TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/8 I405 2231827-1

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Veröffentlicht am 08.07.2020
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Entscheidungsdatum

08.07.2020

Norm

AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §57 Abs1 Z2
AsylG 2005 §59 Abs1
AsylG 2005 §59 Abs2
AsylG 2005 §59 Abs4
AsylG 2005 §59 Abs5
AsylG 2005 §60 Abs1
AsylG 2005 §60 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I405 2231827-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch LEFÖ-IBF Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, Lederergasse 35/12-13, 1080 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.05.2020, Zl. 1125541700/191040401, zu Recht:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 59 AsylG stattgegeben und der BF die Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG bis zum 10.11.2020 erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF), eine nigerianische Staatsangehörige, reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 06.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Am 07.07.2017 stellte die BF einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung „besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG, welche ihr am 10.11.2017 ausgestellt wurde und aufgrund einer Verlängerung bis 10.11.2019 gültig war.

3.       Am 14.10.2019 langte beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) ein weiterer Antrag der BF auf Verlängerung gemäß § 59 AsylG der Aufenthaltsberechtigung „besonderer Schutz“ gemäß § 57 AsylG ein.

4.       Mit Bescheid der belangten Behörde vom 15.05.2020, Zl. 1125541700/191040401, wurde der Antrag der BF auf Verlängerung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemäß § 59 AsylG abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass weder ein Verfahren zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen noch zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen Handlungen anhängig sei

5.       Mit Schriftsatz vom 04.06.2020, bei der belangten Behörde eingelangt am 08.06.2020, erhob die Rechtsvertretung der BF fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht mit der Begründung, dass eine zivile Klage auf Schadenersatz gegen die im zuvor geführten Strafgerichtsverfahren wegen Menschenhandels u.a. verurteilte Haupttäterin beim Bezirksgericht XXXX anhängig ist.

6.       Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 10.06.2020 die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

Die volljährige BF ist Staatsangehörige von Nigeria und reiste im Jahr 2016 unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein, hält sich jedoch derzeit rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Die BF wurde im Verfahren vor dem Landesgericht XXXX zu XXXX als besonders schutzwürdiges Opfer von Menschenhandel eingestuft. Die in diesem Verfahren Angeklagte XXXX wurde in der Folge am 22.08.2017, rechtskräftig seit 25.08.2017, wegen des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten verurteilt, wobei 18 Monate unter Gewährung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Ein weiteres Strafverfahren zu XXXX gegen die Beschuldigte XXXX wegen § 12 2. Fall StGB, § 15 StGB §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 1. Fall StGB wurde von der Staatsanwaltschaft am 12.06.2019 eingestellt.

Seit mindestens 12.02.2020 ist ein Zivilverfahren vor dem Bezirksgericht XXXX zu XXXX zur Geltendmachung eines Schadenersatz-/Gewährleistungsanspruchs gegen XXXX anhängig, in welchem die BF als Zweitklägerin in Erscheinung tritt.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde in Zusammenschau mit dem Beschwerdeschriftsatz.

Die Feststellungen zu ihrer Staatsangehörigkeit und ihrer Einreise nach Österreich gründen sich auf den bekämpften Bescheid der belangten Behörde und trat die BF diesen Feststellungen nicht entgegen. Der rechtmäßige Aufenthalt der BF im Bundesgebiet ergibt sich aus dem Umstand, dass sich gemäß § 59 Abs. 1 AsylG der Antragsteller eines Verlängerungsantrages bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

Dass die BF im Verfahren vor dem Landesgericht XXXX zu XXXX als besonders schutzwürdiges Opfer eingestuft wurde, ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid und ist aus der Einsichtnahme in den aktuellen Strafregisterauszug von XXXX deren rechtskräftige Verurteilung in diesem Verfahren ersichtlich.

