Entscheidungsdatum
09.09.2020Norm
BSVG §2 Abs7Spruch
W228 2230172-1/5Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald Wögerbauer, als Einzelrichter in der Beschwerdesache von Herrn und Frau XXXX , 2460 Bruck an der Leitha, gegen den Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) vom 19.02.2020, Zl. XXXX , betreffend Pflichtversicherung in der Kranken- und Unfallversicherung der Bauern für XXXX BSc., VSNR: XXXX , beschlossen:
A)
I. Gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG wird (in Verbindung mit Art. 89 und Art. 135 Abs. 4 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof der Antrag gestellt, § 2 Abs. 7 letzter Satz des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes (BSVG), BGBl. Nr. 559/1978, in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2015, als verfassungswidrig aufzuheben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG in Verbindung mit § 25a Abs. 3 VwGG nicht zulässig.
Text
Begründung:
Zu A)
I. Sachverhalt
Mit Schreiben, eingelangt am 26.12.2019 bei der damaligen Sozialversicherungsanstalt der Bauern (SVB; nunmehr Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS)), gaben die nunmehrigen Beschwerdeführer bekannt, dass Ihr Sohn XXXX mehr als 20 Stunden pro Woche auf Ihrem Betrieb mitarbeitet und an zwei Tage pro Woche eine Universität besucht. Bei letzterem Universitätsbesuch handelt es sich um ein Studium an der Universität für Bodenkultur in Wien, welches seit 2016 absolviert wird.
In einer ergänzenden Niederschrift am 30.01.2020 wurde noch dargelegt, dass vom Sohn 40 Wochenstunden gearbeitet und der komplette Ackerbau sowie die Buchhaltung von ihm erledigt wird.
Mit Bescheid vom 19.02.2020, Zl. XXXX , der SVS wurde festgestellt, dass der Sohn, XXXX , geb.: XXXX , vom 01.01.2020 bis laufend nicht in der Kranken- und Pensionsversicherung der Bauern pflichtversichert ist. Begründend wurde darauf verwiesen, dass der VwGH in seiner Entscheidung vom 09.10.2013, 2012/08/0106, klargestellt habe, dass ein Universitätsstudium auch unter den Begriff „Schul- und Berufsausbildung“ fällt. Die Erläuterungen zu § 2 Abs. 7 BSVG sehen dies genauso. Für die Dauer einer Schul- oder Berufsausbildung ist aufgrund des Wortlautes des § 2 Abs. 7 BSVG eine hauptberufliche Beschäftigung im Betrieb der Eltern jedenfalls ausgeschlossen. Somit seien die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt.
Dagegen richtet sich, die mit 03.03.2020 datierte, fristgerechte Beschwerde, in der vorgebracht wird, dass die Bestimmung gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 7 B-VG verstoße und verfassungswidrig sei. Ein Dienstnehmer könne neben seiner 40 Stunden pro Woche umfassenden unselbständigen Tätigkeit in seiner Freizeit ein Studium absolvieren, ohne dass die Hauptberuflichkeit dieser Tätigkeit auch nur in Frage gestellt wird. Im Ergebnis werde ein unselbständig tätiger Dienstnehmer gegenüber dem Beschwerdeführer bevorzugt, da ersterer ein Studium absolvieren könne, ohne seinem Versicherungsverhältnis zu schaden, letzterer nicht, da seine hauptberufliche Tätigkeit neben dem Studium versicherungstechnisch nicht anerkannt werde. Die beiden gleichen Vergleichsgruppen würden daher im Ergebnis bezogen auf ihre sozialversicherungsrechtliche Position unterschiedlich behandelt. Es müsste auch im Falle, dass die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden eines am Betrieb seiner Eltern hauptberuflich mitarbeitenden Kindes nachzuvollziehen seien als jene eines unselbständig tätigen, die Erbringung des Gegenbeweises möglich und zulässig sein.
Der Akt langte am 06.04.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Am 15.04.2020 gewährte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführern, im Wesentlichen, folgendes Parteiengehör: „[…] Die Stellungnahme der SVS entkräftet nach derzeitiger Sicht des erkennenden Richters Ihre Bedenken hinsichtlich Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des § 2 Abs. 7 BSVG, da zutreffend auf die Möglichkeit einer Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 ASVG verwiesen wird und Ihr Vergleich in der Beschwerde den unselbständigen Dienstnehmer mit einhergehendem Studium einerseits und das am Betrieb der Eltern hauptberuflich beschäftigte Kind mit einhergehendem Studium andererseits vergleicht. […]“
Am 15.05.2020 langte eine Stellungnahme, datierend auf 14.05.2020 ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird: „[…] Allerdings hegen wir insofern nach wie vor Bedenken hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 7 BSVG, als diese Bestimmung zwischen am Betrieb der Eltern hauptberuflich mitarbeitenden Kindern mit und ohne aufrechtes Studium ohne weitere Differenzierung unterscheidet. Daher mangelt es unseres Erachtens an der sachlichen Rechtfertigung dieser unterschiedlichen Behandlung. Zwar bestimmt der erste Satz des § 2 Abs. 7 BSVG, dass die Beurteilung, ob eine Beschäftigung am Betrieb der Eltern hauptberuflich ausgeübt wird, von ihrem wirtschaftlichen und zeitlichem Umfang abhängt, im letzten Satz wird allerdings für die Dauer einer Berufsausbildung – sprich während eines aufrechten Studiums – die Hauptberuflichkeit jedenfalls ausgeschlossen. Gerade dieses „jedenfalls“ sorgt für unsere Bedenken, schließt es doch einen Gegenbeweis gänzlich aus. Zur Verhinderung etwaigen Missbrauchs des § 2 Abs. 7 BSVG würde auch die Vermutung, dass die Tätigkeit nicht hauptberuflich ausgeübt wird, in Verbindung mit einem höheren Beweiserfordernis genügen.“ Beigelegt wurden die Arbeitsaufzeichnungen für den Zeitraum 01.01.2020-13.05.2020, Nachweise über besuchte Lehrveranstaltungen im Wintersemester 2019/2020 und im Sommersemester 2020, ein Leistungsnachweis sowie der Kontoauszug des Sohnes.
II. Rechtslage
Ob und unter welchen Voraussetzungen bei Kindern eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung, richtet sich nach § 2 Abs. 1 Z 2 BSVG in Verbindung mit § 2 Abs. 7 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes (BSVG). Unter den dort angegebenen Voraussetzungen ist die hauptberufliche Beschäftigung im BSVG eine Begünstigung der Kinder von Land- und Forstwirten gegenüber jenen, die via ASVG versichert sind, die dazu führt, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen weder die für einen Dienstnehmer üblichen Lohnnebenkosten zu entrichten noch die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften einzuhalten sind.
§ 2 Abs. 7 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes (BSVG), BGBl. Nr. 559/1978, wurde zuletzt durch das Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz, das Allgemeine Pensionsgesetz und das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert werden (Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz – SVAG, BGBl. I Nr. 2/2015, geändert. Die nach dieser Novelle ergangenen Änderungen des § 2 ASVG betrafen jeweils andere Absätze dieses Paragraphen. Daher hat das Bundesverwaltungsgericht § 2 Abs. 7 BSVG in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2015 anzuwenden, da dieses im Zeitpunkt der Antragstellung anwendbar war und auch für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts anwendbar wäre. Aus diesem Grund richtet sich die Anfechtung gegen § 2 Abs. 7 BSVG in der Fassung BGBl. I Nr. 2/2015. Die angefochtene Bestimmung hat folgenden Wortlaut (angefochtener Teil fett hervorgehoben):
„§ 2. (1) Auf Grund dieses Bundesgesetzes sind, soweit es sich um natürliche Personen handelt, in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen pflichtversichert: […]
2. die Kinder, Enkel, Wahl- und Stiefkinder sowie die Schwiegerkinder einer in Z 1 genannten Person, alle diese, wenn sie hauptberuflich in diesem Betrieb beschäftigt sind (Abs. 7); […]
(7) Ob eine Beschäftigung hauptberuflich ausgeübt wird, hängt von ihrem wirtschaftlichen und zeitlichen Umfang ab; sie wird als hauptberuflich ausgeübt vermutet, wenn sie
1. der Bestreitung des Lebensunterhaltes dient oder
2. länger als 20 Stunden pro Woche erfolgt oder
3. mehr Zeitaufwand erfordert als eine weitere gleichzeitig ausgeübte Beschäftigung.
Für die Dauer einer Schul- oder Berufsausbildung – mit Ausnahme einer land(forst)wirtschaftlichen Heimpraxis und Heimlehre – ist die Hauptberuflichkeit jedenfalls ausgeschlossen.“
Die ErläutRV, 321 BlgNR XXV GP, S 10f zu §§ 2 Abs. 1 Z 2 und Abs. 7 sowie 348 Abs. 2 BSVG führen hiezu im Wesentlichen aus: „Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Entscheidung vom 7. September 2005, 2001/08/0123, erstmals die rechtliche Schlussfolgerung gezogen, dass ein Kind, das keiner anderen Beschäftigung als der Mitarbeit im elterlichen (bäuerlichen) Betrieb nachgeht, in aller Regel „in einem solchen Ausmaß zur Arbeit herangezogen wird, dass von hauptberuflicher Beschäftigung gesprochen werden kann“; eine nähere Prüfung des Beschäftigungsausmaßes sei daher bei Fehlen einer anderen Beschäftigung nicht erforderlich. Diese These bildet seitdem die unverrückbare Leitlinie der einschlägigen Judikatur des VwGH; darüber hinaus hat das Höchstgericht im gegebenen Zusammenhang auch einen Schulbesuch begrifflich nicht als maßgebliche Beschäftigung qualifiziert (VwGH 17. Oktober 2012, 2011/08/0064). Die angesprochene Judikatur erging vor allem zu Fragen der historischen Versicherungspflicht (§ 39a BSVG/Nachentrichtung verjährter Beiträge). Da derzeit keine gesetzlichen Kriterien für die Beurteilung der hauptberuflichen Beschäftigung existieren, sollen durch die vorgeschlagene Regelung die Vorgaben für eine klare Abgrenzung der Versicherungsverhältnisse geschaffen werden: So wird auf Grund einer widerlegbaren gesetzlichen Vermutung angenommen, dass die bäuerliche Tätigkeit der Angehörigen hauptberuflich ausgeübt wird, wenn die Beschäftigung im land(forst)wirtschaftlichen Betrieb ein vorgegebenes Zeitausmaß erreicht (mehr als 20 Stunden pro Woche) oder zeitlich überwiegt (gegenüber einer weiteren ausgeübten Tätigkeit). Gleiches gilt, wenn durch die die bäuerliche Tätigkeit der Lebensunterhalt bestritten wird. Wird der gegenteilige Nachweis durch den meldepflichtigen Betriebsführer/die meldepflichtige Betriebsführerin erbracht, so ist die vermeintlich versicherte Person rückwirkend von der Pflichtversicherung zu befreien, es sei denn, die Voraussetzungen einer Formalversicherung nach § 12 BSVG lägen vor. Ausdrücklich soll darüber hinaus festgelegt werden, dass die hauptberuflicher Beschäftigung im Fall einer Schul- oder Berufsausbildung ausgeschlossen ist (vgl. dazu die Ausführungen in den Erläuterungen zu § 39a BSVG), allerdings mit Ausnahme einer land(forst)wirtschaftlichen Heimlehre bzw. Heimpraxis. Zu diesen Begriffen (Heimlehre, Heimpraxis) ist auf Folgendes hinzuweisen: Es kommt im Bereich der land- und forstwirtschaftlichen Berufsausbildung vor, dass der elterliche Betrieb als Lehrbetrieb (§ 15 des Land- und forstwirtschaftlichen Berufsausbildungsgesetzes, BGBl. Nr. 298/1990) fungiert. In diesen Fällen ist die Beschäftigung als Lehrling mit der Beschäftigung als mittätiger Angehöriger/mittätige Angehörige identisch. Durch die vorgeschlagene Beibehaltung der Pflichtversicherung in den Fällen der Heimpraxis soll auch die in einschlägigen Lehrplänen gesetzlich gebotene Versicherungspflicht bei Absolvierung solcher Praktika sichergestellt werden. Es entspricht zudem der bisherigen Praxis der Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Heimpraktikant/inn/en als Pflichtversicherte wegen hauptberuflicher Beschäftigung zu qualifizieren. Da bei Feststellung der Ersatzzeiten für Zeiten vor Einführung der Pflichtversicherung nach § 107 Abs. 1 Z 1 BSVG (sogenannte Ausübungsersatzzeiten) stets auf die jeweils geltende Rechtslage des BSVG abzustellen ist, sollen die neuen Kriterien für die nach § 2 Abs. 1 Z 2 Pflichtversicherten nicht auf diese Ersatzzeiten angewandt werden, um allfällige Verschlechterungen hintanzuhalten. Für die Feststellung dieser Ersatzzeiten ist daher weiterhin die zum 31. Dezember 2013 geltende Rechtslage bzw. Judikatur maßgeblich.
