TE Vwgh Erkenntnis 1997/3/19 95/01/0647

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Veröffentlicht am 19.03.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des I in T, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 21. Juni 1995, Zl. 4.346.621/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein bosnischer Staatsangehöriger, der am 14. April 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. Mai 1995, mit dem sein Asylantrag abgewiesen worden war, mit Berufung bekämpft.

Mit Bescheid vom 21. Juni 1995 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 24. April 1995 geltend gemacht, er habe auf Grund eines Einberufungsbefehls im Jahre 1992 bei der bosnisch-serbischen Armee eine 40-tägige Schulung durchgemacht und sei in der Folge zur Überwachung der "freien Linie" im Bereich Brcko - Srebrenik zum Einsatz gekommen. Sein Auftrag sei gewesen, diese Linie gegen allfällige Angriffe der bosnischen Armee zu verteidigen. Er habe bis 23. März 1994 seinen Dienst bei dieser Armee versehen. In der Nacht vom

27. zum 28. März 1994 sei er gemeinsam mit fünf anderen Männern von Soldaten der bosnischen Armee gefangen genommen worden. Er sei in einem Gefängnis für zwei Tage angehalten und dann in das Gefängnis von Tuzla überstellt worden, wo man ihn nach weiteren zehn Tagen freigelassen, ihm gleichzeitig aber den Auftrag erteilt habe, sich wöchentlich bei der Polizeistation Tuzla zu melden und den Bezirk Tuzla nicht zu verlassen. Man habe ihm auf seine Erklärung, den Dienst bei der bosnisch-serbischen Armee nicht freiwillig versehen zu haben, die Gegenfrage gestellt, warum er nicht geflohen sei, um sich der bosnischen Armee anzuschließen. Der Beschwerdeführer habe sich wöchentlich bei der Polizeistation gemeldet und seit Jänner 1995 mit seiner Frau und seinem Sohn, die nachgekommen seien, in Tuzla bzw. in Banovici gelebt. Da es nur eine Frage der Zeit gewesen sei, bis er zur bosnischen Armee eingezogen worden wäre - sein Sohn habe bereits einen Einberufungsbefehl ins Militärlager in Tuzla erhalten -, habe er sich zur Flucht entschlossen, wobei sein Halbbruder Reisepässe besorgt habe. Er habe vom Krieg und vom Schießen auf andere Leute genug gehabt. In Tuzla und Banovici hätten viele Leute gewußt, daß er in der bosnisch-serbischen Armee gedient habe, und ihn als "Tschetnik" beschimpft. Er habe außerdem befürchtet, irgendwann wegen seines Dienstes in der bosnisch-serbischen Armee vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden.

In seiner Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer sein Vorbringen vor der Behörde erster Instanz und wandte sich gegen die Annahme der Verfolgungssicherheit in Kroatien.

Die belangte Behörde hat die Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers unter Heranziehung der Ergebnisse des vom Bundesasylamt durchgeführten Ermittlungsverfahrens und der maßgebenden Erwägungen bei der von dieser Behörde vorgenommenen Beweiswürdigung wie auch der darauf gestützten Beurteilung der Rechtsfragen im Ergebnis damit begründet, daß, weil der Beschwerdeführer seit seiner Freilassung ein Jahr unbehelligt in Bosnien habe leben können, zwingende Indizien dafür sprächen, daß er seitens der bosnischen Behörden Verfolgung nicht zu befürchten habe. Eine Einberufung zur bosnischen Armee sei nicht nur auf Grund des Alters des Beschwerdeführers, sondern auch deshalb nicht zu erwarten gewesen, weil im Fall einer bestehenden Absicht, ihn zur bosnischen Armee einzuziehen, schon längst ein Einberufungsbefehl an ihn ergangen wäre. Doch selbst bei Vorliegen eines solchen Befehls hätte von Verfolgung nicht ausgegangen werden können, weil die Militärdienstpflicht und ihre Sicherstellung durch Strafdrohungen eine auf einem originären und souveränen staatlichen Recht beruhende legitime Maßnahme darstelle. Die Gründe des Beschwerdeführers, der Militärdienstpflicht nicht nachkommen zu wollen, seien asylrechtlich unbeachtlich, weil aus ihnen keine Rückschlüsse auf eine Verfolgungsmotivation des Staates gezogen werden könnten.

