TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/30 W258 2172288-1

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Veröffentlicht am 30.01.2020
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Entscheidungsdatum

30.01.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W258 2172288-1/32E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , alias XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20/5, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am 25.01.2018, 07.05.2018 und 20.11.2019 in einer asylrechtlichen Angelegenheit zu Recht:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

wie folgt abgeändert:

I. XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , wird gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, das ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in Folge kurz: "BF") stellte am 21.04.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.04.2016 gab der BF im Wesentlichen an, er sei Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan (in Folge kurz: "Afghanistan") und am XXXX in Kabul geboren. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara an, sei schiitischen Bekenntnisses und habe acht Jahre die Schule besucht. Seine Eltern, seine fünf Brüder sowie seine vier Schwestern würden in Afghanistan leben. Der BF sei aus Afghanistan geflohen, weil die Sicherheitslage in Afghanistan besonders für die Volksgruppe der Hazara sehr schlecht sei. Er hätte entweder der radikalen Gruppe in Parwan beitreten und als Selbstmordattentäter arbeiten müssen oder er wäre von den Taliban getötet worden.

Mit Verfahrensanordnung vom 14.09.2016 stellte die belangte Behörde auf Grund eines eingeholten Altersgutachtens fest, dass der BF spätestens am XXXX geboren worden sei.

In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folg kurz: "belangte Behörde") am 08.06.2017 führte der BF ergänzend aus, er sei in der Provinz Parwan aufgewachsen und habe zwei Jahre vor seiner Ausreise in Kabul gelebt. Afghanistan habe er wegen des Krieges und der schlechten Sicherheitslage verlassen. Er sei nie persönlich angegriffen worden, seine schiitische Familie sei jedoch bedroht worden, weil sie in einer sunnitisch dominierten Region gelebt hätten.

Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten ab, sprach aus, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen fest. Die Berufung des BF auf die allgemeine Sicherheitslage sei nicht asylrelevant. Ihm sei eine Rückkehr in seine relativ sichere Heimatprovinz Parwan möglich.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des BF vom 26.09.2017 wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf Grund unrichtiger Tatsachenfeststellungen infolge unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften. Begründend führte der BF im Wesentlichen aus, in seiner Heimatprovinz Parwan hätten sich auf Grund der Präsenz der Daesh anti-schiitische Anfeindungen, Diskriminierungen und Übergriffe verstärkt; in diesem Zusammenhang sei ein Familienfreund von Anhängern der Taliban getötet worden. Deshalb hätten seine Familie und er ihre Heimatprovinz verlassen. Dass die Heimatprovinz des BF "relativ sicher" sei, wäre in Hinblick auf die von der belangten Behörde selbst angeführten Quellen nicht richtig. Auch eine Gruppenverfolgung der Hazara sei derzeit nicht auszuschließen. Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan wäre der BF aufgrund seiner fehlenden Berufserfahrung und familiären Anknüpfungspunkte massiver wirtschaftlicher Problemen ausgesetzt. Schließlich sei eine Rückkehrentscheidung unzulässig, weil der BF in Österreich sehr gut integriert sei.

In der am 25.01.2018 hg durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF zu seinen Fluchtgründen befragt, in der er erstmals vorbrachte, vom Islam abgefallen zu sein. In den mündlichen Verhandlungen am 07.05.2018 und am 20.11.2019 wurden er und diverse beantragte Zeugen zu ua diesem Thema einvernommen.

Beweise wurden aufgenommen durch Einvernahme des BF als Partei, der Einvernahme der Zeugen XXXX (Z1), XXXX (Z2), XXXX (Z3) und XXXX (Z4) sowie Einsicht in den Verwaltungsakt (OZ 1) und in die folgenden Urkunden:

* Gutachten zur GZ W201 1421178-2 von XXXX über die Frage der Gruppenverfolgung der Hazara (in Folge kurz " XXXX 19.04.2016"; Beilage ./I),

* Länderinformationsblatt Afghanistan der Staatdokumentation vom 13.11.2019 (in Folge kurz "LIB"; Beilage ./IV),

* UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (in Folge kurz "UNHC-Richtlinien"; Beilage ./II),

* Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Afghanistan:

Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen,

3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa (jeweilige rechtliche Lage, staatliche und gesellschaftliche Behandlung, Diskriminierung, staatlicher bzw rechtlicher Schutz bzw. Schutz durch internationale Organisationen, regionale Unterschiede, Möglichkeiten zur Ausübung des christlichen Glaubens, Veränderungen hinsichtlich der Lage der christlichen Gemeinschaft) [a-10159] vom 01.06.2017 (in Folge kurz "Anfragebeantwortung 01.06.2017"; Beilage

./XII),

* EASO - European Asylum Support Office: Country Guidance:

Afghanistan; Guidance note and common analysis, Juni 2019 (in Folge kurz als "EASO Country Guidance" bezeichnet; Beilage ./XIII),

* die vorgelegten Beilagen des BF:

o Klassenfoto (Beilage ./1),

o ÖSD-Zertifikat vom XXXX 08.2017 (Beilage ./2),

o Schulbesuchsbestätigung vom XXXX 01.2018 (Beilage ./3) und 20.11.2019 (OZ 29 bzw Beilage ./7), sowie Schulnachricht Schuljahr 2018/2019 vom 01.02.2019,

o Empfehlungsschreiben von XXXX vom 23.01.2018, Katalin Darthe von Jänner 2018 und XXXX vom 22.01.2018 (Beilage ./4) sowie Empfehlungsschreiben von XXXX vom 18.11.2019, XXXX vom 20.11.2019 (Klassenvorstand des Beschwerdeführer) (Beilage ./7); weiters von Prof. Mag. XXXX und Parwis Manoutschehri jeweils vom 12.11.2019 (OZ 28),

o Bestätigung des Museums Horn über die laufende ehrenamtliche Tätigkeit des Beschwerdeführers vom 08.11.2019 (OZ 28),

o Bestätigungsschreiben des KR Mag. XXXX vom 22.03.2018 samt Fotokonvolut (OZ 15) und 01.05.2019 (OZ 25),

o Bestätigungsschreiben Pfarrer XXXX vom 10.11.2019 (OZ 28),

o Bescheinigung der Bezirkshauptmannschaft Horn über den Austritt des Beschwerdeführers aus der islamischen Glaubensgemeinschaft vom 18.11.2019 (Beilage ./7),

o Taufschein vom XXXX2019 samt bischöflicher Tauf-Zulassung vom 15.03.2019 (OZ 25),

o Referat von Thomas Ruttig vom 12.04.2017 (Beilage ./5),

o Kommentar zum Gutachten von Mag. Karl MAHRINGER (2017) vom 28.08.2017 (Beilage ./6);

* Strafregisterauszug des BF vom 08.01.2020.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

1.1. Zur individuellen Situation des BF:

1.1.1. Allgemeines:

Der männliche, volljährige, gesunde und ledige BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er wurde am XXXX in Kabul geboren, ist in der Provinz Parwan, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX aufgewachsen und hat ebendort sechs Jahre die Schule besucht.

Die Kernfamilie des BF besteht aus seinen Eltern, fünf Brüdern und vier Schwestern, wobei zwei seiner Schwestern bereits verheiratet sind und zwei seiner Brüder im Ausland leben. Letztere haben die Familie des BF regelmäßig finanziell unterstützt. Der Vater des BF hat als Landwirt gearbeitet, wodurch er den Lebensunterhalt der Familie zusätzlich gesichert hat.

Um seine Schulbildung fortsetzen zu können, ist der Beschwerdeführer in die Stadt Kabul gezogen, in der er zwei Jahre bis zu seiner Ausreise nach Europa gelebt hat. Den Winter vor seiner Ausreise hat der BF wieder bei seiner Familie in Parwan verbracht. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage in ihrer Heimatprovinz ist die Familie gemeinsam mit dem BF für ungefähr drei Monate nach Kabul gezogen, ehe sie aus Afghanistan ausgereist sind.

Ungefähr im Januar oder Februar 2016 ist der BF gemeinsam mit seiner Familie schleppergestützt aus Afghanistan ausgereist, wobei seine Familie am Grenzübergang in die Islamische Republik Iran (in Folge kurz: "Iran") von der Polizei angehalten und nach Afghanistan zurückgeschickt worden ist. Anschließend ist der BF unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet Österreichs eingereist und hat am 21.04.2016 in Österreich den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.1.2. Zu den Fluchtgründen:

Der BF ist aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert und wurde am XXXX2019 römisch-katholisch getauft.

