TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/26 W228 2232397-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.08.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

26.08.2020

Norm

BPGG §21c
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W228 2232397-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Dr. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark, vom 07.04.2020, GZ: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattgegeben und es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführerin für den Zeitraum von 01.03.2020 bis 04.04.2020 Pflegekarenzgeld in Höhe von insgesamt € 1.415,05 gebührt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Das Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark, hat mit Bescheid vom 07.04.2020, GZ: XXXX , den Antrag von XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) auf Zuerkennung von Pflegekarenzgeld vom 20.02.2020 gemäß § 21c Abs. 3 BPGG in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass im Falle einer Pflegekarenz/Pflegeteilzeit oder einer Familienhospizkarenz/Familienhospizteilzeit bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Rechtsanspruch auf Pflegekarenzgeld nach den Bestimmungen des BPGG bestehe. Das Pflegekarenzgeld unterliege dem sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 883/2004. Für einen Export der Leistung sei daher eine Zuständigkeit Österreichs für Leistungen bei Krankheit erforderlich. Beim Pflegekarenzgeld handle es sich um eine Geldleistung, die zum eigentlichen Pflegegeld akzessorisch sei. Ein Pflegekarenzgeld wegen einer Familienhospizkarenz könne nur dann in den EWR oder die Schweiz exportiert werden, wenn sich der Wohnsitz der zu begleitenden Person in diesen Staaten befindet und eine Zuständigkeit Österreichs für Leistungen bei Krankheit im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004 besteht. Dies bedeute, dass die zu begleitende Person der österreichischen Krankenversicherung unterliegen müsse. Nachdem die Beschwerdeführerin ihre in Italien wohnhafte Mutter im Rahmen einer Familienhospizkarenz begleite und sie nicht der österreichischen Krankenversicherung unterliege, bestehe kein Anspruch auf ein Pflegekarenzgeld.

Gegen diesen Bescheid hat die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 29.05.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend wurde ausgeführt, dass die Rechtsmeinung der belangten Behörde, wonach bei Sachverhalten mit europäischem Auslandsbezug einer Pflegeperson mit Wohnsitz in Österreich das Pflegekarenzgeld nur dann gebühre, wenn die betreute Person Anspruch auf Pflegegeld in Österreich hätte, sei verfehlt. Tatsächlich werde das Pflegegeld von der zu pflegenden Person beantragt und auch dieser ausbezahlt, das Pflegekarenzgeld sei dagegen eine Leistung, die von der Pflegeperson beantragt und dieser zuerkannt und ausbezahlt werde. Wesentlich sei daher bei der Frage der Zuerkennung des Pflegekarenzgeldes der Wohnsitz und Arbeitsort der Pflegeperson. Die Beschwerdeführerin hätte, da sie Anspruch auf Krankengeld in Österreich habe, auch Anspruch auf Pflegekarenzgeld in Österreich, egal ob sie die Pflegeleistung in Österreich oder im Ausland erbringt.

Die Beschwerdesache wurde gemäß § 15 Abs. 2 letzter Satz VwGVG unter Anschluss der Akten des Verfahrens am 26.06.2020 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 01.07.2020 an die belangte Behörde Ausführungen zur Sach- und Rechtslage getätigt.

Am 16.07.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme der belangten Behörde ein, in welcher auf die Ausführungen im Schreiben des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.07.2020 repliziert wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Mit Schreiben vom 20.02.2020, eingelangt bei der belangten Behörde am 27.02.2020, stellte die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde einen Antrag auf Zuerkennung von Pflegekarenzgeld gemäß § 21c Abs. 3 BPGG. Gleichzeitig stellte sie ein Ansuchen um Familienhospiz-Härteausgleich. In diesem Antrag führte sie aus, dass sie zum Zwecke der Sterbebegleitung ihrer in Meran (Südtirol) lebenden Mutter Familienhospizkarenz im Zeitraum 01.03.2020 bis 31.05.2020 in Anspruch nehme.

Die Vereinbarung betreffend die von der Beschwerdeführerin in Anspruch genommenen Familienhospizkarenz wurde mit dem Diensteber „ XXXX “ geschlossen.

Die Mutter der Beschwerdeführerin ist am 21.03.2020 verstorben.

Der Beschwerdeführerin wurde bezugnehmend auf ihr Ansuchen um Gewährung einer finanziellen Unterstützung im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme der Familienhospizkarenz für den Zeitraum 01.03.2020 bis 31.05.2020 – vorbehaltlich einer vorzeitigen Beendigung der Familienhospizkarenz – eine Geldzuwendung in der Höhe von € 2.550,00 gewährt. In Anbetracht der vorzeitigen Beendigung der Familienhospizkarenz aufgrund des Ablebens der Mutter der Beschwerdeführerin am 21.03.2020 hat die Beschwerdeführerin eine finanzielle Unterstützung in Höhe von insgesamt € 963,33 aus dem Familienhospizkarenz-Härteausgleich erhalten.

Die Beschwerdeführerin war von 15.09.2011 bis 25.02.2013 in 4320 Perg und von 25.02.2013 bis 06.08.2018 in 4311 Schwertberg hauptwohnsitzgemeldet. Seit 06.08.2018 ist sie in 4020 Linz hauptwohnsitzgemeldet. Die Mutter der Beschwerdeführerin lebte in Meran (Südtirol, Italien).

Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich weder um eine echte noch um eine unechte Grenzgängerin.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der belangten Behörde.

Die Vereinbarung betreffend die Familienhospizkarenz vom 20.02.2020 liegt im Akt ein.

Die Feststellungen zur Geldzuwendung aus dem Familienhospizkarenz-Härteausgleich an die Beschwerdeführerin ergeben sich aus den Mitteilungen des Bundesministeriums für Arbeit, Familie und Jugend vom 04.03.2020 und vom 04.06.2020.

Der Todestag der Mutter der Beschwerdeführerin ist unstrittig.

Die Wohnsitzverhältnisse der Beschwerdeführerin ergeben sich aus der Abfrage aus dem zentralen Melderegister. Unstrittig ist, dass die Mutter der Beschwerdeführerin in Meran lebte.

Der Umstand, dass es sich bei der Beschwerdeführerin weder um eine echte noch um eine unechte Grenzgängerin handelt, ergibt sich daraus, dass die Beschwerdeführerin seit September 2011 durchgehend an drei verschiedenen Adressen im Großraum Linz hauptwohnsitzgemeldet ist und sie auch ausschließlich in Österreich beschäftigt war bzw. ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Somit liegt im gegenständlichen Fall Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde

Gemäß § 14a AVRAG kann der Arbeitnehmer schriftlich eine Herabsetzung, eine Änderung der Lage der Normalarbeitszeit oder eine Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgelts zum Zwecke der Sterbebegleitung eines nahen Angehörigen im Sinne des § 16 Abs. 1 letzter Satz UrlG für einen bestimmten, drei Monate nicht übersteigenden Zeitraum unter Bekanntgabe von Beginn und Dauer verlangen, auch wenn kein gemeinsamer Haushalt mit dem nahen Angehörigen gegeben ist.

Gemäß § 21c Abs. 3 BPGG gebührt Personen, die zum Zwecke der Sterbebegleitung eines nahen Angehörigen oder der Begleitung von schwerst erkrankten Kindern eine Familienhospizkarenz gemäß §§ 14a oder 14b AVRAG oder gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 oder 2 AlVG in Anspruch nehmen, für die Dauer der Familienhospizkarenz ein Pflegekarenzgeld nach den Bestimmungen dieses Abschnittes.

Gemäß § 21e Abs. 3 BPGG gebührt das Pflegekarengeld nach Wegfall des Grundes der Familienhospizkarenz noch 14 Tage.

Im gegenständlichen Fall hat die Beschwerdeführerin eine Familienhospizkarenz gemäß § 14a AVRAG in Anspruch genommen. Ihr gebührt daher ein Pflegekarenzgeld gemäß § 21c Abs. 3 BPGG iVm § 21e Abs. 3 BPGG für den Zeitraum 01.03.2020 (Beginn der Familienhospizkarenz) bis 04.04.2020 (Todestag der Mutter der Beschwerdeführerin am 21.03.2020 plus 14 Tage).

