TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/16 W116 2218536-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.06.2020
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Entscheidungsdatum

16.06.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W116 2218536-1/5E
W116 2218534-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Mario DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerden 1.) des XXXX , geb. XXXX , und 2.) der XXXX , geb. XXXX , beide StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.04.2019, Zlen. 1.) 1214144400-181168265 und 2.) 1214144607-181168273, zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und 1.) dem XXXX und 2.) der XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass 1.) dem XXXX und 2.) der XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

1.1.    Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin reisten illegal nach Österreich ein und stellten am 05.12.2018 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz. Im Zuge der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gaben sie gleichlautend an, Staatsangehörige Syriens, Kurden und muslimischen Glaubens zu sein. Sie hätten im März 2018 Afrin mit einem Taxi verlassen und seien zu Fuß über die syrische/türkische Grenze aus Syrien ausgereist. Anschließend seien sie schlepperunterstützt mit einem Bus nach Istanbul gefahren, von dort seien sie über Griechenland mit dem Flugzeug nach Italien gereist und seien weiter mit dem Bus durch Österreich bis zur deutschen Grenze gelangt, wo ihnen deutsche Beamte am 04.12.2018 die illegale Einreise verweigert hätten. Die Beschwerdeführer hätten nach Deutschland einreisen wollen, da ihre Tochter und ihre zwei Söhne in Deutschland leben würden. Ihre Asylanträge seien in Deutschland jedoch nicht angenommen und sie nach Österreich zurückgeschickt worden. Zu ihren Fluchtgründen gaben die Beschwerdeführer an, dass sie ihre Heimat wegen des Krieges verlassen hätten.

1.2.    Am 20.12.2018 wurden die Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache niederschriftlich einvernommen. Dabei gaben sie an, dass ihre Muttersprache Kurdisch sei und sie außerdem Arabisch sprechen würden. Ihre Identitätsdokumente habe sich der Erstbeschwerdeführer von der Türkei zu seinem Sohn nach Deutschland schicken lassen. Sein Sohn habe die Dokumente an ihn weitergeschickt, jedoch seien diese noch nicht eingelangt. Der Erstbeschwerdeführer wurde daher aufgefordert, die Originaldokumente nach Erhalt vorzulegen. In der Folge gaben beide Beschwerdeführer an, in Afrin, Syrien, geboren zu sein. Dort habe der Erstbeschwerdeführer neun Jahre die Grundschule besucht und drei Jahre das Gymnasium, welches er mit Matura abgeschlossen habe. Er sei Grundschullehrer gewesen und habe von 1982 bis 2015 in Afrin in drei verschiedenen Schulen gearbeitet, wobei er in jeder Schule ca. zehn Jahre beschäftigt gewesen sei. Im Oktober 1987 habe er in Afrin geheiratet. Die Zweitbeschwerdeführerin erzählte, dass sie drei Jahre in die Schule gegangen sei und immer Hausfrau gewesen sei. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin hätten drei Kinder, die alle in Afrin geboren seien und dort die Schule besucht hätten. Derzeit würden sich ihre Tochter in Aachen und ihre zwei Söhne in Köln befinden. Die Tochter lebe seit sieben Jahren und die Söhne würden seit sechs bzw. vier Jahren in Deutschland leben. Diese seien direkt von Syrien nach Deutschland ausgereist, wobei sie nicht gemeinsam geflüchtet seien. Sowohl die Eltern des Erstbeschwerdeführers als auch jene der Zweitbeschwerdeführerin seien verstorben. Ferner gab der Erstbeschwerdeführer an, eine Schwester in Deutschland sowie in Afrin zwei weitere Brüder und zwei Schwestern zu haben, mit welchen er nicht viel Kontakt habe. Die Zweitbeschwerdeführerin habe noch drei Brüder und eine Schwester, die in Syrien leben würden, und eine Schwester, die sich in der Türkei aufhalte. Zu diesen habe sie ab und zu Kontakt.

Zu ihrer Fluchtroute gaben sie im Wesentlichen an, dass sie am 17.03.2018 Afrin verlassen hätten und sich zwei Wochen in Zelten 40 km von Afrin entfernt aufgehalten hätten. Dann hätten sie für ein Monat ein Zimmer gemietet und anschließend vier Monate bei Verwandten in Aleppo gewohnt. Von Aleppo seien sie mit einem Schlepper zur türkischen Grenze gereist und acht Stunden lang zu Fuß in die Türkei gegangen. In der Türkei hätten sie sich zwei Monate bei Verwandten der Zweitbeschwerdeführerin in Istanbul aufgehalten. Von dort seien sie nach Athen gereist, wo sie etwas mehr als ein Monat geblieben seien. Ein Schlepper habe ihnen Dokumente und Tickets für Deutschland besorgt, aber sie seien in Mailand gelandet. Der Erstbeschwerdeführer habe einen belgischen und die Zweitbeschwerdeführerin einen griechischen Personalausweis gehabt, welche sie in Mailand weggeworfen hätten. Der Erstbeschwerdeführer habe sodann Tickets für den Flixbus nach München gekauft. Sie hätten weder in Italien noch in Griechenland einen Asylantrag gestellt.

1.3.    Am 05.03.2019 wurden die Beschwerdeführer abermals von einem Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Zu Beginn der Einvernahme legte der Erstbeschwerdeführer zu seinem Gesundheitszustand einen Krankenversicherungsbeleg und einige medizinische Befunde vor, aus welchen hervorgeht, dass er an gutartigem Lagerungsschwindel leidet. Die Erstbeschwerdeführerin gab zu ihrem Gesundheitszustand an, dass sie Schmerzen am rechten Arm, am rechten Bein und an der linken Gesichtshälfte habe. Außerdem erwähnte sie Herzbeschwerden und Beschwerden am linken Auge und dass sie an hohem Blutdruck leide. In diesem Zusammenhang legte sie lediglich einen Krankenversicherungsbeleg vor.

Weiters legte der Erstbeschwerdeführer Kopien der Karten betreffend die Aufenthaltstitel seiner Kinder, seinen Meldezettel und eine Bestätigung über einen freiwilligen Deutschkurs vor. Die Beschwerdeführer wiederholten ihre Angaben zu ihrer Person, ihren familiären Verhältnissen, ihrem schulischen und beruflichen Werdegang sowie zu ihrer Fluchtroute. Der Erstbeschwerdeführer gab zusätzlich an, dass er seit 2015 in Pension sei. Er habe zwei Häuser in Afrin gehabt, wovon eines zerstört worden und das andere von Milizen, die in Afrin einmarschiert seien, eingenommen worden sei. Zudem habe er ein Feld mit Olivenbäumen von seinem Vater geerbt, das ihm auch weggenommen worden sei. Derzeit habe er in Syrien nichts mehr. Von seinen Verwandten lebe in Syrien außer seinem Bruder niemand mehr, da die restlichen Familienangehörigen ebenfalls geflohen seien.

Zu seinen Fluchtgründen gab der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen an, dass Afrin am 20.01.2018 angegriffen worden sei und dort ein richtiger Krieg mit Luftangriffen und Schießereien gewesen sei. Sie hätten sich Tage und Nächte versteckt, um vor Bomben und Schießereien in Sicherheit zu sein. Die türkische Seite und andere Milizen seien einmarschiert und hätten jeden getötet. Trotz der Angriffe und Angstzustände seien sie zu Hause geblieben und hätten gehofft, dass alles besser werde. Als Afrin eingenommen worden sei, seien sie bzw. insgesamt 350 Leute geflohen. An einem Tag habe es 72 Luftangriffe gegeben und er habe solche Angst um ihr Leben gehabt, dass sie beschlossen hätten, wegzugehen. Sie hätten Afrin verlassen, bevor es vollkommen eingenommen worden sei. Nach dem Angriff auf Afrin seien sie noch ca. 50 Tage dort geblieben, dann seien sie geflohen. Außerdem gebe es in Syrien immer noch Krieg. Er sei allgemein vom Krieg bedroht gewesen, weil überall bombardiert und geschossen worden sei, wobei ihm persönlich jedoch nichts zugestoßen sei. Es habe keine Verfolgungshandlungen gegeben, die direkt gegen ihn gerichtet gewesen seien. Im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat befürchte er aber, dass er getötet werde. Wenn kein Krieg herrschen würde, würde er zurückkehren wollen. Außerdem würden Angriffe seitens der Türken auf Kurden stattfinden. Zudem sei es ihm nicht möglich gewesen, an einem anderen Ort in Syrien zu ziehen, weil die syrische Behörde seine Söhne zum Militär schicken habe wollen. Ergänzend gab der Erstbeschwerdeführer an, dass sich alle Milizen in Afrin beteiligt hätten, darunter al-Nusra, der IS und die Türken.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte zu ihren Fluchtgründen zusammenfassend vor, dass sie wegen des Krieges geflohen seien. Ihre Häuser seien bombardiert und zerstört worden. Die Milizen seien Mörder und würden alle erschießen. Sie hätten aus Angst, dass sie auch getötet werden würden, fliehen müssen. Sie sei persönlich nicht bedroht worden, weil sie als Frau und aus Angst vor den Bomben bzw. dem Krieg nicht hinausgegangen sei. Im Falle einer Rückkehr in ihre Heimat befürchte sie, dass sie getötet werde.

Zu ihrem Leben in Österreich teilten der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin mit, dass sie gemeinsam in einer Flüchtlingsunterkunft leben würden. Sie hätten keine weiteren Familienangehörigen in Österreich und würden von der Grundversorgung leben. Der Erstbeschwerdeführer habe zweimal wöchentlich einen nicht offiziellen Deutschkurs besucht. Im Übrigen hätten die Beschwerdeführer jedoch keine Deutschkurse oder sonstige Ausbildungen absolviert.

2.       Die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl:

2.1.    Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.04.2019, zugestellt durch Hinterlegung am 08.04.2019, wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde den Beschwerdeführern der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 01.04.2020 erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität der beiden Beschwerdeführer fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass keine Gefährdung, die sich einzig gegen die Beschwerdeführer bzw. ihren Familienverband richte, vorliege. Es könne alleine aufgrund der Aussagen des Erstbeschwerdeführers während der Erstbefragung, wonach er im Herkunftsstaat nichts zu befürchten habe und lieber in Syrien zurückkehren möchte als in ein anderes EU-Land abgeschoben zu werden, in keiner Weise eine Gefährdung seiner Sicherheit erkannt werden. Ferner sei eine Rekrutierung auszuschließen, da der 60-jährige Erstbeschwerdeführer nicht mehr im wehrpflichtigen Alter sei. Auch eine Gefährdung, welche einzig auf personenbezogene Merkmale abziele, wie etwa die Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführer, sei den gegenständlichen Verfahrenszusammenhängen nicht zu entnehmen. Die Beschwerdeführer hätten auch nicht politische Tätigkeiten im Heimatland oder exilpolitische Tätigkeiten im Ausland vorgebracht, welche die Unterstellung einer oppositionellen politischen Haltung gegenüber dem syrischen Regime erwarten lassen würden und die Beschwerdeführer ins Visier der syrischen Geheimdienste bzw. Behörden bringen würden. Die belangte Behörde kam zu dem Schluss, dass den Beschwerdeführern aufgrund ihrer illegalen Ausreise keine politische Gegnerschaft oder feindliche Gesinnung seitens des Regimes unterstellt werde. Zudem hätten die Beschwerdeführer nach eigenen Angaben nie persönlich Probleme mit den Behörden ihres Herkunftsstaates gehabt. Sie hätten im Juli 2017 problemlos ihre syrischen Reisepässe ausgestellt, womit klar ersichtlich sei, dass den Beschwerdeführern seitens der staatlichen Behörden keine Gefahr drohe.

Die belangte Behörde führte zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates weiters aus, dass es glaubhaft sei, dass die Beschwerdeführer Syrien aufgrund der allgemeinen Bürgerkriegssituation verlassen hätten. Ebenso seien die Schilderungen der Beschwerdeführer bezüglich der allgemeinen Sicherheitslage in Syrien zum Ausreisezeitpunkt oder der allgemeinen Bedrohungssituation durch Kampfhandlungen des türkischen Militärs und anderer Milizen als glaubhaft zu bewerten. Folglich sei den Beschwerdeführern aufgrund der aktuellen allgemeinen instabilen Sicherheits- und Wirtschaftslage in Syrien eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen gewesen.

2.2.    Mit Verfahrensanordnungen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 03.04.2019 wurde den Beschwerdeführern die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

2.3.    Gegen die Spruchpunkte I. der oben genannten Bescheide brachten die Beschwerdeführer über ihre gesetzliche Vertretung am 02.05.2019 rechtzeitig eine Beschwerde beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein. Darin wird im Wesentlichen inhaltliche Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend gemacht. Nach Wiedergabe des Sachverhalts wurde in der Beschwerdebegründung ausgeführt, dass das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren mangelhaft sei. Die belangte Behörde hätte die Beschwerdeführer näher zu ihrer Situation als Familienangehörige von Kriegsdienstverweigerern in Syrien und als Angehörige der Volksgruppe der Kurden befragen müssen. Außerdem seien Schlussfolgerungen zur Lage in Syrien aus unrichtig ausgewerteten Länderfeststelllungen gezogen worden. In weiterer Folge wurden die von UNHCR verfassten Risikoprofile in Syrien aufgelistet. Im Zusammenhang mit der Militärdienstverweigerung und Flucht der Söhne wurde auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Frankfurt a.M. verwiesen, in dem ausdrücklich festgestellt worden sei, dass einem Vater, dessen Söhne sich dem Militärdienst entzogen hätten oder desertiert seien, in Syrien die Gefahr der Reflexverfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie drohe. Außerdem habe die belangte Behörde verabsäumt, ihrer Entscheidung detaillierte Länderberichte zur Lage der Kurden in Syrien zugrunde zu legen.
Des Weiteren habe die belangte Behörde bei ihrer Beurteilung nicht berücksichtigt, dass der Erstbeschwerdeführer in Syrien bis zu seiner Pensionierung als Lehrer und somit im Staatsdienst tätig gewesen sei. Nach dem Zitat einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und dem Verweis auf das zuvor zitierte deutsche Urteil wurde festgehalten, dass die belangte Behörde diese Judikate, die die Folgen einer nicht genehmigten Ausreise behandeln würden, in ihre Entscheidungsfindung miteinfließen hätte lassen müssen. Weiters hätte sie zur Frage, ob die strengen Ausreisevoraussetzungen auch für Beamte im Ruhestand weiterhin Geltung hätten, einschlägige Länderberichte einholen müssen. Im Übrigen führe auch die Antragstellung der Beschwerdeführer in Österreich dazu, dass ihnen seitens der syrischen Regierung eine regimefeindliche Gesinnung unterstellt werde und deshalb ebenfalls Verfolgung drohe.
Zur Situation der Frauen in Syrien wurden Auszüge aus einem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (W108 2007046-1, vom 30.04.2015) zitiert. Darauf folgen Auszüge aus einem Bericht des Syrian Network for Human Rights, worin ausgeführt sei, dass es in Syrien zu gewaltsamen Verschwindenlassen von Frauen in Regierungsgefängnissen und zur Entlassung von Regierungsangestellten aus willkürlichen Gründen komme sowie, dass kurdische Streitkräfte Frauen zwecks Zwangsrekrutierung entführt hätten, dass die Regierung und einige bewaffnete Oppositionsgruppen Frauen als menschliche Schutzschilde verwenden würden und dass extremistische, islamistische Gruppen auf öffentlichen Plätzen Frauen erniedrigt, gesteinigt, gepeitscht und geschlagen hätten.
Schließlich hätte die belangte Behörde bei einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren und einer sorgfältigen Beweiswürdigung zum Schluss kommen müssen, dass den Beschwerdeführern aus den angeführten Gründen eindeutig asylrelevante Verfolgung in Syrien drohe. Sie hätte erkennen müssen, dass die Beschwerdeführer vom syrischen Regime unter anderem aufgrund ihrer (unterstellten) politischen Gesinnnung sowie aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „Familie“ und „Frauen“ in Zusammenschau mit ihrer besonderen Vulnerabilität als Kurden persönlich verfolgt werden würden. Die Beschwerdeführer stellten daher unter anderem Anträge auf Asylgewährung.

3.       Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:

3.1.    Die gegenständliche Beschwerde wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl samt den Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht am 08.05.2019 zur Entscheidung vorgelegt.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

Auf Grundlage der Anträge auf internationalen Schutz, der Einvernahmen der beiden Beschwerdeführer durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der (gemeinsamen) Beschwerde gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die Verwaltungsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1.    Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige Syriens und Angehörige der Volksgruppe der Kurden. Sie bekennen sich zum sunnitischen Islam.

Sie verließen Afrin am 17.03.2018 und reisten über Aleppo schlepperunterstützt zu Fuß in die Türkei ein, wo sie sich zwei Monate bei Verwandten der Zweitbeschwerdeführerin in Istanbul aufhielten. Anschließend reisten sie nach Athen und blieben dort mehr als ein Monat. Mit dem Flugzeug gelangten sie nach Mailand und in der Folge mit dem Bus über Österreich bis zur deutschen Grenze. Da den Beschwerdeführern die illegale Einreise in Deutschland verwehrt wurde, stellten sie in Österreich am 05.12.2018 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführer stammen aus Afrin. Sie haben ihre Heimat zum oben angegebenen Zeitpunkt in erster Linie aufgrund der Bürgerkriegssituation bzw. der daraus resultierenden unsicheren Lage verlassen und aus diesem Grund auch bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl subsidiären Schutz erhalten.

Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und haben zwei volljährige Söhne und eine volljährige Tochter, die bereits seit Jahren in Deutschland leben. Der Erstbeschwerdeführer besuchte zwölf Jahre lang die Schule und schloss diese mit Matura ab. Er arbeitete als Grundschullehrer in Afrin und ist derzeit Pensionist. Die Zweitbeschwerdeführerin ging drei Jahre lang in die Schule und war bisher Hausfrau. Der Erstbeschwerdeführer hat in Syrien noch einen Bruder und die Zweitbeschwerdeführerin drei Brüder und eine Schwester. Zu diesen in Syrien lebenden Familienangehörigen stehen die Beschwerdeführer in Kontakt.

Festgestellt wird, dass die Heimatgegend der Beschwerdeführer bis Anfang 2018 unter kurdischer Kontrolle stand und im März 2018 von Einheiten der türkischen Armee und der mit ihnen verbündeten Freien Syrischen Armee eingenommen wurde.

Die Söhne der Beschwerdeführer XXXX , geboren am XXXX , und XXXX , geboren am XXXX , befinden sich aktuell im wehrpflichtigen Alter und haben dennoch ihre Heimat verlassen. Sie haben sich dadurch einer möglichen Einziehung zum Militärdienst bei der syrischen Armee entzogen.

Festgestellt wird, dass den Beschwerdeführern in Syrien bei einer Rückkehr die reale Gefahr droht, dass sie als Eltern von zwei Wehrdienstverweigerern von der syrischen Regierung verfolgt werden.

Festgestellt wird weiters, dass in Syrien ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 bis 42 Jahren besteht. Aufgrund von Schwierigkeiten bei der Aushebung neuer Rekruten werden zunehmend auch Reservisten (neuerlich) zum Militärdienst eingezogen und es kommt zurzeit sogar zur Aufhebung von Militärdienstaufschüben. Schließlich kommt es bei der Vollziehung des Wehrgesetzes zu einem bestimmten Maß an Willkür. Da der 61-jährige Erstbeschwerdeführer nicht mehr im wehrfähigen Alter ist, droht ihm in Syrien aber keine reale Gefahr, als Reservist zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden und er wäre demnach im Zusammenhang mit der Einziehung, der Ableistung und der Verweigerung des Militärdienstes keiner Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Den Beschwerdeführern droht bei einer Rückkehr nach Syrien die reale Gefahr, dass ihnen alleine aufgrund ihrer Herkunft aus einer von bewaffneten oppositionellen Gruppierungen besetzten Region von der syrischen Regierung eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und als Oppositionelle verfolgt, festgenommen, gefoltert oder gar hingerichtet werden und wären daher der Gefahr erheblicher Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt.

Davon abgesehen stellt seine Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe einen weiteren Risikofaktor für eine Verfolgung in Syrien dar. Viele Angehörige ihrer Volksgruppe haben sich an Demonstrationen gegen das Assad-Regime innerhalb und außerhalb ihrer Heimat beteiligt. Es ist daher nicht völlig auszuschließen, dass es seitens der syrischen Behörden auch aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit der Beschwerdeführer zur Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung kommen kann. Darüber hinaus ist auch seine Zugehörigkeit zum sunnitischen Islam durchaus geeignet, die Beschwerdeführer zum Ziel von Verfolgungen zu machen. Der bewaffnete Konflikt wird nämlich zunehmend konfessionell und sunnitische Zivilisten sind aktuell das Hauptziel der Regimetruppen und von Pro-Regime-Milizen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Bürgerkriegssituation in Syrien ist darüber hinaus auch nicht damit zu rechnen, dass der syrische Staat – sollte von ihm selbst keine Verfolgungshandlung ausgehen – seine Bürger vor Bedrohungen und Übergriffen seitens bewaffneter Milizen oder sonstiger Gruppierungen ausreichend schützen kann. Die Beschwerdeführer wären allfälligen Bedrohungs- oder Verfolgungshandlungen von den anderen Kriegsparteien somit schutzlos ausgeliefert.

Eine hinsichtlich des Reiseweges zumutbare und legale Rückkehr nach Syrien ist nur über den Flughafen in Damaskus möglich, der sich in der Hand der Regierung befindet. Für nach Syrien zurückkehrende, abgelehnte Asylwerber besteht im Allgemeinen bei der Ankunft – wie bei Männern im wehrfähigen Alter, bei denen überprüft wird, ob diese ihren Militärdienst bereits abgeleistet haben – die reale Gefahr, aufgrund einer angenommenen politischen Gesinnung inhaftiert zu werden, und in der Folge schweren Misshandlungen ausgesetzt zu sein. Die Sicherheitsorgane haben am Flughafen freie Hand, und es gibt keine Schutzmechanismen, wenn Personen verdächtigt und deswegen misshandelt werden. Es kann passieren, dass die Personen sofort inhaftiert und dabei Opfer von Verschwindenlassen oder Folter werden. Daher werden die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Syrien allen voran als Eltern von Wehrdienstverweigerern Gefahr laufen, vom Regime verhaftet zu werden, um Druck auf ihre zwei Söhne auszuüben.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2.    Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

„Folter, Haftbedingungen und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen, wobei das Strafgesetzbuch eine Strafe von maximal drei Jahren Gefängnis für Täter vorsieht. Nichtsdestotrotz wenden die Sicherheitskräfte in Tausenden Fällen solche Praktiken an (USDOS 13.3.2019). Willkürliche Festnahmen, Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sind in Syrien weit verbreitet (HRW 18.1.2018; vgl. AI 22.2.2018, USDOS 13.3.2019, AA 13.11.2018). Sie richten sich von Seiten der Regierung insbesondere gegen Oppositionelle oder Menschen, die vom Regime als oppositionell wahrgenommen werden (AA 13.11.2018).

NGOs berichten glaubhaft, dass die syrische Regierung und mit ihr verbündete Milizen physische Misshandlung, Bestrafung und Folter an oppositionellen Kämpfern und Zivilisten begehen (USDOS 13.3.2019; vgl. TWP 23.12.2018). Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Frauen, Männern und Minderjährigen sind weit verbreitet. Die Regierung soll hierbei auch auf Personen abzielen, denen Verbindungen zur Opposition vorgeworfen werden (USDOS 13.3.2019). Es sind zahllose Fälle dokumentiert, bei denen Familienmitglieder wegen der als regierungsfeindlich wahrgenommenen Tätigkeit von Verwandten inhaftiert und gefoltert wurden, auch wenn die als regierungsfeindlich wahrgenommenen Personen ins Ausland geflüchtet waren (AA 13.11.2018; vgl. AI 22.2.2018).

Systematische Folter und die Bedingungen in den Haftanstalten führen häufig zum Tod der Insassen. Die Gefängnisse sind stark überfüllt, es mangelt an Nahrung, Trinkwasser, Hygiene und Zugang zu sanitären Einrichtungen und medizinischer Versorgung. Diese Bedingungen waren so durchgängig, dass die UN Commission of Inquiry zu dem Schluss kam, diese seien Regierungspolitik. Laut Berichten von NGOs gibt es zahlreiche informelle Hafteinrichtungen in umgebauten Militärbasen, Schulen, Stadien und anderen unbekannten Lokalitäten. So sollen inhaftierte Demonstranten in leerstehenden Fabriken und Lagerhäusern ohne angemessene sanitäre Einrichtungen festgehalten werden. Die Regierung hält weiterhin Tausende Personen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt („incommunicado“) an unbekannten Orten fest (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018, SHRC 24.1.2019). Von Familien von Häftlingen wird Geld verlangt, dafür dass die Gefangenen Nahrung erhalten und nicht mehr gefoltert werden, was dann jedoch nicht eingehalten wird. Große Summen werden gezahlt, um die Freilassung von Gefangenen zu erwirken (MOFANL 7.2019).

In jedem Dorf und jeder Stadt gibt es Haft- bzw. Verhörzentren für die ersten Befragungen und Untersuchungen nach einer Verhaftung. Diese werden von den Sicherheits- und Nachrichtendiensten oder auch regierungstreuen Milizen kontrolliert. Meist werden Festgenommene in ein größeres Untersuchungszentrum in der Provinz oder nach Damaskus und schließlich in ein Militär- oder ziviles Gefängnis gebracht. Im Zuge dieses Prozesses kommt es zu Folter und Todesfällen. Selten wird ein Häftling freigelassen. Unschuldige bleiben oft in Haft, um Geldsummen für ihre Freilassung zu erpressen oder um sie im Zuge eines „Freilassungsabkommens“ auszutauschen (SHRC 24.1.2019).

Seit Sommer 2018 werden von den Regierungsbehörden Sterberegister veröffentlicht, wodurch erstmals offiziell der Tod von 7.953 Menschen in Regierungsgewahrsam bestätigt wurde, wenn auch unter Angabe wenig glaubwürdiger amtlich festgestellter natürlicher Todesursachen (Herzinfarkt, etc.). Berichte von ehemaligen Insassen sowie Menschenrechtsorganisationen benennen als häufigste Todesursachen Folter, Krankheit als Folge mangelnder Ernährung und Hygiene in den Einrichtungen und außergerichtliche Tötung (AA 13.11.2018; vgl. SHRC 24.1.2019). Die syrische Regierung übergibt die Überreste der Verstorbenen nicht an die Familien (HRW 17.1.2019).

Mit Stand Dezember 2018 ist der Verbleib von 100.000 syrischen Gefangenen noch immer unbekannt. Laut Menschenrechtsgruppen und den Vereinten Nationen sind wahrscheinlich Tausende, wenn nicht Zehntausende davon umgekommen (TWP 23.12.2018).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind jedoch keine Neuerung der Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).

Auch die Rebellengruppierungen werden außergerichtlicher Tötungen und der Folter von Inhaftierten beschuldigt (FH 1.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Opfer sind vor allem (vermutete) regierungstreue Personen und Mitglieder von Milizen oder rivalisierenden bewaffneten Gruppen. Zu den Bedingungen in den Hafteinrichtungen der verschiedenen regierungsfeindlichen Gruppen ist wenig bekannt, NGOs berichten von willkürlichen Verhaftungen, Folter und unmenschlicher Behandlung. Der IS bestrafte häufig Opfer in der Öffentlichkeit und zwang Bewohner, darunter auch Kinder, Hinrichtungen und Amputationen mitanzusehen. Es gibt Berichte zu Steinigungen und Misshandlungen von Frauen. Dem sogenannten Islamischen Staat (IS) werden systematische Misshandlungen von Gefangenen der Freien Syrischen Armee (FSA) und der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) vorgeworfen. Berichtet werden auch Folter und Tötungen von Gefangenen durch den IS (USDOS 13.3.2019).

Quellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges- amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/2018 - The State of the Wolrd’s Human Rights - Syria, https://www.ecoi.net/en/document/1425112.html. Zugriff 12.12.2018

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Syria. https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/syria. Zugriff 12.12.2018

- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Syria. https://www.ecoi.net/en/ document/1422595.html. Zugriff 12.12.2018

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): Annual report on the human rights situation in 2018 - Syrian Arab Republic. https://www.ecoi.net/en/document/2002172.htm l. Zugriff 29.1.2019

- MOFANL - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands - Department for Country of Origin Information Reports (7.2019): Country of Origin Information Report Syria - The security situation. per E-Mail am 27.8.2019

- SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018. http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf. Zugriff 31.1.2019

- TWP - The Washington Post (23.12.2018): Syria’s once teeming prison cells being emptied by mass murder. https://www.washingtonpost.com/graphics/2018/world/svria-bodies/?noredirect=on&utm term=.6a8815bb3721. Zugriff 14.2.2019

- USDOS - United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Syria. https://www.ecoi.net/en/document/2004226.htm I . Zugriff 19.3.2019

Die syrischen Streitkräfte - Wehr- und Reservedienst

Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 3.4.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten tun dies jedoch nur auf informellem Weg, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden (BFA 8.2017).

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018).

Aktuell ist ein „Herausfiltern“ von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als vom allgemeinen Gesetz. Dem Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen (ÖB 7.2019).

Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen (SHRC 24.1.2019). Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren (TIMEP 6.12.2018).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).

Quellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges- amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.12.2018

- CIA - Central Intelligence Agency (3.4.2019): The World Factbook: Syria - Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html. Zugriff 6.4.2019

- FIS - Finnish Immigration Service (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact- finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf. Zugriff 1.2.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Bericht_2019_07.pdf. Zugriff 19.8.2019

- PAR - Webseite des Parlaments der Arabischen Republik Syrien (15.11.2017): /35/ ^ij jjjläJII2007/ ^l*J /30/ (vijj^l^JI pl*JI http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201 &nid=18681&RID=-1&Last=10262&First=0&CurrentPage=0&Vld=-1&Mode=&Service=- 1 &Loc1 =&Key1 =&SDate=&EDate=&Year=&Country=&Num=&Dep=-1 &, Zugriff 7.12.2017

- SANA - Syrian Arab News Agency (8.11.2017): jj— JA jl*ii jjjli ßj. ^*^Jl ÄJJ Ä^AUJI  SJJJJ ÄJJAJI ^UJl    J—^Jl   ^JJ      J^IJ    iuJjNi  i.       ojl’xill http://www.sana.sy/?p=656572, Zugriff 15.1.2019

- SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf. Zugriff 31.1.2019

- SLJ - Syrian Law Journal [Twitter] (10.11.2017): Kurznachricht vom 10.11.2017 08:37, https://twitter.com/syrian_law/status/929025146429624320. Zugriff 15.1.2019

- TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty.

https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf. Zugriff 19.2.2019

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges verlor die syrische Armee viele Männer aufgrund von Wehrdienstverweigerung, Desertion, Überlaufen und zahlreichen Todesfällen (TIMEP 6.12.2018).

Wehrdienstverweigerer werden laut Gesetz in Friedenszeiten mit ein bis sechs Monaten Haft bestraft, die Wehrpflicht besteht dabei weiterhin fort. In Kriegszeiten wird Wehrdienstverweigerung laut Gesetz, je nach den Umständen, mit Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren bestraft (AA 13.11.2018). Bezüglich der Konsequenzen einer Wehrdienstverweigerung gehen die Meinungen der Quellen auseinander. Während manche die Ergreifung eines Wehrdienstverweigerers mit Foltergarantie und Todesurteil gleichsetzen, sagen andere, dass Betroffene sofort eingezogen würden. Die Konsequenzen hängen offenbar vom Einzelfall ab (Landinfo 3.1.2018).

Berichten zufolge betrachtet die Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens und mangelnder Bereitschaft, das Vaterland gegen „terroristische“ Bedrohungen zu schützen (BFA 8.2017).

Zwischen der letzten Hälfte des Jahres 2011 bis zum Beginn des Jahres 2013 desertierten zehntausende Soldaten und Offiziere, flohen oder schlossen sich bewaffneten aufständischen Einheiten an. Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2013 sind jedoch nur wenige Fälle von Desertion bekannt (Landinfo 3.1.2018).

Desertion wird gemäß dem Militärstrafgesetz von 1950 in Friedenszeiten mit ein bis fünf Jahren Haft bestraft und kann in Kriegszeiten bis zu doppelt so lange Haftstrafen nach sich ziehen. Deserteure, die zusätzlich außer Landes geflohen sind (sogenannte „externe Desertion“), unterliegen Artikel 101 des Militärstrafgesetzbuchs, der eine Strafe von fünf bis zehn Jahren Haft in Friedenszeiten und 15 Jahre Haft in Kriegszeiten vorschreibt. Desertion im Angesicht des Feindes ist mit lebenslanger Haftstrafe zu bestrafen. In schwerwiegenden Fällen wird die Todesstrafe verhängt (BFA 8.2017).

Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet haben oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018).

Seit Ausbruch des Syrienkonflikts werden syrische Armeeangehörige erschossen, gefoltert, geschlagen und inhaftiert, wenn sie Befehle nicht befolgen (AA 13.11.2018).

In Gebieten, welche durch sogenannte Versöhnungsabkommen wieder unter die Kontrolle der syrischen Regierung gebracht wurden, werden häufig Vereinbarungen bezüglich des Wehrdienstes getroffen. Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt, sondern stattdessen bei der Polizei eingesetzt werden (BFA 8.2017). Berichten zufolge wurden solche Zusagen von der Regierung aber bisweilen auch gebrochen (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch in den „versöhnten Gebieten" sind Männer im entsprechenden Alter also mit der Wehrpflicht oder mit der Rekrutierung durch regimetreue bewaffnete Gruppen konfrontiert. In manchen dieser Gebiete drohte die Regierung auch, dass die Bevölkerung keinen Zugang zu humanitärer Hilfe erhält, wenn diese nicht die Regierungseinheiten unterstützt (FIS 14.12.2018).

Quellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598 1542722823 auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-November-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf. Zugriff 13.12.2018

- FIS - Finnish Immigration Service (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact- finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 1.2.2019

- Landinfo (3.1.2018): Syria:  Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf, Zugriff 20.2.2019

- TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf, Zugriff 19.2.2019

Rückkehr

Im Juli 2018 zählte die syrische Bevölkerung geschätzte 19,5 Millionen Menschen (CIA 3.4.2019).

Die Zahl der Binnenvertriebenen belief sich im September 2018 auf insgesamt 6,2 Millionen Menschen (UNHCR 30.9.2018). 2018 sind insgesamt etwa 1,2 bis 1,4 Millionen IDPs in Syrien zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Mit März 2019 waren 5.681.093 Personen in den Nachbarländern Syriens und Nordafrika als syrische Flüchtlinge registriert (UNHCR 11.3.2019). 2018 sind laut UNHCR insgesamt etwa 56.000 Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Weder IDPs noch Flüchtlinge sind notwendigerweise in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt (UNHCR 18.3.2019).

Wenn eine Person in ihre Heimat zurückkehren möchte, können viele unterschiedliche Faktoren die Rückkehrmöglichkeiten beeinflussen. Ethno-religiöse, wirtschaftliche und politische Aspekte spielen ebenso eine Rolle, wie Fragen des Wiederaufbaus und die Haltung der Regierung gegenüber Gemeinden, die der Opposition zugeneigt sind (FIS 14.12.2018). Über die Zustände, in welche die Flüchtlinge zurückkehren und die Mechanismen des Rückkehrprozesses ist wenig bekannt. Da Präsident Assad die Kontrolle über große Gebiete wiedererlangt, sind immer weniger Informationen verfügbar und es herrschen weiterhin Zugangsbeschränkungen und Beschränkungen bei der Datenerhebung für UNHCR (EIP 6.2019). Die Behandlung von Einreisenden ist stark vom Einzelfall abhängig, und über den genauen Kenntnisstand der syrischen Behörden gibt es keine gesicherten Kenntnisse (ÖB 7.2019).

Das Fehlen von vorhersehbarer und nachhaltiger physischer Sicherheit in Syrien ist der Hauptfaktor, der die Rückkehrvorhaben von Flüchtlingen negativ beeinflusst. Weiters werden das Fehlen einer adäquaten Unterkunft oder Wohnung oder fehlende Möglichkeiten den Lebensunterhalt zu sichern als wesentliche Hindernisse für die Rückkehr genannt. Als wichtiger Grund für eine Rückkehr wird der Wunsch nach Familienzusammenführung genannt (UNHCR 7.2018). Rückkehrüberlegungen von syrischen Männern werden auch von ihrem Wehrdienststatus beeinflusst (DIS/DRC 2.2019).

Bereits im Jahr 2017 haben die libanesischen Behörden trotz des Konfliktes und begründeter Furcht vor Verfolgung vermehrt die Rückkehr syrischer Flüchtlinge gefordert. Eine kleine Anzahl von Flüchtlingen ist im Rahmen lokaler Abkommen nach Syrien zurückgekehrt. Diese Rückkehrbewegungen werden nicht von UNHCR überwacht. Einige Flüchtlinge kehren aufgrund der harschen Politik der Regierung ihnen gegenüber und sich verschlechternden Bedingungen im Libanon nach Syrien zurück, und nicht weil sie der Meinung sind, dass Syrien sicher sei. Gemeinden im Libanon haben Tausende von Flüchtlingen in Massenausweisungen/Massenvertreibungen ohne Rechtsgrundlage oder ordnungsgemäßes Verfahren vertrieben. Zehntausende sind weiterhin der Gefahr einer Vertreibung ausgesetzt (HRW 17.1.2019). Viele syrische Flüchtlinge kehren aufgrund der schlechten Bedingungen im Libanon und Jordanien nach Syrien zurück, und weil sie außerhalb Syriens keine Zukunft für sich sehen (IT 19.8.2018). UNHCR hat nur vereinzelt und für kurze Zeit Zugang zu Personen, die aus dem Libanon nach Syrien zurückkehren, und kann auch keine ungestörten Interviews mit ihnen führen (AA 13.11.2018).

Flüchtlinge, die aus dem Libanon nach Syrien zurückkehren möchten, müssen dies bei den lokalen Sicherheitsbehörden melden und diese leiten den Antrag an die syrischen Behörden weiter (IT 19.8.2018; vgl. Reuters 25.9.2018). Die syrischen Behörden überprüfen die Antragsteller. Anträge auf Rückkehr können von der Regierung auch abgelehnt werden. Der Anteil der Personen, denen die Rückkehr nicht gestattet wird, wird von den verschiedenen Quellen mit 5% (SD 16.1.2019), 10% (Reuters 25.9.2018), bis hin zu 30% (ABC 6.10.2018) angegeben. In vielen Fällen wird auch Binnenvertriebenen die Rückkehr in ihre Heimatgebiete nicht erlaubt (USDOS 13.3.2019).

Gründe für eine Ablehnung können (wahrgenommene) politische Aktivitäten gegen die Regierung bzw. Verbindungen zur Opposition oder die Nicht-Ableistung der Wehrpflicht sein (Reuters 25.9.2018; vgl. ABC 6.10.2018, SD 16.1.2019). Personen, die von der syrischen Regierung gesucht werden, und darum die Genehmigung zur Rückkehr nicht erhalten, sind aufgefordert ihren Status zu „regularisieren“, bevor sie zurückkehren können (Reuters 25.9.2018; vgl. SD 16.1.2019). In Jordanien gibt es für diese Regularisierung jedoch bisher keine Abläufe. Im Januar 2019 fanden erstmals organisierte Rückkehrbewegungen einer geringen Anzahl von syrischen Flüchtlingen aus Jordanien am syrisch-jordanischen Jaber-Nassib-Grenzübergang statt. Organisiert wurde die Rückkehr von einem zivilen Komitee, ohne Beteiligung der jordanischen Behörden und auch hier wurden die Namen der Antragsteller den syrischen Behörden zur Rückkehrgenehmigung übermittelt (SD 16.1.2019).

Der Sicherheitssektor kontrolliert den Rückkehrprozess in Syrien. Die Sicherheitsdienste institutionalisieren ein System der Selbstbeschuldigung und Informationsweitergabe über Dritte, um große Datenbanken mit Informationen über reale und wahrgenommene Bedrohungen aus der syrischen Bevölkerung aufzubauen. Um intern oder aus dem Ausland zurückzukehren, müssen Geflüchtete umfangreiche Formulare ausfüllen (EIP 6.2019).

Gesetz Nr. 18 von 2014 sieht eine Strafverfolgung für illegale Ausreise in der Form von Bußgeldern oder Haftstrafen vor. Entsprechend einem Rundschreiben wurde die Bestrafung für illegale Ausreise jedoch aufgehoben und Grenzbeamte sind angehalten Personen, die illegal ausgereist sind, „bei der Einreise gut zu behandeln“. Einem syrischen General zufolge müssen Personen, die aus dem Ausland zurückkehren möchten, in der entsprechenden syrischen Auslandsvertretung „Versöhnung“ beantragen und unter anderem angeben wie und warum sie das Land verlassen haben und Angaben über Tätigkeiten in der Zeit des Auslandsaufenthaltes etc. machen. Diese Informationen werden an das syrische Außenministerium weitergeleitet, wo eine Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wird. Syrer, die über die Landgrenzen einreisen, müssen dem General zufolge dort ein „Versöhnungsformular“ ausfüllen (DIS 6.2019).

Syrer benötigen in unterschiedlichen Lebensbereichen eine Sicherheitsfreigabe von den Behörden, so z.B. auch für die Eröffnung eines Geschäftes, eine Eheschließung und Organisation einer Hochzeitsfeier, um den Wohnsitz zu wechseln, für Wiederaufbautätigkeiten oder auch um eine Immobilie zu kaufen (FIS 14.12.2018; vgl. EIP 6.2019). Die Sicherheitsfreigabe kann auch Informationen enthalten, z.B. wo eine Person seit dem Verlassen des konkreten Gebietes aufhältig war. Der Genehmigungsprozess könnte sich einfacher gestalten für eine Person, die in Damaskus aufhältig war, wohingegen der Aufenthalt einer Person in Orten wie Deir ez-Zour zusätzliche Überprüfungen nach sich ziehen kann. Eine Person wird für die Sicherheitserklärung nach Familienmitgliedern, die von der Regierung gesucht werden, befragt, wobei nicht nur Mitglieder der Kern- sondern auch der Großfamilie eine Rolle spielen (FIS 14.12.2018).

Für Personen aus bestimmten Gebieten Syriens erlaubt die Regierung die Wohnsitzänderung aktuell nicht. Wenn es darum geht, wer in seinen Heimatort zurückkehren kann, können einem Experten zufolge ethnisch-konfessionelle aber auch praktische Motive eine Rolle spielen. Genannt werden zum Beispiel Sayyida Zeinab - eine schiitisch dominierte Gegend, in welcher der Sayyida Zeinab Schrein gelegen ist - oder die christliche Stadt Ma‘lula in Damaskus-Umland, in die Muslime nicht zurückkehren können (FIS 14.12.2018). Ehemalige Bewohner von Homs müssen auch vier Jahre nach der Wiedereroberung durch die Regierung noch immer eine Sicherheitsüberprüfung bestehen, um in ihre Wohngebiete zurückkehren und ihre Häuser wieder aufbauen zu können (TE 28.6.2018). Syrer, die nach Syrien zurückkehren, können sich nicht an jedem Ort, der unter Regierungskontrolle steht, niederlassen. Die Begründung eines Wohnsitzes ist nur mit Bewilligung der Behörden möglich (ÖB 21.8.2019). Das syrische Innenministerium kündigte Anfang 2019 an, keine Sicherheitserklärung mehr als Voraussetzung für die Registrierung eines Mietvertrages bei Gemeinden zu verlangen (SLJ 29.1.2019; vgl. ÖB 10.5.2019), sondern Mieten werden dort registriert und die Daten an die Sicherheitsbehörden weitergeleitet (ÖB 10.5.2019), sodass die Sicherheitsbehörden nur im Nachhinein Einspruch erheben können. Abgesehen von Damaskus wurde dies bisher nicht umgesetzt (ÖB 21.8.2019). Außerhalb von Damaskus muss die Genehmigung nach wie vor eingeholt werden. Auch hinsichtlich Damaskus wurde berichtet, dass Syrer aus anderen Gebieten nicht erlaubt wurde, sich in Damaskus niederzulassen (ÖB 7.2019).

Eine Reihe von Vierteln in Damaskus bleiben teilweise oder vollständig geschlossen, selbst für Zivilisten, die die Wohnviertel nur kurz aufsuchen wollen, um nach ihren ehemaligen Häusern zu sehen (SD 19.11.2018).

Es ist schwierig Informationen über die Lage von Rückkehrern in Syrien zu erhalten. Regierungsfreundliche Medien berichten über die Freude der Rückkehrer, oppositionelle Medien berichten über Inhaftierungen und willkürliche Tötungen von Rückkehrern. Zudem wollen viele Flüchtlinge aus Angst vor Repressionen der Regierung nicht mehr mit Journalisten (TN 10.12.2018) oder sogar mit Verwandten sprechen, nachdem sie nach Syrien zurückgekehrt sind (Syria Direct 16.1.2019; vgl. TN 10.12.2018). Zur Situation von rückkehrenden Flüchtlingen aus Europa gibt es wohl auch aufgrund deren geringen Zahl keine Angaben (ÖB 7.2019).

Die syrische Regierung führt Listen mit Namen von Personen, die als in irgendeiner Form regierungsfeindlich angesehen werden. Die Aufnahme in diese Listen kann aus sehr unterschiedlichen Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zum Beispiel kann die Behandlung einer Person an einer Kontrollstelle wie einem Checkpoint von unterschiedlichen Faktoren abhängen, darunter die Willkür des Checkpoint-Personals oder praktische Probleme, wie die Namensgleichheit mit einer von der Regierung gesuchten Person. Personen, die als regierungsfeindlich angesehen werden, können unterschiedliche Konsequenzen von Regierungsseite, wie Festnahme und im Zuge dessen auch Folter, riskieren. Zu als oppositionell oder regierungsfeindlich angesehenen Personen gehören einigen Quellen zufolge unter anderem medizinisches Personal, insbesondere wenn die Person diese Tätigkeit in einem von der Regierung belagerten oppositionellen Gebiet ausgeführt hat, Aktivisten und Journalisten, die sich mit ihrer Arbeit gegen die Regierung engagieren und diese offen kritisieren, oder Informationen oder Fotos von Geschehnissen in Syrien wie Angriffe der Regierung verbreitet haben sowie allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben. Einer Quelle zufolge kann es sein, dass die Regierung eine Person, deren Vergehen als nicht so schwerwiegend gesehen wird, nicht sofort, sondern erst nach einer gewissen Zeit festnimmt (FIS 14.12.2018).

Ein weiterer Faktor, der die Behandlung an einem Checkpoint beeinflussen kann, ist das Herkunftsgebiet oder der Wohnort einer Person. In einem Ort, der von der Opposition kontrolliert wird oder wurde, zu wohnen oder von dort zu stammen kann den Verdacht des Kontrollpersonals wecken (FIS 14.12.2018).

Es wird regelmäßig von Verhaftungen von und Anklagen gegen Rückkehrer gemäß der Anti-Terror-Gesetzgebung berichtet, wenn diesen Regimegegnerschaft unterstellt wird. Diese Berichte erscheinen laut Deutschem Auswärtigen Amt glaubwürdig, können im Einzelfall aber nicht verifiziert werden (AA 13.11.2018).

Es muss davon ausgegangen werden, dass syrische Sicherheitsdienste in der Lage sind, exilpolitische Tätigkeiten auszuspähen und darüber zu berichten (AA 13.11.2018; vgl. ÖB 7.2019). Es gibt Berichte, dass syrische Sicherheitsdienste mit Drohungen gegenüber noch in Syrien lebenden Familienmitgliedern Druck auf in Deutschland lebende Verwandte ausüben (AA 13.11.2018). Die syrische Regierung hat Interesse an politischen Aktivitäten von Syrern im Ausland. Eine Gefährdung eines Rückkehrers im Falle von exilpolitischer Aktivität hängt jedoch von den Aktivitäten selbst, dem Profil der Person und von zahlreichen anderen Faktoren, wie dem familiären Hintergrund und den Ressourcen ab, die der Regierung zur Verfügung stehen (BFA 8.2017). Der Sicherheitssektor nützt den Rückkehr- und Versöhnungsprozess, um, wie in der Vergangenheit, lokale Informanten zur Informationsgewinnung und Kontrolle der Bevölkerung zu institutionalisieren. Die Regierung weitet ihre Informationssammlung über alle Personen, die nach Syrien zurückkehren oder die dort verblieben sind, aus. Historisch wurden Informationen dieser Art benutzt, um Personen, die aus jedwedem Grund als Bedrohung für die Regierung gesehen werden, zu erpressen oder zu verhaften (EIP 6.2019).

Es gibt Berichte über Menschenrechtsverletzungen gegenüber Personen, die nach Syrien zurückgekehrt waren (IT 17.3.2018). Hunderte syrische Flüchtlinge wurden nach ihrer Rückkehr verhaftet und verhört - inklusive Geflüchteten, die aus dem Ausland nach Syrien zurückkehrten, IDPs aus Gebieten, die von der Opposition kontrolliert wurden, und Personen, die in durch die Regierung wiedereroberten Gebieten ein Versöhnungsabkommen mit der Regierung geschlossen haben. Sie wurden gezwungen Aussagen über Familienmitglieder zu machen und in manchen Fällen wurden sie gefoltert (TWP 2.6.2019; vgl. EIP 6.2019).

Daten der Vereinten Nationen weisen darauf hin, dass 14% von mehr als 17.000 befragten IDP- und Flüchtlingshaushalten, die im Jahr 2018 zurückgekehrt sind, während ihrer Rückkehr angehalten oder verhaftet wurden, 4% davon für über 24 Stunden. In der Gruppe der (ins Ausland) Geflüchteten wurden 19% verhaftet. Diese Zahlen beziehen sich spezifisch auf den Heimweg und nicht auf die Zeit nach der Rückkehr (EIP 6.2019).

Syrische Flüchtlinge benötigen für die Heimreise üblicherweise die Zustimmung der Regierung und die Bereitschaft vollständige Angaben über ihr Verhältnis zur Opposition zu machen. In vielen Fällen hält die Regierung die im Rahmen der „Versöhnungsabkommen“ vereinbarten Garantien nicht ein, und Rückkehrer sind Belästigungen oder Erpressungen durch die Sicherheitsbehörden oder auch Inhaftierung und Folter ausgesetzt, mit dem Ziel Informationen über die Aktivitäten der Flüchtlinge im Ausland zu erhalten (TWP 2.6.2019).

Laut UNHCR ist unter den in Syrien herrschenden Bedingungen eine freiwillige Rückkehr in Sicherheit und Würde derzeit nicht möglich und UNHCR fördert oder unterstützt die Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien weiterhin nicht (UNHCR 18.3.2019).

Quellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-svrien-stand-november-2018-13-11-2018. pdf, Zugriff 10.12.2018

- ABC - ABC News - Australian Broadcasting Cooperation (6.10.2018): Syrians return home after years as unwelcome refugees, but there’s little cause for celebration, https://www.abc.net.au/news/2018-10-06/syria-refugees-returning-home-from-lebanon/ 10319154, Zugriff 5.3.2019

- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf. Zugriff 13.12.2018

- CIA - Central Intelligence Agency (3.4.2019): The World Factbook: Syria - Military and Security, https://www.cia.gov/librarv/publications/the-world-factbook/geos/sv.html. Zugriff 6.4.2019

- DIS - Danish Immigration Service (6.2019): Consequences of illegal exit, consequences of leaving civil a servant position wi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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