TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/18 G303 2176397-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

18.06.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

G303 2176396-1/20E

G303 2176397-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER über die Beschwerden 1.) des XXXX , geboren am XXXX und 2.) des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch Mag. Taner ÖNAL, Rechtswanwalt in 8020 Graz, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.10.2017, Zl. XXXX , und Zl. XXXX , betreffend Antrag auf internationalen Schutz, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.06.2019,

1. zu Recht erkannt:

A)       Den Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben, diese werden behoben und gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Den beschwerdeführenden Parteien wird gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. beschlossen:

C)       Die Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide wird wegen Zurückziehung der Beschwerde eingestellt.

D)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Graz, wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer (im Folgenden: die BF) bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.) sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Mit den am 09.11.2017 beim BFA, RD Steiermark, Außenstelle Graz, eingebrachten und mit demselben Tag datierten Schriftsätzen erhoben die BF durch ihren damaligen bevollmächtigten Rechtsvertreter Beschwerden gegen die im Spruch angeführten Bescheide. Darin wurde nach Darlegung der Beschwerdegründe unter anderem beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – den BF gemäß §§ 55 bis 57 AsylG 2005 einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zuerkennen und die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklären.

Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 14.11.2017 vom BFA vorgelegt.

Das BVwG führte in den gegenständlichen Rechtssachen am 06.06.2019 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der die oben genannten Beschwerdeverfahren zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG verbunden wurden. An dieser nahmen die BF im Beisein ihrer bevollmächtigten Rechtsvertretung sowie drei Zeugen teil. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen.

Mit Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung vom 05.06.2020 zogen die BF die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide (Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005) aus freien Stücken und in Kenntnis der Rechtsfolgen zurück. Im Übrigen wurden die Beschwerden aufrechterhalten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF führen die im Spruch angeführten Identitäten (Namen und Geburtsdatum) und sind irakische Staatsangehörige.

Die BF reisten gemeinsam erstmals Anfang September 2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 07.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Die BF halten sich seitdem durchgehend in Österreich auf.

Zuletzt lebten die BF gemeinsam mit ihrer Mutter und einer Schwester in einem Haus in Bagdad. Die Mutter der BF lebt nunmehr alleine im Haus, das im Besitz der Familie ist, und bestreitet ihren Lebensunterhalt von der Pension des verstorbenen Vaters und Unterstützung des Halbbruders der BF. In Bagdad leben zudem drei verheiratete Schwestern der BF, mehrere Onkel und Tanten.

In Österreich lebt noch der Halbbruder der BF, XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak. Der Halbbruder des BF ist verheiratet und verfügt über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“.

Der BF1 wurde am XXXX in Bagdad geboren und ist dort aufgewachsen. Der BF verfügt über einen gültigen irakischen Reisepass. Die Muttersprache des BF1 ist Arabisch.

Der BF1 ist geschieden und hat zwei minderjährige Kinder, welche im Irak leben. Der BF1 absolvierte in Bagdad seine Schulbildung (6 Jahre Grundschule, 4 Jahre Mittelschule) und war zuletzt als Bauarbeiter/Innenausbauer im Irak tätig.

Der BF1 ist gesund und arbeitsfähig und übt seit XXXX .2018 ein selbständiges Gewerbe mit dem Gewerbewortlaut „Handel mit Telekommunikationssystemen“ aus. Der BF1 ist bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft versichert. Vom XXXX .2020 bis XXXX .2020 erzielte der BF1 einen Gewinn in Höhe von XXXX Euro.

Der BF1 führt seit Mai 2016 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, XXXX und lebt mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt in Graz. Er verfügt über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich und ist in der Familie seiner Lebensgefährtin integriert.

Der BF1 hat in der Zeit vom 28.11.2016 bis 20.12.2016 das Seminar „Deutsch lernen für AsylwerberInnen – A1.1“ absolviert und hat am 26.07.2017 am Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds teilgenommen. Der BF verfügt über Grundkenntnisse der deutschen Sprache, die ihm eine Alltagskommunikation ermöglichen, hat jedoch bislang keine Deutsch-Sprachprüfung erfolgreich abgelegt.

Der BF1 ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF2 wurde am XXXX in Bagdad geboren und ist dort aufgewachsen. Der BF2 verfügt über einen gültigen irakischen Reisepass. Die Muttersprache des BF2 ist Arabisch.

Der BF2 ist geschieden und kinderlos. Er absolvierte in Bagdad seine Schulbildung (6 Jahre Grundschule, 2 Jahre Mittelschule) und war als Friseur und zuletzt als Verkäufer im Irak tätig.

Der BF2 ist gesund und arbeitsfähig. Er bezieht derzeit Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und geht keiner legalen Erwersbstätigkeit im Bundesgebiet nach. Er verfügt in Österreich über einen verbindlichen Dienstvorvertrag als Friseur. Sein Bruttolohn würde demnach bei Beschäftigung XXXX Euro monatlich betragen.

Der BF2 hat eine Integrationsprüfung beim Österreichischen Integrationsfonds bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf dem Niveau A2 und zu Werte- und Orientierungswissen am 27.04.2019 erfolgreich abgelegt. Zudem absolvierte er mehrere Deutschkurse, zuletzt nahm er an einem Deutsch-Intensivkurs auf Niveau B1.2 teil.

Der BF2 ist ehrenamtlich beim Verein „Bunte Blätter“ in einem Pflegewohnheim tätig und besucht regelmäßig Bewohner im Pflegewohnheim, geht mit ihnen spazieren und unterstützt die Mitarbeiter beim Seniorenturnen.

Der BF2 führt seit Juli 2018 eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen, XXXX , ist in deren Familie intergriert und verfügt über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich.

Der BF2 ist strafrechtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der vorliegenden Gerichtsakten des BVwG.

Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht in der mündlichen Verhandlung und auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt.

Soweit in den gegenständlichen Rechtssachen Feststellungen zur Identität (Namen, Geburtsdatum, Geburtsort), zur Staatsangehörigkeit, zur Muttersprache und zum Familienstand der BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in den gegenständlichen Beschwerden nicht entgegengetreten wurde und basieren diese auf Angaben der BF bei ihren Einvernahmen im Verwaltungsverfahren. Die Identität der BF wurde zudem im Wege der Vorlage von irakischen Reisepässen sowie von Personalausweisen hinreichend dargetan.

Die Feststellungen zu den persönlichen und familiären Verhältnissen im Herkunftsstaat beruhen auf den übereinstimmenden Angaben der BF gegenüber dem BFA und dem erkennenden Gericht; sie sind im Beschwerdeverfahren nicht strittig.

Die Einreise ins Bundesgebiet sowie die gegenständliche Antragstellung auf internationalen Schutz ergeben sich aus dem unbestrittenen und schlüssigen Akteninhalt. Der seither bestehende durchgehende Aufenthalt beider BF ergibt sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellungen zum Halbbruder ergeben sich aus den Angaben vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 06.06.2019, bei welcher dieser als Zeuge einvernommen wurde, sowie den in Vorlage gebrachten Dokumenten (Kopie des irakischen Reisepasses) und entsprechen dem Amtswissen (Einsicht in das Zentrale Melderegister, Fremdenregister).

Die Feststellungen zur Schulbildung sowie zur Berufstätigkeit der BF im Irak stützen sich auf die glaubhaften Angaben der BF bei ihrer Erstbefragung und bei ihrer Einvernahme vor dem BFA.

Es gibt keine Hinweise auf Erkrankungen oder Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit beider BF. Die Arbeits- und Erhaltungsfähigkeit der BF kann auch aufgrund ihrer bisherigen Berufstätigkeit festgestellt werden.

Die getroffenen Feststellungen zur selbstständigen Tätigkeit des BF1 ergeben sich aus dem Gewerbeinformationssystem Austria, aus einem eingeholten Datenauszug der Sozialversicherträger des Hauptverbandes, und aus einem vorgelegten Zwischenabschluss betreffend die Gewinnermittlung 2020, welcher den festgestellten Gewinn ausweist.

Die Feststellungen zur Beziehung des BF1 mit einer österreichischen Staatsangehörigen beruhen auf den Angaben des BF1 im Beschwerdeverfahren und in der Stellungnahme vom 19.06.2019 sowie auf den Angaben der Lebengefährtin des BF1 in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 06.06.2019, bei welcher sie als Zeugin einvernommen wurde.

Dass der BF1 über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügt, beruht auf der eigenen Wahrnehmung der erkennenden Richterin in der mündlichen Verhandlung. Die festgestellten Kurse, welche der BF1 absolvierte, ergeben sich aus den in Vorlage gebrachten Kursbestätigungen.

Die Feststellungen zum Bezug von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und zur fehlenden Erwerbstätigkeit des BF2 entsprechen dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes (Einsicht in das GVS-Betreuungsinformationssystem, Hauptverband der Sozialversicherungsträger).

Soweit Feststellungen zur beruflichen, sprachlichen und sozialen Integration sowie zur ehrenamtlichen Aktivität des BF2 in Österreich getroffen werden, ergeben sich diese aus den vorgelegten Bestätigungen (Werte- und Orientierungskurs, Deutschseminare, Deutschprüfung, Österreichischer Freiwilligenpass, Dienstvorvertrag, Bestätigung über einen ehrenamtlichen Besuchsdienst im Pflegewohnheim) und den glaubwürdigen Angaben des BF2. Die Feststellung zu den Deutschkenntnissen des BF2 beruht zudem auf der eigenen Wahrnehmung der erkennenden Richterin in der mündlichen Verhandlung sowie auf der vorgelegten Prüfungsbestätigung.

Die Feststellungen zur Beziehung des BF2 mit einer österreichischen Staatsangehörigen beruhen auf den Angaben des BF2 im Beschwerdeverfahren und in der Stellungnahme vom 19.06.2019 sowie auf den Angaben der Lebengefährtin des BF2 in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 06.06.2019, bei welcher sie als Zeugin einvernommen wurde.

Die Feststellungen zu den sozialen Kontakten beider BF in Österreich beruhen einerseits auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben der BF in der mündlichen Verhandlung und andererseits auf den zahlreichen, im Akt einliegenden und persönlich unterschriebenen Empfehlungs- und Unterstützungsschreiben an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit beider BF ergibt sich aus der Einsicht in das Strafregister der Republik Österreich.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Prozessgegenstand und teilweise Einstellung des Beschwerdeverfahrens:

Auf Grund den mit Schriftsatz der rechtsfreundlichen Vertretung vom 05.06.2020 von den BF rechtswirksam erklärten teilweisen Zurückziehungen ihrer Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide (betreffend Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005) sind diese Spruchpunkte in Rechtskraft erwachsen. Im Übrigen wurden die Beschwerden aufrechterhalten.

Gemäß § 7 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, ist eine Beschwerde nicht mehr zulässig, wenn die Partei nach der Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf die Beschwerde verzichtet hat. Für einen Rechtsmittelverzicht bestehen grundsätzlich keine besonderen Formerfordernisse, daher ist auch die Zurückziehung der Beschwerde einem Beschwerdeverzicht gleichzuhalten. Eine solche Zurückziehung ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich (§ 17 VwGVG iVm. § 13 Abs. 7 AVG). Mit der Zurückziehung ist das Rechtsschutzinteresse der beschwerdeführenden Partei weggefallen, womit einer Sachentscheidung die Grundlage entzogen ist, sodass die Einstellung des betreffenden Verfahrens – in dem von der Zurückziehung betroffenen Umfang – auszusprechen ist (siehe Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2015], Rz 20 zu § 7 VwGVG; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2013], K 5 ff. zu § 7 VwGVG). Eine Verfahrenseinstellung ist unter anderem dann vorzunehmen, wenn die Beschwerde rechtswirksam zurückgezogen wurde (VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

Da im gegenständlichen Fall eine ausdrückliche und unmissverständliche Erklärung der beschwerdeführenden Parteien frei von Willensmängeln vorliegt, waren gemäß § 28 Abs. 1 iVm. § 31 Abs. 1 VwGVG die Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide durch Beschluss einzustellen (Spruchpunkt C.).

Gemäß § 27 VwGVG hat sich die Prüfung der vorliegenden Beschwerden somit auf die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide (Spruchpunkte III. bis IV.) zu beschränken.

3.2. Stattgebung der Beschwerde (Spruchpunkt A.):

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige angeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Die Anwendung dieser Rechtslage auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ergibt Folgendes:

Die BF halten sich seit Anfang September 2015 und somit seit fast fünf Jahren durchgehend in Österreich auf. Ihr Aufenthalt ist aufgrund ihres asylrechtlichen Aufenthaltsrechts als rechtmäßig zu qualifizieren. Auch wenn ihnen ihr unsicherer Aufenthaltsstatus im Zuge des Asylverfahrens bewusst sein musste, haben die BF gleich zu Beginn ihres Aufenthalts zahlreiche erkennbare Anstrengungen unternommen, um sich in Österreich unter den gegebenen Umständen in sprachlicher, beruflicher und sozialer Hinsicht so weit wie möglich zu integrieren. Tatsächlich haben es die BF mit immenser persönlicher Anstrengung in kürzester Zeit geschafft, in Österreich einen überdurschnittlich hohen Grad einer umfassenden Integration zu erreichen, und zwar nicht nur in sprachlicher sondern eben auch in beruflicher und sozialer Hinsicht (§ 9 Abs. 2 Z 4 BFA-VG).

Wesentlich zu berücksichtgen war dabei der Umstand, dass die BF über gute Deutschkenntnisse verfügen, wovon sich das erkennende Gericht in der mündlichen Verhandlung auch unmittelbar selbst überzeugen konnte.

Insbesondere absovierte der BF2 zahreiche Deutschkurse, zuletzt auf dem Niveau B1.2. Auch absolvierte der BF2 am 27.04.2019 die Integrationsprüfung beim Österreichischen Integrationsfonds.

Der BF1 ist seit XXXX .2018 selbständig tätig und übt ein Gewerbe mit dem Gewerbewortlaut „ XXXX “ aus. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2020 erzielte der BF1 einen Gewinn in Höhe von XXXX Euro.

Auch konnte der BF2 einen verbindlichen Arbeitsvorvertrag als Friseur vorlegen. Der BF2 würde unter Berücksichtigung des in Aussicht gestellten Brutto-Monatsgehalts von XXXX Euro sodann in der Lage sein, ein zur Sicherung seines Lebensunterhaltes ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften, welches weit über der gesetzlichen Geringfügigkeitsgrenze liegen würde.

Beide BF führen Beziehungen zu österreichischen Staatsbürgerinnen und sind in deren Familien integriert. Auch der aufenthaltsberechtigte Halbbruder der BF lebt in Österreich und besteht mit ihm ein besonderes Naheverhältnis.

Letztlich haben die durchwegs persönlich glaubwürdigen BF nachgewiesen, dass sie auch in sozialer Hinsicht alle Anstrengungen unternommen haben und auch künftig unternehmen werden, um sich in Österreich nachhaltig gesellschaftlich zu integrieren. Wie zahlreiche persönliche Empfehlungs- und Unterstützungserklärungen unzweifelhaft belegen, verfügen die BF in Österreich bereits über weitreichende soziale Bindungen, wie das Bestehen eines großen, vorwiegend aus Österreichern bestehenden Freundes- und Bekanntenkreises, in dem auch Deutsch gesprochen wird.

Auch ist besonders hevorzuheben, dass der BF2 einen Besuchsdienst in einen Pflegeheim ehrenamtlich absolviert und dort die Mitarbeiter unterstützt.

Aus all den dargelegten Umständen ergibt sich unzweifelhaft, dass die BF zahlreiche der oben angeführten Kriterien, die bei der Abwägung der betroffenen Interessen nach Art. 8 EMRK maßgeblich zu berücksichtigen sind, erfüllen und diese besonders intensiven privaten Interessen auch das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts in Österreich überwiegen. So haben die BF von Anfang an gezeigt, dass sie stets um eine möglichst umfassende und letztlich auf Dauer angelegte persönliche Integration in Österreich bemüht waren und gerade deshalb auch bereits einen entsprechend hohen Grad der Integration in sprachlicher, beruflicher und sozialer Hinsicht erreicht haben.

Es wird zwar nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften im Rahmen einer Güterabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das Interesse an der – nicht nur vorübergehenden – Fortführung des Privatlebens der BF in Österreich dennoch höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Des Weiteren ist festzuhalten, dass das BFA als belangte Behörde auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verzichtet und auch sonst im gegenständlichen Beschwerdeverfahren keine Umstände vorgebracht hat, die allenfalls eine andere rechtliche Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes zum Entscheidungszeitpunkt bedeutet hätten.

Abschließend ist festzuhalten, dass die BF strafgerichtlich unbescholten sind, weshalb im Fall des Verbleibens im Bundesgebiet auch keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu erkennen ist.

Da im Hinblick auf die oben dargelegten Abwägungen zum Entscheidungszeitpunkt das Interesse der BF an der Aufrechterhaltung des Privatlebens in Österreich im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen nicht nur vorübergehenden Eingriff in das Recht auf Privatleben darstellen würde, war der Beschwerde stattzugeben und gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 („Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“) von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Auch das BVwG darf – in jeder Verfahrenskonstellation – über einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 absprechen. Die Frage der Erteilung des Aufenthaltstitels ist vom Prüfungsgegenstand einer angefochtenen Rückkehrentscheidung mitumfasst, weshalb in einem zu entscheiden ist (siehe ErläutRV 582 BlgNR 25. GP).

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1.       dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2.       der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

Gemäß § 9 Abs. 4 IntG ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1.       einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

2.       (entfällt)

3.       über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4.       einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5.       als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.
Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.

Gemäß § 11 Abs. 2 IntG umfasst die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit „Bestanden“ oder „Nicht bestanden“ zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

Die BF1 verfügt durch seine selbstständige Tätigkeit ein über der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze liegendes Einkommen.

Der BF2 konnte erfolgreich die Ingrationsprüfung beim Österreichischen Intergrationsfonds absolvieren.

Es war daher beiden BF ein Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 zu erteilen.

Die Ausstellung der Aufenthaltstitel auf Grund dieser Entscheidung ist vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vorzunehmen und von diesem den beschwerdeführenden Parteien auszufolgen.

3.3. Zur Unzulässigkeit der Revision (Spruchpunkte B. und D.):

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Da im gegenständlichen Fall eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung weder im Zusammenhang mit der Entscheidung in der Sache (Spruchpunkt A.) noch im Zusammenhang mit dem Einstellungsbeschluss (Spruchpunkt C.) vorliegt, war die Revision jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig zu erklären (Spruchpunkte B. und D.). Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem BVwG hervorgekommen.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Integration Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Verfahrenseinstellung Zurückziehung der Beschwerde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G303.2176397.1.00

Im RIS seit

07.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten