Entscheidungsdatum
13.02.2020Norm
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15Spruch
W261 2222897-1/17E
I M N A M E N D E R R E P U B L I K !
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX geboren am XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch dem MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.07.2019 Zl. XXXX , nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen 20.11.2019 und am 08.01.2020 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben erstmals am 09.06.2016 in die Republik Österreich ein und stellte am selben Tag erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er Afghanistan verlassen habe, weil sein Vater vor vier oder fünf Jahren von Paschtunen umgebracht worden sei. Er habe als Mufti in der Moschee im Heimatdorf des BF gearbeitet. Daraufhin sei der BF gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester aus Afghanistan ausgereist und hätte in Pakistan gelebt.
Davor war der BF am 28.08.2015 in Belgien erkennungsdienstlich erfasst worden, auch dort stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der BF wurde am 29.11.2016 erstmals vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) einvernommen. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 12.12.2016 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs.1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Belgien für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 18 Abs. 1 lit d Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I). Gleichzeitig wurde gegen den BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und wurde festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Belgien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.) Der Bescheid wurde dem BF durch persönliche Ausfolgung am 12.12.2016 zugestellt. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (in der Folge BVwG) vom 22.02.2017 wurde die vom BF dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der BF wurde am 26.01.2017 auf dem Luftweg nach Belgien überstellt.
Der BF reiste daraufhin neuerlich illegal aus Belgien in Österreich ein und wurde am 01.02.2017 festgenommen und in Schubhaft genommen. Mit Erkenntnis vom 14.02.2017 gab das BVwG der vom BF dagegen erhobenen Beschwerde statt und erklärte die Anhaltung vom 01.02.2017 bis 14.02.2017 für rechtswidrig.
Der BF reiste aus Österreich aus und lebte in weiterer Folge bis ca. Juni 2018 im Iran und sodann für weitere Monate in der Türkei.
Er reiste nach eigenen Angaben am 02.01.2019 wieder illegal in Österreich ein und stellte neuerlich am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.
Bei der Erstbefragung am 03.01.2019 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er nicht wieder nach Belgien abgeschoben werden wolle, weil er bei seinem in Österreich lebenden Bruder sein wolle.
Der MigrantInnenverein St. Marx legte eine Vollmacht des BF vom 14.01.2019 vor.
Am 24.04.2019 erfolgte die niederschriftliche Ersteinvernahme des BF vor der belangten Behörde im Beisein seines rechtsfreundlichen Vertreters sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Er gab an, er sei in der Provinz Ghazni geboren, sei Hazara und schiitischer Molsem. Er sei nicht streng gläubig, er glaube aber daran, dass es einen Gott gebe. Er habe keine Informationen zum Christentum, aber er glaube, dass es einen Gott für alles gebe. Er widerholte im Wesentlichen seine Fluchtgründe, welche er bereits im Jahr 2016 angegeben hatte. Der BF legte eine Reihe von Unterlagen, unter anderem Fotos seiner Familie vor.
Die belangte Behörde legte Länderinformationen zu Afghanistan vor und räumte den BF die Möglichkeit ein, hierzu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben. Der BF gab mit Eingabe vom 08.05.2019 durch seine Rechtsvertretung eine schriftliche Stellungnahme zu den Länderinformationen ab und legte medizinische Befunde zum Gesundheitszustand des BF vor.
Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.) und erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde stellte fest, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI).
Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der BF eine Gefährdungslage in seinem Herkunftsstaat nicht habe glaubhaft machen können. Es würden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorliegen, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer Gefahr im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt wäre. Im Falle einer Rückkehr sei von der erfolgreichen Abdeckung seiner lebensnotwendigen Bedürfnisse auszugehen. Er sei eine erwachsene, arbeitsfähige Person mit fundierter Schulausbildung und habe in mehreren Branchen Berufserfahrung gesammelt. Er könne nach Mazar-e Sharif oder nach Herat zurückkehren. Der BF laboriere an keinen Krankheiten, welche in den Nahbereich des Art. 2 bzw. 3 EMRK kommen würden. Er habe den Großteil seines Lebens in seinem Herkunftsstaat verbracht. Er habe zwar einen Bruder, welcher als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich lebe, mit welchem der BF in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Ein Abhängigkeitsverhältnis zu diesem habe nicht festgestellt werden können. Der BF habe bis dato keine integrativen Maßnahmen gesetzt. Er lebe ausschließlich aus Geldern der öffentlichen Hand. Seine Einreise sei zum Zwecke der Verschaffung einer dauerhaften Niederlassung in Österreich unter Umgehung der Einreise- und Niederlassungsvorschriften und nicht aufgrund einer Verfolgung und der daraus resultierenden Schutzsuche erfolgt.
Mit Eingabe vom 22.07.2019 legte der BF eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.
Der BF erhob mit Eingabe vom 22.08.2019, bevollmächtigt vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte begründend aus, dass der Bescheid vollinhaltlich angefochten werde. Es würden unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorliegen. Der BF werde aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe und aus politisch/religiösen Gründen verfolgt. Der BF sei Hazara und Schiite und sei bereits als Kind zur Flucht gezwungen worden. Aufgrund berechtigter Furcht vor anhaltender Verfolgung, wovor zu beschützen die afghanischen Behörde nicht in der Lage, bzw. willig seien, sei er zur Flucht nach Österreich gezwungen gewesen. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei dem BF nicht zumutbar. Der BF sei aufgrund seines langjährigen Aufenthaltes im Ausland der intensiven Gefahr, als "verwestlicht" wahrgenommen zu werden, ausgesetzt. Auch im Hinblick auf seine erfolgreiche Integration in Österreich laufe er Gefahr, Zielscheibe islamistischer Terroristen zu werden. Der BF verfüge in Afghanistan über kein adäquates soziales Netzwerk, welches ihm im Falle seiner Rückkehr unterstützen könnte. Auch lasse die prekäre Sicherheitslage keine Rückkehr des BF zu.
Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 28.08.2019 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.
Das BVwG führte am 22.11.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Der BF wurde im Beisein seines Vertreters, eines Vertreters der belangten Behörde und eines Dolmetschers für die Sprache Dari befragt. Dabei gab der BF erstmals an, dass er sich vom islamischen Glauben abgewendet habe. Er habe am 11.11.2019 seinen Religionsaustritt offiziell beim Magistrat der Stadt XXXX bekanntgegeben und legte dazu die entsprechende Niederschrift vor. Er habe sich dem Christentum zugewandt und besuche Veranstaltungen der Iranisch Christlichen Gemeinde in Wien, wie dies auch eine vorgelegte Stellungnahme des Leiters (Pastors) dieser Gemeinde vom 18.11.2019 bestätige. Gleichzeitig machte der BF eine Zeugin stellig, welche vom BVwG einvernommen wurde. Diese Zeugin bestätigte, dass der BF sich für das Christentum interessiere und sich bereits ein großes Wissen darüber angeeignet habe. Zur Einvernahme des Bruders des BF als Zeugen vertagte das BVwG die mündliche Beschwerdeverhandlung.
Das BVwG führte am 07.01.2020 eine Abfrage im GVS System durch, wonach der BF seit 09.06.2016 mit Unterbrechungen Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht.
Aus dem vom BVwG am 07.01.2020 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den BF keine Verurteilungen aufscheinen.
Das BVwG führte am 08.01.2020 eine weitere öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Der BF wurde im Beisein seines Vertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari befragt. Sein Bruder, mit welchem der BF in einem gemeinsamen Haushalt lebt, wurde als Zeuge einvernommen. Dieser bestätigte, dass sich der BF vom Islam abgewendet habe, sich ernsthaft für das Christentum interessiere und dies auch öffentlich mache. Das habe dazu geführt, dass nicht nur der BF sondern er als sein Bruder Freunde verloren habe, welche sich aus diesem Grund von diesem abgewendet hätten. Der BF wurde zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen.
Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 13.11.2019, die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018, die den aktuellen EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Christen, Konvertiten und Abtrünnigen vom 12.07.2017 vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.
Der BF, bevollmächtigt vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, führte in seiner Stellungnahme vom 09.01.2020 im Wesentlichen aus, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert habe, wie dies die vorgelegten Länderinformationen belegen würden. Der BF würde mehren Risikoprofilen entsprechen, er sei ein junger Mann, ein Hazara und sei zum Christentum konvertiert und vom Islam abgefallen, zudem sei er in Blutrache verwickelt.
Mit Eingabe vom 12.01.2020 übermittelte der BF durch den MigrantInnenverein St. Marx einen aktuellen psychologischen Befund, wonach der BF unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung sowie an einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung leide.
Das BVwG übermittelte diese Stellungnahmen und den Befund jeweils zeitnah an die belangte Behörde.
Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers
Der BF führt den Namen XXXX . Der BF kennt sein genaues Geburtsdatum nicht. Für Identifikationszwecke wird dieses mit XXXX festgestellt. Der BF ist im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Ghazni geboren, ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist kinderlos und ledig. Die Muttersprache des BF ist Dari. Neben seiner Muttersprache spricht der BF auch Farsi, Urdu, etwas Englisch und etwas Deutsch. Der BF ist Zivilist.
Der Vater des BF hieß XXXX , er verstarb vor ca. 8 Jahren. Seine Mutter hieß XXXX , sie verstarb im Jahr 2018. Der BF hat Geschwister, einen älteren Bruder, XXXX , er lebt als subsidiär Schutzberechtigter in Österreich und eine jüngere Schwester, XXXX , welche in Pakistan, genauer in XXXX , verheiratet ist.
Der Vater des BF war als Mullah und Landwirt im Heimatdorf des BF tätig. Die Familie des BF ist Eigentümerin eines Hauses und von Grundstücken im Heimatdorf des BF.
Der BF lebte bis zu seinem elften Lebensjahr gemeinsam mit seiner Familie in seinem Heimatdorf. Er besuchte dort vier Jahre lang eine Koranschule. Nach dem Tod des Vaters übersiedelte die Familie zu einem Cousin väterlicherseits nach Kabul. Dieser Cousin hatte ein Geschäft für Teppichknüpfwerkzeuge. Der BF lebte dort gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester für ca. sechs bis sieben Monate. Der ältere Bruder des BF reiste bereits nach ca. einem Monat nach Europa aus.
Die Familie übersiedelte sodann nach Pakistan, genauer nach XXXX , wo der BF ca. ein Jahr lang als Teppichknüpfer arbeitete. In weiterer Folge lebte der BF gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester ca. drei Jahre lang im Iran, genauer in Teheran, wo der BF als Elektriker arbeitete.
Der BF erstmals im Jahr 2015 aus dem Iran aus und stellte am 28.08.2015 in Belgien einen Antrag auf internationalen Schutz. Er reiste aus Belgien illegal in Österreich ein, wo er erstmals am 09.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der BF wurde in weiterer Folge am 26.01.2017 auf dem Luftweg nach Belgien abgeschoben. Er reiste am 01.02.2017 neuerlich unter Umgehung der Grenzkontrollen in Österreich ein. In weiterer Folge kehrte der BF in den Iran zurück, wo er bis Juni 2018 in Teheran gemeinsam mit seiner Mutter lebte. In dieser Zeit arbeitete der BF als Elektriker. Er reiste nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 2018 neuerlich aus dem Iran aus, lebte für ca. drei Monate in der Türkei, bevor er wiederum nach Europa aufbrach und spätestens Ende 2018 schlepperunterstützt in Österreich einreiste und am 02.01.2019 gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz stellte.
1.2 Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers
Der BF bekannte sich früher zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam und erklärte am 11.11.2019 beim Magistrat der Stadt Wien offiziell seinen Austritt vom Islam. Der BF interessiert sich ernsthaft für das Christentum und besucht regelmäßig seit August 2019 Veranstaltungen der Iranischen Christlichen Gemeinde, einer evangelikalen Freikirche. Der BF hat seine Familie, genauer seinen in Österreich lebenden Bruder und seine in Pakistan lebende Schwester über die erfolgte Abkehr vom Islam und sein Interesse für das Christentum informiert. Die Schwester des BF haben daraufhin den Kontakt zu ihm abgebrochen, nicht jedoch sein Bruder. Der BF lebt seine Abkehr vom islamischen Glauben in Österreich offen aus, was auch dazu führte, dass er afghanische Freunde verlor, und er nicht mehr zu gemeinsamen Fußballspielen eingeladen wird. Der BF befürchtet, im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan auf Grund seines Abfalles vom Islam und seiner beabsichtigten Konversion vom Islam zum Christentum von anderen Personen getötet zu werden, weil er nach der dort allgemein vorherrschenden Ansicht als Moslem nicht die Religion wechseln darf. Der BF ist jedoch gewillt, auch im Fall der Rückkehr seinen Abfall vom Islam offen und nach außen hin erkennbar auszuleben, seinen Abfall vom Islam nicht zu widerrufen und nicht wieder zum Islam überzutreten.
Der BF ist in Afghanistan jedoch nicht in Gefahr, Opfer von Blutrache durch die Feinde seines Vaters zu werden.
Es liegen keine Gründe vor, nach die BF von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen sind oder nach denen ein Ausschluss BF zu erfolgen hat. Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
1.3 Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der BF befindet sich seit seiner neuerlichen Antragstellung im Jänner 2019 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seiner neuerlichen Einreise wiederum Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.
Der BF besuchte Deutschkurse, zuletzt auf Niveau A2, und verfügt über Kenntnisse der deutschen Sprache. Der BF nahm An der Bildungsmaßnahme im Rahmen des Projektes "Start XXXX Flüchtlinge - Integration ab Tag 1" Alphabetisierung, Basisbildung und Deutschkurse" teil. Er legte am 12.10.2019 die Integrationsprüfung zur Sprachkompetenz und Werte- und Orientierungswissen bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf Niveau A2 ab. Er nimmt am Kooperationsprojekt " XXXX " des Vereins XXXX teil. Der BF leistete im Zeitraum vom 07.06.2019 bis 15.11.2019 freiwillige Tätigkeiten für das Wiener Hilfswerk im Nachbarschaftszentrum XXXX .
Der BF lebt mit seinem älteren Bruder, XXXX , geb. XXXX , in einem gemeinsamen Haushalt. Es besteht mit diesem kein über das Verhältnis zwischen erwachsenen Brüdern hinausgehendes, besonderes Abhängigkeitsverhältnis. Neben Freundschaften konnten keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des BF in Österreich festgestellt werden.
Der BF leidet an einem organischen Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma (F07.2) und an einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung (F62.0). Der BF nimmt Psychopharmaka ein und sein psychisches Zustandsbild hat sich stabilisiert. Er ist in Behandlung bei den psychosozialen Diensten in XXXX .
Der BF wird von seinen Vertrauenspersonen als besonders motiviert, engagiert, freundlich, hilfsbereit, zuverlässig, fromm, einfühlsam, aufgeweckt, wertvoll, vorausschauend, pünktlich, höflich, respektvoll, offen für neue Aufgaben und sportbegeistert beschrieben.
Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.4 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB), in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR), den EASO Leitlinien zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO) und in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu AFGHANISTAN: Christen, Konvertiten und Abtrünnige vom 12.07.2017 (Staatendokumentation) enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:
1.4.1 Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. (LIB)
1.4.1.1 Herkunftsprovinz Ghazni
Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans und grenzt an die Provinzen Bamyan und Wardak im Norden, Logar, Paktya und Paktika im Osten, Zabul im Süden und Uruzgan und Daykundi im Westen. Ghazni liegt an keiner internationalen Grenze. Die Provinz ist in 19 Distrikte unterteilt: die Provinzhauptstadt Ghazni-Stadt sowie die Distrikte Ab Band, Ajristan, Andar (auch Shelgar genannt), De Hyak, Gelan, Giro, Jaghatu, Jaghuri, Khwaja Omari, Malistan, Muqur, Nawa, Nawur, Qara Bagh, Rashidan, Waghaz, Wali Muhammad Shahid (Khugyani) und Zanakhan. Nach Schätzungen der CSO für den Zeitraum 2019-20 leben 1.338.597 Menschen in Ghazni. Die Provinz wird von Paschtunen, Tadschiken und Hazara sowie von mehreren kleineren Gruppen wie Bayats, Sadats und Sikhs bewohnt. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken.
Die Kontrolle über Ghazni ist daher von strategischer Bedeutung. Einem Bericht vom Dezember 2018 zufolge steht die Ghazni-Paktika-Autobahn unter Taliban-Kontrolle und ist für Zivil- und Regierungsfahrzeuge gesperrt, wobei die Aufständischen weiterhin Druck auf die Kabul-Kandahar-Autobahn ausüben, bzw. Straßenkontrollen durchführen. Im Mai 2019 führten die Regierungskräfte an den Rändern von Ghazni-Stadt Räumungsoperationen zur Befreiung der Verkehrswege durch. Die Kontrolle über die Straße nach Gardez, der Provinzhauptstadt von Paktia ist bedeutsam für die Verteidigung von Ghazni, da sich die Militärbasis des für die Provinz zuständigen Corps dort befindet.
Ghazni gehörte im Mai 2019 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben. Ende 2018 standen acht Distrikte der Provinz unter Kontrolle der Taliban, fünf weitere Distrikte waren stark umkämpft. Im Jänner 2019 wurde berichtet, dass die administrativen Angelegenheiten der Distrikte Andar, Deh Yak, Zanakhan, Khwaja Omari, Rashidan, Jaghatu, Waghaz und Khugyani aufgrund der Sicherheitslage bzw. Präsenz der Taliban nach Ghazni-Stadt oder in die Nähe der Provinzhauptstadt verlegt wurden. Aufgrund der Sicherheitslage sei es für die Bewohner schwierig, zu den neuen administrativen Zentren zu gelangen. Dem Verteidigungsminister zufolge, sind in der Provinz mehr Taliban und Al-Qaida-Kämpfer aktiv, als in anderen Provinzen. Dem Innenminister zufolge, hat sich die Sicherheitslage in der Provinz verschlechtert und die Taliban erlitten bei jüngsten Zusammenstößen schwere Verluste.
In Ergänzung zur Afghan National Police (ANP), der Afghan Local Police (ALP) und der paramilitärischen Kräfte des National Directorate of Security (NDS) entsteht im Distrikt Jaghuri im Rahmen eines Pilotprojekts eine neu eingerichtete Afghan National Army Territorial Force. Diese lokale Einheit soll die Bevölkerung schützen und Territorium halten, ohne von lokalen Machthabern oder Gruppeninteressen vereinnahmt zu werden. Ghazni liegt im Verantwortungsbereich des 203. ANA Tandar Corps das der Task Force Southeast untersteht, die von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird.
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 653 zivile Opfer (253 Tote und 400 Verletzte) in Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 84% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Luftangriffen und gezielten oder vorsätzlichen Morden. Im ersten Halbjahr 2019 zählte UNAMA Ghazni mit insgesamt 186 zivilen Opfern (77 Tote, 109 Verletzte) zu den fünf Provinzen mit den größten Auswirkungen des Konflikts auf Zivilisten in Afghanistan.
Einem UN-Bericht zufolge, war Ghazni neben Helmand und Farah zwischen Februar und Juni 2019 eines der aktivsten Konfliktgebiete Afghanistans. Mehr als die Hälfte aller Luftangriffe fanden in diesem Zeitraum in den Provinzen Helmand und Ghazni statt. Anfang April 2019 beschloss die Regierung die "Operation Khalid", welche unter anderem auf Ghazni fokussiert. Auch die Winteroperationen 2018/2019 der ANDSF konzentrierten sich unter anderem auf diese Provinz. In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen.
UNOCHA meldete für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 30.06.2019 rund 50.000 Personen, welche konfliktbedingt aus der Provinz Ghazni vertrieben wurden, welche teilweise im Distrikt Ghazni, in geringem Ausmaß in der Provinz Bamyan, in Kabul, in Daikundi und in Herat Zuflucht fanden (LIB).
Die Provinz Ghazni zählt laut EASO zu jenen Provinzen Afghanistans, in denen eine "bloße Präsenz" in dem Gebiet nicht ausreicht, um ein ernstes Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen, es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an Einzelelementen erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO 2019).
1.4.3 Ethnische Minderheiten
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (LIB).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ?Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet". Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB).
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen sowie in Kabul (LIB).
Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten, auch bekannt als Jafari Schiiten. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch. Ismailische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind, leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (LIB).
Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB).
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der dem Haushalt vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (LIB).
Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an (LIB).
Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara, forderten im Zeitraum 01.01.2018 bis 30.9.2018 211 Todesopfer. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (LIB).
In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (LIB).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert. NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (LIB).
1.4.4 Religion, Apostasie und Konversion
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (LIB).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie.
Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (LIB).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (LIB).
Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (LIB).
Apostasie, Blasphemie, Konversion
Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (LIB).
Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (LIB).
Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie; auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (LIB).
Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIB).
Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (LIB).
Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (LIB).
Abtrünnige bekennen sich üblicherweise in Afghanistan nicht öffentlich. Sollten sie ihre Meinung öffentlich kundtun und sich auf Diskussionen einlassen, um ihren abtrünnigen Glauben vergleichend mit dem Islam zu verteidigen, werden sie von der Gesellschaft schlecht behandelt. Staatliche Behörden werden nur dann eingreifen, wenn sich Abtrünnige öffentlich äußern und soziale Probleme hervorrufen (Staatendokumentation).
Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen. Es gibt in Afghanistan viele Menschen, die während des Ramadans nicht fasten und freitags nicht beten. In ländlichen Gebieten wird diesen Personen von der Gesellschaft nahegelegt, (zumindest) das Freitags- und Ramadan-Gebet einzuhalten. Die Gesellschaft behandelt das Nichtbeten als kleine Vergehen. Das Nicht-Fasten ist in ländlichen Gebieten eine heiklere Angelegenheit. Vorfälle schlechter Behandlung wegen Nicht-Fastens durch die Gesellschaft kommen vor. Es gibt keine Berichte zur offiziellen Strafverfolgung wegen des Nicht-Fastens zu Ramadan. In städtischen Gebieten ist die Gesellschaft flexibler und weniger streng (Staatendokumentation).
2. Beweiswürdigung:
2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des BF beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Die Angaben dienen zur Identifizierung im Asylverfahren. Der Zeitpunkt der Antragstellung beruht auf dem Akteninhalt.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.
Mit der Glaubhaftmachung ist die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).
Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.
Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen.
Der BF gab erstmals bei seiner Ersteinvernahme vor der belangten Behörde am 24.04.2019 an, dass er kein gläubiger Moslem ist, aber an einen Gott glaubt (vgl. As 208). Nachdem er den abweisenden Bescheid der belangten Behörde erhielt, begann er sich für das Christentum zu interessieren und er besuchte ab August 2019 Veranstaltungen der Iranischen Christlichen Gemeinde in Wien . Kurz vor der ersten mündlichen Beschwerdeverhandlung, welche 20.11.2019 stattfand, trat der BF auch offiziell am 11.11.2019 vom Islam aus. All diese Umstände ließen zu Beginn der Einvernahme des BF vor dem BVwG bei der erkennenden Richterin Zweifel daran aufkommen, dass es sich dabei um eine "echte" Abkehr vom Islam handelt, sondern dass diese Abkehr und das Interesse für das Christentum im Zusammenhang mit der negativen Entscheidung der belangten Behörde über dessen Antrag auf internationalen Schutz erfolgte.
Bereits während der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 20.11.2019 vermochte der BF ein großes Wissen um das Christentum zu vermitteln, und er war auch in der Lage, seine Beweggründe, weswegen er sich vom Islam abwandte, zu formulieren. Die im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 20.11.2019 vom BF namhaft gemachte und von der erkennenden Richterin einvernommene Zeugin, eine Steyler Missionsschwester und Pastoralassistentin, gab glaubhaft und nachvollziehbar an, dass der BF bereits Mai 2019 Interesse am Christentum zeigte, und seitdem in regelmäßigen Treffen mit ihr sein Wissen um das Christentum erweiterte. Sie zeigte sich offen verwundert darüber, welch großes Wissen sich der BF aneignete, und wie sehr ihn Geschichten aus dem Evangelium berühren (Vgl. S 14 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 20.11.2019).
In der zweiten mündlichen Beschwerdeverhandlung sagte als Zeuge einvernommene Bruder des BF glaubhaft und nachvollziehbar aus, wie erschüttert und verstört er war, als er der BF ihm eröffnete, dass er kein Moslem mehr ist. Er selbst teilte dies auch der gemeinsamen Schwester in Pakistan mit, welche sich vom BF aus diesem Grund abwandte (Vgl. S 8 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 08.01.2020). Auch die gemeinsamen Freunde der Brüder wandten sich aufgrund des offen ausgelebten Abfalles vom Islam und dem Interesse des BF am Christentum sowohl vom BF, als auch von dessen Bruder ab (vgl. S 7 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 08.01.2020). Der Zeuge vermochte damit glaubhaft zu vermitteln, dass der BF, wie er auch schon selbst ausgesagt hatte, seine Abkehr vom Islam und sein Interesse für das Christentum offen auslebt, auch wenn dies für ihn Nachteile mit sich bringt.
Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 08.01.2020 vermochte der BF die letzten Zweifel an einer möglichen Scheinkonversion dadurch auszuräumen, als er seine Motivation, sich vom Islam abzuwenden, und weswegen er sich zum Christentum hingezogen fühlt, in eigenen Worten und sehr ausführlich, glaubhaft, plausibel und nachvollziehbar schilderte (siehe S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 08.01.2020).
