Entscheidungsdatum
12.07.2021Norm
BFA-VG §22a Abs1 Z3Spruch
W150 2242596-1/20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 1997, StA. AFGHANISTAN, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Niederösterreich (BFA-N) vom 05.05.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG idgF, § 76 Abs. 2 Z 1 FPG idgF iVm § 76 Abs. 3 Z 1, Z 3 und Z 9 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG idgF, § 76 Abs. 2 Z 1 FPG idgF iVm § 76 Abs. 3 Z 1, Z 3 und Z 9 FPG idgF wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen.
III. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG idgF iVm § 1 Z 5 VwG-AufwErsV idgF, hat die beschwerdeführende Partei dem Bund Aufwendungen in Höhe von 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
IV. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Gewährung von Verfahrenshilfe wird gem. § 8a VwGVG abgewiesen.
V. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG idgF abgewiesen.
B)
Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge auch: „BF“), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt, spätestens jedoch am 27.09.2015 unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte an diesem Tage beim Bezirkspolizeikommando Bruck-Mürzzuschlag, Polizeiinspektion XXXX , einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei der Erstbefragung auf der PI XXXX am 28.09.2015 gab der BF an, den Namen XXXX zu führen, Staatsangehöriger von Afghanistan, ledig, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, mit muslimisch-schiitischem Glaubensbekenntnis, 16 Jahre alt und in XXXX wohnhaft zu sein.
3. In weiterer Folge veranlasste das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge auch: „BFA“ oder „belangte Behörde“) ein Handwurzelröntgen der linken Hand zur Bestimmung des Knochenalters und Tatsachenfeststellung bezüglich der angegebenen Minderjährigkeit. Anhand des Röntgenergebnisses: Schmeling 4, GP 31 konnte nicht zweifelsfrei von der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen werden, weshalb im Anschluss eine Volljährigkeitsbeurteilung durchgeführt wurde und anhand dieser der XXXX 1997 als fiktives Geburtsdatum errechnet und für das gegenständliche Verfahren herangezogen wurde. Dadurch ergab sich, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Asylantragstellung mit dem festgestellten Mindestalter von 18,39 Jahren bereits volljährig war.
4. Mit Bescheid des BFA vom 09.12.2016, XXXX , wies das BFA den Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG wurde Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.) Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.). Gegendiesen Bescheid erhob der BF am 23.12.2016 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in weiterer Folge auch: „BVwG“) und übermittelte eine Integrationsbestätigung der Caritas Flüchtlingshilfe Vorarlberg vom 21.12.2016.
5. Am 21.08.2018 wurde der BF von der Grundversorgung mit unstetem Quartier abgemeldet und war erst ab 08.11.2018 wieder mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet. Der BF hatte sich für den Zeitraum von 21.08.2018 bis 08.11.2018 dem laufenden Asylverfahren entzogen, indem der BF der Behörde in diesem Zeitraum weder seinen Aufenthaltsort noch eine Zustelladresse bekannt gab. Der BF wurde erst am 15.05.2019 wieder in die Grundversorgung aufgenommen.
6. Am 22.08.2017 bestand der BF gemäß ÖSD Zertifikat einen Deutschkurs auf dem Niveau A2.
7. Mittels Bescheid der Bezirkshauptmannschaft (BH) Bludenz vom 25.06.2019 z.Zl. HBL-III-1602.01-56/2019-5 wurde dem BF gemäß § 12 Abs. 1 des Waffengesetzes, BGBl I Nr. 12/97, iVm § 57 AVG der Besitz von Waffen und Munition verboten, weil der BF verdächtigt wurde, seit Herbst 2018 zumindest siebenmal straffällig geworden zu sein und gemäß den Abschluss-Berichten:
der Polizeiinspektion XXXX vom 03.11.2018 wegen § 83 StGB,
der Polizeiinspektion XXXX vom 10.11.2018 wegen § 83 StGB,
der Sicherheitswache der XXXX vom 08.02.2019 wegen § 83 StGB,
der Polizeiinspektion XXXX vom 12.03.2019 wegen § 27 SMG, 127 StGB,
der Polizeiinspektion XXXX vom 12.03.2019 wegen § 83 StGB,
der Polizeiinspektion XXXX vom 21.04.2019 wegen § 134 und 84 StGB
sowie der Polizeiinspektion XXXX vom 08.06.2019 wegen § 127 StGB zur Anzeige gebracht worden war.
Das Waffenverbot gegen den BF ist seit 05.08.2019 vollstreckbar und erwuchs am 20.08.2019 in Rechtskraft.
8. Am 05.07.2019; 06:13 Uhr wurde der BF durch die PI XXXX aufgrund der Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft Wien unter Zl.: 24 ST 158/19 f wegen der Begehung der gerichtlich strafbaren Handlung der schwereren Körperverletzung und der Unterschlagung gem. §§ 84, 134 StGB festgenommen und im Anschluss in die JA-Feldkirch überstellt.
9. Der BF war für das Landesgericht (LG) für Strafsachen Wien unter 151 HV 31/419i wegen der Begehung gerichtlich strafbaren Handlung gemäß §§ 84 (4) StGB § 134 (1); und § 83 (1) StGB von 05.07.2019; 14:10 Uhr bis 04.09.2019; 11:10 Uhr in Untersuchungshaft.
10. Der BF wurde am 04.09.2019 durch das LG für Strafsachen Wien unter GZ: 151 HV 31/2019i, rechtskräftig mit 04.09.2019, wegen schwerer Körperverletzung gem. § 15 StGB § 84 (4) StGB, wegen Körperverletzung gem. § 15 StGB § 83 (1) StGB, wegen Unterschlagung gem. § 134 (1) 1. Fall StGB und wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt gem. § 15 StGB § 269 (1) 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon Freiheitsstrafe 12 Monate bedingt mit einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.
11. Am 03.01.2020, 08:00 Uhr, wurde der BF aus der Strafhaft in der JA Innsbruck entlassen und aufgrund Vollzugsanordnungen zu Strafverfügungen der BH Bregenz unter XXXX und der BH Dornbirn unter XXXX im Polizeianhaltezentrum (PAZ) Innsbruck bis 12.01.2020 23:00 Uhr in Verwaltungsstrafhaft genommen.
12. Am 17.12.2019, AZ W222 2143311-1/25E, wies das BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22.11.2019 die Beschwerde des BF gegen den oben (Punkt 4.) genannten Bescheid des BFA vom 09.12.2016, Zl. 1088979607-151444171 gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 FPG als unbegründet ab. Die Rückkehrentscheidung gegen den BF erwuchs in weiterer Folge am 18.12.2019 in Rechtskraft.
13. Mit Mitwirkungsbescheid des BFA vom 30.09.2020 unter XXXX wurde dem BF gemäß § 46 Abs. 2a und 2b FPG in Verbindung mit § 19 AVG und § 13 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), aufgetragen an der Erlangung seines Heimreisezertifikates mitzuwirken.
14. Der BF wurde am 16.10.2020 bei einem Interviewtermin durch Angehörige der Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan in der Regionaldirektion Wien des Bundesamtes positiv identifiziert.
15. Am 12.11.2020 wurde der BF durch das Bezirksgericht (BG) Dornbirn unter 015 U 179/2020f wegen des unerlaubten Umganges mit Suchtgift gemäß §§ 27 (1) Z 1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (1) Z 1 8. Fall, 27 (2) SMG in einem Abwesenheitsurteil mit Rechtskraft vom 16.02.2021 zu einer Geldstrafe von 140 Tagsätzen zu je 4,00 EUR (560,00 EUR) im nicht Einbringungsfall mit 70 Tage Ersatzfreiheitsstrafe zum zweiten Mal verurteilt und die Probezeit des bedingten Strafteils zu LG F.STRAFS.WIEN 151 HV 31/2019i RK 04.09.2019 auf insgesamt 5 Jahre verlängert.
16. Am 09.04.2021 wurde der BF nach illegalem Grenzübertritt nach Deutschland von den dortigen Behörden aufgegriffen, die daraufhin einen Antrag gemäß Dublin III Abkommen zum Zweck der Rückübernahme des BF nach Österreich stellten. Gemäß dem Rückübernahmeersuchen hatte der BF keinen Asylantrag in Deutschland gestellt.
17. Aufgrund des unrechtmäßigen Verlassens des österreichischen Bundesgebietes des BF seit zumindest 09.04.2021 wurde der BF von der Grundversorgung abgemeldet, da er sich dem weiteren Verfahren zur Durchsetzung und Effektuierung seiner Ausreiseentscheidung entzogen hätte.
18. Aufgrund der Zustimmung zur Rückübernahme wurde der BF am 04.05.2021 von Deutschland mit der Flugnummer XXXX um 11:15 Uhr nach Österreich überstellt.
19. Der BF wurde unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen Wien Schwechat gemäß Festnahmeauftrag des Bundesamtes gemäß § 34 Abs. 3 Z 3 BFA-VG wegen des Vorliegens der Voraussetzungen für seine Abschiebung am 04.05.2021, um 11:20 Uhr, festgenommen und einem Eurodac-Abgleich zugeführt.
20. Entsprechend dem Ergebnis des Eurodac-Abgleiches des BF konnte festgestellt werden, dass der BF bislang nur in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz in Europa stellte.
21. Am 04.05.2021 wurde der BF dem BFA am Flughafen Wien Schwechat, um 15:00 Uhr im Beisein eines Dolmetschers zur möglichen Schubhaftverhängung und der möglichen Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme vorgeführt und einvernommen. Dabei machte der BF u.a. folgende Angaben:
(…)
F: Haben sie in einem anderen Staat der Europäischen Union einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt?
A: Nein.
(…)
F: Willigen Sie in ihre mögliche Abschiebung in Ihre Heimat ein?
A: Nein.
22. Am 04.05.2021 wurde der BF in das Polizeianhaltezentrum Wien Hernalser Gürtel eingeliefert.
23. Am 05.05.2021 wurde durch das BFA gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG über den BF am 05.05.2021 die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Mit Verfahrensanordnung vom 05.05.2021 wurde dem BF ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA-VG zur Verfügung gestellt. Mit Verfahrensanordnung vom 05.05.2021 wurde dem BF eine Organisation, welche ihn über die Perspektiven einer freiwilligen Rückkehr während und nach Abschluss des Verfahrens beraten und unterstützen kann, zur Seite gestellte.
24. Am 05.05.2021 wurde die HRZ Abteilung des Bundesamtes über den nunmehr bekannten Aufenthalt des BF in Kenntnis gesetzt, um die Erlangung eines Heimreisezertifikates voranzutreiben, da beabsichtigt sei, den BF zum nächstmöglichen Charterflug nach Afghanistan anzumelden und ihn davor zum zweiten Interview vorzuführen.
