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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §18 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des N H, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. März 2021, W138 2195471-1/9E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein aus Kabul stammender afghanischer Staatsangehöriger, beantragte am 17. Februar 2016 internationalen Schutz, weil er von den Taliban verfolgt werde.
2 Mit Bescheid vom 13. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel nach § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft machen können, im Falle der Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Kabul oder bei Wiederansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif, wo der Revisionswerber vor seiner Ausreise längere Zeit gelebt habe, von den Taliban verfolgt zu werden. Eine Rückkehr bzw. Ansiedlung in diesen Städten sei dem gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerber möglich und zumutbar. Die Rückkehrentscheidung sei bei Abwägung der für und gegen den Verbleib des Revisionswerbers in Österreich sprechenden Interessen zulässig.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit zusammengefasst geltend gemacht wird, das BVwG gehe davon aus, dass der Revisionswerber gesund und arbeitsfähig sei, obwohl er angegeben habe, im Schlaf Angst zu haben und an Vergesslichkeit zu leiden. Diese Umstände sprächen für eine Traumatisierung aufgrund seiner Erlebnisse in Afghanistan. Ausgehend davon hätte das BVwG ein psychiatrisches Gutachten einholen müssen, das gezeigt hätte, dass eine Rückkehr nach Afghanistan für den Revisionswerber zu einem „real risk“ werden würde, dies vor dem Hintergrund der Pandemie mit weitreichenden Folgen. Er werde aufgrund seiner Ängste und seiner Vergesslichkeit keine adäquate Arbeit finden, schon gar keine hilfreiche Behandlung chronischer Störungen.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:
Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
7 Die Revision wendet sich gegen die Feststellung des BVwG, der Revisionswerber sei gesund und arbeitsfähig. Sie verweist diesbezüglich auf seine Aussage in der mündlichen Verhandlung, an angstbedingten Schlafstörungen und an Vergesslichkeit zu leiden. Daraus hätte das BVwG auf eine Traumatisierung des Revisionswerbers schließen und ein psychiatrisches Gutachten einholen müssen. Dieses hätte ergeben, dass seine psychischen Probleme der ungefährdeten Rückkehr nach Afghanistan entgegenstünden.
8 Richtig ist, dass die Feststellung des BVwG, der Revisionswerber sei gesund, in einem Spannungsverhältnis zu von ihm angegebenen angstbedingten Schlafstörungen und seiner Vergesslichkeit steht. Das BVwG hat seine Feststellung im Rahmen der rechtlichen Beurteilung aber relativiert, indem es dort ausführte, der Revisionswerber sei „bis auf Schlafstörungen und Ängste nachts vollkommen gesund“. Es hat weiters darauf hingewiesen, dass sich der Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung als „sonst gesund“ bezeichnet und angegeben hatte, sich in keiner medizinischen Behandlung zu befinden. Über ausdrückliche Frage des Gerichts hatte er außerdem angegeben, arbeitsfähig zu sein und jede Art von Arbeit verrichten zu können. Die Revision erwähnt diesen Teil der Aussage des Revisionswerbers zwar, meint im Folgenden aber, es habe sich um eine „Suggestivfrage nach der Arbeitsfähigkeit“ gehandelt. Dieser Vorwurf ist angesichts der offenen Fragestellungen durch das Gericht und der darauf gegebenen Antworten des Revisionswerbers nicht nachvollziehbar (R: „Würden Sie sich selbst als arbeitsfähig einschätzen? BF: Ja. Ich bin seit ca. 5 Jahren in Österreich und war nie ohne Beschäftigung ... R: Gibt es irgendwelche Arbeiten, die Sie nicht verrichten können? BF: Nein, solche Arbeiten gibt es nicht. Ich kann jede Art von Arbeit verrichten“). Ausgehend davon legt die Revision nicht hinreichend dar, weshalb sie entgegen den Angaben des Revisionswerbers davon ausgeht, dass seine psychischen Probleme die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigen und eine medizinische Behandlung, die in Afghanistan nicht erhältlich sei, erfordern würden. Schon deshalb vermag sie nicht darzutun, dass dem Revisionswerber bei Rückkehr nach Afghanistan (in seine Herkunftsprovinz) eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde.
9 Wenn die Revision moniert, das BVwG habe es unterlassen, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen, ist ihr zu erwidern, dass im Verfahren kein darauf gerichteter Beweisantrag gestellt wurde. Das Revisionsvorbringen ist vor diesem Hintergrund dahingehend zu verstehen, dass das BVwG von amtswegen ergänzende Ermittlungen zum Gesundheitszustand des Revisionswerbers hätte tätigen sollen. Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, begründet nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern stellt eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar. Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass dem BVwG bei dieser Beurteilung ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender wesentlicher Verfahrensmangel unterlaufen wäre und dem BVwG unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Beweisergebnisse die amtswegige Einholung eines psychiatrischen Gutachtens „erforderlich“ im Sinne des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 erscheinen musste (vgl. zu amtswegigen Ermittlungspflichten und ihren Grenzen etwa VwGH 22.2.2021, Ra 2020/18/0504, mwN).
10 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 7. Juni 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180192.L00Im RIS seit
30.06.2021Zuletzt aktualisiert am
20.07.2021