Der belangten Behörde ist zunächst insoweit beizupflichten, als die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehls, sei es durch Desertion - nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling rechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 (übereinstimmend mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) angeführten Gründen erfolgt, in denen damit gerechnet werden müßte, daß ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, daß eine dem Asylwerber wegen Wehrdienstverweigerung drohende Strafe aus diesen Gründen gegen diesen schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen verhängt würde (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14.089/A). Anders als in dem Fall, der dem angeführten Erkenntnis des verstärkten Senates zugrunde lag, hat der Beschwerdeführer einen Einberufungsbefehl gar nicht erhalten und weder bei seiner Ersteinvernahme noch in seiner Berufung Ausführungen, die auf das Vorliegen von in der bloß als bevorstehend vermuteten Aufforderung, sich zum Militärdienst zu melden, liegender Verfolgung im Sinne obiger Judikatur hindeuten würden, gemacht. Eine Verfolgung ist aber jedenfalls nur dann asylrechtlich relevant, wenn sie mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.

Der belangten Behörde kann auch nicht mit Aussicht auf Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie aus dem einjährigen, weitgehend unbehelligten Aufenthalt des Beschwerdeführers in Bosnien darauf geschlossen hat, er habe dort Verfolgung nicht zu befürchten. Soweit der Beschwerdeführer in dieser Hinsicht in der Beschwerde erstmals geltend macht, er sei, weil ihm der Dienst bei der bosnisch-serbischen Armee nicht verziehen worden sei, von Soldaten der bosnischen Armee insbesondere mit einer Bombe, die man durch sein Fenster werfen werde, bedroht worden, und daß weiters ein "Schicksalsgenosse, dessen einziges Problem ebenfalls nur der Wehrdienst bei den Serben war," von Angehörigen der bosnischen Armee getötet worden sei, unterliegt er mit diesem Vorbringen dem gemäß § 41 Abs. 1 VwGG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot.

Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie wäre der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist festzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 wohl bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800-0803). Da im Beschwerdefall über die bereits oben behandelten Angaben hinausgehende, hinreichend deutliche Hinweise auf das Vorliegen weiterer Gründe im Sinne der Flüchtlingskonvention im Vorbringen des Beschwerdeführer vor der Behörde erster Instanz nicht enthalten waren, war die belangte Behörde, da auch sonst ein für die Entscheidung wesentlicher Mangel des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz nicht hervorgekommen ist und vom Beschwerdeführer insoweit in seiner Berufung auch nicht geltend gemacht wurde, nicht verpflichtet, gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 die Ergänzung oder Wiederholung dieses Verfahrens anzuordnen. Mit der erstmals in der Beschwerde erhobenen Behauptung, ihm sei bei seiner Befragung eine vollständige Darstellung seiner Situation nicht möglich gewesen, weil er lediglich auf Fragen habe antworten dürfen, übersieht der Beschwerdeführer, daß es seine Aufgabe gewesen wäre, diese Behauptung bereits in seiner Berufung vorzubringen, wobei ihm gleichzeitig die Möglichkeit offen gestanden wäre, alle seiner Ansicht nach fehlenden Einzelheiten nachzutragen. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren stellt sich eine derartige erstmals erhobene Behauptung als Neuerung dar, auf die zufolge der oben angeführten Gesetzesstelle nicht weiter einzugehen war.

Da sich somit ergibt, daß es dem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht gelungen ist, hinreichende Gründe für das Vorliegen seiner Flüchtlingseigenschaft vorzubringen, konnte eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob er vor seiner Einreise nach Österreich in einem anderen Land vor Verfolgung sicher war, unterbleiben.

Die sich sohin als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995010647.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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