Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 2. September 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen Ferenc K***** wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 29. Mai 2020, GZ 36 Hv 13/20y-40, nach Anhörung der Generalprokuratur gemäß § 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019 den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ferenc K***** mehrerer Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (I./A./-C./) und des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (II./A./-E./) schuldig erkannt.
Danach hat er in Wien
I./ durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben unter Verwendung einer Waffe nachgenannten Gewahrsamsträgern fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und zwar
A./ am 15. Jänner 2020 der Mitarbeiterin der Trafik „U*****“ Manuela V***** dadurch, dass er mit einem mitgeführten Schlagstock heftig auf das Verkaufspult schlug und sinngemäß äußerte, das sei ein Überfall, sie solle die Kasse öffnen, 700 Euro Bargeld;
B./ am 27. Jänner 2020 der Mitarbeiterin des Lebensmittelgeschäfts G***** Angelika W***** dadurch, dass er dieser ein Messer vorhielt und sinngemäß äußerte „Gib mir Kassa“, rund 1.500 Euro Bargeld;
C./ am 26. Februar 2020 der Mitarbeiterin der Trafik „R*****“ Silvia O***** dadurch, dass er dieser ein Messer vorhielt und sinngemäß äußerte, das sei kein Schmäh, das sei ein Überfall, rund 755 Euro Bargeld;
II./ nachgenannten Gewahrsamsträgern fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er die Genannten um die Übergabe von Waren ersuchte, diese an sich nahm und damit ohne zu bezahlen aus den Geschäftslokalen flüchtete, und zwar
A./ am 21. Dezember der Mitarbeiterin der Trafik „W*****“ Elisabeth Wo***** eine Stange Zigaretten im Wert von 50 Euro;
B./ am 31. Dezember 2019 der Mitarbeiterin der Trafik „P*****“ Karin B***** zwei Stangen Zigaretten im Gesamtwert von 100 Euro;
C./ am 8. Jänner 2020 der Inhaberin der Trafik „T*****“ Angela T***** zwei Stangen Zigaretten sowie ein Feuerzeug im Gesamtwert von 101,20 Euro;
D./ am 25. Jänner 2020 der Mitarbeiterin der Trafik „O*****“ Anna-Maria K***** zwei Stangen Zigaretten im Gesamtwert von 100 Euro;
E./ am 20. Februar 2020 der Mitarbeiterin der Trafik „U*****“ Manuela V***** zwei Stangen Zigaretten im Gesamtwert von 100 Euro.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 1, 5, 5a, 9 lit b und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.
Die Besetzungsrüge (Z 1) moniert, das Erstgericht hätte vor Beginn der Hauptverhandlung feststellen müssen, „wer als Ersatzlaienrichter feststeht“. Dem ungerügt gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung zufolge hatten an dieser – am 13. Mai 2020 (ON 34 S 1, 3) und am 29. Mai 2020 (ON 39 S 1) – aber ohnehin bloß die beiden an der Urteilsfällung beteiligten Schöffen (US 2) teilgenommen. Die allfällige Vorsorge für den Fall der Verhinderung von Schöffen durch die Ladung von Ersatzlaienrichtern ist der Entscheidung des Vorsitzenden anheim gestellt (§ 221 Abs 4 StPO); deren Unterbleiben bewirkt keinen Besetzungsmangel im Sinn des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes. Dass im vorliegenden Fall bei der Auswahl der Laienrichter in unvertretbarer Weise von der Reihenfolge der Dienstliste abgewichen worden wäre (vgl RIS-Justiz RS0121700), behauptet nicht einmal die Beschwerde. Unabhängig von der Frage allfälliger Rechtzeitigkeit der Rüge geht der Einwand einer „nicht gehörigen“ Gerichtsbesetzung somit von vornherein ins Leere.
Die Tatrichter haben die zuletzt leugnende Verantwortung des Angeklagten zu I./ und dessen Erklärung für sein im Ermittlungsverfahren abgelegtes Geständnis erörtert (US 8, 10), im Hinblick auf weitere konkret dargestellte Beweisergebnisse und Umstände allerdings nicht als überzeugend erachtet (US 8–10). Eine – wie behauptet – unvollständige Begründung (Z 5 zweiter Fall) haftet dem Urteil demnach nicht an (RIS-Justiz RS0118316).
Zu I./A./-C./ wurde der objektive Tathergang unter Verwendung einer Waffe auf die den Angeklagten – ua eines gleichen modus operandi durch Nötigung mit einer Waffe (US 10) – belastenden Aussagen der Zeuginnen V*****, W***** und O*****, auf Bilder aus Überwachungskameras sowie auf die ursprünglich geständige Verantwortung des Angeklagten gestützt (US 8 ff), sodass auch der Vorwurf einer offenbar unzureichenden Begründung der qualifizierenden Umstände (Z 5 vierter Fall) nicht berechtigt ist (RIS-Justiz RS0099413).
Mit dem Hinweis auf Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung und auf das Fehlen von Bildern zu I./A./ sowie mit eigenständigen Beweiswerterwägungen zur Überzeugungskraft der Identifizierung des Angeklagten durch die bereits genannten Zeuginnen gelingt es der Beschwerde nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu I./ zu erwecken (Z 5a).
Die weitere Rüge („Z 9 lit b iVm Z 10“) kritisiert unter Hinweis auf die Feststellungen zur „prekären finanziellen Lage“ des Angeklagten, zum drohenden Verlust der mit der Lebensgefährtin bewohnten Wohnung (US 5), zur Art (Tabakwaren) und zum Wert der zu II./ (pro Angriff) erzielten Beute (US 5 f iVm US 3) die rechtliche Beurteilung der Taten als ein Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB anstatt als (mangels Anwendbarkeit des § 29 StGB im Übrigen mehrere; vgl RIS-Justiz RS0090858) Vergehen der Entwendung nach § 141 (Abs 1) StGB. Darauf aufbauend wendet sie das (angebliche) Fehlen der erforderlichen Ermächtigung zur Strafverfolgung ein (§ 141 Abs 2 StGB).
Sie orientiert sich allerdings nicht – wie geboten (RIS-Justiz RS0099810) – an den (weiteren) Urteilsfeststellungen, wonach der Angeklagte seit Jänner 2020 kein Arbeitslosengeld mehr bezog, weil er seine Termine beim Arbeitsmarktservice nicht weiter wahrgenommen hatte (US 5). Zur Finanzierung seines Lebensunterhalts entschloss er sich Ende 2019 zur wiederholten Begehung von Vermögensdelikten und nahm in Umsetzung dieses Tatplans die im Urteilstenor angeführten Zigarettenstangen (im Wert von jeweils 50 Euro) und ein Feuerzeug (US 5 f iVm US 3) weg, wobei sich sein Vorsatz auf die unrechtmäßige Bereicherung durch diese Sachen bezog (US 5 f iVm US 3) und es ihm in der Folge nicht gelang, die Zigaretten zwecks Finanzierung seines Lebensunterhalts gewinnbringend zu verkaufen (US 6).
Weshalb trotz dieser Konstatierungen zur Motivlage des Angeklagten bei der Wegnahme von ein bis zwei Stangen Zigaretten (bloß) die Befriedigung eines im jeweiligen Tatzeitpunkt gegenwärtigen Gelüsts iSd § 141 Abs 1 dritte Alternative StGB in Rede stehen soll (vgl aber RIS-Justiz RS0094628, RS0094615, RS0094577; Kienapfel/Schmoller BT II2 § 141 Rz 34), erklärt die insoweit bloß auf die Art der weggenommenen Sachen abstellende Beschwerde nicht. Ebensowenig legt sie dar, aus welchem Grund nach den referierten Feststellungen zu den Lebensumständen und zum Motiv des Angeklagten von einem Handeln aus einer im Tatzeitpunkt aktuellen (objektiven) Notlage im Sinn eines Mangels an den dringendsten Lebenserfordernissen (§ 141 Abs 1 erste Alternative StGB) auszugehen sein sollte (vgl RIS-Justiz RS0094530, RS0094538, RS0094441; Salimi in WK2 § 141 Rz 42, 44, 51; Tipold, SbgK § 141 Rz 36, 37; Kienapfel/Schmoller BT II2 § 141 Rz 28, 31).
Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die Frage des allfälligen Vorliegens von Ermächtigungen (oder Erklärungen iSd § 92 Abs 2 letzter Satz StPO).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E129117European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0150OS00079.20M.0902.000Im RIS seit
22.09.2020Zuletzt aktualisiert am
22.09.2020