Entgegen den Ausführungen im bekämpften Bescheid, wonach weder ein Verfahren zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen noch zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen Handlungen anhängig sei, war eine gegenläufige Feststellung zu treffen. Die BF brachte gemeinsam mit dem Beschwerdeschriftsatz folgende Unterlagen zur Unterstützung ihres Vorbringens zur Anhängigkeit eines diesbezüglichen Zivilverfahrens ein: Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 12.02.2020 zu XXXX und Verlegung der Tagsatzung am 17.04.2020 vom 27.03.2020 zu XXXX. Aus den genannten Schriftstücken ist für das erkennende Gericht klar ersichtlich, dass derzeit ein Zivilverfahren gegen die im Strafverfahren Verurteilte XXXX als Beklagte anhängig ist. Insbesondere ergibt sich aus dem vorliegenden Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX und der Verlegung der Tagsatzung, dass das Verfahren wegen EUR 1.000,- samt Anhang (Schadenersatz/Gewährleistungsanspruch) bereits am 12.02.2020, somit vor Erlassung des nun angefochtenen Bescheides der belangten Behörde, anhängig war und eine Tagsatzung für den 17.04.2020 -wohl aufgrund der Covid-19-Gesetzgebung – auf einen unbestimmten Termin verlegt wurde. Die belangte Behörde stützt sich in der Beweiswürdigung auf ein Schreiben des LPK vom 15.11.2019, wonach das strafrechtliche Verfahren gegen die Menschenhändlerin XXXX abgeschlossen und das Zivilgerichtsverfahren gegen diese von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden sei. Aufgrund dessen es nicht nachvollziehbar erscheint, über welche Kompetenz bzw. Zuständigkeit die Staatsanwaltschaft in einem Zivilgerichtsverfahren verfügen soll und das entsprechende Schriftstück des LPK vom 15.11.2019 nicht im vorgelegten Behördenakt enthalten ist, ist zweifelsfrei der Argumentation der BF zu folgen und die Anhängigkeit eines Zivilverfahrens anzunehmen.

Die BF bringt im Beschwerdeschriftsatz selbst vor, ein weiteres Strafverfahren zur Zahl XXXX sei im Jahr 2019 eingestellt worden und würde dementsprechend eine Verwechslung mit dem anhängigen Zivilverfahren bestehen, sodass explizit die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch die belangte Behörde angeregt wurde. Zur Unterstützung ihres Vorbringens legte die BF die Benachrichtigung des Opfers von der Einstellung des Verfahrens vom 12.06.2019 vor und gründet darauf die Feststellung hinsichtlich des eingestellten Strafverfahrens.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde

3.1.    Rechtslage

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Gemäß § 57 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Abs. 1).

Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt gemäß Abs. 2 leg. cit. vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 2 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein Strafverfahren nicht begonnen wurde oder zivilrechtliche Ansprüche nicht geltend gemacht wurden. Die Behörde hat binnen sechs Wochen über den Antrag zu entscheiden (Abs. 3)

Ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 3 ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO nicht vorliegt oder nicht erlassen hätte werden können (Abs. 4).

Gemäß § 59. Abs. 1 AsylG 2005 sind Anträge auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, beim Bundesamt einzubringen. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmung nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Drittstaatsangehörigen auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur visumfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. beginnt die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag, wenn seither nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitraum zwischen Ablauf des letzten Aufenthaltstitels und Beginn der Gültigkeitsdauer des verlängerten Aufenthaltstitels ist gleichzeitig mit dessen Erteilung von Amts wegen gebührenfrei mit Bescheid festzustellen.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. gelten Anträge, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellt werden, nur dann als Verlängerungsanträge, wenn

1. der Antragsteller gleichzeitig mit dem Antrag glaubhaft macht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, rechtzeitig den Verlängerungsantrag zu stellen, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, und

2. der Antrag binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt wird; § 71 Abs. 5 AVG gilt.

Der Zeitraum zwischen Ablauf der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels und der Stellung des Antrages, der die Voraussetzungen der Z 1 und 2 erfüllt, gilt nach Maßgabe des bisher innegehabten Aufenthaltstitels als rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt.

Gemäß Abs. 4 leg. cit. hat das Bundesamt der örtlich zuständigen Behörde nach dem NAG unverzüglich mitzuteilen, dass

1. die Voraussetzung des § 57 weiterhin vorliegen,

2. der Antragsteller das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat, und

3. die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 4 erfüllt sind.

Liegen die Voraussetzungen der Z 2 oder Z 3 nicht vor, hat das Bundesamt den Aufenthaltstitel gemäß § 57 zu erteilen. Die Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels nach Abs. 1 ist unverzüglich, längstens jedoch binnen 4 Monaten ab Einbringung des Antrages zu treffen.

Gemäß Abs. 5 ist im Falle einer Mitteilung gemäß Abs. 4 der Ablauf der Frist gemäß Abs. 4 letzter Satz gehemmt. Das Bundesamt hat den Antragsteller von der Mitteilung in Kenntnis zu setzen. Mit Ausfolgung des Aufenthaltstitels gemäß § 41a Abs. 3 NAG ist das Verlängerungsverfahren formlos einzustellen.

Gemäß § 60 AsylG dürfen Aufenthaltstitel einem Drittstaatsangehörigen nicht erteilt werden, wenn

1. gegen ihn eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 iVm 53 Abs. 2 oder 3 FPG besteht, oder

2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. dürfen Aufenthaltstitel gemäß § 56 einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird,

2. der Drittstaatsangehörige über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist,

3. der Aufenthalt des Drittstaatsangehörige zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (§ 11 Abs. 5 NAG) führen könnte, und

4. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden.

Gemäß Abs. 3 dürfen Aufenthaltstitel einem Drittstaatsangehörigen nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Der Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen widerstreitet dem öffentlichen Interesse, wenn

1. dieser ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können oder

2. im Falle der §§ 56 und 57 dessen Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

3.2.    Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall

Aus dem zuvor festgestellten Sachverhalt ergibt sich unzweifelhaft, dass derzeit ein Verfahren zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen, insbesondere durch Zeugen oder Opfer von Menschenhandel, anhängig ist. Die BF tritt im Zivilverfahren vor dem Bezirksgericht XXXX zu XXXX als Zweitklägerin gegen die Beklagte XXXX auf, welche im bereits abgeschlossenen Strafverfahren vor dem Landesgericht XXXX zu XXXX wegen des Verbrechens des grenzüberschreitenden Prostitutionshandels zu einer teilbedingen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Die BF wurde in diesem Strafverfahren als besonders schutzwürdiges Opfer eingestuft.

Die BF stellte darüber hinaus den Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ circa einen Monat vor Ablauf der Gültigkeitsdauer ihres Aufenthaltstitels, womit die Antragstellung rechtszeitig erfolgte.

Die belangte Behörde hat es jedoch unterlassen, sich mit dem Vorbringen der BF bezüglich dem offensichtlich anhängigen Zivilverfahren auseinanderzusetzen und auch die explizit beantragte Beschwerdevorentscheidung zu erlassen und erstattete auch keinerlei Begründung dahingehend, weshalb von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung abgesehen wurde.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde sind im gegenständlichen Verfahren somit die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG erfüllt und ist davon auszugehen, dass die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zur weiteren Gewährleistung der Durchsetzung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche erforderlich ist. Der Verlängerungsantrag der Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war somit berechtigt. Anhaltspunkte für das Vorliegen von derartigen Umständen, dass der Aufenthalt der BF in Österreich den öffentlichen Interessen gemäß § 60 Abs. 3 AsylG widerstreiten würde, sind nicht hervorgekommen und von der belangten Behörde nicht behauptet worden.

Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich letztlich, dass im vorliegenden Fall alle Voraussetzungen für die Verlängerung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nach § 57 Abs. 1 Z 2 AsylG erfüllt sind. Der Beschwerde war somit stattzugeben.

Da seit dem, auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag bereits mehr als sechs Monate vergangen sind, war gemäß § 59 Abs. 2 AsylG der Beginn der Gültigkeitsdauer des nunmehr erteilten Aufenthaltstitels mit 08.07.2020 neu festzusetzen.

Die belangte Behörde hat daher in Entsprechung der vorliegenden Entscheidung der BF den Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ erneut zu erteilen. Des Weiteren wird die belangte Behörde gebührenfrei mit Bescheid festzustellen haben, dass der Aufenthalt der BF im Bundesgebiet im Zeitraum zwischen Ablauf des letzten Aufenthaltstitels und Beginn der Gültigkeitsdauer des neuen Aufenthaltstitels rechtmäßig war.


4. Entfall der mündlichen Verhandlung

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 2 Z 1 zweiter Teil VwGVG entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.

Zu B) Zur Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz befristete Aufenthaltsberechtigung Gültigkeitsdauer Menschenhandel Schutzwürdigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I405.2231827.1.00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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