Entscheidungsdatum
22.02.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
L510 2233364-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.06.2020, Zahl: XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 33 Abs 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Am 10.11.2019 stellte der nunmehrige Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz (AS 13ff), welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA) vom 30.01.2020 abgewiesen wurde und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde (AS 111ff).
2. Mit Schriftsatz vom 06.05.2020 wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und zugleich gegen den Bescheid vom 31.01.2020 vollumfänglich Beschwerde erhoben (AS 245ff).
3. Mit Bescheid des BFA vom 22.06.2020 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs 1 VwGVG abgewiesen (Spruchpunkt I), dem Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 33 Abs 4 VwGVG die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchpunkt II) und mit Spruchpunkt III im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung die Beschwerde gegen den Bescheid vom 30.01.2020 als verspätet zurückgewiesen (AS 301ff).
4. Mit Schreiben vom 20.07.2020 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides vom 22.06.2020 und stellte zugleich einen Vorlageantrag bezüglich Spruchpunkt III des Bescheides vom 22.06.2020. Spruchpunkt II des Bescheides vom 22.06.2020 blieb unangefochten (AS 339ff).
5. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.02.2021, Zahl L510 2233364-3, wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 27.11.2020 gegen die versäumte Frist zur Stellung eines Vorlageantrages hinsichtlich der Beschwerdevorentscheidung des BFA vom 22.06.2020 bewilligt.
6. Gegenstand dieser Entscheidung bildet die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides des BFA vom 22.06.2020, mit dem der Antrag auf Wiedereinsetzung vom 06.05.2020 abgewiesen wurde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt)
1.1. Mit Bescheid vom 30.01.2020 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz (mit weiteren Aussprüchen) ab (AS 111ff). Der Rechtsmittelbelehrung jenes Bescheides ist zu entnehmen, dass die Beschwerde gegen jenen Bescheid „innerhalb von 2 Wochen nach Zustellung“ schriftlich beim BFA einzubringen sei (AS 204).
Dieser Bescheid wurde an den Beschwerdeführer persönlich verschickt. Da er vom Zustelldienst nicht angetroffen wurde, wurde die Sendung zur Abholung ab dem 18.02.2020 hinterlegt (AS 212).
1.2. Am 20.02.2020 bevollmächtigte der Beschwerdeführer die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH – ARGE Rechtsberatung (die Vorgängerinstitution der im Spruch genannten nunmehrigen Vertreterin) zu seiner Vertretung im gegenständlichen Verfahren (AS 291).
1.3. Mit E-Mail vom 09.03.2020 wandte sich die Vertreterin an das BFA, da im Bescheid eine lediglich zweiwöchige Rechtsmittelfrist angegeben sei; mit Verweis auf Gesetzesstellen legte die Vertreterin dar, dass die Rechtsmittelfrist jedoch vier Wochen zu betragen hätte. Die Vertreterin fragte das BFA unter einem, ob eine Berichtigung der Rechtsmittelbelehrung (noch) möglich sei (AS 235).
1.4. Mit E-Mail vom 13.03.2020 teilte das BFA der Vertreterin mit, dass die Beschwerdefrist von zwei auf vier Wochen in Form eines Berichtigungsbescheides umgehend korrigiert werde; die Beschwerdefrist beginne ab der Übernahme des Berichtigungsbescheides (AS 353).
1.5. Am 24.04.2020 holte der zuständige Sachbearbeiter des BFA intern schriftliche Erkundigungen dahingehend ein, ob der Bescheid vom 30.01.2020 bereits in Rechtskraft erwachsen sei oder ob er einen Berichtigungsbescheid mit der korrekten Rechtsmittelfrist expedieren müsse. Er erhielt die schriftliche Auskunft, dass im Fall einer fälschlicherweise zu kurz angegebenen Rechtsmittelfrist die gesetzlich vorgesehene Rechtsmittelfrist gelte; eine Beschwerde sei daher rechtzeitig, wenn sie innerhalb von vier Wochen erhoben worden sei (AS 239).
1.6. Am 30.04.2020 kontaktierte der zuständige Sachbearbeiter des BFA die Vertreterin telefonisch und gab an, dass er schriftlich eine falsche Auskunft erteilt habe. Richtigerweise wäre eine Beschwerde innerhalb der gesetzlichen Frist von vier Wochen einzubringen gewesen und es werde keinen Berichtigungsbescheid geben. Die Vertreterin wurde gebeten, unverzüglich eine Beschwerde einzubringen, denn so ließe sich wegen Covid-19 „noch etwas machen“ (AS 247).
