TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/21 W253 2138957-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.04.2020
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Entscheidungsdatum

21.04.2020

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W253 2138957-1/32E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.10.2016, Zl. 1087572610/151349764/BMI-BFA_STM_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.04.2019 zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 14.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Noch am selben Tag fand die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Zusammengefasst gab der Beschwerdeführer an, dass er verheiratet sei und von 2008 bis 2011 die Universität in Kabul besucht und dort ein Wirtschaftsstudium absolviert habe. Zuletzt habe er als "Leiter des Amtes für Öffentlichkeitsarbeit gearbeitet". Sein Vater, seine Mutter, zwei Brüder sowie vier unverheiratete und zwei verheiratete Schwestern würden alle noch in Afghanistan leben. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, dass vor vier Jahren das Haus seiner Familie in Baghlan von den Taliban angezündet worden sei, weswegen die Familie nach Kabul umzog um in der Stadt sicher zu sein. Der Onkel des Beschwerdeführers sei vor einem Jahr in Kabul getötet worden und vor wenigen Wochen hätten die Taliban sie in der Hauptstadt gefunden und seien in ihr Haus eingedrungen. Seine Mutter und seine Schwester seien von den Taliban geschlagen und nach seinem Vater und ihm ausgefragt worden. Bei einer Rückkehr würden die Taliban versuchen den Beschwerdeführer zu töten.

2. Die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) fand am 06.10.2016 statt. Zusammengefasst gab der Beschwerdeführer an, dass er einen afghanischen Reisepass besessen habe, dieser aber verloren gegangen sei. In diesem sei auch ein abgelaufenes Visum für den Iran gewesen. Vier Tanten und zwei Onkel würden mit ihren Familien in Baghlan und teilweise in Kabul leben. Die Familie des Beschwerdeführers und seine Ehefrau würden ebenfalls in Kabul leben. Der Beschwerdeführer habe 12 Jahre lang die Grundschule besucht und nachfolgend vier Jahre die Universität. Er habe seinen Bachelor in Betriebswirtschaft erhalten und sei auch in dieser Branche tätig gewesen. Afghanistan habe er legal inklusive eines Visums für den Iran verlassen.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er von den Taliban bedroht worden sei. Er sei aufgefordert worden, für sie zu arbeiten und sie hätten auch Geld verlangt. Da der Beschwerdeführer beim Staat angestellt gewesen sei, hätten die Taliban Informationen von ihm betreffend die NATO und amerikanische und afghanische Truppen (Militär) haben wollen. Er sei seit seinem letzten Job von den Taliban bedroht worden. Er und seine Mitarbeiter hätten immer in der Nacht in den Hauptstraßen das Gewicht der großen LKW's überprüfen und im Falle einer Überbelastung strafen müssen. Es habe vier Hauptstraßen in Kabul gegeben und er sei vom Staat dafür verantwortlich gemacht worden, diese Straßen vor Schäden durch die LKW's zu schützen. Er und drei andere Leute hätten die Leute, die an den Straßen die Kontrollen durchgeführt hätten, kontrolliert. An jeder Straße seien acht Bedienstete gewesen, die die LKW's kontrolliert hätten. Seine Tätigkeit in diesem Bereich habe er an 22.10.2013 aufgenommen. Er sei drei Monate bevor er nach Österreich gekommen sei das erste Mal konkret durch die Taliban bedroht worden. Er sei vier bis fünf Monate vor seiner Ausreise für die Nachtkontrolle eingesetzt worden, diese Informationen hätten die Taliban durch viele Bekannte in seinem Geburtsort Baghlan erhalten, da seine Familie dort bei den Taliban bekannt gewesen sei, da viele Bekannte aus dem Ort mit den Taliban zusammengearbeitet hätten. Der Grund, wieso seine Familie 2011 nach Kabul gezogen sei, seien die Taliban gewesen. Die Taliban hätten seine Arbeitszeiten gekannt und er sei telefonisch aufgefordert worden, diese zu informieren, wenn ausländische oder militärische Einheiten unterwegs gewesen seien, vor allem Richtung Norden. Er sei alle sieben bis zehn Tage angerufen worden. Er habe seine Telefonnummer nicht gewechselt, da er eine "staatliche" Telefonnummer gehabt habe. Er habe sofort nach dem ersten Telefonat seine Vorgesetzten informiert, ebenso seinen Vater, der General gewesen, jetzt aber arbeitslos sei. Seine Vorgesetzten hätten dem Beschwerdeführer gesagt, dass sie recherchieren und ermitteln würden, das hätten diese auch gemacht, es habe aber nichts gebracht. Die Taliban seien zwei Wochen vor der Ausreise zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen, er sei jedoch bei der Arbeit gewesen und deswegen hätten sie ihn nicht gefunden. Auch sein Vater werde gesucht, da er ca. fünf Jahre vor der Befragung polizeiliche Ermittlungen in Mazar-e Sharif durchgeführt habe, er sei auch von den Taliban bedroht worden, seine Arbeit aufzugeben. Sein Vater habe die Polizeibehörde kontrolliert, genauer gesagt die Verwaltung. Der Vater des Beschwerdeführers habe nach der Bedrohung seine Arbeit aufgegeben und sei nach Kabul gezogen. Den Vorfall zwei Wochen vor seiner Ausreise betreffend gab der Beschwerdeführer an, dass er nachts eine Kontrollschicht bei der Arbeit hatte und die Taliban seien zu ihm nach Hause gekommen und hätten ins Haus gewollt. Die Taliban hätten nach dem Beschwerdeführer gefragt, die Frau des Beschwerdeführers und seine Mutter hätten gesagt, dass der Beschwerdeführer nicht zu Hause sei, woraufhin die Taliban ins Haus eingedrungen seien und gedroht hätten. Sie hätten gesagt, dass der Beschwerdeführer, wenn er keine Informationen weitergeben wolle er seine staatliche Arbeit aufgeben und mit den Taliban zusammenarbeiten solle, sonst würde er getötet werden. Dann hätten die Taliban das Haus wieder verlassen. Die Arbeitszeiten des Beschwerdeführers seien unregelmäßig gewesen, deswegen hätten die Taliban zwar gewusst, dass er nachts arbeite, aber nicht wann genau. Nach dem Vorfall habe der Beschwerdeführer sich bei Freunden in Kabul versteckt. Sein Vater habe ihn nicht mehr unterstützen können und sie hätten nur mehr nach einem Weg gesucht, dass der Beschwerdeführer flüchten könne. Er sei noch einmal zum Verabschieden nach Hause gegangen und hätte dann Afghanistan verlassen. Der Vater des Beschwerdeführers hätte den Vorfall angezeigt, da der Beschwerdeführer dazu nicht mehr in der Lage gewesen sei. Die Polizei habe die Anzeige aufgenommen und habe versprochen Ermittlungen anzustellen. Sein Vater habe seine Tätigkeit aufgegeben und weil dieser schon so alt gewesen sei, habe er keine weiteren Probleme gehabt. Da die Familie bereits ihren Wohnsitz verlassen und nach Kabul gezogen sei, gebe es keine Provinzen, die sicherer für sie gewesen seien, da die Taliban sie überall finden würden. Diese seien "sehr gut" vernetzt. Seine beiden Brüder würden noch in die Schule gehen. Der Beschwerdeführer vermeine, dass, seit er das Land verlassen habe die Probleme der Familie nicht mehr so groß seien. Die Familie werde nicht mehr bedroht, da keiner mehr für den Staat arbeite. Der Beschwerdeführer habe aufgrund der Bedrohung durch die Taliban alles in Afghanistan aufgeben müssen.

Vorgelegt wurde eine Tazkira, ein Personalausweis vom "Ministerium für öffentliche Arbeiten", ein Ausweis vom "Ministerium für Finanz und Verwaltung", ein Bachelorzeugnis sowie eine Abschlussbestätigung der Universität Kabul aus 2011, ein "Notenzeugnis" der Universität Kabul, eine Seminarbestätigung des "Lincoln Learning Center", weitere diverse Kurs- und Seminarbestätigungen, eine Arbeitsbestätigung "für den Straßenbau, Brückenbau, Gleisbau", eine Bestätigung für ein Stipendium in Tunesien, eine Kursbestätigung aus Indien vom Staat Afghanistan finanziert, eine Bestätigung, dass der Beschwerdeführer nach seiner Tätigkeit in der Statistik in den Straßenbau versetzt wurde sowie diverse Bestätigungen und Empfehlungsschreiben aus Österreich.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das BFA aus, dass eine staatliche Verfolgung des Beschwerdeführers in Afghanistan nicht festgestellt werden habe können, ebenso keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder der politischen Gesinnung. Auch eine tatsächliche Bedrohung seitens der Taliban habe nicht festgestellt werden können. Er habe keine "asylrelevanten Gründe" geltend gemacht. Der Beschwerdeführer sei nur nach Österreich gereist um hier ein "besseres Leben" führen zu können. Selbst im Falle einer Verfolgung wäre es für ihn "ein Leichtes" gewesen, sich der Verfolgung durch Verlegung seines Wohnsitzes in einen anderen Landesteil Afghanistans zu entziehen, weshalb auch eine innerstaatliche Fluchtalternative vorläge. Abschließend habe auch festgestellt werden können, dass er Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr wieder in Kabul leben könne, zumal er dort über Anknüpfungspunkte im Sinne seiner Familie, seiner Lebensgefährtin, Onkel und Tanten verfüge. Er könne auch sein Studium wieder aufnehmen und sich, allenfalls, durch Gelegenheitsjobs seinen Lebensunterhalt finanzieren. Die Aussagen des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtvorbringen seien widersprüchlich. Er habe seine Fluchtgeschichte zu "blass", wenig detailreich und zu oberflächlich geschildert.

4. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, dass das BFA es unterlassen habe, auf das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen. Das BFA habe zwar festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Staatsdienst tätig gewesen sei, was er auch durch zahlreiche Beweise belegen habe können, habe aber zugleich das beschriebene Bedrohungsszenario durch die Taliban verneint. Der Beschwerdeführer habe detailliert angegeben, wieso die Taliban aus seiner Tätigkeit einen Nutzen hätten ziehen können. Auch wurden weitere Beweismittel in Vorlage gebracht, so z.B. die Entgegennahme der Anzeige durch die Polizei und eine Bestätigung vom Arbeitsplatz. Der afghanische Staat sei nicht in der Lage den Beschwerdeführer vor Übergriffen durch die Taliban zu schützen.

5. Am 04.11.2016 wurde die gegenständliche Beschwerde - ohne von der Möglichkeit er Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt, wo diese am 07.12.2016 einlangte.

6. Am 15.01.2018 wurde seitens des Beschwerdeführers eine Beschwerdeergänzung eingebracht und es wurden weitere Unterlagen vorgelegt. Darin wurde ausgeführt, dass der Vater des Beschwerdeführers aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist von den Taliban bedroht worden sei. Im Winter 2011 sei ein Brandanschlag auf das Haus der Familie im Distrikt XXXX in der Provinz Baghlan verübt worden, weshalb die Familie nach Kabul geflüchtet sei, wo der Beschwerdeführer Betriebswirtschaft studiert habe. Ca. ein Jahr vor der Flucht des Beschwerdeführers sei dessen Onkel in XXXX von den Taliban ermordet worden. Nach dem Studium habe der Beschwerdeführer eine Beschäftigung im Ministerium für öffentliche Arbeiten aufgenommen, wo er am 22.12.2013 befördert und zum Deputy Director des Unterdepartements Service gemacht worden sei. Dort sei er für die Abteilungen "Transport, Lagerlogistik, Buchhaltung und Facility Management" zuständig gewesen. Eine der ihm unterstellen Abteilungen sei dafür zuständig gewesen, LKW's die die vier Zufahrtsstraßen Kabuls befuhren zu kontrollieren und abzuwiegen. Die Beförderung des Beschwerdeführers in so jungen Jahren sei schnell bekannt geworden, auch in seinem Heimatdorf. Der Beschwerdeführer wurde nachfolgend von den Taliban aufgefordert ihnen Informationen über Militärkonvois zu verraten, die über diese vier Straßen Kabul verließen. Der Beschwerdeführer habe sich geweigert und habe seine Vorgesetzten und seinen Vater darüber informiert, da der Vater des Beschwerdeführers noch über gute Kontakte zur Polizei verfügt habe. Es seien zwar Ermittlungen eingeleitet worden, konkrete Maßnahmen zum Schutz des Beschwerdeführers seien nicht erfolgt und dieser ging weiter seiner Arbeit nach. In den darauffolgenden Wochen sei der Beschwerdeführer wiederholt von den Taliban angerufen und bedroht worden. Zwei Wochen vor der Flucht sei die Wohnung der Familie von den Taliban gestürmt worden. Da sich zu diesem Zeitpunkt weder der Beschwerdeführer selbst noch sein Vater dort aufgehalten hätten, seien die Mutter und die Schwester von den Taliban attackiert worden. Nach einem Anruf der Familie sei der Beschwerdeführer nicht mehr in die Wohnung zurückgekehrt, sondern habe sich zwei Wochen bei einem Freund versteckt. Das BFA habe den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß festgestellt und begründet. Das BFA habe unter anderem die genaue Beschäftigung des Beschwerdeführers nicht festgestellt. Der Beschwerdeführer sei auch aufgrund seiner Position als "höherer staatlicher Angestellter" von großem Interesse für die Taliban, da dieser maßgebliche Informationen weitergeben hätte können. Der Beschwerdeführer und dessen Familie sei auch bereits von den Taliban bedroht worden und diese wüssten über seine persönlichen Daten Bescheid.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.04.2019 eine mündliche Verhandlung durch. Im Rahmen dieser gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er sich aufgrund psychischer Probleme in medizinischer Behandlung befinde und regelmäßig Medikamente einnehmen müsse. Weiters führte er aus, dass er zuletzt Kontrolleur gewesen sei, er sei der Leiter der Kontrolleure gewesen, die die Kontrolltätigkeiten durchgeführt hätten. Er habe unter anderem ein Benzindepot verwaltet und sei zuständig für das Personal gewesen. Zusätzlich habe er an den vier Toren Kabuls an den Checkpoints Kontrollen durchgeführt. Die Kontrollen seien tagsüber von den Mitarbeitern des Beschwerdeführers durchgeführt worden, nachts habe er diese mit Hilfe der Mitarbeiter durchgeführt. Er habe im Präsidium für Öffentlichkeitsarbeit in Kabul gearbeitet. Dieses Präsidium sei dem Ministerium für Öffentlichkeitsarbeit nachgeordnet und die Aufgaben dieses Ministeriums seien unter anderem Straßenbau, sowie die Realisation von Brückenbauprojekten gewesen. Das Präsidium sei in zwei Teile gegliedert gewesen, den technischen Bereich und den Verwaltungsbereich, welchen der Beschwerdeführer geleitet habe. Die Aufgabe des Beschwerdeführers war es, Geld an den vier genannten Standorten einzusammeln und diese im Finanzministerium einzuzahlen. Er habe auch im Bereich des Straßenbaus gearbeitet. Er habe ungefähr 130 Mitarbeiter geführt. Die Kontrollen dieser habe er durchgeführt um die Qualität der Mitarbeiter zu verbessern. Der Beschwerdeführer habe bestimmt, zu welchem Zeitpunkt an welchem Standort Kontrollen durchgeführt würden. Dies sei ca. vier bis fünf Mal an verschiedenen Standorten geschehen. Die vier Standorte seien rund um die Uhr von Mitarbeitern besetzt gewesen, manchmal sei der Beschwerdeführer zwischen 20 und 22 Uhr zu einem bestimmten Standort gefahren und es seien dann verstärkt Kontrollen bis zwei oder vier Uhr früh durchgeführt worden. Es seien die LKWs überprüft und abgewogen worden. Bei Überlast habe eine Strafe bezahlt werden müssen. Genauer zu seinen Fluchtgründe befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er von einer "bestimmten Talibangruppe", die vor allem in seinem Geburtsort aktiv gewesen, bedroht worden sei. Der Vater des Beschwerdeführers sei schon in deren Heimatort von den Taliban bedroht und gezwungen worden seine Arbeit niederzulegen, weil die Taliban der Meinung gewesen seien, dass die Leute die für den Staat arbeiten indirekt auch für die Amerikaner tätig sind. Der Vater habe nicht mit der Arbeit aufgehört, weswegen das Haus der Familie angezündet worden sei und sie nach Kabul geflohen seien. Das sei ungefähr Anfang 2011 gewesen und der Vater habe dann seine Tätigkeit aufgegeben. Nach dem der Beschwerdeführer sein Studium abgeschlossen habe, habe er angefangen zu arbeiten. Die Taliban hätten von seiner Tätigkeit erfahren und hätten ihm mitgeteilt, dass er Steuern oder Zakat bezahlen müsse. Der Beschwerdeführer habe auch zweimal Geld geschickt. Ca. ein oder zwei Monate nachdem er seine Arbeit als Kontrolleur aufgenommen habe, sei er von den Taliban aufgefordert worden, ihnen Bericht zu erstatten, wann Militär oder NATO-Fahrzeuge die Kontrollpunkte passiert hätten. Sie seien vor allem an den Fahrzeugen interessiert gewesen, die aus dem Norden von Kabul gekommen seien. Die Taliban selbst hätten Drogentransporte durchgeführt und hätten auch Sprengstoff in die oder aus der Stadt bringen wollen. Der Beschwerdeführer sei direkt angerufen worden, wobei er den Taliban erklärt habe, dass er nicht mit diesen zusammenarbeiten wolle. Mit der Zeit sei der Ton schärfer geworden und der Beschwerdeführer sei mit dem Tod bedroht worden. Er habe jeden Anruf der Polizei gemeldet. Ca. zwei oder zweieinhalb Monate nach der ersten Kontaktaufnahme seien die Taliban zu ihm nach Hause gekommen, er sei nicht zu Hause gewesen, da er an einem Kontrollpunkt gearbeitet habe. Die Taliban hätten an die Türe geklopft und, als keiner aufgemacht habe, hätten sie die Türe aufgebrochen und seien ins Haus eingedrungen um den Beschwerdeführer zu suchen. Die Schwester und die Mutter seien geschlagen worden, die Mutter habe einen Armbruch erlitten, der Vater sei nicht zu Hause gewesen. Es sei dem Beschwerdeführer durch die Taliban ausgerichtet worden, dass er sich stellen solle, sonst würde er getötet werden. Nachdem die Taliban die Wohnung verlassen hätten, habe ihn sein Bruder angerufen und über den Vorfall informiert. Der Beschwerdeführer sei dann sofort von seinem Arbeitsplatz zu einem Freund gefahren und hätte sich dort versteckt. Nach ca. zwei Wochen habe der Beschwerdeführer schlussendlich aus Afghanistan flüchten können. Die Familie sei geblieben, da die Taliban den Beschwerdeführer zur Mitarbeit hätten zwingen wollen und diesen bedroht hätten. Sie seien nur an ihm interessiert gewesen. Sein Vater sei ca. 65 Jahre alt und habe seine Tätigkeit aufgegeben, deswegen hätten die Taliban nichts von ihm gewollt. Er habe seinen Arbeitgeber über die Anrufe informiert und mit diesem gemeinsam die Polizei verständigt. Sein Chef und der Beschwerdeführer hätten nicht gedacht, dass die Taliban sich trauen würden nach Kabul zu kommen und ihn zu Hause suchen würden. Nach der Flucht des Beschwerdeführers hätten die Taliban begonnen, seinen Vater zu bedrohen und ihn aufgefordert den Beschwerdeführer zu übergeben. Nach einer Zeit hätten sie auch den nächstälteren Bruder bedroht, weswegen die beiden in den Iran geflohen seien. Darauf angesprochen, wieso er vorher angegeben habe, dass sein Vater nicht mehr bedroht worden sei, gab der Beschwerdeführer an, dass die Taliban der Meinung seien, dass sein Vater die Rückkehr des Beschwerdeführers beeinflussen könne, deswegen hätten sie ihn nach der Flucht des Beschwerdeführers kontaktiert. Er habe "vorher vergessen" diese Angaben zu machen. Er habe diese Informationen im Anschluss an seine Fluchtgründe angeben wollen. Das Heimatdorf des Beschwerdeführers XXXX werde von den Taliban kontrolliert. Er kenne selbst zwei Dorfbewohner die Taliban seien, auch ein Cousin väterlicherseits seines Vaters sei bei den Taliban. Der Onkel väterlicherseits des Beschwerdeführers sei von den Taliban getötet worden, da er diesen kein Geld habe geben können. Ob er aus einem anderen Grund getötet worden sei, wisse der Beschwerdeführer nicht. Die im Rahmen der Verhandlung vorgelegten Dokumente wurden im Auftrage des Gerichtes in die deutsche Sprache übersetzt.

8. Mit Schreiben vom 12.03.2020 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt und diesem wurden die übersetzten Dokumente zugesendet.

9. Am 19.03.2020 erging eine Stellungnahme seitens des Beschwerdeführers.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen und ist zum dort angegebenen Zeitpunkt geboren worden. Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Er ist verheiratet und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wuchs in der Provinz Baghlan, im Distrikt XXXX im Familienverband auf. 2011 zog die gesamte Familie nach Kabul. Der Beschwerdeführer besuchte die Schule und studierte nachfolgend Wirtschaft an der Universität Kabul. Er schloss dieses Studium mit dem Bachelorgrad ab und war in der Folge im Staatsdienst, unter anderem als Leiter von Kontrolleuren, die an den vier Hauptstraßen LKWs kontrollierten, tätig.

Der Beschwerdeführer leidet an psychischen Problemen, weswegen er sich in Behandlung befindet und auch einer dauernden Medikation bedarf.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer und seine Familie wurden in Afghanistan aufgrund seiner Tätigkeit für den afghanischen Staat bedroht worden. Die Taliban wollten seine exponierte staatliche Position ausnützen, in dem sie von ihm Informationen, die ihm nur im Rahmen seiner Tätigkeit im Staatsdienst bekannt geworden sind, verlangten. Da der Beschwerdeführer sich weigerte diese Informationen herauszugeben, wurden er und seine Familie von den Taliban bedroht.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität bzw. aufgrund einer bestehenden Lebensgefahr verlassen.

1.2.2. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret Lebensgefahr und/oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban.

1.3. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit dem 14.09.2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 14.09.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse zumindest auf Niveau B2. Der Beschwerdeführer besuchte Integrationskurse.

Der Beschwerdeführer arbeitet in einem Pflegewohnheim in Graz und besucht die dortige Universität. Weiters arbeitet der Beschwerdeführer ehrenamtlich beim Verein Carla und auch beim Roten Kreuz

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),

- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)

1.4.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.4.2. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).

1.4.3. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.4.4. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.4.5. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer "feindlicher" Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer "Verurteilung" durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich "feindseligen" Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz:

Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB, Kapitel 2).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB, Kapitel 2).

1.4.6. Provinzen und Städte

1.4.6.1. Herkunftsprovinz Baghlan

Baghlan:

Baghlan liegt im Nordosten Afghanistans. Eine knappe Mehrheit der Einwohner von Baghlan sind Tadschiken, gefolgt von Paschtunen und Hazara als zweit- bzw. drittgrößte ethnische Gruppen. Außerdem leben ethnische Usbeken und Tataren in Baghlan. Die Provinz hat 995.814 Einwohner (LIB, Kapitel 3.4).

Baghlan gehört zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans. Aufständische der Taliban sind in gewissen unruhigen Distrikten aktiv, in denen sie oftmals terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitsinstitutionen durchführen. Im Jahr 2018 gab es 261 zivile Opfer (68 Tote und 193 Verletzte) in Baghlan. Dies entspricht einer Steigerung von 17% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDs) und gezielten Tötungen (LIB Kapitel 3.4).

In der Provinz Baghlan kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

1.4.6.2. Kabul:

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 3.1 und Kapitel 3.35).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.1).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 3.1).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 21).

1.4.7. Situation für Rückkehrer/innen

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt und durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem BFA, in der Beschwerde, den eingelangten Stellungnahmen und in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie aus den vorgelegten Unterlagen (div. Arbeitsausweise aus Afghanistan, einer Tazkira, Universitätszeugnissen, ...).

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seiner Schul- und universitären Ausbildung und seiner beruflichen Tätigkeit gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben sowie die dazu vorgelegten Dokumente. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung sowie aus den dazu vorgelegten ärztlicherseits erstellten Dokumenten.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner exponierten staatlichen Tätigkeit einer Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt ist bzw. war ergibt sich aus dessen Angaben im Rahmen des Verfahrens sowie auch aus den vorgelegten Dokumenten (u.a. Dienstausweise des Ministeriums, Arbeitsbestätigungen durch die afghanische Regierung, ...). In Verbindung mit den Länderberichten, aus denen sich ergibt, dass eine Bedrohung durch die Taliban aufgrund einer staatlichen Tätigkeit durchaus vorkommt (vor allem im Falle des Beschwerdeführers, der durch sein Aufgabengebiet - die Kontrolle von aus Kabul heraus und nach Kabul hineinfahrenden LKWs - durchaus wichtige Informationen an die Taliban weitergeben hätte können) ist eine maßgebliche Verfolgung des Beschwerdeführers nicht durch die Taliban nicht auszuschließen.

2.3. Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich stützen sich auf die Aktenlage, auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe der Beschwerde und Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten

3.1.

3.1.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) lautet auszugsweise:

"Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn

1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder

2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

..."

3.1.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sogenannte "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503 und 98/01/0648).

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist demnach ausgeschlossen, wenn für den Drittstaatsangehörigen in einem erreichbaren Teil seines Herkunftslandes Schutz vor einer ihm in einem lokal begrenzten Gebiet seines Heimatlandes drohenden asylrelevanten Gefährdung gewährleistet werden kann und ihm der Aufenthalt in diesem Landesteil zumutbar ist (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht (2016) § 11 AsylG K3).

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 14.03.1995, 94/20/0798; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529, 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt.

3.1.3. Der Beschwerdeführer war in Afghanistan einer Bedrohung bzw. Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt. Die vom Beschwerdeführer geschilderten Vorfälle könnten sich durchaus wie berichtet zugetragen haben, weswegen dem Beschwerdeführer aus diesem Grund auch eine Bedrohung durch die Taliban in Afghanistan droht. Es liegt beim Beschwerdeführer eine Verfolgungsgefahr aus einem Konventionsgrund vor. Da es bereits zu Bedrohungen und Verfolgung des Beschwerdeführers gekommen ist, kann aufgrund der exponierten beruflichen Position des Beschwerdeführers, eine ihn im gesamten afghanischen Staatsgebiet treffende Verfolgung nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden.

3.1.4. Im vorliegenden Fall liegt die asylrelevante Verfolgung in Anknüpfung an die tatsächliche oder dem Beschwerdeführer unterstellte politische Gesinnung vor (vgl. VwGH 10.10.2014, Zl. Ra 2014/18/0103 bis 0106, wonach von der nicht asylrelevanten Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei jene Verfolgung zu unterscheiden ist, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird).

3.1.5. Im Ergebnis droht dem Beschwerdeführer aus den von ihm ins Treffen geführten Gründen - vor allem aufgrund seiner exponierten Tätigkeit für den Staat Afghanistan - im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung.

3.1.6. Der Beschwerde war somit stattzugeben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative mündliche Verhandlung politische Gesinnung unterstellte politische Gesinnung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W253.2138957.1.00

Im RIS seit

23.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

23.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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