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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des M in V, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 2. Dezember 1996, Zl. 16/95-6/1996, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 und des Kraftfahrgesetzes 1967, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Verwaltungsübertretungen nach § 102 Abs. 2 KFG 1967 (Spruchpunkt 3 des erstinstanzlichen Straferkenntnisses) in Ansehung des Ausspruches über die Strafe einschließlich der damit verbundenen Kostenentscheidung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Gegen den Beschwerdeführer erging das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom 9. April 1996 mit folgendem Spruch (Spruchteile gemäß § 44a Z. 1 bis 3 VStG):
"Sie haben am 01.01.1996 um 02.55 Uhr in St. Jakob i.D. den PKW, Kennzeichen XY (D), auf einer Gemeindestraße vom Haus Außerrotte Nr. 8 zum Haus St. Leonhard Nr. 42 gelenkt,
1) obwohl Sie sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befanden und haben auf bezeichneter Fahrt 2) das von einem Gendarmeriebeamten mit Rotlicht gegebene Haltezeichen auf Höhe des Hauses Außerrotte Nr. 8 mißachtet und die Fahrt mit zunehmender Geschwindigkeit in Richtung St. Leonhard fortgesetzt und haben 3) vor Fahrtantritt nicht dafür gesorgt, daß die Sicht vom Lenkerplatz aus für das sichere Lenken des Fahrzeuges ausreicht und die Kennzeichen des von Ihnen gelenkten Kraftfahrzeuges vollständig sichtbar waren, da bis auf die Windschutzscheibe sämtliche Scheiben komplett vereist und die Kennzeichen mit Schmutz und Schnee bedeckt und unleserlich waren und sind 4) nach der "Lackbrücke" mit Ihrem Fahrzeug in Richtung St. Leonhard abgebogen, ohne die Fahrtrichtungsänderung rechtzeitig anzuzeigen.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:
1)
2)
3)
4)
Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird/werden über Sie folgende Strafe(n) verhängt:
1) S 10.000,--, 2) S 1.000,--, 3) S 1.000,--, 4) S 300,--; falls die Geldstrafe(n) uneinbringlich ist/sind, Ersatzarrest von 1) 10 Tagen, 2) 1 Tag, 3) 1 Tag, 4) 6 Stunden gemäß 1) § 99 Abs. 1 lit. a StVO, 2) § 99 Abs. 3 lit. j StVO, 3) § 134 Abs. 1 KFG, 4) § 99 Abs. 3 a StVO".
Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer Berufung. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung gegen die Punkte 1) bis 3) des erstinstanzlichen Straferkenntnisses als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich des Punktes 4) wurde das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG eingestellt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde insoweit, als der Beschwerdeführer wegen der Verwaltungsübertretungen nach den §§ 5 Abs. 1 und 97 Abs. 1 StVO 1960 und § 102 Abs. 2 KFG 1967 bestraft wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Hinsichtlich der Verwaltungsübertretungen nach den §§ 5 Abs. 1 und 97 Abs. 1 StVO 1960 erschöpft sich das Beschwerdevorbringen in der Rüge, die vom Beschwerdeführer zum Beweis dafür, daß nicht er, sondern sein Bruder das Fahrzeug zur Tatzeit gelenkt habe, beantragte Einvernahme des Bruders hätte zufolge des im Berufungsvorbringen vor den unabhängigen Verwaltungssenaten geltenden Unmittelbarkeitsgrundsatzes nicht im Rechtshilfeweg, sondern vor der belangten Behörde selbst durchgeführt werden müssen. Dies schlägt schon im Hinblick auf § 51g Abs. 3 Z. 1 VStG nicht durch. Nach der genannten Bestimmung dürfen Niederschriften über die Vernehmung des Beschuldigten oder von Zeugen sowie die Gutachten der Sachverständigen nur verlesen werden, wenn die Vernommenen in der Zwischenzeit gestorben sind, ihr Aufenthalt unbekannt ist oder ihr persönliches Erscheinen wegen ihres Alters, wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit oder entfernten Aufenthaltes oder aus anderen erheblichen Gründen nicht verlangt werden kann. Da der Bruder des Beschwerdeführers im Ausland, und zwar in V in der Bundesrepublik Deutschland, wohnhaft ist, konnte sein persönliches Erscheinen vor der belangten Behörde "wegen entfernten Aufenthaltes" nicht verlangt werden. Die - bloße - Verlesung der von diesem Zeugen im Rechtshilfeweg vor der zuständigen deutschen Behörde abgelegte Aussage in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren entsprach daher dem Gesetz.
Ferner macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde habe - unabhängig von der Frage seiner Täterschaft - hinsichtlich "der Übertretung des § 102 Abs. 2 KFG i.V.m. § 134 Abs. 1 KFG" zwar festgestellt, daß "beide Kennzeichen mit Schmutz und Schnee derart behaftet waren, daß ein Ablesen der Kennzeichen nicht möglich war"; diese Feststellungen reichten nicht aus, um "den Tatbestand des § 102 Abs. 2 KFG" als verwirklicht anzunehmen. Entscheidend sei nämlich, "ob der Lenker vor Fahrtantritt sich davon überzeugt, daß die Kennzeichentafeln frei lesbar sind und eine Verschmutzung oder Schneebedeckung nicht gegeben und gegebenenfalls für eine Entfernung von Schmutz und Schnee zu sorgen hat". Mit diesem Vorbringen verkennt der Beschwerdeführer die Rechtslage.
Gemäß § 102 Abs. 2 2. Satz KFG 1967 hat der Lenker dafür zu sorgen, daß die Sicht vom Lenkerplatz aus für das sichere Lenken des Fahrzeuges ausreicht und daß die Kennzeichen des von ihm gelenkten Kraftfahrzeuges und eines mit diesem gezogenen Anhängers vollständig sichtbar sind und nicht durch Verschmutzung, Schneebelag, Beschädigung oder Verformung der Kennzeichentafeln unlesbar sind. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers gehört es nicht zum objektiven Tatbestand der Übertretungen dieser Vorschrift, daß der Lenker den darin normierten Verpflichtungen "vor Fahrtantritt" nicht entsprochen hat, treffen ihn diese Verpflichtungen doch sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Zweck dieser Bestimmung auch noch nach Antritt der Fahrt. Die geltendgemachten Feststellungsmängel liegen daher nicht vor. Im übrigen hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nicht behauptet, den entsprechenden Verpflichtungen vor dem Inbetriebnehmen des Kraftfahrzeuges nachgekommen zu sein. Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, daß den somit kein wesentliches Tatbestandselement betreffenden Worten "vor Fahrtantritt" im Spruchpunkt 3) des Straferkenntnisses keine rechtserhebliche Bedeutung zukommt (siehe zur vergleichbaren Rechtslage bezüglich der entbehrlichen Anführung der tatsächlich eingehaltenen Fahrgeschwindigkeit im Spruch eines Straferkenntnisses wegen der Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 1991, Zl. 90/02/0189).
Im Ergebnis begründet ist die Beschwerde allerdings hinsichtlich des Strafausspruches zu Spruchpunkt 3). Die belangte Behörde hat nämlich übersehen, daß § 102 Abs. 2
2. Satz KFG 1967 die Tatbestände mehrerer selbständiger Delikte enthält, die gemäß § 22 Abs. 1 VStG auch gesondert zu bestrafen sind. Umfaßt der Schuldspruch - wie hier zu Spruchpunkt 3) - mehr als ein Delikt, dann ist die Verhängung einer einzigen Strafe rechtswidrig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 1987, Zl. 87/02/0016).
Der angefochtene Bescheid war somit in dem aus dem Spruch ersichtlichen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben; im übrigen war die Beschwerde jedoch gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung) Strafnorm Mängel im Spruch gemeinsame Strafe für mehrere DelikteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997030021.X00Im RIS seit
19.03.2001