1.7. Mit Schriftsatz vom 06.05.2020 wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt und zugleich gegen den Bescheid vom 31.01.2020 vollumfänglich Beschwerde erhoben (AS 245ff). Der Wiedereinsetzungsantrag werde binnen offener Frist gestellt, zumal die Vertreterin mit dem Anruf des BFA vom 30.04.2020 Kenntnis davon erlangte, dass kein Berichtigungsbescheid ausgestellt werde. Der Wiedereinsetzungsantrag wurde damit begründet, dass die Vertreterin einem vom BFA durch die Falschauskunft (E-Mail vom 13.03.2020) verursachten Irrtum unterlegen sei, welcher ohne Verschulden der Vertreterin oder des Beschwerdeführers zum Versäumen der Beschwerdefrist geführt habe. Die Fehlinformation habe weder die Vertreterin noch der Beschwerdeführer zu vertreten, denn es könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass Informationen des BFA der Wahrheit entsprechen würden, zumal es sich beim BFA um die zuständige Behörde handle. Daher habe sich die Vertreterin auf die Informationen des BFA verlassen, weshalb vorerst keine Beschwerde erhoben worden sei. Dass das BFA eine Falschauskunft erteilen würde, war nicht vorhersehbar.
1.8. Mit Bescheid des BFA vom 22.06.2020 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs 1 VwGVG abgewiesen (Spruchpunkt I), dem Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 33 Abs 4 VwGVG die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchpunkt II) und mit Spruchpunkt III im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung die Beschwerde gegen den Bescheid vom 30.01.2020 als verspätet zurückgewiesen (AS 301ff).
Der Begründung ist insbesondere Folgendes zu entnehmen:
„[…] Es wird festgestellt, dass in diesem Bescheid [Anm. BVwG: vom 30.01.2020] eine zweiwöchige anstelle einer vierwöchigen Beschwerdefrist angegeben wurde.
Es wird festgestellt, dass die gesetzlich vorgesehene vierwöchige Beschwerdefrist Ihrer Rechtsberatung am 13.03.2020 zur Kenntnis gebracht und auch fristgerecht gewahrt wurde.
Es wird festgestellt, dass der besagte Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mit 18.03.2020 in Rechtskraft erwuchs.
Es wird festgestellt, dass Ihrerseits oder seitens Ihres Rechtsberaters kein Rechtsmittel eingebracht wurde.
Es wird festgestellt, dass am 30.04.2020 Ihre Rechtsberatung vom Sachverhalt der Rechtskraft Kenntnis erlangte.
Es wird festgestellt, dass verspätet am 07.05.2020 die Beschwerde und der gegenständliche Wiedereinsetzungsantrag beim BFA, Außenstelle Graz, einlangte. […]
Dass Sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert waren die Frist einzuhalten und Sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft konnte nicht festgestellt werden. […]
Die Kommunikation mit Ihrem Rechtsberater und die daraus resultierende Richtigstellung der geltenden Rechtsmittelfrist auf vier anstatt zwei Wochen kann man dem Schriftverkehr vom 13.03.2020 aus dem Verwaltungsakt entnehmen.
Beweiswürdigend kann nunmehr ausgeführt werden, dass die Rechtsmittelfrist im gegenständlichen Verfahren seitens des BFA richtigerweise mit vier Wochen gewahrt wurden und der Bescheid erst mit 18.03.2020 in Rechtskraft erwachsen ist.
Enthält ein Bescheid keine oder eine kürzere als die gesetzliche Rechtsmittelfrist, so gilt das Rechtsmittel als rechtzeitig eingebracht, wenn es innerhalb der gesetzlichen Frist eingebracht wurde. (§ 61 Z (2) AVG). Dieser Umstand hätte Ihrem Rechtsberater, an den ein besonderes Anforderungsprofil zur Ausübung dieser Tätigkeit gestellt wird und an das auch ein erfolgreicher Abschluss eines Rechtsstudiums geknüpft ist, jedenfalls hätte bewusst sein müssen.
Selbst wenn also die Behörde eine nicht dem geltenden Recht entsprechende Beschwerdefrist angeführt hat und dazu keine schriftliche Bescheidberichtigung des Schreibfehlers erlassen hat, so hätten Sie innerhalb der vierwöchigen Rechtsmittelfrist zeitgerecht eine Beschwerde einbringen können. Auch die schriftliche Berichtigung der Rechtsmittelfrist auf vier Wochen hätte mangels Einbringung einer Beschwerde eine Rechtskraft mit 18.03.2020 erwirkt. […]
Sie konnten somit durch kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis glaubhaft machen, dass es sich hier bei Ihrer Fristversäumung um einen minderen Grad des Versehens handelt.
[…]
Im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG steht es der Behörde frei, den angefochtenen Bescheid innerhalb von zwei Monaten aufzuheben, abzuändern oder die Beschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen (Beschwerdevorentscheidung). § 27 ist sinngemäß anzuwenden.
Wie sich aus den Feststellungen ergibt, war die Beschwerde verspätet. Der Bescheid wurde der Partei am 18.02.2020 zugestellt, die Beschwerdefrist wäre somit mit Ablauf des 17.03.2020 abgelaufen. Da die Beschwerde somit unbestritten erst am 07.05.2020 eingebracht wurde, erweist sich diese als verspätet und ist daher zurückzuweisen.“
In der Rechtsmittelbelehrung jenes Bescheides wird ausschließlich auf die Möglichkeit der Beschwerdeerhebung innerhalb von vier Wochen hingewiesen.
Jener Bescheid wurde an die Vertreterin übermittelt und von dieser am 25.06.2020 übernommen (AS 324).
1.9. Mit Schreiben vom 20.07.2020 erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides vom 22.06.2020 und stellte zugleich einen Vorlageantrag bezüglich Spruchpunkt III des Bescheides vom 22.06.2020. Spruchpunkt II des Bescheides vom 22.06.2020 blieb unangefochten (AS 339ff). Ergänzend zum Antrag auf Wiedereinsetzung wurde ausgeführt, dass der Behörde bewusst gewesen sei, dass sie einen Fehler gemacht habe, indem sie eine falsche Auskunft erteilt habe. Die Feststellung, wonach der Antrag auf Wiedereinsetzung vom 07.05.2020 verspätet sei, sei jedenfalls falsch, da die zweiwöchige Frist hierfür erst am 30.04.2020 begonnen habe.
2. Beweiswürdigung
2.1. Die Feststellungen zu den angeführten Schriftsätzen (oben I.1.1. bis I.1.5. und I.1.7. bis I.1.9.) beruhen auf eben diesen im Verwaltungsverfahrensakt befindlichen Bescheiden, Rückscheinen, E-Mails, dem Antrag und den Beschwerden wobei die entsprechenden Aktseiten in den Feststellungen angeführt sind.
2.2. Die Feststellungen zur vom BFA der Vertreterin telefonisch erteilten Auskunft vom 30.04.2020 beruhen auf den Angaben der Vertreterin (zB AS 247). Diese Angaben sind im Lichte der übrigen Angaben des BFA in diesem Verfahren glaubhaft und das BFA ist diesen Angaben auch nicht entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides gemäß § 33 Abs 1 VwGVG
3.1. Zur Rechtslage
Gemäß § 33 Abs 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn diese glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Gemäß § 33 Abs 3 VwGVG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen.
Gemäß § 33 Abs 4 VwGVG hat bis zur Vorlage der Beschwerde über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden. § 15 Abs 3 ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden. Die Behörde oder das Verwaltungsgericht kann dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.
3.2. Zum gegenständlichen Verfahren
Nach der zu § 71 Abs 1 AVG ergangenen und - insoweit auf § 33 Abs 1 VwGVG übertragbaren - Rechtsprechung ist das Verschulden des Vertreters dem Verschulden des vertretenen Wiedereinsetzungswerbers gleichzusetzen. Es hat dieselben Rechtswirkungen wie das Verschulden der Partei. Der Machtgeber muss sich das Verschulden des Machthabers zurechnen lassen. Das Verschulden, welches den Bevollmächtigten der Partei trifft, ist so zu behandeln, als wäre es der Partei selbst unterlaufen, gleichgültig ob der Wiedereinsetzungswerber von einem Rechtsanwalt oder sonst einer Vertrauensperson vertreten wird (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 71 Rz 44, samt zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur) (VwGH 30.05.2017, Ra 2017/19/0113 unter Hinweis vor allem auf die Vertretung durch Rechtsberater).
Ist der Rechtsirrtum darauf zurückzuführen, dass der Partei von Seiten der Behörde eine unrichtige Auskunft erteilt wurde, liegt bei einer darauf beruhenden Säumnis kein minderer Grad des Versehens vor, weil behördliche Auskünfte, Zusagen und dergleichen mangels einer gesetzlich angeordneten bindenden Wirkung die Missachtung zwingender gesetzlicher Regelungen nicht zu rechtfertigen vermögen (VwGH 10. 6. 1991, 90/15/0115; 16. 11. 2005, 2004/08/0021; VwGH 1. 2. 1990, 89/12/0113). Jedoch hat der VwGH im Erk Slg 10.325 A/1980 (vgl auch VwGH 13. 3. 2001, 2001/18/0014) pauschal erklärt, dass bei einem Rechtsirrtum, der durch eine „unrichtige Rechtsauskunft eines behördlichen Organs veranlasst oder bestärkt“ wurde, die Verschuldensfrage im Einzelfall zu prüfen und ein Wiedereinsetzungsgrund nur dann zu verneinen sei, wenn dem Wiedereinsetzungswerber wenigstens Fahrlässigkeit bei der Säumnis zur Last fällt. Unter welchen Voraussetzungen die Partei – im Gegensatz zur eingangs angeführten Jud – kein oder nur ein den minderen Grad des Versehens nicht übersteigendes Verschulden treffen könnte, wenn sie wegen einer unrichtigen behördlichen Auskunft, der – wie der Gerichtshof selbst betont – keinerlei Rechtswirkungen zukommen, eine Frist versäumt, hat der VwGH bisher nicht beantwortet. Wenn der Gesetzgeber das zuständige Organ ausdrücklich verpflichtet, der Partei rechtzeitig bestimmte Informationen betreffend die Setzung verfahrensrechtlicher Schritte zu geben, und die der gesetzlichen Regelung zugrunde liegende Wertung erkennen lässt, dass dem betroffenen Personenkreis nicht ohne weiteres zugemutet werden kann, sich die notwendigen Kenntnisse selbst zu verschaffen, liegt kein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden vor, wenn die Partei diesbezügliche Recherchen unterlassen und infolge Unkenntnis eine Frist versäumt hat (vgl zB zu § 76a Abs 2 ZDG idF BGBl I 1996/788 VwGH 29. 9. 1999, 99/11/0196; 24. 10. 2000, 2000/11/0148) (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG, § 72 Rz 71).
3.2. Der Bescheid des BFA vom 30.01.2020 wurde dem Beschwerdeführer zur Abholung ab 18.02.2020 hinterlegt, weshalb er mit diesem Datum (18.02.2020) als zugestellt gilt. Die vierwöchige Frist zur Einbringung einer Beschwerde dagegen endete daher mit Ablauf des 17.03.2020. Dass diese Frist versäumt wurde, steht unbestritten fest. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist somit zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt:
3.3. Zunächst ist festzuhalten, dass dem BFA im gegenständlichen Verfahren massive Fehler unterlaufen sind, wobei insbesondere auf die unrichtige Rechtsmittelbelehrung des Bescheides vom 30.01.2020, die unrichtige Auskunft mit E-Mail vom 13.03.2020, die unrichtige telefonische Auskunft vom 30.04.2020 und die unrichtige, weil unvollständige Rechtmittelbelehrung im Bescheid vom 22.06.2020 (dazu vgl. unten) hinzuweisen ist.
3.4. Aufgrund der unrichtigen Auskunft des BFA vom 13.03.2020 wurde bei der Vertreterin der Eindruck hervorgerufen, dass ein Berichtigungsbescheid mit einer korrekten Rechtsmittelfrist erlassen werde und die Rechtmittelfrist ab dessen Zustellung zu beginnen laufe. Damit wurde bei der Vertreterin der Irrtum hervorgerufen, dass ein solcher Berichtigungsbescheid die gesetzlich vorgesehene Rechtsmittelfrist betreffend den Bescheid vom 30.01.2020 verändern könnte.
Aus der oben zitierten Rechtsprechung geht hervor, dass Falschauskünften von Behörden keine Rechtswirkungen zukommen. Es ist somit festzuhalten, dass die Auskunft des BFA, wonach ein Berichtigungsbescheid erlassen werde, der Auswirkungen auf die Rechtsmittelfrist des Bescheides vom 30.01.2020 hätte, von vornherein unbeachtlich ist. Die Vertreterin verließ sich jedoch auf diese Falschauskunft. Der Irrtum der Vertreterin, der die Vertreterin dazu veranlasste, auf einen Berichtigungsbescheid zu warten und nicht unverzüglich eine Beschwerde einzubringen, wurde somit durch die Falschauskunft des BFA veranlasst.
Es ist nun in weiterer Folge zu prüfen, welcher Grad des Verschuldens der Vertreterin dadurch, dass sich diese auf die Falschauskunft verließ, verwirklicht wurde. Auch wenn nach der oben zitierten Rechtsprechung die Frage, unter welchen Voraussetzungen kein oder nur ein minderer Grad des Versehens bei Versäumung einer Frist aufgrund einer behördlichen Falschauskunft vorliegt, nicht beantwortet wurde, ist auf die Judikatur zu den erhöhten Sorgfaltspflichten von beruflichen, rechtskundigen Parteienvertreterin hinzuweisen, für die ein strengeren Maßstab gilt. In der vergleichsweise heranzuziehenden Entscheidung des VwGH vom 24.10.2000, 2000/11/0148, sprach dieser beispielsweise aus, dass es angehenden Zivildienern nicht zugemutet werden kann, eine rechtliche Recherche zu unternehmen, um in der Folge in der Lage zu sein, die Frist für die (letztmalige) Abgabe der Zivildiensterklärung wahrzunehmen. Dies wurde damit begründet, dass das Zivildienstgesetz erkennen lasse, dass die diesbezügliche Kenntnisbeschaffung den angehenden Zivildienern nicht ohne weiteres zugemutet werden können. Im Unterbleiben von Recherchen über die Möglichkeit einer neuerlichen Antragstellung könne daher kein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließendes (d.h. einen minderen Grad des Versehens übersteigendes) Verschulden gesehen werden.
Die rechtskundige Vertreterin des Beschwerdeführers erkannte jedoch, dass die Rechtsmittelbelehrung im Bescheid des BFA vom 30.01.2020 nicht korrekt war und es wäre ihr, aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer Erfahrung mit Asylverfahren zumutbar gewesen, die falsche Rechtsmittelbelehrung zu monieren und zusätzlich rechtzeitig weitere Schritte zu setzen. Insbesondere wird auch darauf hingewiesen, dass keine Hinweise darauf vorliegen, dass es der Vertreterin unmöglich gewesen wäre, - unabhängig vom erwarteten Berichtigungsbescheid - binnen offener Beschwerdefrist eine Beschwerde einzureichen. Zumal das BFA-VG das Anforderungsprofil für Rechtsberater und juristische Personen der Rechtsberatung enthält (§ 48 BFA-VG) und diesem zu entnehmen ist, dass Rechtsberater rechtskundig sind (vgl. zuletzt VwGH 22.04.2020, Ra 2020/14/0139), war es der Vertreterin des Beschwerdeführers zumutbar, dass sie sich durch rechtliche Recherche in die Lage versetzt, zu erkennen, dass ein allfälliger Berichtigungsbescheid keine Auswirkungen haben hätte können, sowie eine fristgerechte Beschwerde einzubringen.
3.5. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Falschauskunft des BFA und das Vertrauen der Vertreterin auf diese, keinen Wiedereinsetzungsgrund in die Beschwerdefrist betreffend den Bescheid des BFA vom 30.01.2020 darstellen, da der Vertreterin diesbezüglich, und in weiterer Folge hinsichtlich der Fristversäumnis, nicht bloß leichte Fahrlässigkeit zur Last fällt.
3.6. Die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Spruchpunkt I des Bescheides vom 22.06.2020) ist daher spruchgemäß abzuweisen.
3.7. Mit separater Entscheidung wird über die bisher offene Beschwerde vom 06.05.2020 nach Beschwerdevorentscheidung vom 22.06.2020 und Vorlageantrag vom 20.07.2020 bzw. vom 27.11.2020 entschieden (L510 2233364-1).
Entfall der mündlichen Verhandlung
Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall unterbleiben, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist und eine mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, zumal auch auf nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist geltend gemachte Wiedereinsetzungsgründe und neue, den Wiedereinsetzungsgrund untermauernde Argumente, nicht einzugehen ist (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/12/0026).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
erhöhte Sorgfaltspflicht Verschulden WiedereinsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L510.2233364.2.00Im RIS seit
17.05.2021Zuletzt aktualisiert am
17.05.2021