TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/24 G314 2233255-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

24.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1

Spruch

G314 2233255-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde der serbischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .04.2020, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids dahingehend abgeändert, dass dieser zu lauten hat: „Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG wird gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.“

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (BF) wurde am XXXX .03.2019 im Bundesgebiet festgenommen und nach polizeilichen Erhebungen am XXXX .03.2019 entlassen und auf freiem Fuß angezeigt. Am XXXX wurde sie vor dem Landesgericht XXXX zu einer achtmonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach der Hauptverhandlung verließ sie das Bundesgebiet und hält sich seither in Serbien auf. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) leitete nach der Verständigung von der Verurteilung am 24.01.2020 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein und forderte die BF mit Schreiben vom 17.02.2020 auf, sich zu der deshalb geplanten Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu äußern. Sie kam dieser Aufforderung nicht nach.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen die BF gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt II.) und gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Das Einreiseverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung der BF begründet.

Die BF erhob dagegen eine in serbischer Sprache verfasste Beschwerde mit den Anträgen, das Einreiseverbot aufzuheben oder seine Dauer zu reduzieren. Sie begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass der angefochtene Bescheid schon deshalb rechtswidrig sei, weil er ihr nicht in einer Sprache und Schrift, die sie verstehe, zugestellt worden sei, was Art 6 und 13 EMRK widerspreche. Ein fünfjähriges Einreiseverbot sei unverhältnismäßig, zumal sie nur als Mittäterin wegen leichten Diebstahls verurteilt worden sei. Sie habe sich geständig verantwortet, Reue gezeigt und sei zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Sie sei zuvor noch nie straffällig geworden. Durch das Einreiseverbot würde ihre in Art 2 des Protokolls Nr. 4 zur EMRK gewährleistete Freizügigkeit unbegründet eingeschränkt. Am Ende der Beschwerde verweist die BF darauf, dass sie überzeugt sei, dass jegliche Maßnahmen gegen sie unbegründet seien, die auf Grund der §§ 52 und 53 FPG gegen sie erlassen worden seien. Die Beschwerde richtet sich somit offenkundig nicht nur gegen das Einreiseverbot, sondern gegen sämtliche Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids. Abschließend stellt die BF den Antrag, die Entscheidung, welche unter der IFA-Zahl/Verfahrenszahl XXXX eingetragen ist, als unbegründet zurückzuweisen. Da im Kopf der Beschwerde die richtige Zahl ( XXXX ) anführt wurde, liegt insoweit ein unbeachtlicher Schreibfehler vor.

Das BFA legte die Beschwerde (samt Übersetzung in die deutsche Sprache) sowie die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Die BF kam am XXXX in der serbischen Stadt XXXX zur Welt. Sie ist serbische Staatsangehörige und spricht Serbisch (Abschlussbericht AS 35). Sie hat einen Wohnsitz in der serbischen Hauptstadt XXXX (Rückschein AS 105; Beschwerde AS 109).

Die BF reiste am XXXX .03.2019 mit ihrem am XXXX .07.2009 ausgestellten und bis XXXX .07.2019 gültigen, in XXXX ausgestellten serbischen Reisepass in das Bundesgebiet ein, um hier gemeinsam mit anderen serbischen Staatsangehörigen, die mit ihr gemeinsam eingereist waren, Diebstähle zu begehen. Am Nachmittag des XXXX .03.2019 wurde sie im XXXX ( XXXX ) nach einem Ladendiebstahl festgenommen. Nach ihrer Einvernahme und ergänzenden polizeilichen Erhebungen wurde sie am XXXX .03.2019 wieder entlassen (Abschlussbericht AS 17 ff).

Mit dem seit XXXX rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , XXXX , wurde die BF wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls (§§ 127, 130 Abs 1 erster Fall StGB) zu einer für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass sie gemeinsam mit drei Mittätern am XXXX .03.2019 in XXXX in zwei Geschäften diverse Kleidungsstücke im Gesamtwert von EUR 1.277 gewerbsmäßig gestohlen hatte, indem sie die Warensicherungen mit einer Entsicherungskralle entfernt und die Geschäfte dann mit den Waren ohne Bezahlung verlassen hatte. Ausgehend von einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe nach § 130 Abs 1 StGB wurden bei der Strafbemessung ihre teilweise geständige Verantwortung und der bisher ordentliche Lebenswandel mildernd gewertet; besondere Erschwerungsgründe lagen nicht vor (Strafurteil AS 65 ff). Es handelt sich um ihre bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung (Strafregister).

In Österreich hat die BF keine familiären oder sozialen Bindungen. Sie besitzt keinen Aufenthaltstitel, war zu keinem Zeitpunkt meldeamtlich erfasst und ging nie einer der Sozialversicherung gemeldeten Erwerbstätigkeit nach. Sie ist hier weder sprachlich noch beruflich noch gesellschaftlich integriert. Auch in anderen Staaten, für die das Einreiseverbot gilt, bestehen weder familiäre noch sonstige private Bindungen. Der Lebensmittelpunkt der BF befindet sich in Serbien (ZMR-Auszug; Versicherungsdaten; IZR-Auszug).

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen basieren jeweils auf den in den Klammerzitaten angegebenen Beweismitteln, wobei sich die angegebenen Aktenseiten (AS) auf die Nummerierung der Verwaltungsakten beziehen. Die Feststellungen beruhen vorwiegend auf den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdengregister (IZR) sowie Strafregister und Sozialversicherungsdaten.

Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsangehörigkeit der BF ergeben sich aus den Angaben zu ihrer Person im Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX , welche demnach ihrem Reisepass entnommen wurden, sowie den entsprechenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid, denen die Beschwerde nicht entgegentritt. Kenntnisse der serbischen Sprache sind aufgrund ihrer Herkunft nahliegend und ergeben sich auch aus dem Beschwerdevorbringen.

Da der Bescheid der BF an ihrer XXXX Adresse zugestellt werden konnte, die sie auch in der Beschwerde angibt, ist davon auszugehen, dass sie dort einen Wohnsitz hat. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ergibt sich demnach, dass sich ihr Lebensmittelpunkt in Serbien befindet. Private oder familiäre Anknüpfungen in Österreich oder einen anderen Mitgliedstaat, für den das Einreiseverbot gilt, werden in der Beschwerde nicht behauptet und lassen sich auch den Verwaltungsakten nicht entnehmen.

Die Feststellungen zur Einreise der BF in das Bundesgebiet sowie zu ihrer Festnahme und Anhaltung ergeben sich aus dem vorliegenden polizeilichen Abschlussbericht. Da die BF und ihre Mitreisenden demnach schon bei der Einreise die Entsicherungskralle mitführten, die sie sich in Belgrad über das Internet beschafft hatten, ergibt sich zwanglos, dass bereits die Einreise in der Absicht erfolgte, Diebstähle zu begehen.

Die Feststellungen zu den von der BF begangenen Straftaten, zu ihrer Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Urteil des Landesgerichts Eisenstadt und dem Strafregister. Es sind keine Hinweise auf weitere strafgerichtliche Verurteilungen der BF (etwa in Serbien oder anderen Staaten) aktenkundig, zumal ihre Unbescholtenheit als Milderungsgrund berücksichtigt wurde und nach dem polizeilichen Abschlussbericht Anfragen in Serbien ergebnislos blieben (siehe AS 27).

Das Fehlen eines Wohnsitzes und einer Erwerbstätigkeit der BF im Bundesgebiet ergibt sich aus den Abfragen im ZMR und der Sozialversicherungsdaten. Es gibt keine aktenkundigen Anhaltspunkte für eine Integration oder Anbindung der BF in Österreich oder in anderen Mitgliedstaaten, sodass von deren Fehlen auszugehen ist.

Rechtliche Beurteilung:

Zur behaupteten Rechtswidrigkeit des Bescheids wegen Verletzung des Parteiengehörs infolge fehlender Übersetzung:

In Bezug auf das Beschwerdevorbringen, wonach die BF mangels deutscher Sprachkenntnisse nicht in der Lage gewesen sei, aktiv am Verfahren teilzunehmen, den angefochtenen Bescheid inhaltlich zu erfassen und eine wirksame Beschwerde zu erheben, ist auf § 12 Abs 1 BFA-VG hinzuweisen, wonach Entscheidungen des BFA und des BVwG Spruch und Rechtsmittelbelehrung in einer Sprache enthalten müssen, die der Adressat versteht oder bei der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass er sie versteht. Die Übersetzung des darüber hinausgehenden Inhalts der Entscheidung ist nicht vorgesehen. Eine unrichtige Übersetzung begründet lediglich das Recht, unter den Voraussetzungen des § 71 AVG wiedereingesetzt zu werden. Da die BF rechtzeitig eine Beschwerde erhoben hat, wäre demnach sogar eine falsche oder fehlende Übersetzung unschädlich. Ihr wurde auch amtswegig ein kostenloser Rechtsberater gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG zur Seite gestellt, um sie beim Einbringen einer Beschwerde, im Beschwerdeverfahren vor dem BVwG sowie bei der Beiziehung eines Dolmetschers zu unterstützen.

Die verfahrensrechtliche Garantie des Art 6 Abs 3 lit a EMRK, die die BF in diesem Zusammenhang geltend macht („Jeder Angeklagte hat mindestens die folgenden Rechte: … in möglichst kurzer Frist in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden …“), gilt nur für Strafverfahren. Bei der Erlassung eines mit einer Rückkehrentscheidung verbundenen Einreiseverbots handelt es sich aber um keine Strafe, sondern um eine administrativrechtliche Maßnahme. Das Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen die BF unterliegt daher nicht dem Anwendungsbereich des Art 6 EMRK. Auch der EGMR hat wiederholt klargestellt, dass Entscheidungen betreffend den Eintritt, den Aufenthalt und die Ausweisung von Fremden nicht die Entscheidung über eine strafrechtliche Anschuldigung gegen sie iSd Art 6 Abs 1 EMRK betreffen (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0222).

Zu Spruchteil A):

Die BF ist als Staatsangehörige Serbiens Fremde iSd § 2 Abs 4 Z 1 FPG und Drittstaatsangehörige § 2 Abs 4 Z 10 FPG.

Serbische Staatsangehörige, die Inhaber eines biometrischen Reisepasses sind, sind gemäß Art 4 Abs 1 iVm Anhang II der Visumpflichtverordnung (Verordnung [EU] 2018/1806) von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit. Die BF durfte daher unter den Einreisevoraussetzungen des Art 6 Abs 1 lit a, c, d und e Schengener Grenzkodex (Verordnung [EU] 2016/399) in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einreisen und sich dort gemäß Art 20 SDÜ (Schengener Durchführungsübereinkommen; vgl § 2 Abs 4 Z 6 FPG) unter den Voraussetzungen des Art 5 Abs 1 lit a, c, d und e SDÜ frei bewegen.

Die BF reiste zwar mit einem gültigen Reisepass nach Österreich ein und hatte zum Zeitpunkt ihrer Festnahme am XXXX .03.2018 die erlaubte visumfreie Aufenthaltsdauer noch nicht überschritten. Da sie aber in der Absicht einreiste, Diebstähle zu begehen, war ihr Aufenthalt nicht rechtmäßig iSd § 31 Abs 1a FPG, weil sie die Einreisevoraussetzung des Art 5 Abs 1 lit e SDÜ nicht erfüllte und somit die Bedingungen des visumfreien Aufenthalts nicht einhielt. Schon die Absicht der Begehung einer Straftat bei der Einreise reicht aus, um ein gefährdendes Verhalten iSd Art 5 Abs 1 lit e SDÜ anzunehmen, umso mehr die anschließende tatsächliche Begehung der Straftat. Die übrigen Fälle des rechtmäßigen Aufenthalts nach § 31 Abs 1 FPG (Aufenthaltsberechtigung nach dem NAG, Aufenthaltstitel eines anderen Vertragsstaates, asylrechtliches Aufenthaltsrecht, arbeitsrechtliche Bewilligung) kommen nicht in Betracht, weil keiner dieser Tatbestände erfüllt ist.

Die BF hielt sich somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Sie kann sich in diesem Zusammenhang nicht erfolgreich auf Art 2 des 4. Protokolls zur EMRK berufen. Das Recht der Freizügigkeit gemäß Art 2 Abs 2 des 4. Protokolls zur EMRK steht nach Art 2 Abs 3 des 4. Protokolls zur EMRK unter einem Gesetzesvorbehalt, der einen gesetzlich vorgesehenen Eingriff unter anderem zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von Straftaten und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer rechtfertigt (siehe VwGH 25.09.2007, 2005/18/0182). Die hier ausgesprochene Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot, die wegen ihres strafrechtlichen Fehlverhaltens verhängt wurde, dient gerade diesen Zwecken.

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 52 Abs 1 FPG hat das BFA mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn sich eine Drittstaatsangehörige nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (Z 1) oder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde (Z 2).

Da sich die BF nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt und das BFA das Rückkehrentscheidungsverfahren innerhalb der Frist des § 52 Abs 1 Z 2 FPG einleitete, ist gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 2 FPG zu erlassen.

Eine Rückkehrentscheidung, die in das Privat-oder Familienleben eingreift, ist gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele (nationale Sicherheit, öffentliche Ruhe und Ordnung, wirtschaftliches Wohl des Landes, Verteidigung der Ordnung, Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Gesundheit und der Moral sowie der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0198).

Die Rückkehrentscheidung greift weder in das Familienleben der BF noch maßgeblich in ihr Privatleben ein, zumal keine gesellschaftliche, soziale oder sprachliche Integration in Österreich oder in anderen Mitgliedstaaten besteht. Bei der gemäß § 9 BFA-VG iVm Art 8 EMRK vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass sie sich nur kurzfristig zur Begehung von Ladendiebstählen im Bundesgebiet aufhielt, sodass ihr Aufenthalt nicht rechtmäßig war (§ 9 Abs 2 Z 1 BFA-VG), was gemäß § 9 Abs 2 Z 7 BFA-VG als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung zu ihren Lasten in die Interessenabwägung einzubeziehen ist. Die BF hat (gemäß § 9 Abs 2 Z 5 BFA-VG maßgebliche) enge Bindungen zu ihrem Heimatstaat, wo sie niedergelassen ist und einen Wohnsitz hat. Den Behörden zurechenbare überlange Verfahrensverzögerungen iSd § 9 Abs 2 Z 9 BFA-VG liegen nicht vor.

Wegen der fehlenden Verankerung der BF in Österreich und ihres Lebensmittelpunkts in Serbien ist es nicht zu beanstanden, dass das BFA bei Abwägung der gegenläufigen Interessen zu dem Ergebnis kam, dass das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung das persönliche Interesse der BF an einem Verbleib überwiegt, zumal diese Maßnahme zur Verwirklichung der in Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele, namentlich zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung von Straftaten und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, geboten ist. Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu. Durch die Rückkehrentscheidung wird Art 8 EMRK somit nicht verletzt; ein damit allenfalls verbundener Eingriff in das Privat- und Familienleben der BF ist verhältnismäßig, zumal auch aus der Situation in anderen Mitgliedstaaten, für die das Einreiseverbot gilt, kein relevanter Eingriff erkennbar ist.

Da keine Gründe hervorgekommen sind, die die Rückkehrentscheidung unzulässig erscheinen lassen, ist Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids zu bestätigen.

Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:

Gleichzeitig mit einer Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs 9 FPG grundsätzlich festzustellen, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Für diese Feststellung gilt der Maßstab des § 50 FPG (vgl. VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0157).

Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würde oder für die Betreffende als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs 3).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die Abschiebung der BF in ihren Herkunftsstaat zulässig. Es liegen unter Berücksichtigung der Situation in Serbien, das als sicherer Herkunftsstaat gemäß § 19 Abs 5 Z 2 BFA-VG iVm § 1 Z 6 HStV gilt, und der Lebensumstände der BF keine konkreten Gründe vor, die eine Abschiebung dorthin unzulässig machen würden, zumal sie nach der Verurteilung von sich aus zu ihrem dortigen Wohnsitz zurückkehrte. Daher erweist sich auch die Beschwerde gegen den zweiten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheids als unbegründet.

Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids:

Gemäß § 53 FPG kann das BFA mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot, also die Anweisung an die Drittstaatsangehörige, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU (außer Irlands), Islands, Norwegens, der Schweiz und Liechtensteins einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten, erlassen, wenn diese die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Die Dauer des Einreiseverbots ist abhängig vom bisherigen Verhalten. Dabei ist zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art 8 Abs 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Gemäß § 53 Abs 3 FPG kann unter anderem bei einer gerichtlichen Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten ein Einreiseverbot für bis zu zehn Jahre verhängt werden (§ 53 Abs 3 Z 1 zweiter Fall FPG).

Ein Einreiseverbot ist dann mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden, wenn die Gefährdungsprognose eine zukünftige Gefährdung relevanter öffentlicher Interessen ergibt und eine Interessenabwägung nach Art 8 EMRK zu Lasten des oder der betroffenen Drittstaatsangehörigen ausgeht (vgl Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10 ff; vgl. auch VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0062).

Hier hat das BFA zu Recht die Erfüllung des Tatbestands des § 53 Abs 3 Z 1 FPG bejaht. Aufgrund der Verurteilung der BF zu einer achtmonatigen, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe kann ein bis zu zehnjähriges Einreiseverbot gegen sie erlassen werden.

Der Behörde ist auch dahin beizupflichten, dass der Aufenthalt der BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, die ein Einreiseverbot erforderlich macht, zumal sie sich gewerbsmäßiger Eigentumsdelinquenz schuldig machte. Obwohl sie erstmals strafrechtlich in Erscheinung trat und ihr eine bedingte Strafnachsicht gewährt wurde, besteht ob der konkreten Durchführung der Diebstähle (Beschaffung eines speziellen Tatwerkzeugs im Internet, Reise in das Bundesgebiet eigens zur Begehung von Vermögensdelikten, Tatbegehung in Gemeinschaft mit mehreren Mittätern) eine erhebliche Wiederholungsgefahr. Der Beschwerdeargumentation, wonach die BF durch das Einreiseverbot in Serbien isoliert würde, kann dabei nicht gefolgt werden, zumal z.B. Reisen nach Nordmazedonien, Montenegro sowie Bosnien und Herzegowina ebenso möglich bleiben wie internationale Flugreisen ohne Zwischenstopp in einem Mitgliedstaat.

Da das Strafgericht bei der Strafbemessung im unteren Bereich des Strafrahmens blieb und erhebliche Milderungsgründe (Unbescholtenheit, Geständnis) vorlagen, ist die Dauer des Einreiseverbots auf drei Jahre zu reduzieren, zumal die Grenze des § 53 Abs 3 Z 1 zweiter Fall FPG nur um zwei Monate überschritten wurde. Diese Dauer ist – auch in Anbetracht der dreijährigen Probezeit – dem konkreten Unrechtsgehalt der von der BF begangenen Straftat unter Berücksichtigung der Tatumstände und der Strafbemessungsgründe angemessen. Der Beschwerde ist somit in Bezug auf den dritten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheids teilweise stattzugeben und dieser entsprechend abzuändern.

Zum Entfall einer Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte, unterbleibt gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG eine Beschwerdeverhandlung, von der keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist, zumal die BF kein ergänzendes Tatsachenvorbringen erstattete.

Zu Spruchteil B):

Die Revision ist nicht zu zulassen, weil das BVwG im vorliegenden Einzelfall keine qualifizierte Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen hatte und sich an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte. Die bei der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorzunehmende Interessenabwägung und die Erstellung einer Gefährdungsprognose können jeweils nur im Einzelfall beurteilt werden (vgl. VwGH 10.07.2019, Ra 2019/19/0186).

Schlagworte

Einreiseverbot Gefährdungsprognose Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2233255.1.00

Im RIS seit

03.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten