TE Vfgh Beschluss 1995/10/2 V77/94

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Veröffentlicht am 02.10.1995
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Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
Satzung der Wr Gebietskrankenkasse Nr 28/1992
ASVG §131b

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Teilen der Satzung einer Krankenkasse betreffs Kostenzuschüsse für Behandlung durch einen Psychotherapeuten mangels Legitimation des antragstellenden Therapeuten

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit einem auf Art139 B-VG gestützten Individualantrag begehrt der Antragsteller - er ist Psychotherapeut - in der Ziffer 1 des Anhanges VI der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse die Wortfolgen "a) für eine Einzelsitzung zu 60 Minuten höchstens S 300,--" und "c) für eine Gruppensitzung (maximal 10 Personen) zu 90 Minuten pro Person höchstens

S 100,--" als gesetzwidrig aufzuheben.

Die Ziffer 1 des Anhanges VI der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse, Amtliche Verlautbarung Nr. 28/1992, SoSi Nr. 3/1992, - die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben - hat folgenden Wortlaut:

"Kostenzuschüsse gemäß §27a der Satzung

bei Fehlen vertraglicher Regelungen

1.

Für die Behandlung durch einen nicht-ärztlichen Psychotherapeuten

   a) für eine Einzelsitzung zu 60 Minuten höchstens ... S 300,-

   b) für eine Einzelsitzung zu 30 Minuten höchstens ... S 175,-

   c) für eine Gruppensitzung (maximal 10 Personen)

      zu 90 Minuten pro Person höchstens ............... S 100,-

   d) für eine Gruppensitzung (maximal 10 Personen)

      zu 45 Minuten pro Person höchstens ............... S  70,-

Ein Kostenzuschuß ist aber nur dann zu gewähren, wenn vom Patienten bestätigt ist, daß der Patient im selben vertragsärztlichen Abrechnungszeitraum und jedenfalls vor der zweiten psychotherapeutischen Behandlung (Sitzung) ärztlich untersucht wurde."

2.1. Seine Antragslegitimation begründet der Antragsteller wie folgt:

"Gemäß dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz steht der Anspruch auf Erbringung der Leistung aus der Krankenversicherung dem Krankenversicherten selbst und nicht dem die Leistung erbringenden Psychotherapeuten zu. Der Antragsteller hat daher gar keine Möglichkeit, von der Wiener Gebietskrankenkasse zunächst eine Entscheidung über die gegenständliche Rechtsfrage zu erhalten und dann allenfalls im Instanzenzug entweder selbst oder im Wege der Anregung an ein Gericht eine Aufhebung der gesetz- und verfassungswidrigen Verordnung herbeizuführen.

Der Antragsteller wird jedoch durch die gegenständliche Verordnung in seinen 'rechtlich geschützten Interessen' beeinträchtigt. Es besteht daher für ihn kein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der behaupteten Rechtswidrigkeit (VfSlg. 8697, Randzahl 1116 in Walter-Mayer, Grundriß des Verfassungsrechtes, 9. Auflage, Manz Wien) als die abstrakte Beschwerde gemäß Art139 B-VG."

2.2. Die Wiener Gebietskrankenkasse hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zurückweisung des Antrages, in eventu dessen Abweisung, begehrt. Zur Zulässigkeit des Antrages wird insbesondere vorgebracht:

"Im gegenständlichen Fall ist die angefochtene Verordnung aber nicht für den Antragsteller wirksam geworden. Der Antragsteller erkennt dies insofern an, als er anführt, daß die Leistung 'Psychotherapie' nicht ihm selbst, sondern dem Versicherten zusteht. Aus diesem Grunde verwendet er die Formulierung, er fühle sich 'in seinen rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt'. Er versucht daher die Situation so darzustellen, daß ein Versicherter bei der Inanspruchnahme der Leistung 'Psychotherapie' in seiner (des Antragstellers) Praxis finanziell schlechter gestellt werde als ein Versicherter bei Inanspruchnahme eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, d. h. Versicherte könnten gleichsam geneigt sein, die Inanspruchnahme des Facharztes aus rein pekuniären Erwägungen der Inanspruchnahme seiner (des Antragstellers) Behandlung vorzuziehen. Diese Schlußfolgerung wäre allerdings unlogisch. Der Antragsteller führt schon seit Jahren eine Praxis als Psychotherapeut und hat auch einen entsprechenden Patientenkreis. Diese Patienten mußten dem Antragsteller das entsprechende Privathonorar bezahlen und erhielten von der Kasse überhaupt keinen Rückersatz. Dies veranlaßte sie keineswegs, seiner Praxis den Rücken zu kehren und sich in die Behandlung eines Facharztes zu begeben, da der Antragsteller eben der Behandler ihres Vertrauens war bzw. ist. Durch die nunmehr vom Antragsteller angefochtene Zuschußregelung im Wege der Satzungsbestimmung erhielten diese Patienten nunmehr einen Zuschuß von S 300,-- für eine Einzelsitzung, bzw. von S 100,-- für eine Gruppensitzung, also Geldbeträge, die sie vor Inkrafttreten der Satzungsbestimmung gar nicht lukrieren konnten. Sie sind daher durch die seitens der Kasse getroffene Zuschußregelung nicht schlechter, sondern sogar besser gestellt worden als zuvor. Wenn man dies so sehen wollte, könnte man auch dahingehend argumentieren, daß sich die 'Konkurrenzsituation' des Antragstellers gegenüber den Fachärzten verbessert hat, da für seine Patienten eine gewisse finanzielle Erleichterung eingetreten ist, was sicherlich aber nicht der Grund ist, daß sie sich durch ihn und nicht durch einen Facharzt behandeln lassen."

2.3. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales hat sich in seiner Äußerung diesen Ausführungen der Wiener Gebietskrankenkasse vollinhaltlich angeschlossen und ergänzend vorgebracht:

"Der Antragsteller behauptet im Punkt 3 seiner Beschwerdeschrift - in offensichtlicher Anlehnung an die vom Verfassungsgerichtshof in einigen seiner Entscheidungen (so z.B. im Beschluß vom 17.3.1977, G15/76, VfSlg. 8009, im Erkenntnis vom 8.12.1979, V13/77, VfSlg. 8697 oder im Beschluß vom 30.11.1983, V12/79, (VfSlg. 9876) verwendete Diktion - lediglich, daß er in seinen 'rechtlich geschützten Interessen' beeinträchtigt sei. ... Der Verfassungsgerichtshof hat dabei im wesentlichen folgende Auffassung vertreten:

'Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung sowohl in Gesetzes- als auch in Verordnungsprüfungssachen, denen ein Individualantrag zugrunde lag, ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Falle der Gesetzwidrigkeit - verletzt' (VfSlg. 9876).

'Anfechtungsberechtigt ist also von vornherein nur ein Rechtsträger, an oder gegen den sich das anzufechtende Gesetz wendet, der diesem gegenüber Normadressat ist' (VfSlg. 8009).

Diese letzte Feststellung muß - wie sich aus den sonstigen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofes in derartigen Fällen ergibt - auch für die Anfechtung von Verordnungen gelten.

Der Beschwerdeführer hat im Punkt 3 seiner Beschwerdeschrift selbst - vermeintlich zur Stützung seiner Antragslegitimation - eingeräumt, daß gemäß dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz der Anspruch auf Erbringung der Leistung aus der Krankenversicherung dem Krankenversicherten selbst und nicht dem die Leistung erbringenden Psychotherapeuten zusteht. Dieser Auffassung kann seitens der Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nur beigepflichtet werden. Normadressaten sowohl des §131 und des §131b ASVG als auch der vom Beschwerdeführer angefochtenen Satzungsbestimmung der Wiener Gebietskrankenkasse sind einerseits der Versicherungsträger, der durch die genannten Vorschriften verpflichtet wird, eine Leistung zu erbringen, und andererseits der Versicherte, der für sich und seine Angehörigen einen Anspruch auf die Erbringung einer Sachleistung oder eine Kostenerstattung bzw. einen Kostenzuschuß hat. Niemals jedoch kann ein Angehöriger eines Gesundheitsberufes in dieser Eigenschaft zur Erhebung einer Individualbeschwerde hinsichtlich einer Bestimmung über eine von ihm für einen Anspruchsberechtigten ausgeübte und von einem Krankenversicherungsträger honorierte Tätigkeit legitimiert sein.

Wenngleich schon aus diesem Grund die Antragslegitimation des Beschwerdeführers nicht gegeben ist, so kommt dazu noch folgendes:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes muß 'der Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar durch die Verordnung selbst - tatsächlich - erfolgt sein' (VfSlg. 9876). Einen unmittelbaren Eingriff in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers kann die in Rede stehende Satzungsbestimmung schon deshalb nicht darstellen, da es sich hiebei um eine generelle abstrakte Norm handelt, die erst vom Versicherungsträger im Einzelfall als Grundlage für seine Entscheidung heranzuziehen ist, über welche dieser im Streitfall einen Bescheid auszustellen hat. Der Umstand, daß ein derartiger Bescheid vom Beschwerdeführer nicht bekämpft werden kann, resultiert - wie oben dargestellt - aus der Tatsache, daß dieser nicht Normadressat der angefochtenen Bestimmung ist. Daraus eine Antragslegitimation unter Hinweis darauf, daß kein anderer (zumutbarer) Weg zur Abwehr des - behaupteterweise rechtswidrigen - Eingriffes zur Verfügung steht, abzuleiten, hält das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für unzulässig.

Schließlich verlangt das Bundes-Verfassungsgesetz zur Antragslegitimation die Verletzung eines Rechtes des Antragstellers oder, wie es der Verfassungsgerichtshof formuliert, seiner 'rechtlich geschützten Interessen'. Eine derartige Verletzung liegt nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ebenfalls nicht vor. Der Verfassungsgerichtshof hat in zwei mit der gegenständlichen Angelegenheit durchaus vergleichbaren Fällen (VfSlg.8061, 8670) wiederum seine bereits aus seinem Beschluß vom 17.3.1977, G15/76, (VfSlg. 8009) bekannte Argumentation verwendet und als grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation im Normenprüfungsverfahren bezeichnet, daß 'die Norm nicht bloß faktische Wirkung zeitigt, sondern die Rechtssphäre der betreffenden Person berührt, also in deren Rechtssphäre eingreift und diese im Falle ihrer Rechtswidrigkeit verletzt. <.....> Die zu untersuchenden Wirkungen erweisen sich vielmehr als bloß faktische Reflexwirkungen der insoweit an andere Personen gerichteten Norm.'

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist der Überzeugung, daß diese Feststellung auch auf jene Wirkungen zutrifft, die die Satzungsbestimmung der Wiener Gebietskrankenkasse auf den Beschwerdeführer entfaltet."

2.4. Der Beschwerdeführer hat eine Äußerung erstattet, in der er auf diese Ausführungen wie folgt repliziert:

"Durch die gegenständlichen Bestimmungen wird die mit dem Psychotherapiegesetz gesetzlich verankerte Berufsgruppe der Psychotherapeuten von Körperschaften öffentlichen Rechts im Rahmen deren hoheitlicher Tätigkeit diskriminiert. Die Verordnung greift also in die verfassungsrechtlich geschützten rechtlichen Interessen des Antragstellers als Psychotherapeuten ein, da damit der Antragsteller gleichheitswidrig in seinem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf Ausübung seiner Erwerbstätigkeit eingeschränkt wird. Für die Legitimation zur Antragstellung ist es ausreichend, daß der Antragsteller durch die Verordnung in rechtlich geschützten Interessen beeinträchtigt ist und die Verordnung objektiv rechtswidrig ist (Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechtes,

7. Auflage, Manz Wien 1992, RZ 1116 ff)."

3. Der Antrag ist unzulässig.

3.1. Gemäß Art139 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, daß die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10353/1985, 11730/1988).

3.2. Mit seinem Vorbringen vermag der Antragsteller nicht darzutun, daß seine Rechtsposition durch die angefochtenen Verordnungsbestimmungen des Anhanges VI der Satzung der Wiener Gebietskrankenkasse unmittelbar betroffen wird. Der Antragsteller behauptet zwar, in seinen "rechtlich geschützten Interessen" beeinträchtigt zu sein, substantiiert dies jedoch nicht näher.

Die angefochtenen Bestimmungen ordnen an, daß Patienten unter bestimmten Voraussetzungen für die Behandlung durch einen nicht-ärztlichen Psychotherapeuten ein Kostenzuschuß gewährt wird. Diese Anordnung richtet sich jedoch nicht an nichtärztliche Psychotherapeuten; Adressaten dieser Regelung sind ausschließlich die Patienten eines nicht-ärztlichen Psychotherapeuten sowie die Wiener Gebietskrankenkasse.

Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß die angefochtenen Bestimmungen unter Umständen die wirtschaftliche Position von nicht-ärztlichen Psychotherapeuten beeinflussen können; dabei geht es jedoch nur um Reflexwirkungen der angefochtenen Regelung. Diese ändern aber nichts daran, daß die in Rede stehenden Bestimmungen die Rechtsstellung des Antragstellers nicht gestalten (vgl. zB VfSlg. 8670/1979, 11623/1988).

3.3. Der Antrag war daher mangels Legitimation zurückzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, Sozialversicherung, Krankenversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:V77.1994

Dokumentnummer

JFT_10048998_94V00077_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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