Die Ausführungen im Bescheid der belangten Behörde vom 07.04.2020 im Zusammenhang mit der VO 883/2004 sind nicht nachvollziehbar. Bei der verfahrensgegenständlichen Beschwerdeführerin handelt es sich – wie festgestellt – um keine Grenzgängerin. Soweit im Beschwerdevorlageschreiben der belangten Behörde vom 02.06.2020 bei „Bezugsakte“ auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.07.2018, W228 2169770-1, verwiesen wird, ist darauf zu hinzuweisen, dass die dortige Beschwerdeführerin eine Grenzgängerin, wohnhaft in Deutschland und arbeitend in Österreich, war. Die Sachverhalte sind daher nicht vergleichbar und es kommt daher im gegenständlichen Fall zu keiner Anwendung der Koordinierungsbestimmungen der VO 883/2004.

Der Bestimmung des § 21c Abs. 3 BPGG ist keine Anspruchsvoraussetzung zu entnehmen, dass die pflegebedürftige Person der österreichischen Krankenversicherung zu unterliegen hat.

Über den gegenständlichen Fall hinaus wird angemerkt: In der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 03.07.2018, W228 2169770-1, wurde weiters die, im Einzelfall festgestellte, Akzessorietät des Pflegekarenzgeldes zum Pflegegeld als Grundlage für die europarechtliche Einordnung als "Leistung aus Krankheit" verwendet. Dass diese Akzessorietät eine innerstaatliche Anspruchsvoraussetzung darstellt, wurde nicht festgestellt oder rechtlich erwogen. Im Gegenteil wurde sogar hinsichtlich des Behördenarguments, dass "für die Dauer der Familienhospizkarenz ein Pflegekarenzgeld zu gewähren ist, und hier die (Sterbe-)Begleitung - und nicht die Pflege - eines nahen Angehörigen im Vordergrund stehe", explizit darüber hinaus darauf verwiesen, dass "die belangte Behörde nur andere, nicht auf den gegenständlichen Fall zutreffende, Konstellationen auf[zeigt], in den[en] die Akzessorietät zum Pflegegeld nicht gegeben sein könnte." Es wurde dann weiters darauf verwiesen, dass dies an der europarechtlichen Einordnung als "Leistung aus Krankheit", aus weiter genannten Gründen, nichts ändere.

Zur Höhe des, der Beschwerdeführerin gebührenden, Pflegekarenzgeldes ist wie folgt auszuführen:

Zur Berechnung der Höhe des Pflegekarenzgeldes sind die beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger gespeicherten Beitragsgrundlagen heranzuziehen, wobei das monatliche Einkommen nur bis zu der drei Jahre vor der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes für den Arbeitslosenversicherungsbeitrag maßgeblichen Höchstbeitragsgrundlage (§ 2 Abs. 1 AMPFG) zu berücksichtigen ist. Monatlich gebührt das Pflegekarenzgeld mindestens in Höhe der in § 5 Abs. 2 ASVG definierten aktuell gültigen Geringfügigkeitsgrenze.

Das Pflegekarenzgeld gebührt täglich in Höhe von 55 vH des täglichen Nettoeinkommens, kaufmännisch gerundet auf einen Cent. Zur Ermittlung des täglichen Nettoeinkommens ist gemäß § 21 Abs. 3 AlVG das ermittelte monatliche Bruttoeinkommen um die zum Zeitpunkt der Geltendmachung für einen alleinstehenden Angestellten maßgeblichen sozialen Abgaben und die maßgebliche Einkommenssteuer unter Berücksichtigung der ohne Antrag gebührenden Freibeträge zu vermindern und sodann mit zwölf zu vervielfachen und durch 365 zu teilen.

Das so festgestellte tägliche Nettoeinkommen der Beschwerdeführerin beträgt € 73,51. Daraus errechnete sich ein Pflegekarenzgeld in Höhe von täglich € 40,43.

Da die Antragstellung vor Beginn der Familienhospizkarenz erfolgte, gebührt die Leistung gemäß § 21d Abs. 3 BPGG ab 01.03.2020. Gemäß § 21e Abs. 3 BPGG gebührt die Leistung bis zum 04.04.2020.

Der Beschwerdeführerin gebührt sohin Pflegekarenzgeld in Höhe von insgesamt € 1.415,05 (€ 40,43 x 35 Tage).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Anspruchsvoraussetzungen naher Angehöriger Pflegekarenzgeld Wohnsitz Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W228.2232397.1.00

Im RIS seit

21.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten