TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/11 W168 2154056-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.12.2020
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Entscheidungsdatum

11.12.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W168 2154056-1/17E

Im Namen der Republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2017, Zahl 1048361008 / 140292937, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.10.2020,

A.)

1.) beschlossen:

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG idgF eingestellt.

2.) zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und XXXX gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" erteilt.

B.)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 16.12.2014 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.

2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des BF führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass sein Leben in Gefahr gewesen sei, da er jemanden an die Polizei verraten habe, der einen Mord begangen und ihn die Ermordung angedroht habe. Zudem habe er in Afghanistan seine Körperbehinderung, sein Bein, nicht behandeln können, weshalb er diskriminiert worden sei. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.

Zu seinen persönlichen Umständen befragt, gab der BF an, dass er in der Provinz Baghlan geboren worden sei und der Volksgruppe der Tadschiken angehöre. Er habe 11 Jahre die Grundschule besucht und sei vor seiner Ausreise Vorarbeiter bei einer Transportfirma gewesen.

3. Mit Vorlage vom 29.07.2016, beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 04.08.2020 eingelangt, wurde vom BF eine Teilnahmebestätigung einer Volkshochschule vom 08.04.2016 über den Besuch der Bildungsveranstaltung „Deutsch A2 Teil 1“ vom 23.02.2016-08.04.2016 in Vorlage gebracht.

4. Mit Vorlage vom 18.08.2016, beim BFA am 26.08.2016 eingelangt, wurden vom BF eine Teilnahmebestätigung einer Volkshochschule vom 20.05.2016 über den Besuch der Bildungsveranstaltung „Deutsch A2 Teil 2“ vom 12.04.2016 bis zum 20.05.2016, eine Bestätigung einer Marktgemeinde vom 28.07.2016 über die Verrichtung gemeinnütziger Hilfstätigkeiten von März 2015 bis Juli 2015, eine Bestätigung vom der freiwilligen Mitarbeit an Flüchtlingshilfe Projekten vom August 2016, ein Schreiben vom 09.08.2016 und eine Bestätigung vom 06.01.2013 über eine Tätigkeit des BF als Supervisor für ein Telekommunikationsunternehmen in der Provinz Laghman vom Jänner 2010 bis zum Dezember 2012 vorgelegt.

3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 03.02.2017 führte der BF aus, dass er gesund sei, jedoch in Physiotherapiebehandlung sei und auch Medikamente einnehme. Befragt, seit wann er unter dieser Erkrankung leide, erklärte der BF, dass er mit dem Magen Probleme habe, weshalb er Medikamente einnehme. Polio habe er bereits seit der Kindheit, auf dem rechten Oberschenkel habe er deswegen eine Platine erhalten und sein rechter Fuß sei kleiner als der andere. Nachgefragt, welche Therapie er deswegen in Österreich in Anspruch nehme, replizierte der BF, dass er neben Physiotherapie auch Medikamente für seinen Magen einnehme. Im Herkunftsstaat sei er wegen dieser gesundheitlichen Beschwerden ebenfalls in Behandlung gewesen, die medizinische Versorgung sei aber insgesamt schlechter als in Österreich.

Zu seinen Lebensumständen in Afghanistan befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er vor der Ausreise zuletzt in Kabul gewohnt habe, der Volksgruppe der Tadschiken und der Religionszugehörigkeit der Sunniten angehöre. Er beherrsche die Sprachen Dari, Farsi, Paschtu, Urdu sowie Panjabi. Auf Aufforderung, einen Lebenslauf bezüglich seiner Person zu schildern, brachte der BF vor, dass er in Pol e-Khomri geboren worden sei und im Alter von acht Jahren seine Schulbildung begonnen habe. Insgesamt habe er 11 Jahre die Schule besucht und danach für sechs Jahre nicht gearbeitet. Anschließend sei er 10 Jahre in Pakistan gewesen und sei dort als Steinmetz tätig gewesen und überdies einen Englisch- sowie Computerkurs absolviert. In weiterer Folge habe er in Afghanistan bei der Firma „SANPO“ für die Dauer von zwei Jahren eine Anstellung als Supervisor für Betriebsmittel und Transportaufträge gefunden. Zuletzt sei er bei dieser Transportfirma Büroleiter gewesen. Auf Nachfrage, wie er seinen Lebensunterhalt bestritten habe, entgegnete der BF, dass er neben seiner Beschäftigung auch von seiner Schwester Geldleistungen erhalten habe. Befragt, ob er bis zu seiner Ausreise einer Arbeit nachgehen habe können, erwiderte der BF, dass er bis ein Jahr vor seiner Ausreise arbeitslos gewesen sei. Neben zwei Jahren in Kabul sei er vor seiner Ausreise auch in der Provinz Baghlan wohnhaft gewesen. Im Heimatland habe er mit seiner Familie in einem Mehrparteienhaus gewohnt. Derzeit würden in diesem Haus noch sein Onkel, dessen Söhne und Töchter, seine Eltern und sein Bruder wohnhaft sein. Zur Frage, welche seiner Angehörigen noch in Afghanistan leben würden, entgegnete der BF, dass sein Vater sowie sein Bruder mitsamt seiner Familie noch in einer Mietwohnung im Herkunftsstaat wohnen würden. Zuletzt habe der BF vor einer Woche mit seinem Bruder telefoniert. Auf die weitere Frage, welche Verwandte er noch in Afghanistan habe, replizierte der BF, dass er Onkeln und Tanten sowohl in Pol e- Khomri, in Kabul sowie in Herat habe und diese der Mittelklasse angehören würden. Neben seinem Bruder stehe er mit keinen weiteren Angehörigen mehr in Kontakt. Die Fragen, ob er vorbestraft sei, gegen ihn staatliche Fahndungsmaßnahmen bestehen würden, er politisch tätig gewesen sei und ob er Mitglied einer politischen Partei gewesen sei, wurden vom BF verneint. Seine Eltern seien Mitglied der kommunistischen Partei gewesen. Der BF habe aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit keine Probleme gehabt und an keinen gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen, habe jedoch Probleme mit Privatpersonen gehabt.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF an, dass in dem Dorf, in dem er in Afghanistan gewohnt habe, auch ein Mörder gewohnt habe und der BF bei der Polizei gegen ihn ausgesagt habe, weshalb dieser Mann in weiterer Folge auch verhaftet worden sei. Da die Polizei diesem den Hinweis gegeben habe, dass der BF für seine Verhaftung verantwortlich sei, habe der Mann dem BF die Mitteilung zukommen lassen, dass er ihn nach seiner Freilassung zu töten beabsichtige. Zuerst habe der BF diese Nachricht nicht ernst genommen, habe wenig Zeit im Zuge eines beruflichen Auftrages jedoch von den Taliban die Warnung erhalten, dass er entweder mit ihnen zusammenarbeite oder selbst getötet werde. Überdies sei sein Haus zweimal gestürmt worden. Der Inhaftierte sowie seine Eltern seien ebenfalls Mitglieder der Taliban gewesen. Dem BF sei nicht bekannt, ob die Aktionen gegen ihn von den Eltern des Mannes initiiert worden seien. Sein zweiter Fluchtgrund seien Diskriminierungen aufgrund seiner Behinderung am Fuß gewesen. Er habe Hoffnung gehabt, diese Beschwerden in Europa behandeln zu können. Befragt, ob er in Afghanistan persönlich verfolgt oder bedroht worden sei, gab der BF an, dass sowohl der erwähnte Mann als auch die Taliban nach ihm in seiner Wohnung gesucht hätten. Auf Aufforderung, die persönliche Bedrohung genau zu schildern, führte der BF an, dass ihm der Inhaftierte über seine Freunde eine Nachricht an die Dorfmenschen mit dem Inhalt übermittelt habe, dass er wisse, wer ihn verraten habe und diesen Verräter töten werde. Nachgefragt, wie er diese Meldung erhalten habe, erwiderte der BF, dass ihm die Dorfbewohner diese erzählt hätten. Zudem habe seine Mutter mit ihm über die Nachricht gesprochen und ihn über die Verhaftung des erwähnten Mannes aufgeklärt habe. Die Frage, ob er persönlich bedroht worden sei, wurde vom BF verneint. Seine Familienangehörigen seien auch nicht persönlich bedroht worden. Auf die Frage, welche Nachricht ihm der erwähnte Mann zukommen lassen habe und wie dies erfolgt sei, replizierte der BF, dass der genaue Wortlaut der Mitteilung gelautet habe, dass der Verräter, der für die geschilderte Verhaftung verantwortlich sei, dem Inhaftierten bekannt sei und dieser ihn nach Freilassung töten werde. Die Bedrohung sei ungefähr ein Jahr vor der Ausreise des BF erfolgt. Die Frage, ob der erwähnte Mann immer noch inhaftiert sei, habe der BF nicht beantworten können. Die Frage, ob er die Bedrohung bei der Polizei angezeigt habe, wurde vom BF verneint. Die Dorfbewohner hätten dem BF berichtet, dass der erwähnte Mann gefoltert worden sei, da er nicht aussagen habe wollen, was in Afghanistan auch üblich sei. Auf Vorhalt, dass er bei Erstbefragung keine Bedrohung durch die Taliban angegeben habe und nur erklärt habe, dass sein Leben aufgrund seines Verrates gefährdet und aufgrund seiner Behinderung am Bein diskriminiert worden sei, führte der BF aus, dass ihm der Dolmetscher erklärt habe, nur von der größten Gefahr zu berichten und in weiterer Folge die Möglichkeit zu bekommen, seinen Fluchtgrund umfassender darzulegen. Nachgefragt, wie ihn die Taliban gewarnt hätten, erwiderte der BF, dass diese ihm durch ihre Chauffeure Nachrichten übermittelt hätten. Die Frage, ob die Taliban ihn direkt bedroht hätten, wurde vom BF verneint und ausgeführt, dass diese jedoch einen LKW seiner Firma in die Luft gesprengt hätten oder Treibstoff gestohlen hätten, was ihm von einem Kollegen berichtet worden sei. Der BF selbst sei von den Taliban jedoch nicht kontaktiert worden. Zur Frage, ob seine Familie nach seiner Ausreise Probleme mit den Taliban gehabt habe, entgegnete der BF, dass auch seine Brüder und seine Mutter nach seiner Flucht nach Kabul übersiedelt seien und das Heimatdorf verlassen hätten. Auf Nachfrage, wieso er glaube, dass der Inhaftierte ebenfalls für die Taliban gearbeitet habe, erklärte der BF, dass die Dorfbewohner dessen Familie kennen würden und man daher wisse, wer auf der Regierungsseite bzw. auf Seite der Taliban sei. Der BF habe zwar bereits in mehreren Provinzen Afghanistans gewohnt, könnte jedoch in keiner Provinz Afghanistans wohnen, da man vor den Taliban nirgends sicher sei.

Die Frage, ob er in Österreich Verwandte habe, wurde vom BF verneint. Er habe im Bundesgebiet bereits eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 absolviert und sei in einer Schule tätig. Er habe bereits zahlreiche Kontakte geknüpft und auch durch seine Freundin neue Leute kennengelernt. Er beziehe Leistungen von der Grundversorgung und wolle zukünftig in Österreich als Steinmetz arbeiten. Die Frage, ob er in Österreich mit dem Gesetz in Konflikt geraten sei, wurde vom BF verneint.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF ein Sonographie-Gefäße/Duplex Befund der Abteilung für Chirurgie vom 18.03.2015 mit dem Ergebnis „unauffällige Flusswerte in den Arterien der unteren Extremität rechts“, ein Verordnungsschein für Heilbehelfe und Hilfsmittel der GK OÖ vom 27.03.2015 wegen Beinlängendifferenz, eine Überweisung an einen Facharzt für Chirurgie vom 11.10.2016 wegen einer Koloskopie, eine Therapiebestätigung der physikalischen Therapie Gmunden vom 06.12.2016 und vom 13.12.2016, eine Überweisung an einen Facharzt für Physikalische Medizin vom 19.01.2017, eine Tazkira, eine Bestätigung einer öffentlichen Volksschule vom 23.01.2017 über die Verrichtung von Reinigungsarbeiten sowie Aushilfsarbeiten, eine niederschriftliche Einvernahme der Freundin des BF vom 03.02.20217, eine Übersetzung der Geburtsurkunde, ein österreichischer Freiwilligenpass, eine Teilnahmebestätigung vom 14.11.2016 über die Teilnahme an einem Wertedialog, ein handschriftliches Empfehlungsschreiben, ein Empfehlungsschreiben des Quartiergebers, eine Bestätigung eines Fotoclubs über die Mitgliedschaft des BF und eine Bestätigung einer Marktgemeinde vom 02.02.2017 über die Verrichtung gemeinnütziger Hilfstätigkeiten von März 2015 bis zum Jänner 2017 in Vorlage gebracht.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde innin Spruchpunkt IV. ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Begründend führte die belangte Behörde zusammenfassend aus, dass den Angaben des BF zufolge weder er selbst noch seine Familienmitglieder jemals persönlich bedroht worden seien. Der BF berufe sich lediglich auf Aussagen und Gerüchte der Dorfgemeinschaft. Auf die Frage, wann die Bedrohung gewesen sei, habe der BF repliziert, dass diese ein Jahr vor seiner Ausreise in Afghanistan gewesen sei und bis dato nicht wisse, ob der Inhaftierte bereits auf freien Fuß sei. Wäre der BF tatsächlich bedroht worden, wäre er direkt nach der Bedrohung geflüchtet und hätte sich nicht über ein Jahr Zeit für die Ausreise genommen. Auf die Frage, ob er persönlich von den Taliban bedroht worden sei, habe er eine widersprüchliche Situation beschrieben. Einerseits habe die Taliban ein Auto, in dem er gesessen sei, zerstört, andererseits habe er erzählt, dass ihm von der Situation nur von einem anderen Supervisor berichtet worden sei. Weiters habe er angegeben, dass die Taliban zweimal seine Wohnung gestürmt hätten, aber auf Nachfrage habe er angegeben, dass er von seiner Mutter erfahren habe, dass er gesucht sei und ein weiteres Mal sei er weggelaufen. Unter Berücksichtigung der eben genannten Widersprüche und Unplausibilitäten sei davon auszugehen, dass der BF niemals von den Taliban bedroht worden sei. Unter Zugrundelegung der Erwägungen der Behörde habe dem Vorbringen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zur Gänze daher die Glaubhaftigkeit abgesprochen werden müssen. Die vom BF geschilderten Benachteiligungen aufgrund seiner Behinderung würden nicht die Schwelle einer Verfolgung erreichen.

5. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht gegen alle Spruchpunkte am 12.04.2017, beim BFA am 19.04.2017 eingelangt, Beschwerde erhoben, das bisher getätigte Vorbringen wiederholt und insbesondere die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Zusammenfassend wurde ausgeführt, dass dem BF das Protokoll der Erstbefragung vom 17.12.2014 nicht rückübersetzt worden sei und der BF daher nicht gewusst habe, was in der Erstbefragung angeführt sei. Durch die fehlende Rückübersetzung habe der BF auch keinerlei wie immer geartete Änderungen bzw. Aufklärungen durchführen können. Die Erstbefragung vom 17.12.2014 sei daher nichtig bzw. nicht verwertbar und seien alle aus dieser Erstbefragung verwendeten Schlüsse der Behörde nichtig. Die Behörde vermische zudem verschiedene Aussagen des BF und stelle sie als widersprüchlich dar. Die Behörde missinterpretiere die Aussagen des BF und hafte dem Verfahren daher sowohl Willkür als auch Aktenwidrigkeit an, weshalb der Bescheid aufzuheben sei. Die Behörde treffe keine Feststellungen, weshalb die geschilderten Benachteiligungen des BF nicht die Schwelle einer Verfolgung erreichen würden. Auf die vorgelegte Stellungnahme des BF vom 09.08.2016 gehe die Behörde überhaupt nicht ein. Die von der Behörde herangezogenen Beweismittel bzw. Entscheidungen seien teilweise schon bis zu 15 Jahre alt. Der BF sei für eine Firma tätig gewesen, die für die afghanische Armee tätig gewesen sei, weshalb sich in Zusammenhalt mit den UNHCR-Richtlinien ergebe, dass der BF hoch gefährdet sei. Die UNHCR-Richtlinien habe die Behörde gänzlich unbeachtet gelassen und auch keine Ermittlungsschritte in diese Richtung gesetzt. Die Feststellungen, wonach kein Familienleben vorliege, seien unbegründet und nicht richtig, da der BF mit seiner Lebensgefährtin eine besonders enge Beziehung habe. Der Beschwerde wurde ein Prüfungszeugnis des ÖIF vom 24.03.2017 auf dem Niveau A2, ein Bericht des BMEIA zur Situation in Afghanistan, Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016, UNHCR Richtlinien vom April 2016, ein Schreiben des deutschen Ministeriums für Inneres und Bundesangelegenheiten vom 10.01.2017 über eine vorübergehende Aussetzung von Abschiebungen nach Afghanistan sowie ein Standard Artikel über zivile Opfer in Afghanistan angeschlossen.

6. In einem Nachtrag zur Bescheidbeschwerde wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF am 27.02.2018, beim Bundesverwaltungsgericht am 28.02.2018 eingelangt, ein Prüfungszeugnis des ÖIF vom 02.02.2018 über eine bestandene Prüfung auf dem Niveau B1 vorgelegt und vorgebracht, dass die Lage für behinderte Personen nahezu aussichtslos sei, da gerade beeinträchtigte Personen in Afghanistan weiterhin diskriminiert werden würden und keinerlei Chancen hätten, in Afghanistan Fuß zu fassen.

7. Mit Urkundenvorlage zur Bescheidbeschwerde vom 09.05.2018, beim Bundesverwaltungsgericht am 11.05.2018 eingelangt, wurden vom bevollmächtigten Vertreter des BF eine Bestätigung einer Marktgemeinde für die Verrichtung gemeinnütziger Hilfstätigkeiten, ein handschriftliches Empfehlungsschreiben vom 04.05.2018 sowie eine Arbeitsbeschreibung einer öffentlichen Volksschule über das Engagement des BF bei diversen Arbeiten und ein Führerschein vorgelegt.

8. Mit eine weiteren Urkundenvorlage, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 06.10.2020, legte der bevollmächtigte Vertreter des BF zwei Fotos, ein Schreiben des BF und eine Einstellungszusage einer Schlosserei vom 07.09.2020 über eine Tätigkeit als Hilfsarbeiter vor und führte aus, dass der der BF nunmehr bereits seit beinahe sechs Jahren in Österreich aufhältig sei, eine langjährige Partnerschaft führe und die deutsche Sprache auf dem Niveau B1 beherrsche. Für den Fall, dass dem BF ein Aufenthaltstitel gewährt werde, sei dem BF durch ein Unternehmen eine Anstellung als Hilfsarbeiter zugesichert worden und seine Selbsterhaltungsfähigkeit sei somit gesichert.

9. Am 08.10.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der BF mit seinem Vertreter teilgenommen hat. Das BFA ist zu der Verhandlung entschuldigt nicht erschienen.

Im Rahmen der Verhandlung wurde dem BF ausführlich Gelegenheit eingeräumt, seine Fluchtgründe und seine Rückkehrbefürchtungen auf Grundlage der übermittelten aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan umfassend detailliert und konkret darzulegen, bzw. wurde dieser durch den erkennenden Richter zu seinen bisher erstatteten Vorbringen, sowie den weiteren während der Befragung und der Einvernahme vor dem BFA erstatteten Angaben, sowie dem Beschwerdevorbringen befragt.

Auf die Frage, ob er sich in ärztlicher Behandlung befinde, erklärte der BF, dass er Medikamente gegen Rückenschmerzen bekommen habe. Nachgefragt, ob er regelmäßig in ärztlicher Behandlung gewesen sei, brachte der BF vor, dass er an Kinderlähmung erkrankt gewesen sei. Wenn ich in diesem Zusammenhang Schmerzen habe, dann gehe ich zum Arzt. Ich war ein Jahr alt, als ich an Kinderlähmung erkrankte.

Befragt, warum er konkret Beschwerde erhoben habe, entgegnete der BF, dass man ihm erklärt habe, auch an einem anderen Ort Afghanistans leben zu können und nicht sicher gewesen sei, ob der BF die Wahrheit angegeben habe.

Auf Aufforderung, konkret auszuführen, gegen welche konkreten Ausführungen und Würdigungen des BFA er Beschwerde erhoben habe, entgegnete der BF, dass die Taliban in Kabul einen Jackpoint errichtet hätten. Man könne als Behinderter in diesem Gebiet ohne familiäre und soziale Anknüpfungspunkte nicht leben. Zudem würde man mit einer Behinderung diskriminiert werden und man bekomme ohne Schmiergeldzahlungen keinen Job.

Auf die Frage, wo er unmittelbar vor seiner Ausreise konkret in Afghanistan gewohnt habe, erklärte der BF, dass er seit seinem 14. Lebensjahr in Kabul gewohnt habe, jedoch in Baghlan geboren worden sei. Aufgrund des Krieges habe er jedoch auch in Pakistan gewohnt.

Auf Vorhalt, dass es nicht nachvollziehbar sei, wieso er sich nicht in anderen Städten Afghanistans aufhalten könne, da er bereits an mehreren Orten gelebt habe, erwiderte der BF, dass er damals ein Kind gewesen sei und er nunmehr nur einen kranken Vater sowie einen kranken Bruder habe. Sein Bruder sei als Taxifahrer tätig gewesen, er sei jedoch überfallen worden und ihm sei sein Handy gestohlen worden.

Der BF zog in weiterer Folge im Zuge der Verhandlung vor dem BVwG in Absprache mit seinem gewillkürten Rechtsvertreter die Beschwerde zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zurück; die Beschwerde gegen die anderen Spruchpunkte blieb aufrecht.

In weiterer Folge durch den erkennenden Richter befragt, ob es abgesehen von den bisher angegebenen Gründen für das Verlassen Afghanistans noch weitere Gründe gäbe, die den BF bewogen hätten, seinen Herkunftsstaat zu verlassen, fürhte der BF aus, dass er behindert sei und in seiner Gehfähigkeit eingeschränkt sei. Da bereits ein normaler Mensch in Afghanistan nicht leben könne, sei die Gesamtsituation in Afghanistan für ihn noch gravierender, da er weder auf Baustellen arbeiten könne noch schwere Arbeiten verrichten könne. Bürotätigkeiten könne man nur nach Bezahlung einer bestimmten Geldsumme ausüben.

Zum Vorhalt, angegeben zu haben, dass er in Afghanistan bei einer großen Firma namens SANTO als Teamleiter sowie als Büroleiter gearbeitet habe, als Steinmetz tätig gewesen sei und auch in der Produktion beschäftigt gewesen sei, weshalb er in Afghanistan auch nach einer Rückkehr seinen Lebensunterhalt bestreiten könnte, dass er als Steinmetz keine schweren Arbeiten durchgeführt habe und nur einzelne Designs angefertigt habe. Der Chef von SANTO sei ein Bekannter seines Bruders gewesen und er habe dort 4.000 Afghani verdient. Der Chef habe ihm erklärt, als Supervisor mehr verdienen zu können. Auf weiteren Vorhalt, dass er mit 9.000 Dollar für die illegale Schleppung nach Europa in Afghanistan ein gutes Leben führen könnte, erklärte der BF, dass er diesen Betrag nicht selbst verdient, sondern von seinem Bruder und seiner Schwester ausgeborgt habe. Dem BF wurde vorgehalten, dass den Würdigungen des BFA im angefochtenen Bescheid zu Afghanistan zu entnehmen sei, dass insbesondere in Herat oder Mazar-e Sharif die Sicherheitslage stabil sei, sich Vorfälle in diesen Städten hauptsächlich gegen sogenannte "high profile" Personen bzw. Ziele richten würden und auf Aufforderung, konkrete Gründe zu nennen, warum er davon ausgehe, dass er dennoch bei Rückkehr einer, über das allgemeine Maß hinausgehenden Bedrohung persönlich ausgesetzt wäre, führte der BF an, dass er als behinderte Person in Afghanistan nicht leben und arbeiten könnte und er von der Bevölkerung diskriminiert werden würde. Befragt, wieso er sich nunmehr den Lebensunterhalt erwirtschaften könnte, obwohl er sich zuvor bereits jahrzehntelang in Afghanistan durch eigene Arbeit ernähren habe können, erklärte der BF, dass er damals noch jung gewesen sei und auch in Pakistan gearbeitet habe. Nunmehr gebe es in Afghanistan auch für junge Menschen keine Zukunft mehr. In Afghanistan sei er zwar in einer guten beruflichen Position gewesen, sei jedoch aufgrund dieser Tätigkeit von den Taliban bedroht worden und habe das Land daher verlassen müssen. Zur Frage, wie er sich von anderen jungen, gesunden, arbeitsfähigen Afghanen unterscheide, die die Sprache beherrschen und die Kultur und Gebräuche des Landes kennen würden, erwiderte der BF, dass diesen nicht die Möglichkeit zur Verfügung stehen würde, das Land zu verlassen.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er seit Corona keine Erwerbstätigkeit mehr habe, davor habe er Milch sowie Kakao in Klassen verteilt und fünf Euro pro Stunden erhalten habe. Wenn die Gemeinde Unterstützung benötige, habe der BF auch gemeinnützige Arbeiten verrichtet. Überdies bekomme er Geld von der Caritas in Höhe von 345 Euro, wovon er 130 Euro für seine Wohnung bezahlen müsse.

Auf die Frage, ob er in Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen sei, replizierte der BF, dass er seit 2015 für die Schule tätig sei. Befragt, ob er Mitglied in einem Verein sei, erwiderte der BF, dass er in einem Fotoclub gewesen sei, der über 520 Mitglieder gehabt habe. Nunmehr sei jedoch sein zukünftiger Schwiegervater krank und der BF besuche diesen zwei-bis dreimal in der Woche.

Auf die Frage, ob er neben seiner Lebensgefährtin zu irgendjemanden in Österreich freundschaftliche Beziehungen pflege, entgegnete der BF, dass er seine Verlobte 2015 kennengelernt habe und seit 2019 mit dieser verlobt sei. Überdies habe er in Österreich auch weitere Freunde kennengelernt. Seine Verlobte sei nunmehr ebenfalls arbeitslos und sie würden am Wochenende immer Ausflüge machen. Nächstes Jahr würden der BF und seine Verlobte heiraten wollen. Die Unterschiede ihrer Religionen würden für den BF nicht relevant sein, da die österreichische Gesellschaft damit kein Problem habe. Auf Nachfrage, welchen Freizeitaktivitäten der BF in Österreich nachgehe, entgegnete der BF, dass er entweder Lernvideos auf Youtube ansehe oder auf dem Bauernhof seiner Lebensgefährtin Reparaturen vornehme. Seine Zukunft werde er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin planen. Nachgefragt, ob er mit seiner Lebensgefährtin in einer Wohnung lebe, gab der BF an, dass er ungefähr 5 Kilometer von seiner Lebensgefährtin entfernt wohne und er manchmal zu ihr fahre, oftmals komme sie jedoch auch zu ihm.

Zur Frage des Rechtsvertreters, welche Beschwerden er wegen seiner Krankheit habe, erwiderte der BF, dass er unter Rückenschmerzen leide und sein rechtes Bein sei wesentlich schwächer als sein linkes. Durch seine Gehbeeinträchtigung sei der BF im Alltag beeinträchtigt, da er körperliche Tätigkeiten oftmals nicht durchführen könne. Er habe nunmehr neue Medikamente sowie orthopädische Schuhe erhalten und sei bereits bei der Physio-Therapie gewesen. Nachgefragt, ob er auch in Afghanistan Medikamente gegen seine Schmerzen genommen habe, replizierte der BF, dass er zum Roten Kreuz gegangen sei, aber in weiterer Folge der Krieg ausgebrochen sei. Da die medizinische Behandlung nicht sehr gut sei, würden sich wohlhabende Leute oftmals in Indien oder Pakistan behandeln lassen. Auf Vorhalt, ob er versucht habe, in Afghanistan eine kostenlose Behandlung in einem öffentlichen Spital zu bekommen, entgegnete der BF, dass für ihn dort kein Platz sei und man ihm in einem Krankenhaus erklärt habe, dass er die orthopädischen Schuhe tragen müsse und er schon alt sei. Nachgefragt, ob sich seine Krankheit über die Jahre verschlechtert oder verbessert habe, entgegnete der BF, dass er vor 10 Jahren noch nicht über seine Krankheit gewusst habe und nur „falsch“ gegangen sei. Seit vier oder fünf Jahren habe er jedoch gravierende Schmerzen, weshalb er zum Arzt gegangen sei und dieser festgestellt habe, dass sich seine Wirbelsäule verformt habe. Auf Aufforderung, konkrete Situationen zu nennen, bei denen er von der afghanischen Bevölkerung ausgegrenzt oder verhöhnt worden sei, erklärte der BF, dass man in Afghanistan als behinderte Person unabhängig vom Grad der Behinderung immer erniedrigt und verhöhnt werde und für die Gesellschaft von keinem Nutzen sei. Überdies sei er oftmals geschlagen worden, von einigen Personen in weiterer Folge jedoch verteidigt worden. Zudem sei er als Kind von gemeinschaftlichen Aktivitäten ausgeschlossen worden.

Zur Frage des Rechtsvertreters, wie man in Afghanistan Arbeit finden könne und welche Voraussetzungen man dafür erfüllen müsse, erwiderte der BF, dass man gesund und kräftig sein müsse, um einer Tätigkeit nachzugehen und man zudem Geld bezahlen müsse oder Verbindungen zu Regierungsmitgliedern haben müsse, um eine Stelle zu bekommen. Es sei jedenfalls schwierig, in Afghanistan ohne soziale Anknüpfungspunkte in den Arbeitsprozess eingegliedert zu werden und sich ein Leben aufzubauen. Die Frage, ob seine Familie ihn in Afghanistan unterstützen könnte, wurde vom BF verneint. Auf Aufforderung des Rechtsvertreters, die finanzielle Situation seiner Familie darzulegen, führte der BF an, dass sein Bruder Taxilenker sei und nur gelegentlich Aufträge habe. Seine Schwester schicke der Familie gelegentlich Geld. Befragt, ob er einen Führerschein habe, erklärte der BF, dass er den Moped-Führerschein habe. Zum Vorhalt, dass er dann auch einen PKW-Führerschein machen und als Taxifahrer im Taxi seines Bruders in Afghanistan Geld erwirtschaften könnte, dass er seinen Fuß nicht verwenden könne und sein Bruder auch eine eigene Familie habe. Sein Vater und sein Bruder mitsamt dessen Familie würden in einer Wohnung mit zwei Zimmern wohnen. Da sein Vater jedoch krank sein, könne der BF nicht mit diesem ein Zimmer teilen. Sein Bruder müsse überdies für vier Kinder sowie seine Ehefrau sorgen. Nachgefragt, ob er je in Kabul gelebt habe, replizierte der BF, dass er in einem Dorf gewohnt habe, das zur Provinz Kabul gehöre. Auf die Frage des Rechtsvertreters, wie es ihm als Steinmetz körperlich ergangen sei, gab der BF an, dass es ihm nicht schlecht gegangen sei, da er keine schwere Arbeit verrichtet habe und nur Schriftzüge angefertigt habe. Auf Vorhalt, wieso er diese Tätigkeit nunmehr im Falle einer Rückkehr nicht wieder ausüben könnte, obwohl er 10 Jahre davon gelebt habe, führte der BF an, dass er Leute gekannt habe, die in Pakistan mit dieser Arbeit gut verdient hätten, in Afghanistan jedoch nunmehr arbeitslos seien, da man für Steinarbeiten kein hohes Gehalt beziehe. Bei einer Rückkehr hätte er auch Probleme wegen seiner Beziehung zu einer Christin sowie als Rückkehrer aus Europa.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen die Spruchpunkte II-IV.

Die Beschwerde betreffend Spruchpunkt I wurde im Zuge der Verhandlung vor dem BVwG im Beisein des gewillkürten, anwaltlichen Vertreters ausdrücklich zurückgezogen.

1.1. Zur Person des BF:

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der BF beherrscht die Sprachen Dari, Punjabi und Englisch sowie Deutsch. Der BF stammt aus der Provinz Baghlan und besuchte in Afghanistan 11 Jahre die Grundschule. Anschließend lebte er 10 Jahre lang in Pakistan, wo er als Steinmetz tätig war. Überdies hat er in Pakistan eine Computerausbildung abgeschlossen. In weiterer Folge war der BF von Jänner 2010 bis Dezember 2012 in der Provinz Laghman als Supervisor im Bereich Brennstoffzufuhr eines Logistikunternehmens tätig. Er bestritt seinen Lebensunterhalt im Herkunftsstaat vor seiner Ausreise von seiner Tätigkeit als Supervisor eines Logistikunternehmens, sowie von Geldleistungen seiner Schwester.

Der Vater, der Bruder des BF und dessen Familie leben nach wie vor in einer Mietwohnung in Kabul. Eine Schwester des BF lebt als anerkannter Flüchtling in Großbritannien. Mit seinem Bruder steht der BF via Telefon in regelmäßigem Kontakt. Der Bruder des BF verdient in Afghanistan seinen Lebensunterhalt als Taxilenker und die Familie lebt zudem von Unterstützungen der Schwester des BF. Zudem hat der BF in Afghanistan familiäre Anknüpfungspunkte in Form mehrerer Onkel und Tanten in Baghlan, Kabul sowie Herat.

Bei dem BF handelt es sich um einen insgesamt gesunden jüngeren Mann im arbeitsfähigen Alter. Das genaue Alter des Beschwerdefühers ist unbekannt. Der BF litt an Kinderlähmung, weshalb er eine Verkrümmung der Wirbelsäule sowie ein verkürztes Bein hat. Er steht wegen der sich aus dieser Erkrankung ergebenden orthopädischer Beschwerden in physikalischer Behandlung und ihm wurde diesbezüglich ein orthopädischer Schuh verschrieben. Der BF leidet gegenwärtig nicht unter akut lebensbedrohlich schweren körperlichen oder psychischen Erkrankungen und befindet sich nicht in einer durchgehenden stationären Behandlung.

Der Beschwerdefüher erfüllt nicht die Voraussetzungen zur Gewährung eines Aufenthaltstitels gem. §57 AsylG.

1.2. Zur Rückkehrmöglichkeit nach Afghanistan:

Der BF war in Afghanistan keinen asylrelevanten, bzw. glaubhaften konkret gegen seine Person gerichteten Bedrohungen oder Übergriffen ausgesetzt und im Falle einer Rückkehr drohen ihm mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine asylrelevante Bedrohung.

Eine Rückkehr in die Heimatprovinz Baghlan ist dem BF nicht zumutbar.

Eine Ansiedlung des BF in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ist möglich und zumutbar. Der Beschwerdeführer kann die Städte Kabul, Mazar-e Sharif und Herat von Österreich sicher mit dem Flugzeug (auch über Kabul) erreichen.

Der BF ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und daher mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und den in Afghanistan gesprochenen Sprachen vertraut. Er stammt aus der Provinz Baghlan, hat in Afghanistan 11 Jahre die Grundschule besucht und als Steinmetz in Pakistan sowie als Leiter in einem Logistikunternehmen in Afghanistan gearbeitet. Er verfügt in Kabul über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seines Vaters und seines Bruders.

Der Beschwerdefüher leidet gegenwärtig nicht unter einer schweren, bzw. lebensbedrohlich schweren psychischen oder physischen Erkrankung.

Aufgrund einer Erkrankung an Kinderlähmung ist der Beschwerdeführer in seiner Bewegung dauerhaft eingeschränkt. Dieserart körperliche Beeinträchtigungen stellen kein verfahrensrelevantes Rückkehrhindernis dar, da dieserart Einschränkungen, insbesondere bezogen auf eine Arbeitsfähigkeit nicht derart schwer sind, sodass hieraus eine zukünftig relevante Einschränkung der Erwerbstätigkeit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit resultierend abgeleitet werden kann. Dem Beschwerdeführer war es trotz dieser Erkrankung im Herkunfstsstaat möglich dauerhaft eine Erwerbstätigkeit zu finden und dieser nachzugehen, bzw. sich mit dieser einen ausreichenden Lebensunterhalt zu sichern.

Eine ausreichende medizinische Versorgung, bzw. der Zugang zu Medikamenten ist aufgrund der vorliegenden Länderinformationen in Afghanistan für den BF vorhanden und diesem zugänglich.

Angesichts der bestehenden grundsätzlichen Arbeitsfähigkeit des Beschwerdefühers, aufgrund seiner Ausbildungen und seiner Berufserfahrung, dies auch unter besonderer Berücksichtigung einzelner körperlicher Einschränkungen durch die als Kind erlittene Kinderlähmung, ist es dem Beschwerdeführer zumutbar und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch möglich sich wie in der Vergangenheit, so auch nach einer Rückkehr insbesodnere in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat zumutbar und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch möglich sich dort eine Existenz aufbauen und sich eine Lebensgrundlage durch eigene Arbeitsleistung - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten zu sichern. Dieserart Feststellungen sind auch auch unter besonderer Berücksichtigung der gegenwärtigen Lage in Afghanistan aufgrund der weltweiten Corona 19 Pandemie zu treffen. Dies insbesondere, da der BF bereits als Führungskraft tätig war und in mehreren Provinzen Afghanistans, so etwa in Nangarhar, Logar, Bamyan, Badachschan, Kunduz sowie Tachar gelebt hat. Der BF ist trotz seiner körperlichen Einschränkung in der Lage, in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF ist anpassungsfähig und kann einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen. Zudem stehen den Beschwerdeführer Rückkehrhilfen offen, bzw. verfügt der BF über Familienangehörige auch im europäischen Ausland wie etwa eine Schwerer des BF in England, die diesen zumutbar kurzfristig unterstützen können.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar e-Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Nahrungsbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Es ist dem BF möglich und zumutbar, auch im Falle anfänglicher Schwierigkeiten nach einer Ansiedelung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar e-Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.3.    Zur Integration des BF in Österreich

Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich seit seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 16.04.2014 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung durchgehend damit seit 6 Jahren rechtmäßig auf.

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung.

Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

Der BF hat Deutschkurse besucht und Deutschprüfungen auf dem Niveau A2 und B1 absolviert. Er hat gemeinnützige Arbeiten für eine Marktgemeinde verrichtet Reinigungsarbeiten sowie Aushilfsarbeiten an einer Schule durchgeführt.

Der BF hat das Modul I der Integrationsvereinbarung erfüllt und erfüllt damit die Voraussetzungen gem. § 55 Abs. 1 AsylG

Der BF hat an mehreren Integrationsprojekten teilgenommen, ist Mitglied in einem Verein bzw. Fotoclub, hat mehrere Freunde im Bundesgebiet, bzw. ist der Beschwerdeführer mit einer österreichischen Staatsbürgerin verlobt.

Der Beschwerdeführer hat insgesamt einen derartigen Grad an Integration im Bundesgebiet erreicht, sodass eine Außerlandesbringung diseses nach Afghanistan im gegenständlichen Einzelfall einen unzulässigen Eingriff in Art. 8 EMRK darstellen würde.

1.4.    Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt: (gekürzt und zusammengefasst durch das BVwG)

COVID-19:

Länderspezifische Anmerkungen COVID-19: Stand 21.07.2020

Aktueller Stand der COVID-19 Krise in Afghanistan

Berichten zufolge, haben sich in Afghanistan mehr als 35.000 Menschen mit COVID-19 angesteckt, mehr als 1.280 sind daran gestorben. Aufgrund der begrenzten Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der begrenzten Testkapazitäten sowie des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt zu wenig gemeldet. 10 Prozent der insgesamt bestätigten COVID-19-Fälle entfallen auf das Gesundheitspersonal. Kabul ist hinsichtlich der bestätigten Fälle nach wie vor der am stärksten betroffene Teil des Landes, gefolgt von den Provinzen Herat, Balkh, Nangarhar und Kandahar. Beamte in der Provinz Herat sagten, dass der Strom afghanischer Flüchtlinge, die aus dem Iran zurückkehren, und die Nachlässigkeit der Menschen, die Gesundheitsrichtlinien zu befolgen, die Möglichkeit einer neuen Welle des Virus erhöht haben, und dass diese in einigen Gebieten bereits begonnen hätte. Am 18.07.2020 wurde mit 60 neuen COVID-19 Fällen der niedrigste tägliche Anstieg seit drei Monaten verzeichnet – wobei an diesem Tag landesweit nur 194 Tests durchgeführt wurden.

Krankenhäuser und Kliniken berichten weiterhin über Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19. Diese Herausforderungen stehen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA), Testkits und medizinischem Material sowie mit der begrenzten Anzahl geschulter Mitarbeiter - noch verschärft durch die Zahl des erkrankten Gesundheitspersonals. Es besteht nach wie vor ein dringender Bedarf an mehr Laborequipment sowie an der Stärkung der personellen Kapazitäten und der operativen Unterstützung.

Maßnahmen der afghanischen Regierung und internationale Hilfe:

Die landesweiten Sperrmaßnahmen der Regierung Afghanistans bleiben in Kraft. Universitäten und Schulen bleiben weiterhin geschlossen. Die Regierung Afghanistans gab am 06.06.2020 bekannt, dass sie die landesweite Abriegelung um drei weitere Monate verlängern und neue Gesundheitsrichtlinien für die Bürger herausgeben werde. Darüber hinaus hat die Regierung die Schließung von Schulen um weitere drei Monate bis Ende August verlängert.

Berichten zufolge werden die Vorgaben der Regierung nicht befolgt, und die Durchsetzung war nachsichtig. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Virus unterscheiden sich weiterhin von Provinz zu Provinz, in denen die lokalen Behörden über die Umsetzung der Maßnahmen entscheiden. Zwar behindern die Sperrmaßnahmen der Provinzen weiterhin periodisch die Bewegung der humanitären Helfer, doch hat sich die Situation in den letzten Wochen deutlich verbessert, und es wurden weniger Behinderungen gemeldet.

Einwohner Kabuls und eine Reihe von Ärzten stellten am 18.07.2020 die Art und Weise in Frage, wie das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie im Land umgegangen ist, und sagten, das Gesundheitsministerium habe es trotz massiver internationaler Gelder versäumt, richtig auf die Pandemie zu reagieren. Es gibt Berichte wonach die Bürger angeben, dass sie ihr Vertrauen in öffentliche Krankenhäuser verloren haben und niemand mehr in öffentliche Krankenhäuser geht, um Tests oder Behandlungen durchzuführen.

Beamte des afghanischen Gesundheitsministeriums erklärten, dass die Zahl der aktiven Fälle von COVID-19 in den Städten zurückgegangen sei, die Pandemie in den Dörfern und in den abgelegenen Regionen des Landes jedoch zunehme. Der Gesundheitsminister gab an, dass 500 Beatmungsgeräte aus Deutschland angekauft wurden und 106 davon in den Provinzen verteilt werden würden.

Am Samstag den 18.07.2020 kündete die afghanische Regierung den Start des Dastarkhan-e-Milli-Programms als Teil ihrer Bemühungen an, Haushalten inmitten der COVID-19-Pandemie zu helfen, die sich in wirtschaftlicher Not befänden. Auf der Grundlage des Programms will die Regierung in der ersten Phase 86 Millionen Dollar und dann in der zweiten Phase 158 Millionen Dollar bereitstellen, um Menschen im ganzen Land mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die erste Phase soll über 1,7 Millionen Familien in 13.000 Dörfern in 34 Provinzen des Landes abdecken.

Die Weltbank genehmigte am 15.07.2020 einen Zuschuss in Höhe von 200 Millionen US-Dollar, um Afghanistan dabei zu unterstützen, die Auswirkungen von COVID-19 zu mildern und gefährdeten Menschen und Unternehmen Hilfe zu leisten.

Auszugsweise Lage in den Provinzen Afghanistans:

Dieselben Maßnahmen – nämlich Einschränkungen und Begrenzungen der täglichen Aktivitäten, des Geschäftslebens und des gesellschaftlichen Lebens – werden in allen folgend angeführten Provinzen durchgeführt. Die Regierung hat eine Reihe verbindlicher gesundheitlicher und sozialer Distanzierungsmaßnahmen eingeführt, wie z.B. das obligatorische Tragen von Gesichtsmasken an öffentlichen Orten, das Einhalten eines Sicherheitsabstandes von zwei Metern in der Öffentlichkeit und ein Verbot von Versammlungen mit mehr als zehn Personen. Öffentliche und touristische Plätze, Parks, Sportanlagen, Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen sind geschlossen; die Dienstzeiten im privaten und öffentlichen Sektor sind auf 6 Stunden pro Tag beschränkt und die Beschäftigten werden in zwei ungerade und gerade Tagesschichten eingeteilt.

Die meisten Hotels, Teehäuser und ähnliche Orte sind aufgrund der COVID-19 Maßnahmen geschlossen, es sei denn, sie wurden geheim und unbemerkt von staatlichen Stellen geöffnet.

In der Provinz Kabul gibt es zwei öffentliche Krankenhäuser die COVID-19 Patienten behandeln mit 200 beziehungsweise 100 Betten. Aufgrund der hohen Anzahl von COVID-19-Fällen im Land und der unzureichenden Kapazität der öffentlichen Krankenhäuser hat die Regierung kürzlich auch privaten Krankenhäusern die Behandlung von COVID-19-Patienten gestattet. Kabul sieht sich aufgrund von Regen- und Schneemangel, einer boomenden Bevölkerung und verschwenderischem Wasserverbrauch mit Wasserknappheit konfrontiert. Außerdem leben immer noch rund 12 Prozent der Menschen in Kabul unter der Armutsgrenze, was bedeutet, dass oftmals ein erschwerter Zugang zu Wasser besteht.

In der Provinz Balkh gibt es ein Krankenhaus, welches COVID-19 Patienten behandelt und über 200 Betten verfügt. Es gibt Berichte, dass die Bewohner einiger Distrikte der Provinz mit Wasserknappheit zu kämpfen hatten. Darüber hinaus hatten die Menschen in einigen Distrikten Schwierigkeiten mit dem Zugang zu ausreichender Nahrung, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie.

Wirtschaftliche Lage in Afghanistan:

Verschiedene COVID-19-Modelle zeigen, dass der Höhepunkt des COVID-19-Ausbruchs in Afghanistan zwischen Ende Juli und Anfang August erwartet wird, was schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft Afghanistans und das Wohlergehen der Bevölkerung haben wird. Es herrscht weiterhin Besorgnis seitens humanitärer Helfer, über die Auswirkungen ausgedehnter Sperrmaßnahmen auf die am stärksten gefährdeten Menschen – insbesondere auf Menschen mit Behinderungen und Familien – die auf Gelegenheitsarbeit angewiesen sind und denen alternative Einkommensquellen fehlen. Der Marktbeobachtung des World Food Programme (WFP) zufolge ist der durchschnittliche Weizenmehlpreis zwischen dem 14. März und dem 15. Juli um 12 Prozent gestiegen, während die Kosten für Hülsenfrüchte, Zucker, Speiseöl und Reis (minderwertige Qualität) im gleichen Zeitraum um 20 – 31 Prozent gestiegen sind. Einem Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht (MAIL) zufolge sind über 20 Prozent der befragten Bauern nicht in der Lage, ihre nächste Ernte anzubauen, wobei der fehlende Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und die COVID-19-Beschränkungen als Schlüsselfaktoren genannt werden. Darüber hinaus sind die meisten Weizen-, Obst-, Gemüse- und Milchverarbeitungsbetriebe derzeit nur teilweise oder gar nicht ausgelastet, wobei die COVID-19-Beschränkungen als ein Hauptgrund für die Reduzierung der Betriebe genannt werden. Die große Mehrheit der Händler berichtete von gestiegenen Preisen für Weizen, frische Lebensmittel, Schafe/Ziegen, Rinder und Transport im Vergleich zur gleichen Zeit des Vorjahres. Frischwarenhändler auf Provinz- und nationaler Ebene sahen sich im Vergleich zu Händlern auf Distriktebene mit mehr Einschränkungen konfrontiert, während die große Mehrheit der Händler laut dem Bericht von teilweisen Marktschließungen aufgrund von COVID-19 berichtete.

Am 19.07.2020 erfolgte die erste Lieferung afghanischer Waren in zwei Lastwagen nach Indien, nachdem Pakistan die Wiederaufnahme afghanischer Exporte nach Indien angekündigt hatte um den Transithandel zu erleichtern. Am 12.07.2020 öffnete Pakistan auch die Grenzübergänge Angor Ada und Dand-e-Patan in den Provinzen Paktia und Paktika für afghanische Waren, fast zwei Wochen nachdem es die Grenzübergänge Spin Boldak, Torkham und Ghulam Khan geöffnet hatte.

Einreise und Bewegungsfreiheit:

Die Türkei hat, nachdem internationale Flüge ab 11.6.2020 wieder nach und nach aufgenommen wurden, am 19.07.2020 wegen der COVID-19-Pandemie Flüge in den Iran und nach Afghanistan bis auf weiteres ausgesetzt, wie das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur mitteilte.

Bestimmte öffentliche Verkehrsmittel wie Busse, die mehr als vier Passagiere befördern, dürfen nicht verkehren. Obwohl sich die Regierung nicht dazu geäußert hat, die Reisebeschränkungen für die Bürger aufzuheben, um die Ausbreitung von COVID-19 zu verhindern, hat sich der Verkehr in den Städten wieder normalisiert, und Restaurants und Parks sind wieder geöffnet.

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).

IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:

•        Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)

•        Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).

Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)

Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).

Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).

Quellen:

•        AnA – Andalous (21.4.2020): COVID-19 rips through fragile Afghan health system, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/covid-19-rips-through-fragile-afghan-health-system-/1812821, Zugriff 23.4.2020

•        ARZ KBL – Arzt in Kabul (7.5.2020): Antwortschreiben per E-Mail; liegt bei der Staatendokumentation auf.

•        BBC (9.4.2020): Coronavirus: The porous borders where the virus cannot be controlled, https://www.bbc.com/news/world-asia-52210479, Zugriff 9.4.2020

•        DW – Deutsche Welle (22.4.2020): Coronavirus: Tough times ahead as Afghanistan struggles to manage pandemic, https://www.dw.com/en/coronavirus-tough-times-ahead-as-afghanistan-struggles-to-manage-pandemic/a-53207173, Zugriff 23.4.2020, ua.

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Afghanistan übernommen (Abschnitt 1; relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in KabulStadt kamen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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