25. Der BF hat am 14.05.2021 im Stande der Schubhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz gestellt, wurde erneut erkennungsdienstlich behandelt und einer niederschriftlichen Erstbefragung zugeführt. Die von der Behörde angeordnete Prognoseentscheidung lautete auf Folgeantrag, Polizeianhaltezentrum Wien Hernalser Gürtel.
26. Am 14.05.2021 wurde dem BF der Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG zugestellt, da Gründe zur Annahme bestanden, dass der (Folge)Antrag vom BF zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde.
27. Am 18.05.2021 wurden dem BF die Verfahrensanordnungen gemäß § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG nachweislich zur Kenntnis gebracht.
28. Am 19.05.2021 brachte der BF die verfahrensgegenständliche Beschwerde ein in der er im Wesentlichen und soweit verfahrensrelevant ausführte, dass bei BF keine Fluchtgefahr gegeben sei, er habe bloß in Unkenntnis der Rechtslage auch versucht in Deutschland einen Asylantrag zu stellen und deshalb dorthin gereist. Außerdem habe der BF nun einen neuen Asylantrag gestellt, der neu begründet sei (Homosexualität) und nicht zur Verzögerung gestellt sei. Die Freiheitsstrafen des BF stellten keinen Schubhafttatbestand dar.
Es werde daher beantragt,
-) eine mündliche Verhandlung unter Einvernahme des Beschwerdeführers zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes durchführen;
-) den angefochtenen Bescheid beheben und aussprechen, dass die Anordnung von Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgte;
-) im Rahmen einer „Habeas Corpus Prüfung“ aussprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorliegen;
-) der belangten Behörde den Ersatz der Kommissionsgebühren und Barauslagen, für die die bf Partei aufzukommen hat, auferlegen.
Weiters stellte der BF einen Antrag auf Verfahrenshilfe gemäß § 8a VwGVG.
29. Aufgrund eines gerichtlichen Auftrages vom 20.05.2021 übermittelte das BFA am 25.05.2021 eine aktuelle amtsärztliche Bestätigung vom gleichen Tage, welches die Haftfähigkeit des BF bestätigte.
30. Am 26.05.2021 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprachen Dari, Farsi und Paschto statt, bei der der Vertreter des BF nach Akteneinsicht seine Beschwerde dahingehend abänderte, dass in der Beschwerde unrichtiger Weise ausgeführt worden sei, dass der BF in Deutschland einen Asylantrag gestellt habe. Es handle sich dabei um einen Irrtum.
Der BF gab dabei zusammengefasst und soweit verfahrensrelevant an, verhandlungsfähig zu sein, keine Medikamente regelmäßig einzunehmen und sein genaues Geburtsdatum nicht zu wissen. Weiters, dass in Afghanistan noch folgende Verwandte lebten: seine Eltern, ein jüngerer Bruder und eine jüngere Schwester. Reisedokumente habe er keine, auch keine zwischenzeitlich besorgt, da er in Haft gewesen sei. Er habe nichts unternommen, um nach der Rückkehrentscheidung Österreich legal zu verlassen, sei weiter in Österreich geblieben und habe weiter Deutschkurse besucht.
Er sei unbewusst nach Deutschland gefahren, er sei betrunken im Auto mit einem Freund gefahren. Dieser sei nach Deutschland gefahren. Als er es gewusst habe, dass er sich in Deutschland befinde, sei er aus dem Auto ausgestiegen und habe mit dem Freund gestritten. Wie der Freund heiße, wisse er nicht. Auch zum Auto könne er nichts Genaues sagen, vermutlich ein Mercedes.
In Haft sei er von niemandem besucht worden, weil es niemand gewusst habe. Er sei einmal wegen eines Streites in Wien mit einem anderen Afghanen gerichtlich verurteilt worden. An andere Verurteilungen könne er sich nicht erinnern.
Bezüglich des neu genannten Fluchtgrundes der Homosexualität gestaltete sich die Einvernahme wie folgt:
„BF: Ich bin Homosexuell, diese habe ich nun als Gründe geltend gemacht.
BFV: Seit wann fühlen Sie sich zu Männern hingezogen?
BF: Früher war es mir nicht so bewusst. Bei meiner Rücküberstellung von Deutschland nach Österreich, musste ich mich am Flughafen ausziehen. Ich wurde ausgelacht, nämlich von jenen, die mich ausgezogen haben. Nachdem sie mich ausgelacht haben, kam der Gedanke was mit mir nicht stimmt und warum sie über mich gelacht haben. Ich dachte, vielleicht sei mein Penis zu klein und es wurde mir noch im Duschbereich der Schubhaft bewusst, dass ich Homosexuell bin.
RI: Das ist Ihnen in all den Jahren, seit 2015 nicht aufgefallen?
BF: Nein, es ist mir nicht so richtig bis dato aufgefallen. Davon abgesehen, ist das eine Schande für uns Afghanen bzw. schambehaftetes, dass man Homosexuell ist.“
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Der oben dargelegte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.
1.2. Der volljährige BF befindet sich in seinem 25. Lebensjahr, ist afghanischer Staatsangehöriger, nicht österreichischer Staatsbürger oder Unionsbürger und verfügt über keine Aufenthaltsberechtigung in Österreich oder in einem anderen Mitgliedsstaat der EU.
Die Muttersprache des BF ist Dari. Er spricht Deutsch auf A2-Niveau. Der BF ist gesund. Es sind keine Hinweise auf eine Zugehörigkeit zu einer der CoVid-19-Risikogruppen bekannt. Er ist volljährig. Der BF verfügt über keine gültigen Reisedokumente und hat sich bis dato auch nicht um die Erlangung solcher bemüht.
Der BF verfügt über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich und ist auch sozial nicht verankert.
Der BF hat versucht, sich durch illegalen Grenzübertritt nach Deutschland dem Verfahren zu entziehen.
Der BF ist mittellos.
Es wird – im Rahmen einer Grobprüfung – festgestellt, dass eine andere sexuelle Orientierung als heterosexuell nicht feststellbar ist.
Der BF ging in Österreich bis dato keiner legalen Erwerbstätigkeit nach.
Der BF hat jedenfalls 2018 über zwei Monate lang gegen meldegesetzliche Vorschriften verstoßen und war daher für die Behörde nicht erreichbar.
Der vom BF seinerzeit am 27.09.2015 gestellte Asylantrag wurde mit Bescheid des BFA vom 27.09.2015 abgewiesen, die dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis des BVwG vom 17.12.2019, AZ W222 2143311-1/25E, als unbegründet abgewiesen. Ein Folgeantrag, gestellt am 04.05.2021, ist anhängig.
1.3. Die Anordnung der Schubhaft ist allein dem bisher gesetzten Verhalten des BF zuzurechnen, nämlich:
- Der BF ist bislang nicht seiner Ausreiseverpflichtung nach Afghanistan nachgekommen und ist schon einmal nach der ersten Abweisung seines Asylantrages für mehr als zwei Monate untergetaucht zuletzt durch seine Ausreise nach Deutschland abermals untergetaucht.
- Der BF erweist sich zum Entscheidungszeitpunkt mehrfach strafgerichtlich wegen strafbaren Handlungen gegen verschiedene Rechtsgüter vorbestraft, darunter auch Gewalt- und Suchtmitteldelikte. Es handelt sich im Detail dabei um die oben im Verfahrensgang unter Punkten 10. und 15. dargestellten Straftaten.
- Der BF ist definitiv nicht ausreisewillig. Er hat zwar in der Vergangenheit bewiesen, dass er sehr wohl in der Lage ist, das Land zu verlassen, er möchte jedoch unbedingt in Österreich bleiben.
- Der im Folgeantrag neu vorgebrachte Fluchtgrund der Homosexualität ist wenig glaubhaft
1.6. Es bestand zum Zeitpunkt der Schubhaftanhaltung und es besteht aktuell erhebliche Fluchtgefahr seitens des BF.
1.7. Die aufgrund der aktuellen Covid-19 Pandemie ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung schränken die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht ein.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes, den hg. Asylakten, sowie den Auszügen aus GVS, IZR, ZMR, dem kriminalpolizeilichen Aktenindex, der Anhaltedatei, aus den Ausführungen in der gegenständlichen Beschwerde vom 19.05.2021 sowie den Ausführungen des BF in der mündlichen Verhandlung am 26.05.2021.
2.1. An der afghanischen Staatsangehörigkeit des BF bestanden nie Zweifel. In der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG hat der BF angegeben, dass er keine Reisedokumente beschafft hat. Die Feststellung, dass der BF über kein Dokument verfügt, das ihn zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt, ergibt sich aus dem Verfahren und ist unstrittig. Seine Sprachkenntnisse beruhen auf seinem diesbezüglichen ÖSD-Zertifikat und in der vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung.
2.2. Die Feststellung zu den rechtskräftigen Entscheidungen in den Asylverfahren ergeben sich aus dem Verfahrensakt und den hg. Akten.
2.3. Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich sind keine vorhanden.
Seine de facto Mittellosigkeit ergibt sich aus der Anhaltedatei. Hätte andernfalls der BF erklärt, eine Sicherheitsleistung erlegen zu wollen, so erschiene dies wenig glaubhaft, da er diesfalls nicht erklären könnte, welcher legalen Herkunft dieser Betrag sein sollte.
2.4 Das Fehlen der Vertrauenswürdigkeit und Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers ergibt sich insbesondere aus seinem mehrfachen Untertauchen, zuletzt in Verbindung mit dem Verlassen des Bundesgebietes. Die in der Verhandlung durch den BF dargestellte quasi-Entführung im Auto durch eine ihm unbekannte Person erschien wenig lebensnah dargebracht und daher wenig glaubwürdig, war doch zunächst in der Beschwerde durch ihn vorgebracht worden, er habe in Deutschland einen Asylantrag stellen wollen. Erst nach Akteneinsicht - und daher auch Wahrnehmung des letzten Vernehmungsprotokolls, in dem der BF angegeben hatte, keinen Asylantrag in Deutschland gestellt zu haben - änderte der RV des BF die Beschwerde dementsprechend ab.
Dass der BF keinesfalls nach Afghanistan auszureisen beabsichtigt, erwies sich deutlich im Zuge seiner Einvernahme (Zitat: „Was haben Sie denn sonst unternommen um legal Österreich zu verlassen? - Ich habe nichts unternommen, ich bin weiter in Österreich geblieben und habe weiter Deutschkurse besucht.“). Es ist daher dringend zu befürchten, dass sich der BF im Falle der Entlassung aus der Schubhaft trotz Anwendung gelinderer Mittel durch Untertauchen dem Verfahren und seiner allfälligen Verpflichtung zur Ausreise nach Afghanistan entziehen wird.
Der im Folgeantrag vorgebrachte Fluchtgrund der Homosexualität erwies sich im Rahmen einer Grobprüfung einerseits schon deshalb nicht glaubwürdig, da ihm dies seit erstmaliger Stellung eines Asylantrages in Österreich erst ca. fünfeinhalb Jahre später eingefallen ist. Die Angaben im Zuge seiner Einvernahme vor dem BVwG am 26.05.2021, dass er erst im Zuge seiner Leibesvisitation nach Rücküberstellung nach Österreich durch die österreichischen Beamten seine Homosexualität bemerkt hätte, erscheint nicht glaubwürdig, da er schon aufgrund seiner Unterbringung in verschiedenen Haftanstalten (sowohl Strafhaft als auch Ersatzarrest) mehrfach und länger auf engem Raum mit Männern untergebracht war, ihm aber diesbezüglich nie etwas aufgefallen sein soll, andererseits gab er nun auch gar nicht an, dass er bei der Leibesvisitation sexuelle Erregung verspürt hätte, sondern gab ungefragt sogar im Gegenteil von sich aus an, dass sein Penis dabei sehr klein gewesen sei.
Bezüglich seiner verschiedenen Straftaten zeigte der BF zeigte im Zuge seiner Einvernahme vor dem BVwG am 26.05.2021 nicht auf, dass er sich mit seinen Taten selbstkritisch auseinandergesetzt hätte, im Gegenteil verdrängte er die Erinnerung an die meisten.
2.5. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers beruhen auf dem aktuellen amtsärztlichen Gutachten und dem Fehlen anderslautender medizinischer Befunde.
2.6. Das Vorliegen einer Covid-19 Pandemie und die dazu ergangenen Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung sind notorisch. Die Pandemie wurde von der WHO am 11.03.2020 ausgerufen. Innerstaatliche Einschränkungen welche die Vollziehung der Schubhaft in Österreich einschränken, sind durch die aktuell geltenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht gegeben. Der Flugverkehr mit Afghanistan ist grundsätzlich möglich und auch für den Monat Juni ist eine Charterabschiebung nach Afghanistan geplant; dies ist gerichtsnotorisch.
2.7. Die übrigen Fakten ergeben sich aus der diesbezüglich unbedenklichen Aktenlage.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: „Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein.“
Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:
„§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“
Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.
Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 lautet:
„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
4. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
Dazu die Materialien des Gesetzgebers:
Zu Abs. 2a:
Nach geltender Rechtslage ist eine Anordnung der Schubhaft zwecks Sicherstellung einer Außerlandesbringung bzw. zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung zulässig, sofern dies wegen Fluchtgefahr notwendig ist, außerdem die Haft verhältnismäßig ist und sich der Haftzweck mit einem gelinderen Mittel nicht wirksam verwirklichen lässt.
Eine "Fluchtgefahr" gemäß § 76 Abs. 3 sowie eine Fluchtgefahr im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. Nr. L 180 vom 29.06.2013 S. 31 (im Folgenden: "Dublin-Verordnung"), liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder die Abschiebung wesentlich erschweren wird. In § 76 Abs. 3 Z 1 bis 9 werden in einer auf der Judikatur des VwGH basierenden demonstrativen Aufzählung jene Kriterien aufgezählt, die bei der Prüfung des Vorliegens von Fluchtgefahr zu berücksichtigen sind. Auch wenn die Verhängung von Schubhaft gemäß höchstgerichtlicher Judikatur nicht der Aufdeckung oder Verhinderung von Straftaten oder ihrer Sanktionierung dient, sondern der Erfüllung eines administrativen Sicherungszweckes (vgl. VwGH 30.08.2007, 2006/21/0107; 22.11.2007, 2006/21/0189; 17.03.2009, 2007/21/0542; 20.10.2011, 2008/21/0191; 22.12.2009, 2009/21/0185 uvw. sowie VfGH 08.03.1994, G 112/93 = VfSlg. 13715), erhöht ein allfälliges strafrechtliches Fehlverhalten des Fremden in der Vergangenheit das öffentliche Interesse an der Überwachung der Ausreise (vgl. § 46 Abs. 1 Z 1) bzw. der baldigen Durchsetzung der Abschiebung und ist daher mittelbar auch für die Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Schubhaft von Bedeutung. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des VwGH (VwGH 17.03.2009, 2007/21/0542; 23.09.2010, 2009/21/0280; 22.12.2009, 2009/21/0185).
Auf eine etwaige Straffälligkeit des Fremden wird nach dem bisherigen Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich abgestellt. Es ist daher angezeigt, nunmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des VwGH explizit zu normieren, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung neben anderen Faktoren auch das bisherige strafrechtliche Fehlverhalten des Fremden zu berücksichtigen ist, insbesondere, ob sich aufgrund der Schwere der Straftaten das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößert. Klarzustellen ist, dass der vorgeschlagene Abs. 2a ein strafrechtliches Fehlverhalten des Fremden nicht zu einer notwendigen Voraussetzung für die Anordnung der Schubhaft macht. Vielmehr ergibt sich aus dem Wort "auch" und der Bezugnahme auf ein "allfälliges" strafrechtliches Fehlverhalten, dass bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur einem strafrechtlichen Fehlverhalten, sondern auch anderen Faktoren Bedeutung zukommen kann. Ebenso wenig ist aus Abs. 2a ein Umkehrschluss des Inhalts zu ziehen, dass über einen Fremden, dem keine strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen zur Last liegen, anstelle der Schubhaft nur mehr ein gelinderes Mittel angeordnet werden dürfte.
Zu Abs. 1:
Dieser Absatz entspricht weitestgehend dem bisherigen Abs. 1 und Abs. 1a. Die Definition der Schubhaft bleibt unverändert. Unter "Fremde" im Sinne dieser Bestimmung sind sowohl illegal als auch rechtmäßig aufhältige Fremde sowie Asylwerber zu verstehen. Bei rechtmäßig aufhältigen Fremden müssen jedoch naturgemäß stärkere Hinweise für eine Fluchtgefahr vorliegen als bei unrechtmäßig aufhältigen Fremden (Verhältnismäßigkeit). Gegen Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte kann Schubhaft aufgrund von § 1 Abs. 2 FPG nicht verhängt werden.
Zu Abs. 2:
Dieser Absatz soll bestimmen, unter welchen grundlegenden Voraussetzungen Schubhaft zulässig ist. Eine Schubhaft ist demgemäß zur Sicherung eines Verfahrens zulässig und sofern zudem Fluchtgefahr bzw. Sicherungsbedarf besteht. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird nun dezidiert in die Bestimmung aufgenommen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (ua. B 362/06 vom 24. Juni 2006; B 1330/06 sowie B 1331/06 vom 15. Juni 2007) ist die Behörde verpflichtet, von der Anwendung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist. Betreffend das Kriterium der Verhältnismäßigkeit gilt, dass die Behörde verpflichtet ist, auf eine möglichst kurze Dauer der Schubhaft hinzuwirken. Diesbezüglich erörterte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. Mai 2011, 2008/21/0527, "dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig" (VwGH vom 19. Mai 2011, 2008/21/0527). Die Bestimmung ist in zwei Ziffern gegliedert, um die Schubhaftfälle außerhalb des Anwendungsbereiches der Dublin-Verordnung (Z 1) von den Dublin-Fällen (Z 2) zu unterscheiden. Für letztere gelten die Voraussetzungen der Dublin-Verordnung unmittelbar, weshalb sich in diesen Fällen die Vorraussetzung der Verhältnismäßigkeit und der erheblichen Fluchtgefahr direkt aus dem Unionsrecht ergibt (siehe Art. 28 Abs. 2 Dublin-Verordnung). Weiters siehe Erläuterungen zu Abs. 3 Z 6.
Zu Abs. 3:
In diesem Absatz werden die Tatbestände, welche bei der Feststellung der Fluchtgefahr insbesondere zu berücksichtigen sind, näher determiniert. Es handelt sich bei der Schubhaftverhängung bzw. der Beurteilung, ob Fluchtgefahr vorliegt, nach wie vor um eine Abwägungsentscheidung, in die die in den Ziffern des Abs. 3 genannten Kriterien einfließen. Trotz der umfassenden Neuformulierung des § 76 FPG ist damit keine grundlegende rechtliche Änderung intendiert. Die genannten Kriterien zum Vorliegen von Fluchtgefahr spiegeln die herrschende Rechtsprechung insbesondere des Verwaltungsgerichtshofes zur Schubhaft wider. Es handelt sich daher lediglich um die Festschreibung der gängigen Judikatur. Insbesondere wurde durch die Formulierug des Absatz 3 der neuesten VwGH-Rechtsprechung vom 19. Februar 2015 (GZ Ro 2014/21/0075) Rechnung getragen. Grundsätzlich ist eine Inhaftnahme zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin-Verordnung zulässig, sofern eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich gelindere Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Fluchtgefahr wird in Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung mit dem Vorliegen von Gründen im Einzelfall definiert, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und annehmen lassen, dass sich der Betreffende dem laufenden Überstellungsverfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Der VwGH hielt dazu fest, dass die Bestimmungen des bisherigen § 76 Abs. 2 keine - gesetzlich festgelegten - objektiven Kriterien für die Annahme von erheblicher Fluchtgefahr iSd Dublin-Verordnung enthielten. Die Dublin-Verordnung verlange gesetzlich festgelegte Kriterien zur Konkretisierung der in der Verordnung für die Schubhaftverhängung normierten Voraussetzung des Vorliegens von Fluchtgefahr. Diese Kriterien fanden nunmehr durch die deklarative Aufzählung der Tatbestände Eingang in Absatz 3 und lassen allesamt annehmen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Bei Dublin-Fällen ist insbesondere auch Z 6 zu beachten. Die Definition der Fluchtgefahr gilt für sämtliche Schubhaftfälle, also auch für jene im Rahmen der Dublin - Verordnung (Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung).
