angeführt und die Meldezettel der Familie in Vorlage gebracht, aus welchen hervorgeht, dass der Beschwerdeführer, seine Mutter und seine Schwestern im gemeinsamen Haushalt leben. Gleichzeitig wurde das ÖSD Zertifikat A2 des Beschwerdeführers vom 23.03.2018 in Vorlage gebracht.

9.       Mit Wirksamkeit vom 19.12.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache nach der geltenden Geschäftsverteilung der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

10.      Mit Schriftsatz vom 23.03.2021 wurde vom bevollmächtigten Vertreter des Beschwerdeführers ergänzend vorgebracht, dass der Mutter und den vier Schwestern des Beschwerdeführers mittlerweile der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden sei. Der Beschwerdeführer lebe mit drei der Schwestern in einem gemeinsamen Haushalt in unmittelbarer Nähe zur Mutter und der noch minderjährigen Schwester. Weder am Fluchtvorbringen noch an der Rückkehrgefährdung habe sich eine Änderung ergeben und gleiches gelte für die Sicherheitslage in Afghanistan. Er sei in den Familienverband vollständig eingebunden und habe in Afghanistan keine Verwandten. Er sei strafrechtlich unbescholten und seit nahezu sechs Jahren durchgehend in Österreich aufhältig. Seine Schwestern seien mittlerweile berufstätig und er führe den Haushalt. Er lebe an einer ortsüblich selbstfinanzierten Unterkunft. Er habe sich vollständig integriert und sich immer wieder an gemeinnützigen Leistungen beteiligt. Es sei ihm daher jedenfalls die Aufenthaltsberechtigung plus zuzuerkennen und ein Aufenthaltsrecht zu gewähren. Mit dem Schreiben wurden Kopien der Erkenntnisse zu den Asylverfahren der Familie des Beschwerdeführers, Kursbesuchsbestätigungen, Empfehlungsschreiben und Prüfungszeugnisse sowie Nachweise zu Freiwilligentätigkeit in Vorlage gebracht.

11. Am 18.05.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Dari eingehend zum Privat- und Familienleben in Österreich, sowie den Lebensumständen in Afghanistan und im Iran sowie zu seiner Integration in Österreich befragt. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer durch die bevollmächtigte Vertretung die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. (Asyl) und II. (subsidiärer Schutz) des angefochtenen Bescheides zurückgezogen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensgemeinschaft des Islam. Als Geburtsdatum wird der XXXX angenommen. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Ein vormals bestehendes Nierensteinleiden wurde in Österreich erfolgreich behandelt und resultieren daraus keine dauerhaften Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit.

Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz XXXX . Im Alter von XXXX Jahren übersiedelte er mit seiner Familie in den Iran, wo er illegal bis zu seiner Ausreise nach Europa im Familienverband gelebt hat. Die Muttersprache ist Dari, er beherrscht aber auch Farsi in Wort und Schrift.

Er hat im Iran drei Jahre lang die Schule besucht und nach dem Tod seines Vaters Gelegenheitsabreiten ausgeführt. Zuletzt hat er XXXX Jahre lang als Schweißer gearbeitet und gemeinsam mit der Mutter die Familie ernährt.

Die Mutter des Beschwerdeführers und vier seiner Schwestern befinden sich in Österreich. Zwei weitere Schwestern des Beschwerdeführers sind in XXXX verheiratet.

1.2. Zum (Privat)Leben in Österreich

Der Beschwerdeführer gelangte unter Umgehung der Einreisevorschriften nach Österreich und stellte am 05.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er befindet sich auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

Der Mutter und den vier in Österreich befindlichen Schwestern des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes mittlerweile der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Das Verhältnis des Beschwerdeführers zu seiner in Österreich lebenden Kernfamilie ist sehr eng. Die Familienmitglieder leben aus Platzgründen auf zwei Haushalte aufgeteilt in unmittelbarer Nähe zueinander. Die Finanzierung der Wohnsitze erfolgt durch die bereits in sozialversicherungspflichtigen Dienstverhältnissen befindlichen Schwestern des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer kümmert sich um den Haushalt. Die Familie verbringt viel Zeit miteinander und es wird im Familienkreis viel unternommen.

Abgesehen von der Kernfamilie lebt noch ein Cousin des Beschwerdeführers in Österreich zu welchem aber kein Kontakt mehr besteht.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich Deutschkurse besucht und verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2. Er besucht einen B1 Kurs. Er hat wiederholt ehrenamtliche Tätigkeiten verrichtet und hat einen Freundeskreis in Österreich aufgebaut. Er unternimmt Radtouren und Wanderungen. Aktuell lernt er, um den Führerschein zu machen.

Der Beschwerdeführer legte zahlreiche Empfehlungsschreiben von Freunden und Bekannten vor, die sich für einen Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich einsetzen. Zusammengefasst kann daher festgestellt werden, dass eine gute Integrationsleistung des Beschwerdeführers vorliegt.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des Beschwerdeführers sowie in den Gerichtsakt zum Verfahren seiner Mutter und seiner Schwestern sowie durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu seiner Abstammung, dem Aufenthalt im Iran, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers beruhen auf dessen diesbezüglich plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens, sowie auf seiner Kenntnis und Verwendung der Sprachen Dari und Farsi. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, diese in Zweifel zu ziehen.

Die Identität konnte – mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente oder anderer relevanter Bescheinigungsmittel – nicht abschließend geklärt werden.

Die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer über keine familiären bzw. sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan mehr verfügt, werden anhand seiner eigenen glaubhaften Angaben im Laufe des gesamten Verfahrens getroffen.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer im 05.07.2015 einen Asylantrag stellte und sich nunmehr seit fast sechs Jahren im Bundesgebiet aufhält, erfolgt anhand des unzweifelhaften Akteninhaltes.

2.2. Zum Leben in Österreich

Die Feststellungen zur Einreise, der Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers und dem Status der Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus der jeweiligen Aktenlage.

Betreffend das Familien- und Privatleben, sowie die Integration des Beschwerdeführers in Österreich, wurden dessen diesbezüglich nachvollziehbare Angaben in der Beschwerdeverhandlung, sowie die vorgelegten unbedenklichen Unterlagen, den Feststellungen zugrunde gelegt.

Art und Ausgestaltung des Zusammenlebens in der Kernfamilie sowie das Vorhandensein weiterer Verwandter in Österreich ergeben sich aus den im Wesentlichen übereinstimmenden, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Aussagen des Beschwerdeführers während der mündlichen Verhandlung und den vorliegenden Auszügen aus dem Melderegister sowie aus dem vorgelegten Mietvertrag, in welchem der Beschwerdeführer und seine Schwestern als Mieter ausgewiesen sind.

Die Feststellungen hinsichtlich seiner Deutschkenntnisse gründen sich auf die im Zuge des Verfahrens vorgelegten Zertifikate bzw. Bestätigungen.

Dass der Beschwerdeführer im Bundesgebiet über einen Freundes- und Bekanntenkreis innerhalb der einheimischen Bevölkerung verfügt, ergibt sich aus den vorgelegten Unterstützungsschreiben.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer zahlreiche Empfehlungsschreiben von Freunden und Bekannten, die sich für seinen Verbleib in Österreich stark machen, vorgelegt hat, ergeben sich anhand des unzweifelhaften Akteninhaltes.

Die Feststellung hinsichtlich der strafrechtlichen Unbescholtenheit erfolgt anhand des eingeholten Strafregisterauszuges.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 1 VwGVG regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt (§ 58 Abs. 2 VwGVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013).

§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBL I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Zu A)

Zu Spruchpunkt I)

Einstellung des Beschwerdeverfahrens hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG die Entscheidungen und Anordnungen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Beschluss.

In welchen Fällen das Verfahren einzustellen ist, regelt das VwGVG nicht. Insoweit ist auf die diese Frage regelnden Vorschriften (unter Bedachtnahme auf die dazu ergangene Rechtsprechung) abzustellen (vgl. zu ausdrücklich im VwGVG angeordneten Konstellationen, in denen eine Verfahrenseinstellung vorzunehmen ist, § 16 Abs. 1 und § 43 Abs. 1 VwGVG). Bezogen auf nach dem AVG geführte Berufungsverfahren ist davon auszugehen, dass - auch ohne diesbezügliche ausdrückliche gesetzliche Anordnung - eine Verfahrenseinstellung (u.a.) dann vorzunehmen ist, wenn die Berufung rechtswirksam zurückgezogen wurde (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 66 Rz 56 mwN). Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047) hat diese Auffassung auch für das von Verwaltungsgerichten geführte Beschwerdeverfahren Platz zu greifen (vgl. Fuchs in Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, § 28 VwGVG Anm 5; die Einstellung in Beschlussform im Fall der Zurückziehung der Beschwerde bejahend auch Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 28 VwGVG Rz 7; Schmied/Schweiger, Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz, 112; Grabenwarter/Fister, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsgerichts-barkeit4 232; Hengstschläger/Leeb, AVG², § 13 Rz 42; Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts³ Rz 191).

Aufgrund der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.05.2021 erfolgten rechtswirksamen Zurückziehung der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II des angefochtenen Bescheides vom 22.11.2017 ist das Verfahren über die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des gegenständlich angefochtenen Bescheides mit Beschluss einzustellen.

Zu Spruchpunkt II)

Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005

Gemäß § 57 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

1.       wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2.       zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3.       wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach
§§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen im gegenständlichen Fall unbestritten nicht vor.

Die Beschwerde zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ist daher als unbegründet abzuweisen.

Zu Spruchpunkt III) Zur Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung auf Dauer

Gemäß § 10 Abs. 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem
8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1.       der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2.       der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3.       der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

4.       einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

5.       einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

Gemäß § 52 Abs. 1 hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1.       nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2.       nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehr-entscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1.       dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2.       dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3.       ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4.       ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Gemäß § 52 Abs. 9 ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. (§ 9 Abs. 1 BFA-VG)

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. (§ 9 Abs. 1 BFA-VG)

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist. (§ 9 Abs. 2 BFA-VG)

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre. (§ 9 Abs. 3 BFA-VG)

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung, ob im Fall der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt. Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0265, mwN).

Die bloße Aufenthaltsdauer ist nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt wurde, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Ausweisung auf die familiären oder sonstigen Bindungen der Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 22.09.2011, 2007/18/0864 bis 0865 mwN).

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes. Der Ermessensspielraum des Staates gestaltet sich je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen. Es ist eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Beurteilung vorzunehmen: In Zusammenschau und sorgfältiger Würdigung ist auf die soziale, wirtschaftliche, kulturelle und sprachliche Integration und vor allem das entstandene Familienleben zu achten.

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern bzw. Verheirateten umfasst, sondern auch entferntere Beziehungen, sofern diese ein gewisses Maß an Intensität aufweisen, zB auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Insbesondere im Falle von familiären Beziehungen zwischen erwachsenen Verwandten sind zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit gefordert (vgl. EGMR 20.12.2011, 6222/10, A.H. Khan, Rn 32; vgl. auch VwGH 02.08.2016, Ra 2016/20/0152).

Auf den Fall bezogen bedeutet das:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit Juli 2015 im Bundesgebiet und hält sich somit seit fast sechs Jahren in Österreich auf. Er ist strafrechtlich unbescholten. Der Beschwerdeführer hat sich während des Aufenthalts bereits Deutschkenntnisse A2 angeeignet, besucht den Deutschkurs B1, war nachweislich mehrfach ehrenamtlich tätig und hat sich einen Freundkreis aufgebaut.

Der Mutter und den vier Schwestern des Beschwerdeführers wurde in Österreich der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Der Beschwerdeführer lebte seit seiner Geburt – mit Ausnahme weniger Monate, die er bereits vor den übrigen Familienmitgliedern in Österreich verbrachte - im gemeinsamen Haushalt mit seiner Kernfamilie in engem Familienverband. Dies hat sich auch in Österreich nicht geändert. Der Beschwerdeführer hat ein enges Verhältnis zu seiner Mutter und seinen Schwestern. Er wohnt mit seinen drei mündigen Schwestern im gemeinsamen Haushalt. Die Mutter lebt gemeinsam mit der minderjährigen Schwester in unmittelbarer Nähe. Die getrennten Wohnorte sind darin begründet, dass es sich bei der Familie um zahlreiche Personen handelt. Die Wohnorte werden durch die sich bereits in sozialversicherungspflichtigen Dienstverhältnissen befindlichen Schwestern des Beschwerdeführers finanziert. So lange der Beschwerdeführer keiner Beschäftigung nachgehen kann, führt er den Haushalt.

Das Familienleben des Beschwerdeführers mit seiner Mutter und den Geschwistern besteht demnach tatsächlich und bestand auch bereits vor der Einreise in das Bundesgebiet. Das Familienleben ist als sehr intensiv anzusehen.

Eine Rückkehrentscheidung und Ausweisung des Beschwerdeführers würde daher bedingen, dass er von seiner Kernfamilie getrennt werden würde und alleine nach Afghanistan – ein Land, dass er nicht kennt, weil er es als Kind gemeinsam mit der Familie, in den Iran verlassen hat – zurückkehren müsste. Für die Mutter und Geschwister des Beschwerdeführers wäre es mangels gültigen Reisedokumenten für Afghanistan nicht möglich, den Beschwerdeführer im Herkunftsstaat zu besuchen. Auch umgekehrt ist die Besuchsmöglichkeit in Österreich durch die Voraussetzung eines Visums stark eingeschränkt. Eine Rückkehrentscheidung würde für den Beschwerdeführer eine massive Beschränkung der persönlichen Kontaktpflege mit seiner Kernfamilie mit sich bringen. Faktisch würde nur mehr virtueller Kontakt möglich bleiben. Die über bloße Konversation hinausgehenden bisherigen gemeinsamen Aktivitäten würden vollkommen entfallen.

Auch wenn aber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt (z.B. VwGH 07.09.2016, Ra 2016/19/0168), überwiegen im gegenständlichen Fall aufgrund des dargestellten außergewöhnlich intensiven Familienlebens zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Kernfamilie in einer Gesamtabwägung dennoch die familiären Interessen der Genannten an einem gemeinsamen Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, für die sich in der vorliegenden Konstellation keine begründete Rechtfertigung erkennen lässt.

Da somit das Interesse an der Aufrechterhaltung des Familienlebens des Beschwerdeführers im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt, war in Erledigung der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid die den Beschwerdeführer betreffende Rückkehrentscheidung für unzulässig zu erklären.

Wie dargelegt, beruhen die drohenden Verletzungen des Familienlebens auf Umständen, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind, weshalb auszusprechen war, dass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Zu Spruchpunkt IV) Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wird, weil dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

Sowohl die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung als auch die inhaltliche Berechtigung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 hängen jeweils vom Ergebnis der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG ab. Da die Frage der Erteilung des Aufenthaltstitels vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst ist, hat das Bundesverwaltungsgericht in einem zu entscheiden. (vgl. dazu VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0103)

Gemäß § 54. Abs. 1 AsylG 2005 werden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen Drittstaatsangehörigen erteilt als:

1.       „Aufenthaltsberechtigung plus“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 berechtigt,

2.       „Aufenthaltsberechtigung“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt,

3.       „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, die zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist, berechtigt.

Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 sind Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 für die Dauer von zwölf Monaten beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen. Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 1 und 2 sind nicht verlängerbar.

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1.       dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2.       der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1.       einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

2.       Anm.: aufgehoben durch Art. III Z 15, BGBl. I Nr. 41/2019 (Anm: Inkrafttreten 01.06.2019)

3.       über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des
§ 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4.       einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5.       als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.

(§ 9 Abs. 4 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, Anm: Inkrafttreten 01.10.2017)

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies:

Der Beschwerdeführer verfügt zwar über Sprachkenntnisse des Levels A2, hat aber im Verfahren keinen Nachweis zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung erbracht. Insbesondere konnte er kein Zeugnis über die Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegen.

Im Ergebnis war daher der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen Spruchpunkt IV. bis VI des Bescheids stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 iVm Abs. 2 AsylG die "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen.

Infolge der Erteilung dieses Aufenthaltstitels verlieren die Spruchpunkt V. und VI. des angefochtenen Bescheides ihre rechtliche Grundlage. Einer ausdrücklichen Aufhebung durch das Bundesverwaltungsgericht bedarf es nicht.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist – soweit diese nicht unvertretbar ist – nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN). Auch bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. 18.03.2016, Ra 2015/01/0255).

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltsdauer bestehendes Familienleben Deutschkenntnisse Familienleben Integration Interessenabwägung Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Teileinstellung teilweise Beschwerderückziehung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W201.2181495.1.00

Im RIS seit

20.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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