Index
10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AsylG 2005 §8 Abs1Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revisionen 1. der A B und 2. der C D, beide in X, beide vertreten durch Dr. Widukind W. Nordmeyer, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Pollheimerstraße 12, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. März 2020, 1. W103 2160752-3/2E und 2. W103 2160753-3/2E, jeweils betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Die angefochtenen Erkenntnisse werden jeweils in ihrem Spruchpunkt A) I., soweit damit die Beschwerden der Revisionswerberinnen gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurden, wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Revisionswerberinnen Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen werden die Revisionen zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Erstrevisionswerberin (zu Ra 2020/14/0172) ist die Mutter der minderjährigen Zweitrevisionswerberin (zu Ra 2020/14/0173) sowie des minderjährigen Revisionswerbers zu Ra 2020/14/0175. Alle Familienmitglieder sind Staatsangehörige der Russischen Föderation sowie Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Zur Vorgeschichte wird auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Oktober 2019, Ra 2019/19/0046, und vom 23. September 2020, Ra 2020/14/0175, sowie dessen Beschlüsse vom 19. November 2019, Ra 2019/18/0413, und vom 18. Dezember 2019, Ra 2019/14/0492, verwiesen.
2 Am 16. Jänner 2020 stellte die Erstrevisionswerberin für sich und ihre Kinder neuerlich Anträge auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
3 Mit den Bescheiden je vom 11. Februar 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge sowohl hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch des Status von subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurück (jeweils Spruchpunkte I. und II.), erteilte keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (jeweils Spruchpunkt III.), erließ gegen alle Familienmitglieder Rückkehrentscheidungen sowie auf die Dauer von drei Jahren befristete Einreiseverbote (jeweils Spruchpunkte IV. und VII.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei (jeweils Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt (jeweils Spruchpunkt VI.) und ihnen aufgetragen, ab dem 16. Jänner 2020 in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (jeweils Spruchpunkt VIII.).
4 Sämtliche Familienmitglieder erhoben dagegen Beschwerden, die sich allerdings nicht gegen die jeweiligen Spruchpunkte I. und III. richteten.
5 Mit den (sowohl im Spruch als auch in der Begründung gleichlautenden und in einer Urteilsurkunde ausgefertigten) Erkenntnissen je vom 11. März 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht diese Beschwerden als unbegründet ab [Spruchpunkt A) I.] und die unter einem gestellten Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung als unzulässig zurück [Spruchpunkt A) II.]. Die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erachtete das Verwaltungsgericht jeweils als nicht zulässig.
6 Die vorliegenden Revisionen richten sich gegen diese Entscheidungen, soweit sie die Revisionswerberinnen zu Ra 2020/14/0172 und 0173 betreffen.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Revisionen und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revisionen erwogen:
9 Zur Zurückweisung der Revisionen
10 Soweit sich die Revisionen gegen die Bestätigung der Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG richten, verweisen sie in ihrer Zulässigkeitsbegründung im Wesentlichen auf die Situation des Revisionswerbers zu Ra 2020/14/0175. Sie machen geltend, dass die in dem dortigen Verfahren getroffene Entscheidung zu diesem Punkt rechtswidrig sei, und führen aus, warum dies auf die Entscheidungen in den Verfahren der Revisionswerberinnen durchzuschlagen habe.
11 Mit Erkenntnis vom 23. September 2020 zu Ra 2020/14/0175 hat der Verwaltungsgerichtshof die Revision des minderjährigen Sohnes der Erstrevisionswerberin (des Bruders der Zweitrevisionswerberin) diesen Spruchteil betreffend zurückgewiesen. Auf die Begründung dieser Entscheidung wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.
12 Mit ihrem Vorbringen gelingt es den Revisionen somit aus den dort genannten Gründen nicht, eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung darzulegen, weshalb die Revisionen, soweit sie den angeführten Ausspruch betreffen, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen waren.
13 Zur Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit
14 Soweit sich die Revisionen gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen (und die davon rechtlich abhängenden Aussprüche) wenden, erweisen sie sich als zulässig und berechtigt:
15 Bei den Revisionswerberinnen handelt es sich um die Mutter (Revisionswerberin zu Ra 2020/14/0172) und die minderjährige Schwester (Revisionswerberin zu Ra 2020/14/0173) des minderjährigen Revisionswerbers zu Ra 2020/14/0175. Es besteht unbestritten ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK. Mit Erkenntnis vom 23. September 2020 zu Ra 2020/14/0175 wurde die Rückkehrentscheidung (und die davon rechtlich abhängenden Aussprüche) den Sohn bzw. Bruder der Revisionswerberinnen betreffend wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben. Auf die Begründung dieser Entscheidung wird auch insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.
16 Aufgrund dieser zu Ra 2020/14/0175 getroffenen Entscheidung tritt gemäß § 42 Abs. 3 VwGG diese Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses befunden hat. Vor diesem Hintergrund ist jenen im Rahmen der Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK maßgeblichen Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ein Eingriff in das Familienleben nicht stattfinde, weil gegen sämtliche Familienmitglieder aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergingen, der Boden entzogen.
17 Soweit das Verwaltungsgericht die Beschwerden gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen abgewiesen hat, waren daher die angefochtenen Erkenntnisse, ebenso wie die rechtlich darauf aufbauenden Aussprüche, die ihre Grundlage verlieren, wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG - in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - aufzuheben.
18 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 5. November 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140172.L01Im RIS seit
09.12.2020Zuletzt aktualisiert am
09.12.2020