Zum 31. Dezember 2014 bestehende Versicherungsverhältnisse nach § 2 Abs. 1 Z 2 BSVG, die ab Inkrafttreten der neuen Rechtslage die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen würden, sollen gewahrt bleiben. Darüber hinaus entbindet eine solche Regelung den Versicherungsträger von der Verpflichtung, alle einschlägigen Versicherungsverhältnisse ab Inkrafttreten überprüfen zu müssen.“
Die ErläutRV, 321 BlgNR XXV GP, S 12f zu § 39a BSVG seien, der Vollständigkeit halber, auch noch angeführt – selbst wenn hier kein Fall der Nachentrichtung verjährter Beiträge zur Pensionsversicherung vorliegt –, um die Intention des historischen Gesetzgebers bezüglich der Änderungen im Rahmen dieser Novelle systematisch erfassen zu können. Diese führen hiezu im Wesentlichen aus: „Laut Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) liegt eine hauptberufliche Beschäftigung in der Land- und Forstwirtschaft auch dann vor, wenn ansonsten keiner weiteren Beschäftigung nachgegangen wird, mit der die Erstgenannte zu vergleichen wäre, da der historische Gesetzgeber von der Annahme ausgehe, auf einem Bauernhof falle immer ausreichend Arbeit an, sodass das zeitliche Kriterium der Hauptberuflichkeit jedenfalls erfüllt sei. Selbst der Besuch einer Schule oder einer Universität ändere nichts an dieser Einschätzung, da ein solcher keine Erwerbstätigkeit im herkömmlichen Sinn darstelle (vgl. u. a. VwGH 7. September 2005, 2001/08/0123 bzw. VwGH 17. Oktober 2012, 2011/08/0064). Da einerseits eine Schul- bzw. Berufsausbildung sowohl bezüglich der Anspruchsberechtigung als Angehörige in der Krankenversicherung (ab 18, vgl. § 107 Abs. 4 BSVG) als auch bezüglich der pensionsrechtlichen Qualifikation als Ersatzzeiten (vgl. § 107 Abs. 7 BSVG, „normaler Ausbildungs(Studien)gang“) zur Voraussetzung hat, dass diese Schul- bzw. Berufsausbildung den überwiegenden Teil der Arbeitskraft beansprucht, andererseits auch die Ausübung einer Beschäftigung als „hauptberuflich“ ein entsprechendes Überwiegen dieser Beschäftigung indiziert, wird durch diese Judikatur ein grundsätzliches Problem aufgeworfen, das durch die vorgeschlagene gesetzliche Regelung in § 39a BSVG gelöst werden soll. Während sich für den „Einkauf“ von Schul-, Studien- und Ausbildungszeiten, durch den diese Ersatzzeiten erst für Wartezeit und die Leistungsbemessung wirksam werden (für Zeiten ab 2005: wurde die Ersatzzeitenregelung durch eine nachträgliche Selbstversicherung ersetzt), der pro Monat zu entrichtende Beitrag durch das Budgetbegleitgesetz 2011 erheblich verteuert hat, eröffnet § 39a BSVG die nachträgliche Entrichtung bereits verjährter Beiträge (wenn auch aufgewertet, so doch wesentlich günstiger) auf Basis der seinerzeitigen Beitragshöhe. Voraussetzung dafür ist die behauptete hauptberufliche Beschäftigung im land- bzw. forstwirtschaftlichen Betrieb zumeist des Vaters. Die eingangs erwähnte Judikatur des VwGH verhilft derartigen Behauptungen nahezu lückenlos zum Durchbruch. Da die nachzuentrichtenden Beiträge im direkten Vergleich zu den Kosten eines Schul- bzw. Studienmonats-Einkaufes im Verhältnis 1:10 und mehr stehen, führt dies zu höchst unbilligen Ergebnissen, die auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten bedenklich erscheinen. Dieser überschießenden Entwicklung gilt es gegenzusteuern, ohne die grundsätzliche Intention des § 39a BSVG im Sinne des SVÄG 2005 in Frage zu stellen. Ausgehend von der Überlegung, dass die Anrechnung von Schul- bzw. Studienzeiten als Ersatzzeiten, die erst durch Beitragsentrichtung anspruchs- und leistungsunwirksam werden (ab 2005: im Zuge einer nachträglichen Selbstversicherung) generell die Annahme indiziert, dass während dieser Zeiten die Schule bzw. das Studium den überwiegenden Anteil der Arbeitskraft in Anspruch genommen hat, soll die Nachentrichtung verjährter Beiträge wegen der hauptberuflichen Beschäftigung als Kind (Enkel etc.) dann ausgeschlossen werden, wenn sich diese Zeiten mit Zeiten einer Schul- oder Berufsausbildung decken, die ab dem 1. Jänner 1971 oder später als Ersatzzeiten gegolten haben. Das Abstellen auf den 1. Jänner 1971 hat seine Ursache darin, dass zu diesem Zeitpunkt erstmals auch im bäuerlichen Leistungsrecht derartige Ersatzzeiten eingeführt worden sind. Dem Versicherten soll in diesem Zusammenhang jedoch die Möglichkeit eingeräumt werden, das Gegenteil nachzuweisen, und zwar dass die persönliche Mitarbeit zur Aufrechterhaltung des Betriebes wegen außergewöhnlicher Umstände unerlässlich war. Angesichts des Umstandes, dass ab dem 1. Jänner 2014 im Verwaltungsverfahren vor den Sozialversicherungsträgern das AVG zur Gänze anzuwenden ist und die ausdrückliche Normierung einer einfachgesetzlichen Beweislastregel zu Lasten einer Partei zulässig ist (vgl. Thienel Verwaltungsverfahrensrecht, 5. Auflage, 185), soll damit der versicherten Person die einschlägige Beweisinitiative zufallen. Wenn beispielsweise der Betriebsführer vorzeitig verstorben ist und die ihm in der Betriebsführung nachfolgende Mutter infolge der Ausnahmesituation sowohl arbeitsmäßig überlastet war als auch irrtümlich auf die Anmeldung des Kindes als hauptberuflich beschäftigt vergessen hat, so kann dies bei Hinzutreten zusätzlicher Aspekte wohl derartige „außergewöhnliche Umstände“ begründen, die das Gesetz künftig fordert. Dabei ist jedenfalls ein strenger Maßstab anzulegen, bei dem die Größe des Betriebes, ein etwa vorhandener Viehstand, die a priori gegebene betriebswirtschaftliche Unrentabilität infolge fehlender Arbeitskräfte (von Beginn an) oder unternehmerisches Fehlverhalten für sich allein niemals das entscheidende Kriterium bilden können. Gleiches gilt für Umstände, die durch Extremwetterlagen verursacht werden (wie Hochwasser oder Windbruch), da derartige Ereignisse (trotz ihrer Intensität) nur zeitlich begrenzt einwirken.“
III. Zur Zulässigkeit des Antrags
1. Anfechtungsberechtigtes Gericht
Das Bundesverwaltungsgericht ist gemäß Art. 89 in Verbindung mit Art. 135 Abs. 4 und Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B-VG verpflichtet, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes zu stellen, gegen dessen Anwendung es aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken hat.
Derartige Bedenken hegt das Bundesverwaltungsgericht gegen § 2 Abs. 7 BSVG aus Anlass des Verfahrens über die unter Punkt I. erwähnte Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung über diese Beschwerde zuständig (§ 182 BSVG in Verbindung mit § 414 ASVG). Es ist daher zur Anfechtung berechtigt (und verpflichtet).
2. Zur Anfechtung zuständiger Spruchkörper
Soweit die Bundes- oder Landesgesetze nicht die Entscheidung durch den Senat vorsehen, entscheidet das Verwaltungsgericht durch Einzelrichter bzw. Rechtspfleger (vgl. Art. 135 Abs. 1 B-VG, § 2 VwGVG; § 6 BVwGG).
Zur Entscheidung über die den Anlass des Gesetzesprüfungsantrags bildende Beschwerdesache in merito ist gem. § 182 BSVG ein Einzelrichter zuständig, da § 182 Abs. 7 BSVG das Antragsrecht auf Senatszuständigkeit ausschließt. Im vorliegenden Zusammenhang ist dieser daher der anfechtungslegitimierte Spruchkörper des Bundesverwaltungsgerichts.
3. Präjudizialität
Bei seiner Entscheidung darüber, ob die Beschwerde in der Sache erfolgreich ist, hat der Einzelrichter jene Rechtsvorschriften anzuwenden, die diese Entscheidung gesetzlich determinieren. Im Beschwerdefall gehört zu diesen Rechtsvorschriften jedenfalls § 2 Abs. 7 BSVG in der angefochtenen Fassung. Die angefochtene Rechtsvorschrift ist daher präjudiziell. Eine Aufhebung würde den generellen Ausschluss der gegenständlichen Sachverhaltskonstellation von der begünstigten Versicherungsmöglichkeit nach BSVG beseitigen.
IV. Bedenken
1. Zusammenfassung
Das Bundesverwaltungsgericht hält die Regelung des § 2 Abs. 7 letzter Satz BSVG für verfassungswidrig, weil der Bundesgesetzgeber damit die ihm durch Art. 7 B-VG in Verbindung mit Art. 2 StGG und Art. 14 EMRK gezogenen Grenzen bezüglich Gleichbehandlung vor dem Gesetzt überschritten hat, da ähnliche Fallkonstellationen, die sich aus Sicht des antragstellenden Richters nicht wesentlich unterscheiden, unterschiedlich behandelt werden.
2. Darstellung von Literatur und Judikatur
Über die Zitierung der erläuternden Bemerkungen in einem BSVG Kommentar hinaus, konnte keinerlei Literaturdarstellung des gegenständlichen Themas in den gängigen Rechtsdatenbanken und der Gerichtsbibliothek erhoben werden. Judikatur wurde ebenso keine vorgefunden.
3. Verstoß gegen Art. 7 B-VG in Verbindung mit Art. 2 StGG und Art. 14 EMRK – Darstellung der Sicht des antragstellenden Richters
Einleitend darf bezüglich gesetzgeberische Differenzierung von Sachverhalten folgender Text zitiert werden: „Nach nunmehr stRsp ist er [der Gesetzgeber] verpflichtet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Soweit die Verfassung nicht vorgibt, was wesentlich gleich und was wesentlich ungleich ist, liegt es am Gesetzgeber diese Wertung zu treffen. Der Gleichheitssatz verpflichtet ihn dann aber grundsätzlich dazu, dieser Wertung „treu“ zu bleiben, sie also konsequent zu verfolgen: Er muss alle Personen oder Sachverhalte, die im Lichte dieser Wertung gleich sind, auch gleich behandeln, während eine Differenzierung zwischen Personen oder Sachverhalten, die der Gesetzgeber selbst im einen Zusammenhang als ungleich bewertet, auch in einem anderen Zusammenhang geboten sein kann.“1
Wie in der Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 14.05.2020 dem Grunde nach vorgebracht, ergeben sich beim antragstellenden Richter einerseits Bedenken hinsichtlich des Gleichheitssatzes und der Gleichbehandlung, dass die Unterscheidung zwischen am Betrieb der Eltern hauptberuflich mitarbeitenden Kindern mit und ohne aufrechtem Schul- oder Berufsausbildung (fallgegenständlich ein Studium) erfolgt. Andererseits ergeben sich darüber hinaus Bedenken, da der Gesetzgeber im angefochtenen Teil der Bestimmung eine Ausnahme für die land(forst)wirtschaftliche Heimpraxis und Heimlehre normiert hat.
Zu den zuerst angeführten Bedenken ist auszuführen, dass der antragstellende Richter aufgrund der gegenständlichen Fallkonstellation nicht überzeugt ist, dass es sich beim Ausschluss der aufrechten Schul- oder Berufsausbildung von der begünstigten Versicherungsmöglichkeit des BSVG um ein wesentliches, und somit verfassungsrechtlich zulässiges, Unterscheidungsmerkmal handelt, welches eine Ungleichbehandlung des gegenständlichen Sachverhalts im Vergleich zur hauptberuflichen Mitarbeit eines Kindes am Betrieb der Eltern ohne aufrechte Schul- oder Berufsausbildung rechtfertigt.
In Kombination mit den zuletzt angeführten Bedenken, nämlich betreffend die Ausnahme für die land(forst)wirtschaftliche Heimpraxis und Heimlehre, verstärken sich die Zweifel an der Verfassungskonformität, da die Ausnahme damit gerechtfertigt wird, dass die Beschäftigung als Lehrling mit der Beschäftigung als mittätiger Angehöriger/mittätige Angehörige identisch sei. Es wird also örtlich unterschieden, wo die aufrechte Ausbildung erfolgt. Auch hier hat der antragstellende Richter Zweifel, dass die Ungleichbehandlung aufgrund des Ortes, als wesentlichem Unterscheidungsmerkmal, zulässig ist, da die fallgegenständliche Sachverhaltskonstellation von der begünstigten Versicherungsmöglichkeit des BSVG im Gegensatz zur Heimlehre/Heimpraxis ausgeschlossen ist.
Ginge es, wie in den Erläuterungen angegeben, um die Pflichtversicherung, so würde auch mit einer Versicherung nach dem ASVG das Auslangen gefunden werden, eine Ausnahme wäre nicht notwendig.
Falls es jedoch um die Kombination Beschäftigung im „Familienbetrieb“ plus Ausbildung geht, müsste auch der gegenständliche Sachverhalt unter die begünstigte Versicherungsmöglichkeit des BSVG fallen, zumal die Heimlehre als Ausbildungsverhältnis wie ein normales Lehrverhältnis anzusehen ist.
Der generelle Ausschluss von der aufrechten Schul- oder Berufsausbildung von der begünstigten Versicherungsmöglichkeit des BSVG, insbesondere in Verbindung der Ausnahme von Heimlehre und Heimpraxis von diesem Ausschluss, erscheint dem antragstellenden Richter überschießend und daher nicht mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar.
4. Schlussfolgerung; Aufhebungsumfang
Aus den vorgetragenen Bedenken ergibt sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die Verfassungswidrigkeit des letzten Satzes des § 2 Abs. 7 BSVG in der im Spruch genannten Fassung. Dieser Aufhebungsumfang ist geeignet, um die dargelegte Verfassungswidrigkeit zu bereinigen, weil es nach Aufhebung der in diesem Umfang angefochtenen Bestimmung zu keinen Ungleichbehandlungen käme. Eine Anfechtung nur des Wortes „jedenfalls“ des § 2 Abs. 7 BSVG, wie in der Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 14.05.2020 vorgebracht, erscheint als zu eng, da sich der Ausschluss der Ausbildung aus dem verbleibenden Text weiterhin ergeben würde.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG in Verbindung mit § 25a Abs. 3 VwGG nicht zulässig.
1 DRdA 6/2013, Heft 347, Pöschl, „Verfassungsrechtliche Gleichheit, arbeitsrechtliche Gleichbehandlung, unionsrechtliche Antidiskriminierung“
Schlagworte
Berufsausbildung Familienbetrieb Gesetzprüfungsantrag Gleichbehandlung landwirtschaftlicher Betrieb Studium verfassungswidrigEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W228.2230172.1.00Im RIS seit
24.11.2020Zuletzt aktualisiert am
24.11.2020