TE OGH 2020/7/2 4Ob31/20t

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Veröffentlicht am 02.07.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die
Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers H***** S*****, vertreten durch Dr. Niki Haas, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beklagten M***** R*****, vertreten durch Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin in Wien, wegen 5.000 EUR sA, Unterlassung (Streitwert 29.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 1.000 EUR), über die außerordentliche Revision des Beklagten (Revisionsinteresse 30.000 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2019, GZ 129 R 108/19d-15, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 1.883,16 EUR (darin 313,86 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war im Jahr 2018 Vizekanzler und FPÖ-Bundesparteiobmann, der Beklagte war für „Die Grünen“ Mitglied des Europäischen Parlaments.

         Am 9. 10. 2018 veröffentlichte der Beklagte auf seinem unter https://twitter.com/michelreimon weltweit für jedermann kostenlos abrufbaren Profil auf Twitter folgenden Beitrag:

Der Beitrag enthielt das Profilbild und den Namen des Klägers. Beim Benutzernamen handelt es sich um jenen des Beklagten.

Twitter ist ein Internet-Nachrichtendienst, über den telegrammartige Kurznachrichten verbreitet werden (Quelle zum Folgenden: www.wikipedia.org, Artikel Twitter, abgefragt am 24. 6. 2020). Privatpersonen, Organisationen, Unternehmen und Massenmedien nutzen Twitter als Plattform zur Verbreitung von kurzen (max 280 Zeichen) Textnachrichten (Tweets) im Internet. Im Gegensatz zu Facebook steht nicht der Kontakt mit bekannten Freunden im Vordergrund. Für die Anmeldung werden drei bisher nicht bei Twitter verwendete Angaben benötigt: Eine E-Mail-Adresse, eine Profilbezeichnung (das ist der Nutzername) und eine Telefonnummer für die Verifizierung des Kontos. Bei der Anmeldung wird zwar auch ein „vollständiger Name“ erfragt, dieser dient jedoch offenbar vor allem dazu, diese Angabe neben diversen anderen im Profil anzuzeigen. Ein Echtname wird im Gegensatz zu Facebook nicht erwartet. Überdies ist es möglich, den Namen sowie den @-Nutzernamen später beliebig oft zu ändern. Es wird außerdem ein Passwort benötigt. Will man zukünftig über Beiträge anderer Nutzer informiert werden, kann man ihnen „folgen“. So abonniert man den Nutzer entsprechend, und dessen Tweets werden daraufhin in der eigenen Timeline angezeigt. Ein Nutzer, der einem anderen folgt, wird als „Follower“ bezeichnet. Tweets werden in erster Linie den „Followern“ eines Benutzers angezeigt; vor allem über Hashtags oder Verlinkungen/Retweets kann aber auch ein breiteres Publikum erreicht werden. Ein Tweet ist standardmäßig öffentlich, also auch für unangemeldete Leser sichtbar. Es besteht die Möglichkeit, sämtliche verfasste Tweets nur akzeptierten Followern zugänglich zu machen, diese Option heißt geschützte Tweets. Wer einen fremden Tweet mit seinen Followern teilen möchte, kann ihn „retweeten“. Außerdem kann man auch Tweets zitieren. Dadurch ist ein Retweet mit Kommentar möglich.

Mit dem eingangs abgebildeten Tweet wollte der Beklagte auf das an diesem Tag verkündete Urteil gegen eine Politikerin der „Grünen“ im sogenannten „Bierwirt-Fall“ Bezug nehmen. Die Politikerin wurde in erster Instanz medienrechtlich verurteilt, nachdem sie obszöne Nachrichten veröffentlicht hatte, die ihr nach ihrer Behauptung von einem namentlich genannten Lokalbesitzer übermittelt worden waren. Der derart Beschuldigte gab an, mit der Versendung der beanstandeten Nachricht über sein Facebook-Konto nichts zu tun zu haben, jeder Lokalbesucher habe Zugang zu diesem Konto. Dieses Urteil war damals auch in sozialen Netzwerken ein dominierendes Gesprächsthema. Auf Twitter fand eine umfangreiche Diskussion darüber statt, welche Bedeutung und welche Auswirkungen dieses Urteil hat, und wie künftig das Vortäuschen fremder Identität („Identitätsdiebstahl“) gehandhabt werden solle.

Die Beweggründe des Beklagten, besagten Tweet zu verfassen, bestanden darin, dass es sich eben um den Tag der Urteilsverkündung handelte. Dass der Beklagte in diesem Kontext mit der Identität des Klägers „spielte“, beruhte darauf, dass dieser Vorsitzender einer Regierungspartei und Vizekanzler war, wobei er sich mehrfach – den Informationen des Beklagten zufolge – so geäußert hatte, dass die verurteilte Politikerin an der Situation zumindest eine Teilschuld treffe, weil sie hätte klagen sollen, was nach Wissen des Beklagten aber nicht so einfach sei. Der Beklagte wollte seine Kritik daran zum Ausdruck bringen, dass die Mehrheit in diesem Land eine offenbar unzulängliche Gesetzeslage nicht ändert. Im Falle der Politikerin lag seiner Auffassung nach eine klare Täter-Opfer-Umkehr vor, weshalb er sich veranlasst sah, den (damaligen) Vizekanzler und Parteichef der FPÖ zu kritisieren. Dass er dabei ein Bildnis des Klägers verwendete, stellte aus seiner Sicht einen Teil der Satire dar. Dies entspreche seines Erachtens auch dem – europarechtlich gesehen – urheberrechtlichen Leitgedanken des „fair use“. Das Bild diente keinen wirtschaftlichen Zwecken und war auch nur wenige Minuten auf Twitter zu sehen. Auf Twitter folgen dem Beklagten Journalisten, Politiker sowie politisch interessierte Menschen. Er hat etwa 68.000 „Follower“.

Der Kläger begehrte a) dem Beklagten aufzutragen, es zu unterlassen, diesen Tweet oder sinngleiche Fälschungen zu veröffentlichen, weiters b) die Urteilsveröffentlichung und c) 5.000 EUR immateriellen Schadenersatz. Der Beklagte habe versucht, der Öffentlichkeit vorzutäuschen, der Tweet stamme vom Kläger. Der Beklagte habe unter anderem das Profilbild und den Namen des Klägers verwendet, um anderen Nutzern vorzutäuschen, es handle sich um einen Tweet des verifizierten Originalaccounts des Klägers. Der Tweet verletze die berechtigten Interessen des Klägers, weil er den Eindruck erwecke, der Kläger schlage sich im (Aufsehen erregenden) Fall der Belästigung einer Politikerin durch obszöne Nachrichten auf die Seite des Täters oder zumindest des Verantwortlichen. Tatsächlich habe der Kläger die veröffentlichte Aussage nie getätigt.

Der Beklagte wendete ein, aufgrund des Benutzernamens „@michelreimon“ sei für die Twitter-Nutzer stets erkennbar gewesen, dass der Tweet vom Beklagten und nicht vom Kläger stamme. Der Tweet verletze damit keine berechtigten Interessen des Klägers. Die Verurteilung der Politikerin habe eine öffentliche Debatte auf Twitter nach sich gezogen, an der sich der Beklagte satirisch beteiligt habe. Neue Beiträge auf Twitter würden nicht allen Usern angezeigt, sondern nur denjenigen, die dem Beklagten folgen, sodass keine Gefahr bestanden habe, dass der Beitrag aktiv auch Personen angezeigt werde, die den Beklagten und seinen Nutzernamen nicht kennen. Ein allgemeiner Zugriff auf den Tweet sei nur über das Profil des Beklagten möglich gewesen. Dem Beklagten komme bei seinem Beitrag auch das Grundrecht nach Art 10 EMRK zu Gute, insbesondere auch in Form der Freiheit der Kunst nach Art 17a StGG.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Der durchschnittliche Twitter-User habe jedenfalls auf den zweiten Blick erkennen können, dass es sich nicht um einen Beitrag des Klägers handle. Der satirische Hintergrund des Tweets sei sowohl für die Follower des Beklagten, als auch für durchschnittliche Twitter-Nutzer, die politisch interessiert seien, ersichtlich gewesen. Die gebotene Interessenabwägung schlage daher zu Gunsten des Beklagten aus.

Das Berufungsgericht gab dem Unterlassungsbegehren und im Wesentlichen auch dem Veröffentlichungsbegehren statt; das Zahlungsbegehren wies es (unangefochten) ab. Der Tweet des Beklagten erwecke auf den ersten Blick den Anschein, es handle sich um einen Beitrag des Klägers. Den vom Erstgericht ins Treffen geführten „zweiten Blick“ stelle der typische Twitter-Nutzer nicht an; vielmehr werde der weit überwiegende Teil des Publikums den Tweet allein wegen des Profilbilds und des fett gedruckten Namens des Klägers diesem selbst zuordnen. Der Inhalt des Tweets sei auch nicht eindeutig satirisch, sondern die darin verwendeten Schlagworte passten auf den ersten Blick zu den Ansichten des Klägers, sodass der typische Twitter-Nutzer auch aufgrund des Inhalts des Tweets der Meinung sein könne, dieser stamme vom Kläger. Der Tweet verletze damit berechtigte Interessen des Klägers. Die Interessenabwägung schlage zu seinen Gunsten aus, habe doch der Beklagte kein schutzwürdiges Interesse an der Veröffentlichung des Tweets unter Verwendung des Profilbilds und des Namens des Klägers. Sein Anliegen, sich an der Diskussion über den Ausgang des Strafverfahrens gegen die Grünen-Politikerin zu beteiligen und zu kritisieren, dass eine seines Erachtens unzulängliche Gesetzeslage nicht geändert werde, hätte er ohne weiteres auch ohne Nutzung des Profilbilds und des Namens des Klägers verwirklichen können. Auch der Umstand, dass nur Follower des Beklagten den Tweet sehen konnten, führe zu keiner anderen Beurteilung, folgten doch gerade politisch interessierte Twitter-Nutzer in der Regel nicht nur den Mitgliedern der Parteien, deren politische Ansichten sie teilten, sondern auch jenen, deren politische Ansichten sie ablehnten. Bei Journalisten sei ohnehin davon auszugehen, dass sie in der Regel den Spitzenpolitikern sämtlicher Parteien folgten.

In seiner auf Klageabweisung zielenden außerordentlichen Revision (die nur Ausführungen zum Unterlassungsbegehren enthält) macht der Beklagte geltend, das Berufungsgericht stelle fälschlich auf den „durchschnittlichen Twitter-Nutzer“ als Empfänger der Nachricht ab, der in der Regel nicht ausführlich die Herkunft der jeden Tag zu tausenden abgesetzten Nachrichten studiere oder zu verifizieren versuche, sondern an einer ganz schnellen Information interessiert sei. Einen solchen Nutzer gäbe es nämlich beim „intellektuellen Twitter-Nachrichtendienst“ deshalb nicht, weil jeder Nutzer als Follower ganz genau einem einzelnen Nutzer zugeordnet werden könne. Es sei daher der Followerkreis der Äußernden individuell zu bestimmen. Follower des Beklagten nähmen auch den „zweiten Blick“ vor und würden Autor samt Satire erkennen, da sie „überdurchschnittlich gebildet“ seien. Es könne nicht darauf ankommen, dass eine Darstellung eindeutig satirisch sei. Allzu deutliche Hinweise auf den satirischen Charakter würden nämlich den gewünschten Effekt beeinträchtigen. Daher sei ein allzu formalistisches Verständnis der Satire abzulehnen, weil es einen unzulässigen Eingriff in die Gestaltungsfreiheit des Satirikers bedeuten würde.

Der Kläger beantragt mit seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen bzw ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Fortentwicklung der Rechtsprechung zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Wege von sozialen Medien zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1.1. Bildnisse von Personen dürfen weder öffentlich ausgestellt noch auf eine andere Art, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, verbreitet werden, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 78 Abs 1 UrhG). Schutzobjekt nach dieser Bestimmung ist daher nicht das Bild an sich, sondern bestimmte, mit dem Bild verknüpfte Interessen; der Bildnisschutz greift erst ein, wenn und soweit der Abgebildete ein berechtigtes Interesse am Unterbleiben der Veröffentlichung seines Bildnisses hat (4 Ob 20/08g).

1.2. Das Gesetz legt den Begriff der „berechtigten Interessen“ nicht näher fest, weil es bewusst einen weiteren Spielraum offen lassen wollte, um den Verhältnissen des Einzelfalls gerecht zu werden (4 Ob 165/03y; RS0077827). Die Beurteilung, ob eine Bildnisveröffentlichung berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt, hat nach objektiven Kriterien und unter Würdigung des Gesamtzusammenhangs zu erfolgen. Maßgebend ist, wie die Art der Veröffentlichung vom Publikum – unter Berücksichtigung des im Zusammenhang mit dem Bild stehenden Textes – verstanden wird (4 Ob 100/94; RS0078088). Dabei ist nicht nur das Bild für sich genommen zu beurteilen, sondern auch die Art der Verbreitung und der Rahmen, in den das Bild gestellt wurde. Ein entscheidender Gesichtspunkt ist dabei, ob die Person des Abgebildeten durch die Veröffentlichung in einen nicht den Tatsachen entsprechenden Zusammenhang gestellt wurde (6 Ob 172/19s; RS0078077).

1.3. Auch Politiker oder sonst allgemein bekannte Personen haben Anspruch darauf, dass die Allgemeinheit Rücksicht auf ihre Persönlichkeit nimmt. Daher ist auch die Intimsphäre dieser Personen geschützt und die Verbreitung von Bildern, die entstellend wirken oder im Zusammenhang mit der Bildunterschrift oder dem Begleittext der Neugierde und Sensationslust der Öffentlichkeit preisgeben, oder ihn mit Vorgängen in Verbindung bringen, mit denen er nichts zu tun hat, unzulässig. Auch die unautorisierte Verwendung ihrer Bilder zu Werbezwecken verstößt gegen berechtigte Interessen (RS0077903).

2.1. Ein Gebrauch eines Namens durch Dritte verstößt gegen das Namensrecht des § 43 ABGB nur dann, wenn dadurch die berechtigten Interessen des Namensträgers verletzt werden. Eine Verletzung ist regelmäßig dann zu bejahen, wenn über den Namensträger etwas Unrichtiges ausgesagt wird, das sein Ansehen und seinen guten Ruf beeinträchtigt, ihn bloßstellt oder lächerlich macht (4 Ob 209/16p mwN).

2.2. Thiele (Persönlichkeitsschutz in Neuen Medien – Facebook, Google & Co, AnwBl 2013, 11 [14]), vertritt zum Phänomen des „Identitätsklaus“ (Spoofing) auf Sozialen Plattformen wie Twitter durch Einrichtung von Profilen unter fremdem Namen, dass daraus jedenfalls namensrechtliche Ansprüche nach § 43 ABGB gegen den Inhaber des Profils ableitbar seien.

2.3. Auch nach Höhne („Neue“ Persönlichkeitsrechte in „neuen Medien“, in Berka/Grabenwarter/Holoubek, Persönlichkeitsschutz in elektronischen Massenmedien, 1 [31 f]) unterliegt der „Identitätsdiebstahl“ im Internet § 43 ABGB.

3. Zu Verletzungen nach § 78 UrhG in sozialen Medien hat sich der Oberste Gerichtshof bereits wie folgt geäußert:

3.1. Die Entscheidung 6 Ob 172/19s hatte eine Veröffentlichung über Facebook und Twitter zum Gegenstand, in der der Kläger unter dem Begleittext „Willkommen im Club“ neben ehemaligen Politikern abgebildet wurde, denen ihre akademischen Titel wegen Plagiats aberkannt wurden. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung, wonach auch das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK, Art 13 StGG) unwahre Behauptungen nicht deckt und daher Werturteile, die konkludente Tatsachenbehauptungen sind, nicht schrankenlos geäußert werden dürfen, wobei überspitzte Formulierungen unter Umständen hinzunehmen sind, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt, wurde ausgesprochen, dass nur dann kein Wertungsexzess vorliegt, wenn die Plagiatsvorwürfe zumindest annähernd gleiches Gewicht erreichen, wie es für die Aberkennung eines akademischen Grads erforderlich ist.

3.2.1. Der Entscheidung 6 Ob 52/16i, Politiker„Satire“ II lag der Sachverhalt zugrunde, dass der dort Beklagte auf Facebook ein Bild der dortigen Klägerin (einer Politikerin der Grünen) im Bereich der Stirn mit dem Text „Schutzsuchende müssen das Recht haben, auf Mädchen loszugehen!“ und im Bereich des Halses mit dem Text „Alles andere wäre rassistisch Flüchtlingen gegenüber!“ versah und dazu kommentierte, „Ihr kann diese Aussage zugetraut werden“. Dem auf § 78 UrhG gestützten Unterlassungsbegehren der Klägerin, die diese ihr in den Mund gelegten Ansichten nicht vertrat, wurde stattgegeben, die Revision zurückgewiesen. Insbesondere dem Argument des dort Beklagten, es handle sich um satirisch überspitzte Kritik an der Flüchtlingspolitik der Grünen, wurde nicht gefolgt, weil auch Satire keine rein diffamierenden Aussagen erlaube.

3.2.2. Höhne (in ZIIR 2017, 100) merkte dazu an, dass gar keine Satire vorgelegen habe, weil durch die Unterstellung, der Klägerin sei eine derartige Äußerung zuzutrauen, keine satirische Verzerrung einer Kritik an der Flüchtlingspolitik der Klägerin geübt werde.

4.1. Für das Vorliegen von Satire ist erforderlich, dass der Leser, Hörer oder Betrachter erkennt, dass die Parodie gerade nicht vom Urheber des parodierten Werks stammt, sondern der Meinungs- und Äußerungsfreiheit des Parodisten entspringt. Deshalb sind seine Interessen höher zu bewerten als in anderen Fällen einer Beeinträchtigung; immer vorausgesetzt, dass im Einzelfall eine antithematische Behandlung vorliegt und als solche auch vom Publikum verstanden wird (4 Ob 66/10z, Lieblingshauptfrau [4.3.] = MR 2010, 372 [Thiele/Walter] = ecolex 2011, 57 [Schuhmacher]; Thurner, Bildmanipulation und Persönlichkeitsschutz in Zeiten von „Deepfakes“, MR 2019, 155).

4.2. Ob eine Äußerung als zulässige Satire zu beurteilen ist, bemisst sich aufgrund einer Interessenabwägung zwischen Meinungs-, allenfalls auch Kunstfreiheit des „Satirikers“ auf der einen Seite und den Persönlichkeitsrechten des durch die Äußerung Verunglimpften auf der anderen Seite. Nach traditioneller Auffassung fällt eine Äußerung umso mehr unter den Schutz der Meinungsfreiheit, desto mehr – ernste – Sachbezogenheit sie aufweist und desto bedeutsamer ihr Anliegen für die Öffentlichkeit ist (vgl von Becker, Rechtsfragen der Satire, GRUR 2004, 908 [913]). Das Recht auf freie Meinungsäußerung kann jedoch eine Herabsetzung des politischen Gegners durch unwahre Tatsachenbehauptungen, mit denen er eines verwerflichen Verhaltens bezichtigt wird, nicht rechtfertigen (RS0032201).

5. Im Anlassfall bedarf es zur Beurteilung der Zulässigkeit der beanstandeten Äußerung des Beklagten einer Klärung der Fragen, welcher Personenkreis durch den Tweet angesprochen wurde, ob dieser unter Berücksichtigung aller Umstände getäuscht werden konnte, und ob eine Interessenabwägung zu Lasten des Beklagten ausschlägt.

5.1. Für die Kommunikation in sozialen Netzwerken, wie insbesondere auf Twitter, ist die ausgeprägte Flüchtigkeit der Meinungsäußerung typisch. Solche Kommunikationsformen bieten ein großes Potential für Persönlichkeitsverletzungen, weil die Mitteilungen einfach gestaltet sind, nur flüchtig betrachtet werden und kurzfristigen Aufmerksamkeitsregeln folgen (vgl Jarren/Wassmer, Persönlichkeitsschutz in der Online Kommunikation am Beispiel von Social Media-Anbietern, in Berka/Grabenwarter/Holoubek, Persönlichkeitsschutz in elektronischen Massenmedien, 117, 122, 125).

Im vorliegenden Fall sprach der Beklagte nicht nur seine rund 68.000 „Follower“, somit eine Vielzahl von Personen an, sondern jeden Nutzer von Twitter. Dazu kommt, dass jede dieser Personen den Beitrag des Beklagten „retweeten“ kann, wodurch er auch allen Followern des „Retweeters“ angezeigt wird. Insgesamt wird damit potentiell ein derart großer und unüberschaubarer Personenkreis angesprochen, dass nicht mehr von einer homogenen und überdies gar – so die Behauptungen des Beklagten – „überdurchschnittlich gebildeten“ Gemeinschaft gesprochen werden kann. Das Berufungsgericht ist deshalb zutreffend von der Maßfigur des durchschnittlichen Twitter-Nutzers ausgegangen.

5.2. Zur Frage der Täuschung des angesprochenen (umfassenden) Personenkreises ist zu berücksichtigen, dass Kommunikation auf Twitter, auch wenn sie sich an grundsätzlich politisch interessierte Menschen richtet, aufgrund des Wesens dieses Kurznachrichtendienstes von einer gewissen Flüchtigkeit geprägt ist. Es ist daher zutreffend, wenn das Berufungsgericht ausführt, der Tweet des Beklagten erwecke den Anschein, es handle sich um einen Beitrag des Klägers. Es liegt daher eine Täuschung des Publikums vor.

5.3. Von einer Satire – im dargelegten Sinne einer antithematischen Behandlung einer bestimmten Stellungnahme – kann im vorliegenden Fall schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil hier gerade keine konkrete Sympathiebekundung des Klägers für den „Bierwirt“, auf die sich der Tweet des Beklagten hätte beziehen können, feststeht oder auch nur aktenkundig ist. Der Beklagte hat in dieser Hinsicht in erster Instanz auch kein konkretes Vorbringen erstattet.

5.4. Unter diesen Umständen kommt es auf eine Abwägung zwischen den Interessen des Klägers auf Persönlichkeitsschutz in sozialen Medien und jenen des Beklagten auf Teilnahme an der politischen Diskussion durch satirische Beiträge in solchen Medien nicht an. Der Kläger wird vielmehr dadurch, dass ihm eine nicht von ihm stammende Äußerung in den Mund gelegt wird, mit einem Vorgang in Verbindung gebracht, mit dem er nichts zu tun hat. Den dadurch verletzten Persönlichkeitsrechten des Klägers (§ 78 UrhG, § 43 ABGB) steht keine zulässige Meinungsäußerung des Beklagten entgegen.

Das Unterlassungsbegehren und das Veröffentlichungsbegehren des Klägers bestehen daher zu Recht. Der Revision des Beklagten ist somit nicht Folge zu geben.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Schlagworte

Twitter Spoofing - Identitätsklau auf Twitter,

Textnummer

E128759

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00031.20T.0702.000

Im RIS seit

06.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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