Der BF hat daher im Beschwerdeverfahren glaubhaft dargelegt, dass er sich aus freier persönlicher Überzeugung vom Islam abwandte und eine Konversion zum Christentum anstrebt.
Es ist dem BF, der Zeugin und dem Zeugen gelungen, jene Anhaltspunkte, die den Schluss zulassen würden, dass die Konversion des BF zum christlichen Glauben bloß asylzweckbezogen zum Schein erfolgt wäre, auszuräumen. Der BF steht vielmehr offen zu seiner Abkehr vom Islam und zu seinem Interesse für das Christentum. Er ist auch bereit ist, die daraus resultierenden Konsequenzen in der eigenen Familie und in seinem ehemaligen Freundeskreis in Kauf zu nehmen.
Auf Grund der nunmehrigen Lebensumstände und der glaubhaften Angaben des BF kann daher davon ausgegangen werden, dass diese Tatsache des Abfalles vom Islam und der beabsichtigten Konversion des BF zum Christentum über das persönliche Umfeld des BF hinaus auch nach außen hin bekannt geworden ist.
Das Vorbringen des BF hinsichtlich seiner Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan auf Grund der Abkehr vom Islam und der beabsichtigen Konversion vom Islam zum Christentum war in ganzheitlicher Würdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, insbesondere unter Berücksichtigung der diesbezüglich vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Apostaten, Christen und Konvertiten in Afghanistan, insgesamt als glaubhaft zu beurteilen. So war das Vorbringen des BF zur möglichen Furcht vor Verfolgung im Fall der Rückkehr nach Afghanistan ausreichend substantiiert, umfassend, in sich schlüssig und im Hinblick auf die besonderen Umstände des BF und die allgemeine Situation in Afghanistan plausibel.
In einer Gesamtschau der Angaben des BF im Verlauf des Verfahrens und aus den dargelegten Erwägungen erscheint das Vorbringen des BF zu seiner Furcht vor Verfolgung in Afghanistan aus Gründen der Apostasie und der beabsichtigten Konversion vom Islam zum Christentum insgesamt glaubhaft.
Der BF gab zudem an, dass er Afghanistan wegen der Feinde seines Vaters verließ, er war jedoch im gesamten Verfahren nicht in der Lage, eine konkrete Gefährdung seiner Person glaubhaft zu machen, weswegen die entsprechende Feststellung getroffen wird.
2.3 Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Betreffend das Privatleben und insbesondere die Integration des BF in Österreich wurden dessen Angaben in der Beschwerdeverhandlung sowie die vorgelegten Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt.
Die Feststellung der Unbescholtenheit des BF ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.
2.4 Zu den Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das BVwG kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Die Parteien des Verfahrens haben alle genannten Länderinformationen mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme vom erkennenden Gericht übermittelt bekommen und haben von diesem Recht auch teilweise Gebrauch gemacht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß den §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.).
Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).
Der BF hat glaubhaft dargelegt, dass er auf Grund seiner offen gelebten Abkehr vom Islam und der angestrebten Konversion zum Christentum im Fall der Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt sein würde.
Zwar stellen diese Umstände bzw. diese zu erwartenden Diskriminierungen nicht notwendiger Weise Eingriffe von staatlicher und damit von "offizieller" Seite dar, zumal sie von der gegenwärtigen afghanischen Regierung nicht angeordnet sind. Da das Asylrecht als Ausgleich für fehlenden staatlichen Schutz konzipiert ist (VwGH 13.11.2001, Zl. 2000/01/0098), kommt es aber nicht darauf an, ob die Verfolgungsgefahr vom Staat bzw. von Trägern der Staatsgewalt oder von Privatpersonen (zB von Teilen der lokalen Bevölkerung) ausgeht, sondern vielmehr darauf, ob im Hinblick auf eine bestehende Verfolgungsgefahr ausreichender Schutz besteht (vgl. dazu VwGH 16.04.2002, Zl. 99/20/0483; 14.10.1998, Zl. 98/01/0262). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zur Feststellung, ob ein solcher ausreichender Schutz vorliegt - wie ganz allgemein bei der Prüfung des Vorliegens von wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung - ein "Wahrscheinlichkeitskalkül" heranzuziehen (zB VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).
Wie der VwGH bereits wiederholt ausgeführt hat, können diese neuen - in Österreich eingetretenen - Umstände, mit denen ein Asylwerber seine Furcht vor Verfolgung begründet, grundsätzlich zur Asylgewährung führen. Sie sind daher zu überprüfen, wenn sie geeignet sind, die Annahme "wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung" zu rechtfertigen (VwGH 18.09.1997, 96/20/0923).
Allein aus der Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit kann das Vorliegen von Verfolgung im Sinne der GFK aber nicht abgeleitet werden (VwGH 09.11.1995, 94/19/1414). Es sind darüberhinausgehende konkret gegen den Asylwerber gerichtete, von staatlichen Stellen ausgehende bzw. von diesen geduldete Verfolgungshandlungen gegen seine Person erforderlich, um die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers zu erweisen (VwGH 08.07.2000, 99/20/0203; VwGH 21.09.2000, 98/20/0557).
Gemäß Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/83/EG (Status-Richtlinie) kann die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftsstaates beruhen, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind.
Bei einer erst nach Verlassen des Herkunftsstaates erfolgten Abkehr vom Islam und angestrebten Konversion eines Fremden vom Islam zum Christentum ist zu prüfen, ob die Konversion allenfalls bloß zum Schein erfolgt ist.
Aus dem oben zur Person des BF festgestellten Sachverhalt und den Feststellungen zur Situation Apostasie und der Christen in Afghanistan, insbesondere der vom Islam zum Christentum konvertierten Personen, ergibt sich, dass der BF als Person mit innerer Überzeugung, die er nicht verleugnen, sondern offen ausüben will, im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit massiven Einschränkungen und Diskriminierungen im persönlichen Bereich auf Grund seiner religiösen Überzeugung sowie einem erheblichen Verfolgungsrisiko für seine persönliche Sicherheit und physische Integrität sowohl von privater Seite - ohne dass in dieser Hinsicht staatlicher Schutz zukäme - als auch von staatlicher Seite ausgesetzt wäre. Dass die Abkehr vom Islam und die angestrebte Konversion des BF zum Christentum den afghanischen Behörden oder anderen Personen in seinem familiären und sozialen Umfeld verborgen bleiben würde, kann nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, zumal er seine Familie und Freunde bereits darüber informierte.
Zweifel dafür, dass die Apostasie des BF und sein Interesse für das Christentum und die angestrebte Konversion nur zum Schein erfolgt wäre, konnte der BF im Zuge des Beschwerdeverfahrens ausräumen.
Im gegenständlichen Fall liegt daher das oben dargestellte Verfolgungsrisiko in der religiösen Überzeugung des BF vor.
Auf Grund des in ganz Afghanistan gültigen islamischen Rechts nach der Scharia und der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie auf Grund der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und Moralvorstellungen sowie der allgemein vorherrschenden Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten, insbesondere gegenüber Apostaten und Konvertiten, und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen des traditionellen Gesellschaftssystems in ganz Afghanistan, ist davon auszugehen, dass sich die oben dargestellte Situation für den BF im gesamten Staatsgebiet Afghanistans ergibt. Es ist daher hinsichtlich dieses dargestellten Verfolgungsrisikos davon auszugehen, dass keine inländische Fluchtalternative besteht.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der BF aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen seiner religiösen Überzeugung eines vom Islam abgefallenen Mannes verfolgt zu werden, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in seinen Herkunftsstaat zurückzukehren.
Da weder eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, noch ein in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannter Endigungs- und Asylausschlussgrund hervorgekommen ist, war der Beschwerde des BF stattzugeben und ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass der Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Hinweis:
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt einem Fremden, der seinen Antrag auf internationalen Schutz nach dem 15.11.2015 stellte, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu. Die Aufenthaltsberechtigung gilt drei Jahre und verlängert sich um eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten nicht vorliegen, oder das Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Bis zur rechtskräftigen Aberkennung des Status des Asylberechtigten gilt die Aufenthaltsberechtigung weiter.
Der BF stellte erstmals den Antrag auf internationalen Schutz in Österreich am 09.06.2016 bzw. einen neuerlichen Antrag am 02.01.2019, somit jedenfalls nach dem 15.11.2015, daher wird dem BF von der belangten Behörde eine befristeten Aufenthaltsberechtigungen zu erteilen sein.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des VwGH, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Asyl auf Zeit Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung Christentum Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Konversion mündliche Verhandlung religiöse Gründe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2222897.1.00Im RIS seit
29.07.2020Zuletzt aktualisiert am
29.07.2020