Z 1:
Der Begriff Rückkehr stammt aus der Rückführungsrichtlinie (Art. 3 Z 3) und umfasst sowohl die freiwillige als auch die erzwungene Rückführung. Diese Ziffer ist sowohl durch Art. 15 der Rückführungsrichtlinie als auch Art. 8 Neufassung der Aufnahmerichtlinie gedeckt. Zudem gibt es hierzu bereits gefestigte höchstgerichtliche Judikatur. So hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass die bereits manifestierte wiederholte Weigerung bei der Abschiebung mitzuwirken sowie deren erfolgreiche Vereitelung ausreichend Sicherungsbedarf begründet (VwGH vom 11. Juni 2013, 2012/21/0114 und vom 30. August 2011, 2008/21/0588). In einem frühen Stadium des Asylverfahrens bedarf es besonderer Umstände, die ein Untertauchen des betreffenden Fremden schon zu diesem Zeitpunkt konkret befürchten lassen. In einem späteren Stadium des Asylverfahrens, insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Ausweisung, können unter Umständen auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs genügen (VwGH vom 23. September 2010, 2007/21/0432).
Z 2:
Diese Bestimmung findet sich im Wesentlichen bereits im bisherigen § 76 Abs. 2 Z 3 und ist auch je nach betroffenem Personenkreis sowohl in Art. 8 lit. d Neufassung der Aufnahmerichtlinie sowie in Art. 15 Rückführungsrichtlinie vorgesehen.
Z 3:
Die Notwendigkeit der Schubhaft kann sich daraus ergeben, dass sich der Fremde vor der Einreise in das Bundesgebiet in einem anderen Staat dem behördlichen Zugriff entzogen und hierüber nach seiner Einreise zusätzlich falsche Angaben gemacht hat (VwGH vom 28. Juni 2007, 2006/21/0051). Zur Prüfung des Sicherungserfordernisses ist auf alle Umstände des konkreten Falles Bedacht zu nehmen, um die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens, als schlüssig anzusehen. Dabei kommt insbesondere dem bisherigen Verhalten des Fremden Bedeutung zu. Die konkrete Situation des Asylwerbers muss geprüft werden, auch wenn er als Fremder vorher in einem sicheren Drittland einen Asylantrag gestellt hat (vgl. VwGH vom 30. August 2007, 2006/21/0027).
Z 4:
Wenn der Asylwerber einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) gestellt hat und der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, kann Schubhaft verhängt werden. Erforderlich ist jedoch eine bereits tatsächlich erfolgte (und nicht nur für die Zukunft in Aussicht gestellte) Aufhebung des faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 (VwGH vom 17. November 2011, 2010/21/0514).
Z 5:
Liegt eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor, so kann ab diesem Zeitpunkt die Schubhaft daher jedenfalls (auch) der Sicherung der Abschiebung dienen. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt aber nur dann in Betracht, wenn mit der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist (VwGH vom 28. August 2012, 2010/21/0517). In späteren Stadien des Asylverfahrens - insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Ausweisung - können schon weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung die Annahme eines Sicherungsbedarfs rechtfertigen (VwGH 20. Oktober 2011, 2008/21/0191). Z 6: Auch bei Fällen mit Dublin-Bezug ist darauf zu achten, dass die Schubhaftverhängung keine Standardmaßnahme gegen Asylwerber sein darf (VwGH vom 28. Februar 2008, 2007/21/0391). Siehe auch Erläuterungen zu Z 3.
Z 6:
berücksichtigt insbesondere die bisherige Judikatur des VwGH, wonach für die Schubhaftverhängung "besondere Gesichtspunkte vorliegen [müssen], die erkennen ließen, es handle sich um eine von den typischen "Dublin-Fällen" abweichende Konstellation, in der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung durch den Fremden geschlossen werden könne" (Zl Zl 2014/21/0075 sowie Zl 2013/21/0170 mwN).
Z 7:
Unter diese Ziffer fallen unter anderem Fälle, in denen sich der Fremde aktuell dem gelinderen Mittel entzogen hat (§ 77 Abs. 1 FPG), da dann angenommen werden kann, dass der Zweck der Schubhaft nicht durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Ebenso fallen darunter jene Fälle, in denen sich der Fremde schon in der Vergangenheit dem gelinderen Mittel entzogen hat, in der Zwischenzeit nicht greifbar war und nun wieder aufgetaucht ist. Grundsätzlich gilt der Vorrang des gelinderen Mittels (VfGH vom 3. Oktober 2012, G140/11 ua - G86/12 ua). Fehlt ein Sicherungsbedürfnis, darf jedoch weder gelinderes Mittel noch Schubhaft angeordnet werden (VwGH vom 17.10.2013, 2013/21/0041).
Z 8:
Die Verletzung von Auflagen, Mitwirkungspflichten, der Gebietsbeschränkung oder Meldeverpflichtung kann ein Indiz für das Vorliegen von Fluchtgefahr sein, wobei auch hier gilt, den konkreten Einzelfall zu berücksichtigen. Der Tatbestand der Verletzung der Gebietsbeschränkung fand sich bisher in § 76 Abs. 2a Z 2 (VwGH vom 26. August 2010, 2010/21/0234).
§ 76 Abs. 3 Z 8 stellt klar, dass die Verletzung von Meldepflichten ein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Fluchtgefahr sein kann. Dies gilt nicht nur für die Verletzung der bisher ausdrücklich genannten Meldepflichten, sondern auch für die Missachtung des § 38b SPG. Es ist daher sachgerecht, diese Bestimmung in die Aufzählung aufzunehmen.
Z 9:
Dem Gesichtspunkt einer "sozialen Verankerung in Österreich" kommt im Zusammenhang mit der Verhängung der Schubhaft wesentliche Bedeutung zu. Dabei kommt es u.a. entscheidend auf das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit oder auf die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes an (VwGH vom 30. August 2011, 2008/21/0107). Je länger somit der Fremde bereits in Österreich ist und je stärker er hier sozial verwurzelt ist, desto stärker müssen auch die Hinweise und Indizien für eine vorliegende Fluchtgefahr sein. Dabei ist zu beachten, dass Mittellosigkeit und fehlende soziale Integration in Bezug auf (noch nicht lange aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, allein noch keine tragfähigen Argumente für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs sind (VwGH vom 28. Mai 2008, 2007/21/0233).
Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
Die belangte Behörde begründete die festgestellte Fluchtgefahr im Wesentlichen mit der Verweigerung der Rückkehr in die Russische Föderation, dem Untertauchen, den mehrfachen Asylanträgen, weiters seiner Straffälligkeit.
Insgesamt ging das Bundesamt zutreffend davon aus, dass im Falle des Beschwerdeführers insgesamt Fluchtgefahr in einem die Anordnung der Schubhaft rechtfertigenden Ausmaß besteht. Aufgrund seiner vielen Auslandsaufenthalte (Polen, Belgien, Schweiz) besteht das zusätzliche Risiko des Untertauchens. Vor allem hat der BF auch durch seinen Hungerstreik – erfolglos – versucht, sich aus der Schubhaft freizupressen sowie das Verfahren durch das Stellen eines Antrages auf freiwillige Rückreise und das bald darauf erfolgte Zurückziehen dieses Antrages zu verzögern und damit unter Beweis gestellt, dass er bereit, alle nur erdenklichen Mittel zu versuchen, um seine Ausreise zu vereiteln oder zumindest zu verzögern.
Dem Bundesamt ist jedenfalls beizupflichten, dass sich im Falle des Beschwerdeführers weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen: Eine echte soziale Verankerung in Österreich war nicht zu erkennen, ebenso kein Vermögen. Auf Grund der Fluchtgefahr, die sich im bisherigen Verhalten des Beschwerdeführers manifestiert, der durch den BF immer wiederkehrenden erheblichen Störung der Ordnung und Sicherheit im öffentlichen Raum überwogen die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung die Interessen des Beschwerdeführers an der Abstandnahme von der Verhängung der Schubhaft deutlich und war diese als ultima-ratio-Maßnahme notwendig.
Überdies gab es bei Anordnung der Schubhaft keine erkennbaren Hinweise auf eine Haftunfähigkeit des Beschwerdeführers.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gegen die Anhaltung in Schubhaft abzuweisen.
Zur Frage der für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen:
Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Der Beschwerdeführer befindet sich zum Zeitpunkt der Entscheidung in Schubhaft, es ist daher eine Entscheidung über die Fortsetzung der Schubhaft zu treffen.
Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
Da der Beschwerdeführer aktuell (in Schubhaft) angehalten wird, war auch über die Fortsetzung der Anhaltung innerhalb einer Woche abzusprechen.
All das soeben oben zur Verhängung der Schubhaft Ausgeführte gilt auch für die Fortsetzung der Schubhaft. Der BF beabsichtigte und beabsichtigt noch immer, in Österreich zu bleiben bzw. wieder zurückzukehren, ohne dazu berechtigt zu sein. Somit würde bei Anwendung eines gelinderen Mittels die Gefahr bestehen, dass der BF neuerlich in die Straffälligkeit, insbesondere die Suchtgiftszene abgleitet oder anderen illegalen Beschäftigungen nachgehen wird und dadurch weiter gegen österreichische Gesetze verstößt, zumal er mangels des früheren Erhaltes von Leistungen aus der Bundesbetreuung nun selbst Geldmittel für seinen Lebensunterhalt auftreiben muss. Bei der allfälligen plötzlichen Aufbringung einer hohen Sicherheitsleistung ist der Erlag einer solchen anstatt der Aufrechterhaltung der Schubhaft ausgeschlossen, weil die Herkunft dieser Summe nicht nachvollziehbar wäre und nicht aus einer legalen Beschäftigung herrühren kann. Eine Sicherheitsleistung würde den BF auch nicht am Untertauchen hindern, da er offensichtlich sehr viel unternimmt, um den Schengenraum nicht verlassen zu müssen.
In diesem Sinne scheidet die Anwendung gelinderer Mittel aus. Es war daher gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen weiter vorliegen.
Zur Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe:
Die auf den gegenständlichen Anlassfall anzuwendende Bestimmung des § 8a VwGVG hat nachstehenden, auszugsweise wiedergegebenen Wortlaut:
„§ 8a. (1) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.
(2) Soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist, sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung - ZPO, RGBl. Nr. 113/1895, zu beurteilen. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe schließt das Recht ein, dass der Partei ohne weiteres Begehren zur Abfassung und Einbringung der Beschwerde, des Vorlageantrags, des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder zur Vertretung bei der Verhandlung ein Rechtsanwalt beigegeben wird.
(3) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist schriftlich zu stellen. Er ist bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. Für Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG ist der Antrag unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen.
[...]“
1.1.2. Die Artikel 47 und 51 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Abl 2012/C 326/02, lauten auszugsweise wörtlich wiedergegeben wie folgt:
„Artikel 47 Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht
Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.
Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.“
„Artikel 51 Anwendungsbereich
(1) Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in den Verträgen übertragen werden.“
Im gegenständlichen Fall bedeutet dies: