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60/03 Kollektives Arbeitsrecht;Norm
ASVG §49 Abs1;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 95/08/0046 E 3. April 2001Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des P in S, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 22. Februar 1995, Zl. 14-SV-3080/1/95, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Kärntner Gebietskrankenkasse, Kempfstraße 8, Klagenfurt), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 19. April 1993 sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, der Beschwerdeführer sei verpflichtet, aus dem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis einer bei ihm beschäftigten Arbeitnehmerin für den Zeitraum vom 1. Jänner 1990 bis 28. Februar 1992 nachträglich S 24.738,44 an Sozialversicherungsbeiträgen, Fondsbeiträgen und Umlagen sowie S 2.449,75 an Nachtragszinsen zu zahlen.
Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, die beim Beschwerdeführer beschäftigte Arbeitnehmerin sei nach den Feststellungen eines Arztes nur zu 50 % erwerbsfähig. Vom Beschwerdeführer erhalte sie Geldbezüge und "als Sachbezüge die volle freie Station". § 13 des anzuwendenden Kollektivvertrages für die Landarbeiter in den bäuerlichen Betrieben im Bundesland Kärnten sehe folgendes vor:
"Arbeitskräfte, die wegen geistiger und körperlicher Gebrechen nicht voll leistungsfähig sind, haben nur Anspruch auf einen ihrer verminderten Arbeitsfähigkeit entsprechenden Teil des Lohnes. Die Minderung der Arbeitsfähigkeit ist durch einen Arzt in Prozenten festzustellen und die Kürzung des Bruttolohnes im gleichen Prozentsatz vorzunehmen.
Dem Dienstnehmer muß in jedem Fall die freie Station bzw. deren Wert sowie eine Barentschädigung von S 678,-- ab 1. Mai 1989, S 711,-- ab 1. Mai 1990 und S 752,-- ab 1. Mai 1991 verbleiben."
Diese Bestimmung sei so auszulegen, daß der Anspruchslohn der beim Beschwerdeführer beschäftigten Arbeitnehmerin aus der Summe der anteilsmäßig gekürzten Geldbezüge einerseits und des ungekürzten Wertes der vollen freien Station gemäß § 50 ASVG andererseits bestehe. Demgegenüber habe der Beschwerdeführer zu Unrecht auch den Wert der freien Station in die Kürzung einbezogen, woraus sich die nachzuzahlende Beitragsdifferenz ergebe.
Dem Einspruch des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid nicht Folge.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - erwogen hat:
Der volle Text der im Bescheidzeitraum geltenden Fassung des auf das strittige Beschäftigungsverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrages ist in den vorgelegten Akten nicht enthalten. Der Beschwerdeführer hat sich aber - unter Vorlage des Protokolls über die diesbezügliche Änderung des Kollektivvertrages, und ohne daß ihm die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse oder die belangte Behörde insoweit entgegengetreten wären - schon im Verwaltungsverfahren darauf berufen, daß das Entgelt im § 9 des Kollektivvertrages seit einer 1987 in Kraft getretenen Änderung wie folgt geregelt sei:
"Das Entgelt besteht aus dem Bruttolohn (Anlage I). Wird freie Station (Verpflegung, Wohnung, Beheizung und Beleuchtung) vereinbart, so ist der Geldwert dieser Naturalbezüge nach den Bewertungssätzen der Finanzlandesdirektion vom Bruttolohn in Abzug zu bringen."
Es ist auch nicht strittig, daß § 13 des Kollektivvertrages einerseits bis zu einer erst 1993 in Kraft getretenen Änderung die Überschrift "Bargeldentlohnung" trug, andererseits aus Anlaß der 1987 in Kraft getretenen Neuregelung des Entgeltes der Begriff "Kürzung des Bruttobarlohnes" durch "Kürzung des Bruttolohnes" ersetzt wurde. Weiters wird in dem Protokoll über die 1987 in Kraft getretene Änderung, anders als in dem gleichfalls vorliegenden Protokoll über eine 1986 in Kraft getretene Änderung, eine Anlage über die "Bewertung der Sachbezüge" nicht mehr erwähnt. Die Anlage I trug sowohl in den 1986 als auch in den 1987 in Kraft getretenen Änderungen die Bezeichnung "Lohntafel", was auch auf die 1993 in Kraft getretene Änderung zutrifft, zu der die Anlage selbst ebenfalls vorliegt. Sie regelt den Bruttolohn in Geld.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht es daher als unstrittig an, daß der Kollektivvertrag das Entgelt der Arbeitnehmerin, hinsichtlich dessen die Art seiner Kürzung gemäß § 13 des Kollektivvertrages strittig ist, auch im Bescheidzeitraum mit einem jeweils der "Lohntafel" entnehmbaren Geldbetrag regelte und für den Fall der Vereinbarung freier Station einen den Bewertungssätzen der Finanzlandesdirektion entsprechenden "Abzug" vom "Bruttolohn" vorsah.
Damit steht aber ungeachtet der 1987 nicht geänderten Überschrift "Bargeldentlohnung" auch fest, daß der für die "freie Station" in Anrechnung zu bringende Betrag nach dem Kollektivvertrag ein Teil des Bruttolohnes war, und die in § 13 des Kollektivvertrages enthaltene Regelung über den der verminderten Arbeitsfähigkeit "entsprechenden" Teil des "Lohnes" und die "Kürzung des Bruttolohnes im gleichen Prozentsatz" sich daher auf den Gesamtbetrag beziehen mußte. Auch der Zweck der Vorschrift konnte es nicht nahelegen, daß die kollektivvertragliche Gesamtleistung des Arbeitgebers bei Vereinbarung freier Station höher sein sollte als ohne eine solche Vereinbarung. Hätte die freie Station kein Teil des Bruttolohnes sein sollen, auf den sich die Kürzung bezog, so hätte es auch nicht der Vorschrift bedurft, daß (u.a.) die freie Station dem Dienstnehmer jedenfalls verbleiben müsse. Das Vorhandensein einer solchen Vorschrift kann zumindest nicht als Argument dafür dienen, daß der Bruttolohn vor der Errechnung des Kürzungsbetrages gemäß § 13 des Kollektivvertrages schon um den Abzug für die freie Station zu verringern gewesen sei.
Im angefochtenen Bescheid wird dem nur entgegengesetzt, es erscheine "denkunmöglich, von einer freien Station (Kost, Wohnung) einen prozentuellen Anteil in Abzug zu bringen", weshalb sich die kollektivvertraglich vorgesehene Kürzung "nur auf die entsprechende geldliche Seite beziehen" könne. Letzteres trifft angesichts der dargestellten kollektivvertraglichen Regelung über das Entgelt in dem Sinne zu, daß sich die Kürzungsregelung in § 13 des Kollektivvertrages auf den in Geld bemessenen Bruttolohn in der in der Anlage zum Kollektivvertrag genannten Höhe beziehen mußte. Ergab diese Kürzung einen Betrag, der die Summe aus dem Wert der freien Station und der zusätzlich vorgesehenen Mindestbarentschädigung überstieg, so stand dem Arbeitnehmer auch dieser Mehrbetrag, andernfalls nur die freie Station und die Mindestbarentschädigung zu. Zu einer "Teilung des Sachbezuges" oder auch nur des Wertes eines solchen Bezuges kam es dabei nicht, weil die Kürzung dem Abzug des (vollen) Wertes der freien Station schon vorausging, woran auch die Vorschrift darüber, daß die freie Station selbst in Verbindung mit einer Mindestbarentschädigung eine Untergrenze bildete, die nicht unterschritten werden durfte, nichts ändern konnte. Von der "Denkunmöglichkeit" der vom Beschwerdeführer angewandten Berechnungsart oder, wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse in ihrer Gegenschrift meint, einem Widerspruch zum Einkommensteuergesetz, welches "keine Teilung der Sachbezugswerte" kenne, kann daher nicht die Rede sein (vgl. aber auch § 1 der in der Gegenschrift zitierten Verordnung über die bundeseinheitliche Bewertung bestimmter Sachbezüge für 1992 und ab 1993, BGBl. Nr. 642/1992).
Daß der Kollektivvertrag 1993 geändert wurde und in § 13 nun den Satz enthält, der "Wert der freien Station" habe bei der prozentmäßigen Kürzung des Bruttolohnes "unteilbar zu bleiben", ist für die Vergangenheit ohne Aussagekraft und braucht in bezug auf die inhaltliche Bedeutung der neuen Formulierung daher nicht untersucht zu werden.
Die strittige Kollektivvertragsbestimmung steht in einem teleologischen Gegensatz zu dem Schutz, den § 7 Behinderteneinstellungsgesetz den im Sinne dieses Gesetzes begünstigten Behinderten gegenüber einer Minderung ihres Entgeltes aus dem Grunde der Behinderung gewährt. Dieser Wertungswiderspruch ist aber grundsätzlicher Art und ergibt - entgegen der im Verwaltungsverfahren von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zum Ausdruck gebrachten Ansicht - keinen Lösungsgesichtspunkt für die Beantwortung der Frage, ob die Kürzung bei vereinbarter freier Station anders auszufallen hatte als ohne eine solche Vereinbarung. Der Widerspruch reicht auch nicht aus, um darauf das Urteil zu gründen, die Kürzungsregelung entspreche insgesamt nicht den guten Sitten.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Aufwand für Stempelgebühren war wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (§ 110 Abs. 1 ASVG) nicht erforderlich.
Schlagworte
Kollektivvertrag NachverrechnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995080100.X00Im RIS seit
28.08.2001