TE Bvwg Beschluss 2020/4/9 W208 2226380-1

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Veröffentlicht am 09.04.2020
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Entscheidungsdatum

09.04.2020

Norm

AVG §6
B-VG Art130
B-VG Art133 Abs4
B-VG Art138
GebAG §22 Abs1
GebAG §6
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W208 2226380-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerden von XXXX und XXXX , vertreten durch Rechtsanwälte LANG UND SCHULZE-BAUER, 8280 FÜRSTENFELD, Realschulstraße 2a, gegen den Bescheid des Präsidenten des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer WIEN, vom 05.11.2019, D 91/17, betreffend Zeugengebühren beschlossen:

A) Die Beschwerde wird wegen Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Im Grundverfahren - einem Disziplinarverfahren gegen einen Rechtsanwalt in WIEN - wurden die in BELGRAD wohnhaften beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: bP1: XXXX und bP2: XXXX ) als Zeugen vor den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer WIEN (im Folgenden: RAK) für Freitag den 15.03.2019, 16:30 Uhr geladen. Sie sind gemeinsam mit dem Privatfahrzeug aus BELGRAD angereist, haben ausgesagt und sind am selben Tag wieder zurückgereist.

2. Mit Schreiben vom 21.03.2019 brachten die bP über ihren Rechtsvertreter einen gemeinsamen Gebührenantrag ein, indem Sie für die Fahrt von BELGRAD nach WIEN mit der Privat-PKW ? 520,80 (Kilometergeld von ? 0,42x1240 km), Mautkosten für SERBIEN (? 9,50), UNGARN (? 16,00) und ÖSTERREICH (? 11,00) sowie Fahrkarten für die Wiener U-Bahn (4 Einzelfahrten) von ? 9,60, in Summe ? 566,90 sowie die bP 1 zusätzlich als selbstständiger Mechaniker einen Verdienstentgang für 8 Stunden à ? 40,00, in Summe ? 320,00 geltend machten. Beigelegt waren die Rechnungen für die Mautkosten und Vignetten.

3. Der Präsident des Disziplinarrates der RAK (im Folgenden: PräsDR) erkannte mit dem im Spruch angeführten Beschluss lediglich ? 145,56 (Flixbus WIEN-BELGRAD ? 33,99 pro Person und Strecke sowie die ? 9,60 für die U-Bahnkarten) als Zeugengebühren zu. Begründend wurde ausgeführt, dass die Nutzung eines Massenbeförderungsmittels jedenfalls zumutbar gewesen sei und über den Verdienstentgang erst nach Bescheinigung der Höhe des tatsächlich entgangenen Verdienstes entschieden werden könne. In der Rechtsmittelbelehrung wurde der § 22 GebAG zitiert, wonach dagegen Beschwerde an das BVwG erhoben werden könne.

4. Gegen diesen Beschluss (zugestellt am 14.11.2019) erhoben die bP am 28.11.2019 (eingelangt beim PräsDR am 02.12.2019) Beschwerde.

5. Mit Schriftsatz vom 10.12.2019 (eingelangt am 11.12.2019) legte der PräsDR die Beschwerde, den genannten Beschluss und den Antrag dem BVwG zur Entscheidung vor.

6. Das BVwG ersuchte den PräsDR mit Schreiben vom 16.03.2020 um Mitteilung, wieso er das BVwG für die Entscheidung über die Beschwerde gegen den Gebührenbeschluss zuständig halte, obwohl es sich bei der RAK bzw ihm als PräsDR um keine Verwaltungsbehörde handle und gemäß § 46 des Disziplinarstatutes für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (DSt) die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofes (OGH) zur Entscheidung über Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Disziplinarrates bestehe.

7. Der PräsDR teilte mit Schreiben vom 01.04.2020 mit, dass zwar das DSt keine eigene Bestimmung über die Zuerkennung von Zeugengebühren enthalte. Das GebAG finde aber auch im Strafverfahren Anwendung und ergänze insoweit die StPO. Es werde daher von der Verweisungsnorm des § 77 Abs 3 DSt erfasst (OGH 03.10.2019, 26 Ds 4/19s). Der OGH vertrete auch die Ansicht, dass in Ansehung der Bestimmung von Zeugengebühren, der Rechtszug vom PräsDR der RAK am das BVwG gehe (§ 22 Abs 1 GebAG).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Beweiswürdigung

Es wird von dem unter I. festgestellten Verfahrensgang und unstrittigen Sachverhalt ausgegangen.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1. Hinsichtlich der Zuständigkeit des BVwG ist auf Ebene der Bundesverfassung (B-VG) primär das Folgende vorgesehen:

"Artikel 130. (1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;

2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

3. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde.

[...]

Beim PräsDR der RAK handelt es sich nicht um eine Verwaltungsbehörde und der in Beschwerde gezogene Beschluss ist kein Bescheid oder eine Ausübung von verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.

2.2. Gemäß Art 130 Abs 2 B-VG können in Bundes- und Landesgesetzen sonstige Entscheidungszuständigkeiten für die Verwaltungsgerichte vorgesehen werden (Hervorhebungen durch BVwG).

"Artikel 130 (2) Durch Bundes- oder Landesgesetz können sonstige Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über

1. Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Verwaltungsbehörde in Vollziehung der Gesetze oder

2. Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens eines Auftraggebers in den Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens oder

3. Streitigkeiten in dienstrechtlichen Angelegenheiten der öffentlich Bediensteten oder

4. Beschwerden, Streitigkeiten oder Anträge in sonstigen Angelegenheiten

vorgesehen werden. In den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die nicht unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, sowie in den Angelegenheiten der Art. 11, 12, 14 Abs. 2 und 3 und 14a Abs. 3 und 4 dürfen Bundesgesetze gemäß Z 1 und 4 nur mit Zustimmung der Länder kundgemacht werden."

Im vorliegenden Fall könnte Z 4 leg cit einschlägig sein. Es kommt für die Zuständigkeit des BVwG daher darauf an, ob es in einem Materiengesetz eine ausdrückliche Zuweisung dieser Beschwerdeangelegenheit zur Entscheidung gibt.

Die für den Fall relevanten Bestimmungen des Disziplinarstatutes für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (DSt) lauten (Auszug - Hervorhebungen durch das BVwG):

"§ 41. (1) Nach Rechtskraft des Disziplinarerkenntnisses ist die Höhe der vom Beschuldigten zu ersetzenden Kosten (Pauschalkosten und Barauslagen) vom Vorsitzenden des Senats mit Beschluss festzusetzen.

(2) Die Pauschalkosten sind nach Maßgabe des Umfangs und des Ausgangs des Verfahrens unter Vermeidung unbilliger Härten zu bemessen; sie dürfen 5 vH des im § 16 Abs. 1 Z 2 erster Fall genannten Betrags nicht übersteigen.

(3) Die Barauslagen des Disziplinarverfahrens erster und zweiter Instanz hat die Rechtsanwaltskammer am Sitz des Disziplinarrats vorläufig zu tragen.

(4) Wird der Beschuldigte freigesprochen oder sind die Verfahrenskosten uneinbringlich, so hat die Rechtsanwaltskammer, die die Barauslagen vorläufig getragen hat, diese endgültig zu tragen, in den Fällen der §§ 6 und 25 jedoch diejenige, in deren Liste der Rechtsanwalt eingetragen ist.

[...]

Rechtsmittelverfahren

§ 46 Erkenntnisse des Disziplinarrates können mit dem Rechtsmittel der Berufung, Beschlüsse, auch solche über die Höhe der Kosten nach § 41, mit dem Rechtsmittel der Beschwerde angefochten werden. Zur Entscheidung über die Rechtsmittel ist der Oberste Gerichtshof berufen.

[...]

Sinngemäße Anwendung von Bestimmungen der Strafprozessordnung

§ 77. (1) Für die Berechnung von Fristen, die Beratung und Abstimmung sowie die Wiederaufnahme des Verfahrens gelten sinngemäß die Bestimmungen der Strafprozessordnung.

(2) Für die Wiedereinsetzung gelten sinngemäß die Bestimmungen der Strafprozessordnung mit der Maßgabe, dass die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung aller Fristen - ausgenommen die Wiedereinsetzungsfrist und die im § 33 Abs. 2 genannte Frist - zulässig ist. Über einen Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet die Disziplinarbehörde, bei der die versäumte Prozesshandlung vorzunehmen war.

(3) Im übrigen sind die Bestimmungen der Strafprozessordnung im Disziplinarverfahren auch insoweit sinngemäß anzuwenden, als sich aus diesem Bundesgesetz nichts anderes ergibt und die Anwendung der Bestimmungen der Strafprozessordnung mit den Grundsätzen und Eigenheiten des Disziplinarverfahrens vereinbar ist."

Aus dem Gesetzestext der DSt ist keine Zuweisung einer Zuständigkeit iSd Art 130 Abs 2 Z 4 B-VG erkennbar.

2.3. Der OGH hat dazu allerdings in seiner Entscheidung vom 03.10.2019, 26 Ds 4/19s das Folgende ausgeführt (Hervorhebung durch BVwG):

"[...] Grundsätzlich steht gegen alle Beschlüsse des Disziplinarrats bzw seines Vorsitzenden, welche das Gesetz nicht ausdrücklich als unanfechtbar bezeichnet oder die nur prozessleitender Natur sind, eine Beschwerde offen (vgl RIS-Justiz RS0055849). Gemäß § 46 zweiter Satz DSt ist der Oberste Gerichtshof zur Entscheidung über solche Beschwerden berufen.

Das Rechtsmittelgericht kann einen Beschluss aufheben, den ein sachlich unzuständiger Disziplinarsenat oder sein Vorsitzender gefasst hat (§ 77 Abs 3 DSt iVm § 89 Abs 2a Z 1 StPO).

Das Disziplinarstatut enthält keine eigenen Bestimmungen über die Zuerkennung von Zeugengebühren. Diese sind ausschließlich im Gebührenanspruchsgesetz 1975 (GebAG) enthalten. Da dieses auch im Strafverfahren Anwendung findet und somit die Strafprozessordnung insoweit ergänzt, wird es auch von der Verweisungsnorm des § 77 Abs 3 DSt erfasst. Die gebotene sinngemäße Anwendung des GebAG auf die Bestimmung der Gebühren der vom Disziplinarrat vernommenen Zeugen schließt es aus, dass der Vorsitzende des erkennenden Senats selbst die Gebühren bestimmt. Im gerichtlichen Strafverfahren sind solche Gebühren nämlich im Justizverwaltungsweg vom "Leiter des Gerichts" zu bestimmen, vor dem die Beweisaufnahme stattgefunden hat oder stattfinden soll (§ 20 Abs 1 erster Satz GebAG). Dementsprechend kommt die Entscheidung über die Gebühr im Fall einer Beweisaufnahme vor dem Disziplinarrat gemäß § 5 Abs 2 DSt dem Präsidenten des Disziplinarrats und nicht dem Vorsitzenden des erkennenden Senats zu (zum Ganzen siehe 23 Os 1/16v).

Da fallbezogen die Zeugengebühren von *****, mag dieser auch Präsident des Disziplinarrats sein, ausdrücklich in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des erkennenden Senats des Disziplinarrats bestimmt wurden, war der angefochtene Beschluss ersatzlos aufzuheben.

Anzumerken bleibt, dass in Ansehung der Bestimmung von Zeugengebühren der Rechtszug vom Präsidenten des Disziplinarrats an das Bundesverwaltungsgericht geht (§ 22 Abs 1 GebAG)."

Da die StPO keine Bestimmung enthält der zu entnehmen ist, wie und von wem die Gebühren von Zeugen abzugelten sind und wer darüber zu entscheiden hat, sondern nur zu den Gebühren von Dolmetschern und Sachverständigen (zB §§, 31, 33, 127 StPO), erscheint die Begründung des OGH nicht überzeugend und ist aus dem Verweis in § 77 Abs 3 DSt nichts zu gewinnen.

Das GebAG ist - unter anderem - deshalb im Strafverfahren anzuwenden, weil dort im § 1 angeführt ist, dass Zeugen in gerichtlichen Verfahren und Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Anspruch nach dem GebAG haben. Es mag sein, dass das GebAG die StPO damit ergänzt, der StPO - und nur auf diese verweist das DSt - ist dazu aber nichts zu entnehmen.

Auch sonst ist, keine gesetzliche Bestimmung zu finden die eine - allenfalls sinngemäße Anwendung des GebAG - im Disziplinarverfahren des Disziplinarrates der RAK anordnen würde.

Der Weg - über die angenommene Anwendung des GebAG - im Interpretationsweg eine Zuständigkeit des BVwG über Beschwerden gegen Beschlüsse des Präsidenten des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer betreffend (Nicht)zuerkennung von Reisekosten von Zeugen die im Zuge eines Disziplinarverfahrens der RAK geladen und einvernommen wurden, zu begründen, scheitert vor dem Hintergrund der klaren Anordnung des Art 130 Abs 2 Z 4 B-VG, wonach - nach Ansicht des BVwG - zur Begründung der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte eine ausdrückliche und eindeutige einfachgesetzliche Grundlage erforderlich ist.

Die Beschwerde ist daher wegen Unzuständigkeit mittels förmlichen Beschluss zurückzuweisen (VwGH 24.06.2015, Ra 2015/04/0035).

2.4. Eine Weiterleitung an den OGH in sinngemäßer Anwendung des § 6 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) durch das BVwG kann vor dem Hintergrund der zitierten Entscheidung des OGH vom 03.10.2019 unterbleiben, da sich auch der OGH offenbar für unzuständig hält.

Gemäß Art 138 Abs 1 Z 2 erkennt der Verfassungsgerichtshof (VfGH) über Kompetenzkonflikte zwischen ordentlichen Gerichten und Verwaltungsgerichten.

Solange die Frage der Zuständigkeit im Rahmen eines Revisionsverfahrens durch den VwGH bindend beurteilt werden kann, bedarf es einer Entscheidung im Kompetenzverfahren jedoch nicht (VwGH 30.06.2015, Ko 2015/03/0002).

2.5. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte entfallen, da schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die Beschwerde zurückzuweisen ist.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine Rechtsprechung des VwGH zur Frage der Zuständigkeit des BVwG über Beschwerden gegen Zeugengebührenbeschlüsse des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer liegt nicht vor und ist das BVwG von der Rechtsprechung des OGH abgewichen.

Schlagworte

Disziplinarrat Disziplinarverfahren Kompetenzkonflikt Kompetenzlage OGH Rechtsanwaltskammer Revision zulässig Unzuständigkeit Unzuständigkeit BVwG Verwaltungsbehörde Zeugengebühr Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W208.2226380.1.00

Im RIS seit

21.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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