TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 W272 2233371-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2020
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Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

N DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Braunstein als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Graz vom 09.05.2016, Zahl XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Braunstein als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 19.06.2020, Zahl XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gem. § 34 AsylG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Braunstein als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst ARGE Rechtsberatung gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 19.06.2020, Zahl XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gem. § 34 AsylG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Braunstein als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst ARGE Rechtsberatung gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom 19.06.2020, Zahl XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gem. § 34 AsylG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetz die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer 1 (in der Folge BF1) XXXX , ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 23.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (in der Folge AsylG).

2. Am gleichen Tag wurde der BF einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er zunächst zu seinen persönlichen Verhältnissen angab, dass er am XXXX in Kabul, Afghanistan geboren worden sei. Er sei verheiratet, habe einen Sohn, bekenne sich zur Glaubensrichtung des Islam und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Seine Muttersprache sei Dari. Er habe die Grundschule und die Universität abgeschlossen. Im Herkunftsstaat seien seine Mutter, ein Bruder und drei Schwestern sowie seine Ehefrau und ihr einjähriger Sohn. Sein Vater sei verstorben. Er sei Beamter bei der Sicherheitsdirektion gewesen. Die Ausreise habe vor 1,5 Monaten begonnen. Als Fluchtgrund gab er an, dass in der Sicherheitsdirektion in der Abteilung „Vermisste“ gearbeitet habe und jeden Tag von unbekannten Leuten der Mafia bedroht worden sei. Diese haben vertrauliche Informationen von ihm erpressen wollen. Er habe Angst um sein Leben.

3. Am 05.12.2015 wurden folgende Beweismittel vorgelegt:

.) Zertifikat d. Secondary Education Department/ 12 Grade Graduation Certificate

.) Universitätsdiplom

.) Bestätigung des Bundesnachrichtendienstes / Grundlehrgang Auswertung

.) Zertifikat Major Crimes Task Force / Defensive Tactics Course

.) Zertifikat Major Crimes Task Force/ Database Manual Training

.) Zertifikat Major Crimes Task Force/ Basic Rifle Course

.) Zertifikat Major Crimes Task Force/Basic Investigator Academy 10-4

.) Zertifikat Major Crimes Task Force/ Informant Development

.) Zertifikat Major Crimes Task Force/ Defensive Tactics Course

.) Zertifikat Major Crimes Task Force/ Database Instructor Certificate

.) NDS/Basic Intelligence Course

.) 2 Empfehlungsschreiben

.) MCTF Ausweis

.) Waffenpass

.) diverse Fotos über berufliche Tätigkeit

.) Geburtsurkunde

.) Heiratsurkunde

.) 2 berufliche Beförderungsschreiben.

4. Am 18.04.2016 erfolgte eine Einvernahme des BF 1 vor dem BFA. Hier gab er ergänzend zu den bisherigen persönlichen Daten an. Dass er 12 Jahre die Schule besucht und 4 Jahre Jus studiert habe. Er sei mit XXXX verheiratet, welche am XXXX geboren sei. Die Heiratsurkunde befinde sich bei seiner Frau, er werde diese Urkunde und eine Kopie des Reisepasses nachreichen. Sein Sohn XXXX sei am XXXX geboren.

Mitvorgelegt wurden ergänzend:

?        Farbkopie MTCTF Ausweis Nr. 160-ND060710012

?        Farbkopie NDS Ausweis Nr. 164005

?        Beförderungsschreiben Posten Nr. 465 ausgestellt am 25.04.1393 von der 88 Sicherheitsbehörde

?        Beförderungsschreiben Posten Nr. 88 ausgestellt am 15.12.1393 von der 88 Sicherheitsbehörde

?        Farbkopie Universitätsabschluss (Jus-Studium), Ausstellungsnummer, Ausstellungsdatum und Ausstellungsort fehlen, Ausgestellt von „Kateb“

?        Farbkopie Heiratsurkunde (traditionell) ausgestellt in Kabul, Ausstellungsdatum fehlt

?        Farbkopie Teilnahme Seminar ausgestellt von der islamischen Sicherheitsbehörde in Kabul, Ausstellungsdatum fehlt

?        Farbkopie Dankbarkeitsschreiben ausgestellt am 09.11.1393 von der 88 Sicherheitsbehörde, Ausstellungsort fehlt

?        Farbkopie Intelligence Kurs Nr. 10677 ausgestellt von der 80 Sicherheitsbehörde, Ausstellungsdatum fehlt.

?        Kopie Foto-Reisepass XXXX ausgestellt am 21.11.2015 in Kabul Center.

?        Kopie Foto-Reisepass XXXX ausgestellt am 22.11.2015 in Kabul Center

?        Kopie von Foto Führerschein Nr. 108212. Ausstellungsort und Ausstellungsdatum nicht ersichtlich

?        Schulbestätigung aus Afghanistan

Weiters gab er an, dass er in Kabul gelebt habe und die Stadt am 09.04.2015 verlassen habe. Sein Vater sei verstorben und seine Mutter und seine 4 Geschwister seien noch in Kabul. Seine Frau und sein Sohn seien seit einem Monat im Iran aufhältig. Sie wolle jedoch wieder nach Kabul. Die vorgelegten Unterlagen habe ein Freund aus Kabul mitgenommen. Mit seiner Mutter und seiner Frau habe er telefonisch Kontakt. In Kabul besitze er ein Haus mit seiner Familie, welches sie vom Vater geerbt haben. Zum Fluchtgrund befragt gab er an, dass er nach einem Fußballspiel gegen 22 Uhr nach Hause zurückkehrte und er einen anonymen Anruf erhalten habe. Die Person habe seinen Namen gewusst, sowie seines Vaters, er habe auch gewusst, dass er bei der Sicherheitsbehörde Nr. 44 gearbeitet habe. Der Anruf sei am 01.04.2015 gewesen. Zwei Tage später habe diese Person wieder angerufen und von ihm verlangt Informationen über die im Computer verfügten Informationen über 34 Personen, welche entführt haben sowie über die staatsfeindlichen Gruppierungen zu erhalten. Der BF gab an, dass er für die Informationen, welche er aus ganz Afghanistan erhalten habe, insbesondere aus Kabul verantwortlich war. Diese habe er mit den anderen Kollegen in den Computer eingegeben und seinem Chef weitergeleitet. Der BF habe jedoch bei diesem Anruf dem Anrufer mitgeteilt, dass er bei einer Sicherheitsorganisation arbeite und ihn finden werde, egal zu welcher Gruppe er gehöre. Der Anrufer bedrohte den BF jedoch dahingehend, dass er seine Familie entführen und ihn vernichten werde. Bei einem dritten Anruf am 7. April wurde er jedoch wieder bedroht und mit der Entführung seiner Familie gedroht. Der BF habe Angst bekommen und sei geflohen. Er habe seine Vorgesetzten jedoch nicht informiert, da die Identifizierung des Anrufers mindesten 20 Tage gedauert hätte und eine andere Abteilung dafür zuständig gewesen wäre. Auch andere Mitarbeiter seien bedroht worden. So seien zwei Mitarbeiter von einer Sprengstoffexplosion schwer verletzt worden. Sechs Monate vor der Ausreise sei das Eingangstor seiner Arbeitsstell durch einen Sprengstoffanschlag schwer beschädigt worden. Die Bedrohungen seien gegen die Behörde fast täglich gewesen. Der Grund war, dass die Behörde für die Amerikaner und anderer europäische Staaten gearbeitet haben. Sie seien von den anderen Staaten ausgebildet worden und habe nicht für sie gearbeitet. Ein Wohnungswechsel hätte nichts geholfen, da er gefunden worden wäre, auch gebe es in Kabul ein Meldeamt, wo die Wohnadresse gemeldet werde. Weiters habe er Angst vor einer Rückkehr, da er ungerechtfertigt den Arbeitsplatz verlassen habe, da er nichts von der Bedrohung erzählt habe. Das afghanische Militärstrafgesetz würde eine Strafe von fünf Jahren vorsehen. In Österreich habe er einen Deutschkurs besucht. Er habe auch ehrenamtlich für den Verein „Gib mir Deine Hand“ als Dolmetscher gearbeitet. Seine Frau sei mit seinem Sohn zu seinem Schwiegervater gezogen und seine Mutter mit der kleinen Schwester ebenfalls. Die anderen Geschwister seien verheiratet und haben nicht mit ihm gewohnt.

5. Am 03.05.2016 erfolgte eine weitere Stellungnahme bzw. Urkundenvorlage. Es wurde vorgelegt eine Heiratsurkunde samt englischer Übersetzung. Der BF brachte vor, dass er in Kabul in der Terrorismusbekämpfung für die Regierung angestellt war und sich weigerte die dabei gewonnenen Ermittlungsergebnisse weiterzuleiten. Es sei allgemein bekannt, dass afghanische Staatsbürger, die mit der Regierung oder ausländischen Kräften zusammenarbeiten, gezielt von den Taliban und mit ihnen sympathisierenden Gruppierungen verfolgt werden. Aus den Länderinformationen zeige sich, dass die Anschläge, insbesondere gegen hochrangige Ziel, vermehrt erfolgen. Der Staat sei nicht in der Lage den BF 1 ausreichend zu schützen.

6. Mit Bescheid vom 09.05.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst aus, dass der BF 1 in Afghanistan keiner Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt ist oder bei Rückkehr wäre. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass er mit XXXX verheiratet sei und der Vater von XXXX . Es konnte nicht festgestellt werden, dass eine Bedrohung im Sinne des § 8 AsylG vorliege. Auch besteht keine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes. Die Behörde begründete die Feststellungen damit, dass der BF keine unbedenklichen Urkunden vorlegen konnte, es fehlen die Sicherheitsmerkmale. Bezüglich seiner Frau habe der BF bei der Erstbefragung angegeben, dass eine Frau XXXX heiße und seine Ehefrau XXXX alt wäre. Die Differenz zu seinen Angaben betrage zwei Jahre. Der BF 1 konnte auch keine unbedenklichen Beweismittel bezüglich der Vaterschaft zu XXXX , geboren am XXXX vorlegen. Die Angaben zu seiner Tätigkeit seien unglaubwürdig. Der BF wisse nicht den vollständigen Namen seines Chefs, obwohl er dort sechs Jahre gearbeitet habe. Auch sei nicht plausibel und nachvollziehbar, dass der BF seinen Vorgesetzten nicht von der Bedrohung erzählt habe, es wäre naheliegend gewesen, dass der BF mit seiner Familie darüber gesprochen hätte. Auch ist seine Aussage zu der Erstbefragung unterschiedlich, zumal der BF angegeben habe, dass er jeden Tag von unbekannten Leuten bedroht worden sei, während er beim BFA nur von drei Drohanrufen erzählt habe. Das Vorbringen sei nicht glaubhaft. Weiters habe der BF bei zwei unterschiedlichen Fragen angegeben, dass der Auslandsreisepass und die Heiratsurkunde bei der Ehefrau in Kabul seien. Insgesamt handle es sich um eine fiktive Geschichte. Bei Rückkehr könne der BF durch das familiäre Netzwerk Unterstützung erhalten. Er sei arbeitsfähig, jung und gesund mit sehr guter Schulausbildung, von dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Aus der Sicherheitslage wäre es dem BF möglich und zumutbar nach Afghanistan zurückzukehren und sich niederzulassen. Es ist ihm möglich und zumutbar nach Afghanistan zurückzukehren. Das öffentliche Interesse an der Rückkehr des BF sei höher als das vorgebrachte Privatinteresse des BF am Verbleib in Österreich. Im Verfahren seien keine Ansatzpunkte hervorgetreten, die die Vermutung einer besonderen Bindung an Österreich rechtfertigen, zumal der Aufenthalt des BF durch die Stellung eines unbegründeten Asylantrages vorübergehend legalisiert wurde und die Integration noch gering sei. Daher sei eine Rückkehrentscheidung zulässig. Auch spreche keine Sachverhalte gegen die Abschiebung nach Afghanistan.

7. Der gegenständliche Bescheid wurde mit 12.05.2016 zugestellt, mit Schriftsatz, Postaufgabe am 08.06.2016, eingelangt am 09.06.2016 erhob der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Der Bescheid wurde zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von wesentlichen Verfahrensvorschriften angefochten. Der BF 1 habe glaubhaft seine Fluchtgeschichte detailliert vorgebracht. Die Behörde habe es unterlassen sich mit den Beweismittel auseinanderzusetzen und habe ausschließlich auf die Information der Staatendokumentation zu afghanischen Dokumenten vom 10.08.2011 verwiesen. Auch sei die Tazkira in Original vorgelegt worden und sei auch mit Stempel und Unterschrift versehen. Auch auf dem „Foto-Führerschein“ sei der Ausstellungsort und das Ausstellungsdatum ersichtlich, weswegen die Partei davon ausgehe, dass die Behörde sich mit den Beweismitteln nicht auseinandergesetzt habe. Weiters habe die Behörde erkennen müssen, dass allein aufgrund der Tatsache, dass der BF von der Arbeit bei der NDS ohne Bescheid gegeben zu haben „geflüchtet sei“, bei Rückkehr mit einer Haftstrafe von fünf Jahren zu rechnen habe. Dies sei ebenfalls nicht berücksichtigt worden. Auch bei Nichtzuerkennung des Status als Asylberechtigter, wäre dem BF der Status als subsidiär Schutzberechtigter zuzuerkennen, dies sei aus den objektiv betrachteten Sicherheitslage in Afghanistan ableitbar. Es sei daher dem Asylantrag stattzugeben, in eventu der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu die Ausweisung für dauerhaft als unzulässig zu erklären, in eventu den Bescheid in allen Spruchpunkten zu beheben und zu neuerlichen Entscheidung an die Erstinstanz zurückzuverweisen.

8. Mit Schriftsatz eingelangt am 29.06.2017 beim BVwG brachte der BF wiederum vor, dass die erstinstanzliche Behörde im Zuge einer ausschließlich antizipierenden Beweiswürdigung die unbegründete Feststellung getroffen habe, dass die Identität des Beschwerdeführers ebenso wenig, wie dessen familiäre Verhältnisse feststehen würde. Die Behörde sei daher ihrer notwendigen Ermittlungstätigkeit und der normierten Begründungspflicht nicht nachgekommen. In den Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfes afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, geht der UNHCR davon aus, dass Asylsuchende aus Afghanistan mit taxativ aufgezählten Profilen abhängig von den besonderen Umständen des Einzelfalles jedenfalls internationalen Schutz bedürfen. Zu diesen Profilen gehören unter anderem „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen.“. Durch die Tätigkeit des BF erfülle dieser auch den Fluchtgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Auch nehme die Häufigkeit der Selbstmordanschläge zu und Entführungen in der Hauptstadt fänden immer wieder statt. Die Taliban haben sich vermehrt auf Großstädte fokussiert. Der BF brachte verschiedene Beispiele von Angriffen im Jahr 2016 vor. Aus alldem gehe hervor, dass der BF jedenfalls aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung seinen Herkunftsstaat verlassen habe. Es bestehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative. Die in der Beschwerde gestellten Anträge bleiben vollinhaltlich aufrecht.

9. Mit Schreiben vom 06.07.2017 wurde ein ÖSD Zertifikat Deutsch Österreich B1 mit ausreichend bestanden vorgelegt.

10. Am 23.08.2018 stellte die Beschwerdeführerin 2 (BF 2) XXXX , mit ihrem Sohn dem Beschwerdeführer 3 (BF 3) XXXX , afghanische Staatsangehörige, nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (in der Folge AsylG). Der BF 1 und die BF 2 vertreten den BF 3, welcher keinen eigenen Fluchtgrund hatte. Die BF 2 gab an, dass sie zu ihrem Mann gewollt habe, jedoch zunächst nach Dänemark geflogen sei und von dort mit dem Zug nach Österreich. Sie habe mit ihrem Mann nicht flüchten können, da sie krank gewesen sei. Außerdem sei der BF 3 noch klein gewesen. Als alleinstehende Frau mit Kind sei ein Überleben nicht möglich gewesen. Nachdem ihr Mann geflüchtet sei, haben ihr die Nachbarn erzählt, dass bewaffnete Männer beim Haus ihres Mannes gewesen seien und nach ihm gefragt haben. Dies sei zwei Mal der Fall gewesen, dies sei auch der Grund gewesen für ihre baldige Flucht. Bei Rückkehr habe sie Angst getötet zu werden.

11. Bei der schriftlichen Einvernahme der BF 2, legte sie die englische Übersetzung der Heiratsurkunde, eine Aufenthaltsbestätigung vom LKH Graz vom 24.09.2018 mit ärztlichem Entlassungsbrief, ein Befundbericht vom 13.09.2018, ein Rezept und eine Aufstellung über die verschriebenen Medikamente vor. Sie gab an, Angst zu haben und jederzeit einen Anfall zu bekommen. Weiters gab sie an mit dem BF 1 verheiratet zu sein, keine Schulausbildung zu haben und den Beruf der Schneiderin erlernt zu haben. Ihr Sohn der BF 3 sei am XXXX in Afghanistan geboren. Sie möchte nicht zurück nach Afghanistan oder Dänemark und wolle bei ihrem Mann bleiben, da sie von ihm geschützt werde. Auch der Sohn brauche seinen Vater. In der Türkei sei sie vergewaltigt worden und habe seitdem psychische Probleme und Anfälle.

12. In der gutachterlichen Stellungnahme zum Zulassungsverfahren, gab sie wiederum an in der Türkei vergewaltigt worden zu sein. In der Heimat habe sie keine Gewalterfahrungen machen müssen. Der Mann sei ausgereist, da er bedroht gewesen sei. Man habe auch den Sohn „haben wollen“. Eine Übersendung sei nicht ratsam.

13. Mit Bescheid vom 14.11.2018 wurde der Antrag der BF 2 und 3 vom 23.08.2018 ohne in die Sache einzutreten gem. § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen. Für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz ist gem. Art. 18 (1) (b) der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates sei Dänemark zuständig. Gem. § 61 Abs. 1 Z 1 wurde gegen sie eine Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge ist gem. § 61 Abs. 2 FPG eine Abschiebung nach Dänemark zulässig. Dagegen brachten die BF 2 und 3 fristgerecht Beschwerde ein. In der Beschwerde wurde vorgebracht, dass die Behörde nicht auf das Verhältnis zwischen BF 1 und 2 und 3 eingegangen sei. Die BF 2 und 3 seien vom BF 1 abhängig. Auch habe der Gesundheitszustand gezeigt, dass von einer latenten Suizidalität auszugehen sei.

14. Mit Beschluss des BVwG vom 03.12.2018 wurde der Beschwerde des BF 2 und 3 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

15. Am 20.02.2019 wurde ein psychiatrischer Befundbericht bezüglich der BF 2 vorgelegt. Weiters ein internistischer Befund vom 23.02.2019, sowie ein ärztlicher Entlassungsbrief vom 01.03.2019 und eine Bestätigung über die psychotherapeutische Behandlung der BF 2.

16. Am 31.07.2019 wurde eingebracht:

?        Bestätigung der Nutzung von Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe für die Familie XXXX mit ihrem Sohn XXXX

?        Ärztlicher Entlassungsbrief bezüglich PBST vom 01.03.2019 und stationäre Aufenthaltsbestätigungen betreffend die Ehefrau des BF 1

?        Ärztlicher Entlassungsbrief bezüglich Suizidale Krise bei psychosozialer Belastung vom 16.05.2019 betreffend die Ehefrau des BF

?        Bestätigung vom 02.05.2019 psychotherapeutischer Behandlung der Ehefrau des BF

?        Ambulanter Arztbrief vom 01.07.2019 betreffend die Ehefrau des BF

?        Mutter-Kind-Pass XXXX

?        Psychiatrischer Befundbericht vom 20.02.2019 betreffend die Ehefrau des BF

17. Vorlage von ÖIF Integrationsmaßnahmen:

?        Werte- und Orientierungskurs 09.02.2017

?        Vertiefungskurs- Arbeit & Beruf 28.08.2019 (vorgemerkt)

?        Vertiefungskurs – Gesundheit 20.08.2019 (vorgemerkt)

?        Vertiefungskurs- Kultur und Gesellschaft 16.07.2019 (beendet)

18. Mit Beschluss des BVwG vom 28.10.2019 wurden die Beschwerden der BF 2 und 3 gegen die bekämpften Bescheide stattgegeben und diese behoben und die Angelegenheit gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Die Verfahren der BF 2 und des BF 3 wurden zugelassen.

19. Vorgelegt wurde eine Aufenthaltsbestätigung der BF 2 im Landeskrankenhaus Graz vom 01.10.2019 bis 30.10.2019.

20. Am 17.10.2019 wurde der BF 3 geboren. Am 22.11.2019 stellte er, vertreten durch seine Mutter, einen Antrag auf internationalen Schutz.

21. Schreiben vom 20.11.2019 mit welcher die Geburtsurkunde und Bestätigung einer Frühgeburt des Sohnes XXXX , geb. XXXX vorgelegt wurde.

22. Mit Schreiben vom 31.12.2019 wurde durch das BFA der Beschluss des BVwG W 235 2210467-1/14E und W235 2210466-1/15 E bezüglich der Ehefrau XXXX , geb. XXXX und seines Sohnes XXXX , geb. XXXX an die ho. Gerichtsabteilung übermittelt, in welchem bezüglich eines Dublin-Verfahrens die bekämpften Bescheide behoben wurde und die Angelegenheit gem. § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen wurde.

23. Am 23.01.2020 erfolgte ein Parteiengehör an die Parteien bezüglich der beabsichtigten Bestellung des XXXX als Sachverständiger für den Fachbereich Afghanistan. Seitens der Parteien wurde kein Einwand eingebracht.

24. Am 06.02.2020 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme der BF 2. Mitvorgelegt wurde ein Schreiben vom Jugendamt Graz, ein Befund und ein Zettel der verschriebenen Medikamente. Eine weitere niederschriftliche Einvernahme erfolgte am 08.06.2020. Zunächst gab sie an, dass ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe haben. Als Fluchtgrund gab sie zusammenfassend an, dass sie nach der Flucht ihres Mannes zu ihren Eltern zog und mit ihnen nach Parwan gegangen sei. Sie wisse nur, dass Personen von ihrem Mann gewollt haben, dass er staatliche Computerinformationen ausfolge und falls er dies nicht tue, seine Frau und sein Kind getötet werden. Er habe auch erzählt, dass er öfters angerufen worden sei. In Kabul habe es für sie keine weiteren Probleme gegeben. Als sie jedoch von ehemaligen Nachbarn erfahren haben, dass jemand bei ihrer alten Wohnung nach ihnen suche, habe sie Angst bekommen und sei mit ihren Eltern nach Parwan gezogen. Ihr Vater wollte nicht ermordet werden. In Parwan habe es Probleme mit ihrem Onkel gegeben, dieser habe sie geschlagen und habe gewollt, dass sie nochmal heiratt. Den Namen des Mannes kenne sie nicht. Ihre Mutter habe auch gewollt, dass sie heirate. Ihre Mutter habe ihr jedoch dann Gold und Geld gegeben und habe ihrer Ausreise ermöglicht. Danach habe sie sich einen Reisepass besorgt und sei geflüchtet. In der Türkei sei sie vergewaltigt worden und habe seitdem psychische Probleme. Sie möchte nicht mehr in Afghanistan leben und einen Hijab tragen. Sie habe schon eine österreichische Bekanntschaft, den genauen Namen kenne sie nicht. Sie möchte Designerin werden. Bei Rückkehr habe sie in erster Linie Angst, dass die Feinde ihres Mannes sie töten werden. In Österreich lerne sie deutsch, sei aber kein Mitglied eines Vereines oder einer Organisation.

25. Mit Beschluss W272 2127893-1/24Z vom 25.03.2020 wurde Dr. XXXX zum Sachverständigen für das Fachgebiet Afghanistan bestellt.

26. Mit Bescheiden vom 19.06.2020 wurden den BF 2 – 4 der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und den Beschwerdeführern der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag der Beschwerdeführer hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass die BF 2 – 4 keine Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sind. Die BF 2 werde bei Rückkehr nicht zwangsverheiratet. Die BF 2 leide an posttraumatischen Belastungsstörungen, weise jedoch keine lebensbedrohliche Erkrankung auf. Die BF 3 und 4 haben keine eigenen Fluchtgründe. Die BF können gemeinsam als Familie nach Afghanistan zurückkehren und ein Leben führen, ohne in Notlage zu geraten. Es bestehe keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für Sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes. Es bestehen keine sonstigen besonderen sozialen Kontakte in Österreich. Die BF 2 besuche keine Schule, Kurse oder Vereine und gehe keiner Arbeit nach. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF von den herrschenden politischen bzw. religiösen Normen für Frauen in Afghanistan abgekehrt ist.

27. Am 22.06.2020 wurde durch das BFA die niederschriftliche Einvernahme der Ehefrau des BF vor dem BFA vom 08.06.2020 übermittelt.

28. Am 29.06.2020 erfolgte eine mündliche Verhandlung, mit der BF 2 als Zeugin, vor dem BVwG in welcher weitere Unterlagen vorgelegt wurden:

Vorgelegt wurden:

?        Führerschein ausgestellt durch BH Bruck-Mürzzuschlag am 08.06.2020

?        Teilnahmebestätigung Computerkurs

?        Abweisender Bescheid des AMS vom 02.11.2017

?        Empfehlungsschreiben von XXXX

?        Sozialarbeiterische Stellungnahme der Stadt Graz bezüglich der beiden Kinder des BF vom 29.01.2020

?        Antrag auf Beschäftigungsbewilligung beim AMS

?        Teilnahmebestätigung zur Straßenreinigung vom 12.08.2019 bis 22.11.2019

?        ÖSD Zertifikat Deutsch B1

?        ÖIF Integrationsmaßnahmen ausgestellt am 19.06.2020

?        Bestätigung psychotherapeutischer Behandlung der Ehefrau des BF vom 24.06.2020

?        Original Tazkira

?        Fotos 1A, 1B und 1C zum Beweis dafür, dass ein Kollege, welcher mit dem BF gearbeitet hat, getötet wurde

?        Foto 1D – Bericht über die Tötung des Mannes

?        Foto 2A und 2B ein weiterer Kollege, welcher vor zwei Wochen getötet wurde

?        3A, 3B und 3C ein Mitarbeiter, der ebenfalls vor zwei Wochen von Kriminellen getötet wurde, die gegen die Staatssicherheitsbeamte vorgingen, weil sie diese erkennungsdienstliche behandelten und in Kabul bzw. gegen die Mafia Ermittlungen durchführten.

?        4A ein weiterer Mitarbeiter, welcher 2019 verletzt wurde

?        5A Auszug aus dem Militärstrafgesetz

?        Zwei Beförderungsurkunden

29. Mit Schreiben vom 20.07.2020 brachten die BF 2 – 4 Beschwerde in vollem Umfang gem. Art. 130 (1) Z. 1 iVm 132 (1) Z. 1 B-VG ein. Es wurde damit begründet, dass die BF 2 nicht in der Lage sei für die Kinder alleine zu sorgen, dies sei aus den Krankenaufenthalten, Befunden und Gutachten ersichtlich. Der Vater kümmere sich um die Kinder vorwiegend. Auch sei die BF 2 psychisch labil und in psychiatrischer Behandlung. Eine Trennung würde eine Verletzung gem. Art. 8 EMRK darstellen. Die Behörde habe sich zu wenig mit dem Kindeswohl auseinandergesetzt und damit ein fehlerhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Auch würde es aufgrund der psychischen Probleme der BF 2 zu einer Stigmatisierung in Afghanistan führen und damit zu einer Verfolgung. Auch im Zusammenspiel mit der COVID-19 Pandemie in Afghanistan würde eine Rückkehr nicht zumutbar sein. Die psychischen Probleme seien aufgrund der Vergewaltigung in der Türkei. Weiters drohe der BF 2 eine Zwangsverheiratung in Afghanistan und lebe sie einen verinnerlichten westlichen Lebensstil. So sei der Bescheid zur Gänze zu beheben und den BF 2- 4 der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu der Status eines subsidiär Schutzberechtigten, in eventu festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei und eine Aufenthaltsberechtigung (plus) gem. § 55 AsylG zu erteilen bzw. in eventu festzustellen, dass eine Aufenthaltsberechtigung gem. § 57 AsylG zu erteilen sei. Es werde eine mündliche Verhandlung beantragt.

30. Am 21.07.2020 wurde dem Beschwerdeführer und der beschwerdebezogenen Behörde, dass Sachverständigengutachten mit der Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahme innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung übermittelt.

Seitens der Behörde erfolgte keine Stellungnahme.

Der Beschwerdeführer 1 brachte vor, dass der Sachverständige die Eigenschaft des BF 1 als „high Profile“ bestätigte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister, niederschriftliche Einvernahme der Ehefrau vor dem BFA am 08.06.2020 werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Der volljährige Beschwerdeführer 1 führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Kabul in XXXX am XXXX geboren. Er hat zwölf Jahre die Schule besucht und danach vier Jahre die Privatschule namens „Kateb“. Das Studium hat der BF 1 nicht abgeschlossen. Der BF 1 spricht Dari, Paschtu ein bisschen Urdu, Englisch und Deutsch und kennt die afghanische Kultur. Der BF 1 hat sechs Jahre bis unmittelbar vor der Ausreise bei der NDS (National Directorate of Security) der islamischen Republik von Afghanistan gearbeitet. Er hat hier mehrere Kurse, auch von ausländischen Truppen (NATO) veranstaltet, absolviert und einen Offiziersrang gehabt. Der BF 1 war in diesem Staatsicherheitsdienst (Geheimdienst) für die Datenaufbereitung und Datenanalyse zuständig. Der BF 1 war mitverantwortlich bei der Verfolgung von Entführern, Kriminellen und Regierungsgegnern.

Die Beschwerdeführerin 2 führt den Namen XXXX , ist Staatsbürgerin der Islamische Republik Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitische Muslime. Die BF 2 spricht Dari. Die BF 2 wurde am XXXX geboren. Sie hat keine Schulausbildung , jedoch Erfahrungen als Schneiderin. Sie ist mit dem BF 1 seit 2012 verheiratet. Beide haben miteinander zwei Kinder, den BF 3 XXXX , geboren am XXXX in Afghanistan und den BF 4 XXXX , geboren am XXXX in Österreich.

Der BF 1 lebte mit seiner Mutter, einer Schwester, seiner Ehefrau und seinem Sohn in Kabul. Seine anderen Geschwister waren verheiratet und lebten ebenfalls in Afghanistan. Sein Vater ist verstorben.

Die Eltern der BF 2 leben in Parwan.

Der BF 1 hatte bis zwei Monate vor der Verhandlung Kontakt mit seiner Mutter.

Die BF 1, 3, 4 sind grundsätzlich ihrem Alter entsprechend entwickelt, gesund und der BF 1 arbeitsfähig.

Die BF 2 leidet an einer psychischen Erkrankung.

Die BF sind in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, waren dort nie inhaftiert, war nicht Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, sie haben sich nicht politisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland.

Der BF 1 besuchte in Österreich einzelne Deutsch- und Integrationskurse. Er hat die Deutsch-Prüfung B1 positiv absolviert. Der BF 1 hat in Österreich Kontakt mit österreichischen Staatsbürger.

Die BF 2 besuchte keine Kurse, spricht wenig Deutsch und hat nur geringe soziale Kontakte.

Der Beschwerdeführer 1 reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 23.05.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführer 2 und 3 reisten über Dänemark am 23.08.2018 in Österreich ein und stellten einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Verfahren wurde am 12.12.2019 zugelassen. Der BF 4 stellte, vertreten durch seine Mutter, den gegenständlichen Antrag am 22.11.2019.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF und zur Situation des BF im Falle der Rückkehr in sein Herkunftsland:

Das vom Beschwerdeführer 1 ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen bezüglich des Bedrohung aufgrund seiner Tätigkeit beim Staatssicherheitsdienst wird als glaubhaft festgestellt.

Der BF 1 war beim Staatssicherheitsdienst von Afghanistan im Rang eines Offiziers tätig. Er hatte entsprechende Ausbildungen im Bereich der Datenanalyse- verwaltung von internationalen Organisationen erhalten und hat mit anderen NATO-Staaten zusammengearbeitet. Der BF 1 war auch öffentlichkeitswirksam und hat bei der Verfolgung von Kriminellen und Regierungsgegnern mitgewirkt. Die Taliban verfolgen Armeeangehörige oder andere Angehörige von staatlichen Einrichtungen. Der BF 1 wäre daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Tätigkeit für die NDS von den Taliban bzw. anderen Regierungsgegner verfolgt. Da ihm die Regierungsgegner eine politische Gesinnung bzw. Einstellung unterstellen, welche gegen sie gerichtet ist bzw. ihn für aktive Handlungen gegen Regierungsgegner mitverantwortlich machen. Eine Verfolgung findet in ganz Afghanistan statt.

Weiter Verfolgungsgründe sind nicht vorgebracht worden und auch nicht von amts wegen hervorgekommen. Eine Verfolgung oder Verhaftung aufgrund des Verlassen der NDS ohne Angabe von Gründen wird nicht als glaubhaft festgestellt. Eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. der Religionszugehörigkeit zu den schiitischen Moslems ist nicht hervorgekommen.

Die Verfolgungsgründe der BF 2 – 4 waren nicht glaubhaft. Bei der BF 2 besteht keine Gefahr der Zwangsverheiratung. Die BF 2 wird auch nicht aufgrund ihrer psychischen Erkrankung in Afghanistan verfolgt. Eine verinnerlichte westliche Einstellung ist nicht gegeben. Eine direkte Verfolgung/Bedrohung durch die Verfolger des BF 1 ist nicht gegeben.

1.3. Zum Herkunftsstaat:

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Gesamtaktualisierung am 13.11.2019:

1.4. Zum Herkunftsstaat:

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationsblatt (Stand 13.11.2019, aktualisiert am 29.06.2020).

?        Länderspezifische Anmerkungen

COVID-19:

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

Berichten zufolge, haben sich mehr als 30.000 Menschen in Afghanistan mit COVID-19 angesteckt (WP 25.5.2020; vgl. JHU 26.6.2020), mehr als 670 sind daran gestorben. Dem Gesundheitsministerium zufolge, liegen die tatsächlichen Zahlen viel höher; auch bestünde dem Ministerium zufolge die Möglichkeit, dass in den kommenden Monaten landesweit bis zu 26 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert werden könnten, womit die Zahl der Todesopfer 100.000 übersteigen könnte. Die COVID-19 Testraten sind extrem niedrig in Afghanistan: weniger als 0,2% der Bevölkerung – rund 64.900 Menschen von geschätzten 37,6 Millionen Einwohnern – wurden bis jetzt auf COVID-19 getestet (WP 25.6.2020).

In vier der 34 Provinzen Afghanistans – Nangarhar, Ghazni, Logar und Kunduz – hat sich unter den Sicherheitskräften COVID-19 ausgebreitet. In manchen Einheiten wird eine Infektionsrate von 60-90% vermutet. Dadurch steht weniger Personal bei Operationen und/oder zur Aufnahme des Dienstes auf Außenposten zur Verfügung (WP 25.6.2020).

In Afghanistan sind landesweit derzeit Mobilität, soziale und geschäftliche Aktivitäten sowie Regierungsdienste eingeschränkt. In den größeren Städten wie z.B. Kabul, Kandahar, Mazar-e Sharif, Jalalabad, Parwan usw. wird auf diese Maßnahmen stärker geachtet und dementsprechend kontrolliert. Verboten sind zudem auch Großveranstaltungen – Regierungsveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, Sportveranstaltungen – bei denen mehr als zehn Personen zusammenkommen würden (RA KBL 19.6.2020). In der Öffentlichkeit ist die Bevölkerung verpflichtet einen Nasen-Mund-Schutz zu tragen (AJ 8.6.2020).

Wirksame Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung von COVID-19 scheinen derzeit auf keiner Ebene möglich zu sein: der afghanischen Regierung zufolge, lebt 52% der Bevölkerung in Armut, während 45% in Ernährungsunsicherheit lebt (AF 24.6.2020). Dem Lockdown folge zu leisten, "social distancing" zu betreiben und zuhause zu bleiben ist daher für viele keine Option, da viele Afghan/innen arbeiten müssen, um ihre Familien versorgen zu können (AJ 8.6.2020).

Gesellschaftliche Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19 Auswirkungen

In Kabul, hat sich aus der COVID-19-Krise heraus ein "Solidaritätsprogramm" entwickelt, welches später in anderen Provinzen repliziert wurde. Eine afghanische Tageszeitung rief Hausbesitzer dazu auf, jenen ihrer Mieter/innen, die Miete zu reduzieren oder zu erlassen, die aufgrund der Ausgangsbeschränkungen nicht arbeiten konnten. Viele Hausbesitzer folgten dem Aufruf (AF 24.6.2020).

Bei der Spendenaktion „Kocha Ba Kocha“ kamen junge Freiwillige zusammen, um auf die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu reagieren, indem sie Spenden für bedürftige Familien sammelten und ihnen kostenlos Nahrungsmittel zur Verfügung stellten. In einem weiteren Fall startete eine Privatbank eine Spendenkampagne, durch die 10.000 Haushalte in Kabul und andere Provinzen monatlich mit Lebensmitteln versorgt wurden. Außerdem initiierte die afghanische Regierung das sogenannte „kostenlose Brot“-Programm; bei dem bedürftige Familien – ausgewählt durch Gemeindeälteste – rund einen Monat lang mit kostenlosem Brot versorgt werden (AF 24.6.2020). In dem mehrphasigen Projekt, erhält täglich jede Person innerhalb einer Familie zwei Stück des traditionellen Brots, von einer Bäckerei in der Nähe ihres Wohnortes (TN 15.6.2020). Die Regierung kündigte kürzlich an, das Programm um einen weiteren Monat zu verlängern (AF 24.6.2020; vgl. TN 15.6.2020). Beispielsweise beklagten sich bedürftige Familien in der Provinz Jawzjan über Korruption im Rahmen dieses Projektes (TN 20.5.2020).

Weitere Maßnahmen der afghanischen Regierung

Schulen und Universitäten sind nach aktuellem Stand bis September 2020 geschlossen (AJ 8.6.2020; vgl. RA KBL 19.6.2020). Über Fernlernprogramme, via Internet, Radio und Fernsehen soll der traditionelle Unterricht im Klassenzimmer vorerst weiterhin ersetzen werden (AJ 8.6.2020). Fernlehre funktioniert jedoch nur bei wenigen Studierenden. Zum Einen können sich viele Familien weder Internet noch die dafür benötigten Geräte leisten und zum Anderem schränkt eine hohe Analphabetenzahl unter den Eltern in Afghanistan diese dabei ein, ihren Kindern beim Lernen behilflich sein zu können (HRW 18.6.2020).

Die großen Reisebeschränkungen wurden mittlerweile aufgehoben; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen(RA KBL 19.6.2020). Afghanistan hat mit 24.6.2020 den internationalen Flugverkehr mit einem Turkish Airlines-Flug von Kabul nach Istanbul wieder aufgenommen; wobei der Flugplan aufgrund von Restriktionen auf vier Flüge pro Woche beschränkt wird (AnA 24.6.2020). Emirates, eine staatliche Fluglinie der Vereinigten Arabischen Emirate, hat mit 25.6.2020 Flüge zwischen Afghanistan und Dubai wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020; vgl. GN 9.6.2020). Zwei afghanische Fluggesellschaften Ariana Airlines und der lokale private Betreiber Kam Air haben ebenso Flüge ins Ausland wieder aufgenommen (AnA 24.6.2020). Bei Reisen mit dem Flugzeug sind grundlegende COVID-19-Schutzmaßnahmen erforderlich (RA KBL 19.6.2020). Wird hingegen die Reise mit dem Auto angetreten, so sind keine weiteren Maßnahmen erforderlich. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse. Grundlegende Schutzmaßnahmen nach COVID-19 werden von der Regierung zwar empfohlen – manchmal werden diese nicht vollständig umgesetzt (RA KBL 19.6.2020).

Seit 1.1.2020 beträgt die Anzahl zurückgekehrter Personen aus dem Iran und Pakistan: 339.742; 337.871 Personen aus dem Iran (247.082 spontane Rückkehrer/innen und 90.789 wurden abgeschoben) und 1.871 Personen aus Pakistan (1.805 spontane Rückkehrer/innen und 66 Personen wurden abgeschoben) (UNHCR 20.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus Pakistan

Die Grenze zu Pakistan war fast drei Monate lang aufgrund der COVID-19-Pandemie gesperrt. Mit 22.6.2020 erhielt Pakistan an drei Grenzübergängen erste Exporte aus Afghanistan: frisches Obst und Gemüse wurde über die Grenzübergänge Torkham, Chaman und Ghulam Khan nach Pakistan exportiert. Im Hinblick auf COVID-19 wurden Standardarbeitsanweisungen (SOPs – standard operating procedures) für den grenzüberschreitenden Handel angewandt (XI 23.6.2020). Der bilaterale Handel soll an sechs Tagen der Woche betrieben werden, während an Samstagen diese Grenzübergänge für Fußgänger reserviert sind (XI 23.6.2020; vgl. UNHCR 20.6.2020); in der Praxis wurde der Fußgängerverkehr jedoch häufiger zugelassen (UNHCR 20.6.2020).

Pakistanischen Behörden zufolge waren die zwei Grenzübergänge Torkham und Chaman auf Ansuchen Afghanistans und aus humanitären Gründen bereits früher für den Transithandel sowie Exporte nach Afghanistan geöffnet worden (XI 23.6.2020).

Situation in der Grenzregion und Rückkehr aus dem Iran

Die Anzahl aus dem Iran abgeschobener Afghanen ist im Vergleich zum Monat Mai stark gestiegen. Berichten zufolge haben die Lockerungen der Mobilitätsmaßnahmen dazu geführt, dass viele Afghanen mithilfe von Schmugglern in den Iran ausreisen. UNHCR zufolge, gaben Interviewpartner/innen an, kürzlich in den Iran eingereist zu sein, aber von der Polizei verhaftet und sofort nach Afghanistan abgeschoben worden zu sein (UNHCR 20.6.2020).

Stand: 18.5.2020

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. Die hier gesammelten Informationen sollen die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung wiedergeben. Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblem bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).

Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).

Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).

Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).

Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung

Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).

Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge, arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).

Taliban und COVID-19

Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommision gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).

Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).

Politische Lage

Letzte Änderung: 18.5.2020

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019). Die unabhängige afghanische Wahlkommission (Afghanistan’s Independent Election Commission) hat mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan Mohammed Ashraf Ghani zum Sieger erklärt (DW 18.2.2020). Der amtierende Präsident erhielt 50,64% der Stimmen, wie die Kommission verlautbarte (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020; UNGASC 17.3.2020). Da Ghani im ersten Durchgang die Präsidentschaftswahl bereits gewonnen hat, ist keine Stichwahl mehr notwendig (DW 18.2.2020). CEO bzw. Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, kam den Resultaten zufolge auf 39,52% (DW 18.2.2020; vgl. REU 25.2.2020). Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Nach monatelangem, erbittertem Streit um die Richtigkeit von Hunderttausenden von Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel berücksichtigt worden. Hingegen lag die Zahl der registrierten Wähler bei 9,6 Millionen. Afghanistan hat eine geschätzte Bevölkerung von 35 Millionen Einwohnern (DW 18.2.2020).

Wochenlang stritten der amtierende Präsident Ashraf Ghani und sein ehemaliger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah um die Macht in Kabul und darum wer die Präsidentschaftswahl im vergangenen September gewonnen hatte. Abdullah Abdullah beschuldigte die Wahlbehörden, Ghani begünstigt zu haben, und anerkannte das Resultat nicht (NZZ 20.4.2020). Am 9.3.2020 ließen sich sowohl Ghani als auch Abdullah als Präsident vereidigen (NZZ 20.4.2020; vgl. TN 16.4.2020). Nach monatelanger politischer Krise (DP 17.5.2020; vgl. TN 11.5.2020), einigten sich der afghanische Präsi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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