TE OGH 2021/8/6 6Ob131/21i

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Veröffentlicht am 06.08.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** S*****, geboren *****, vertreten durch Mag. Stefano Alessandro, Rechtsanwalt in St. Andrä-Wördern, gegen die beklagte Partei D***** M***** S*****, geboren *****, vertreten durch Scheer Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 11. Mai 2021, GZ 44 R 68/21g-56, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]            Die Vorinstanzen wiesen das auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten gerichtete Haupt- und das auf Ehescheidung gemäß § 55 Abs 3 EheG gerichtete Eventualbegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

[2]            Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist nicht zulässig.

[3]            1. Die rechtliche Überprüfung einer Entscheidung durch das Rechtsmittelgericht erfolgt nur insoweit, als im Rahmen einer Rechtsrüge Rechtsfragen zu (selbstständigen) Ansprüchen und Einwendungen oder zu selbstständigen rechtserzeugenden Tatsachen ausgeführt worden sind (RS0043338 [T20]; RS0043352 [T23, T30]). Die außerordentliche Revision tritt der Beurteilung des Berufungsgerichts, in der Berufung werde nicht konkret dargelegt, woraus eine Eheverfehlung der Beklagten abzuleiten sein sollte, nicht entgegen. Auch in der außerordentlichen Revision wird eine schwere Eheverfehlung der Beklagten im Sinn des § 49 EheG (oder eine damit im Zusammenhang stehende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts) nicht behauptet. Die Abweisung des Hauptbegehrens auf Scheidung nach § 49 EheG ist daher im Revisionsverfahren nicht mehr zu überprüfen.

[4]            2.1. Unter häuslicher Gemeinschaft nach § 55 EheG ist nach ständiger Rechtsprechung die Geschlechtsgemeinschaft, Wohnungsgemeinschaft und Wirtschaftsgemeinschaft zu verstehen. Erst wenn alle drei Voraussetzungen weggefallen sind, kann von einer Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft gesprochen werden (RS0057116; 8 Ob 61/18f). Die häusliche Gemeinschaft setzt eine Beziehung der Ehegatten voraus, die als Gemeinschaft anzusehen ist (RS0056987 [T1]), sodass die häusliche Gemeinschaft im Sinn des § 55 EheG trotz gelegentlichen Besuchen, Gesprächen über gemeinsam zu regelnde Angelegenheiten, Unterstützung in abgegrenzten Teilbereichen und wirtschaftlichen Kontakten der Eheleute sowie trotz fallweisem Geschlechtsverkehr aufgehoben sein kann (8 Ob 61/18f; 5 Ob 237/07z; RS0057167; RS0057036 [T1, T2]). Soweit in der Literatur das lokale Element der Wohnungsgemeinschaft betont wird (vgl Nademleinsky/ Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 55 EheG Rz 7; Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 55 EheG), hat der Oberste Gerichtshof bereits klargestellt, dass es darauf ankommt, ob zwischen den Ehegatten alle wesentlichen Gemeinschaftskontakte abgebrochen sind, die persönliche Berührung daher weitestgehend ausgeschaltet ist (10 Ob 103/98i; vgl auch RS0057036).

[5]            Ob im konkreten Fall die Voraussetzungen zur Annahme der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft vorliegen, ist stets eine Frage des Einzelfalls (RS0052929; 8 Ob 61/18f). Auch im Fall des getrennten Wohnens der Ehegatten kommt es daher auf die Gesamtheit der Umstände des jeweiligen Falls an.

[6]            2.2. Die Beurteilung der Vorinstanzen hält sich im Rahmen der dargestellten Grundsätze.

[7]            Das Berufungsgericht verneinte eine – sechs Jahre andauernde – Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft zwischen den Ehepartnern, weil diese nach dem Auszug des Klägers aus der gemeinsamen Ehewohnung im Jahr 2008 noch bis Juni 2018 und unabhängig von sexuellen Beziehungen zu Dritten regelmäßig (über weite Zeitperioden wöchentlich) Geschlechtsverkehr hatten, gemeinsame Freizeitaktivitäten setzten und Gespräche führten, weil die zwischen ihnen bestehende Wirtschaftsgemeinschaft nicht aufgelöst war (die Beklagte wohnt in einer vom Kläger angemieteten Wohnung, dieser in einem Gartenhaus auf der Liegenschaft der Beklagten, zu dessen Umbau sie einen gemeinsamen Kredit aufnahmen) und weil bis zum Scheidungswunsch des Klägers im Jahr 2018 eine innige seelische und psychische Verbundenheit zwischen ihnen bestanden hatte.

[8]            Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage zum Ergebnis gelangte, dass die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten im Sinn des § 55 EheG in einer Gesamtbetrachtung bis zur Äußerung des Scheidungswunsches des Klägers nicht aufgehoben war, so hat es damit den ihm eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht überschritten.

[9]            2.3. Soweit die außerordentliche Revision die Verpflichtung zum gemeinsamen Wohnen nach § 90 ABGB in den Mittelpunkt stellt, wird die trotz der getrennten Wohnungsnahme vorhandene Gemeinschaft der Ehegatten außer Acht gelassen, die sich nach dem festgestellten Sachverhalt nicht in finanziellen Unterstützungsleistungen in Teilbereichen oder in fallweisen Sexualkontakten erschöpfte, sondern auf einer tiefen inneren Verbundenheit beruhte.

[10]     3. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.

Textnummer

E132683

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00131.21I.0806.000

Im RIS seit

24.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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