1.2. Zur Lage von Apostaten, Konvertiten und Christen in Afghanistan:

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca 0,3 % der Bevölkerung aus (LIB Kapitel 16.2.).

Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Apostasie wird zwar im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten "ungeheuerlichen Straftaten", die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden. Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Christen ist offen feindlich. Christen werden gezwungen, ihren Glauben zu verheimlichen (UNHCR 30.08.2018 S 68, 72).

Das Strafgesetzbuch ermöglicht den Gerichten jedoch Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst sind, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten "hudud"-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (Anfragebeantwortung 01.06.2017 S 3).

Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie (LIB Kapitel 16.2.).

Die Situation von Apostaten, die hin zu einer anderen Religion konvertieren, ist eine andere als jene von Atheisten oder säkular eingestellten Personen. Mit dem Negieren bzw Bezweifeln der Existenz Gottes würden keine Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten im Alltag einhergehen. Eine Konversion zu einer Religion hingegen ist mit Verhaltensvorschriften, kirchlichen Traditionen und Ritualen zu verbinden, die schwieriger zu verbergen sind (Anfragebeantwortung 01.06.2017 S 7).

Für gebürtige Muslime ist ein Leben, ohne den Islam zu praktizieren oder sogar dann, wenn sie "Apostaten" bzw "Konvertiten" sind, in der afghanischen Gesellschaft eventuell möglich. Solche Personen sind in Sicherheit, solange sie darüber Stillschweigen bewahren. Gefährlich wird es dann, wenn öffentlich bekannt wird, dass ein Muslim aufgehört hat, an die Prinzipien des Islam zu glauben (Anfragebeantwortung 01.06.2017 S 7).

Eine Person wird nicht notwendigerweise als nichtgläubig angesehen, wenn sie nicht an religiösen Handlungen im öffentlichen Raum teilnimmt. Auch für strenggläubige Muslime kann es legitime Gründe geben religiösen Zeremonien fernzubleiben. Personen im städtischen Raum ist es möglich, auf Moscheebesuche oder das Fasten während des Ramadan zu verzichten. Es gibt auch Unterschiede je nach ethnischer und religiöser Gruppe. So haben Schiiten mehr Freiheit zu entscheiden, zu welchem Mullah sie gehen möchten und damit auch in Bezug auf die Frage, ob sie in die Moschee gehen wollen und gegebenenfalls in welche Moschee. Bei Sunniten werde in stärkerem Ausmaß erwartet, dass sie zumindest eines der fünf Gebete am Tag in einer Moschee verrichten (Anfragebeantwortung 01.06.2017 S 22 f).

2. Die Feststellungen ergeben sich aus der folgenden

Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des BF und zur allgemeinen

Lage:

Die Feststellungen zu den persönlichen Daten, zum Leben des BF, seiner Familie und seiner Ausreise nach Europa ergeben sich aus den im Wesentlichen gleichbleibenden und übereinstimmenden Aussagen des BF im behördlichen und im gerichtlichen Verfahren. Sein Geburtsdatum gründet in dem unbedenklichen Sachverständigengutachten vom 08.09.2016, wonach er spätestens am XXXX (OZ 1 S 77), und nicht, wie von der belangten Behörde offenbar irrtümlich angenommen, am XXXX (OZ 1 S 143), geboren ist.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des BF gründen in seinen diesbezüglichen im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Verfahren (Verhandlungsprotokoll vom 25.01.2018, OZ 10, S 3; Verhandlungsprotokoll vom 07.05.2018, OZ 20 S 2; Verhandlungsprotokoll vom 25.01.2018, OZ 10, S 14).

Die Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan ergeben sich aus den bei den jeweiligen Feststellungen angeführten Quellen, die sich auf mehrere, im Wesentlichen übereinstimmende Berichte verschiedener, anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nicht staatlicher Institutionen und Personen gründen.

2.2. Zu den (Nach-)Fluchtgründen des BF:

2.2.1. Dem Vorbringen des BF, er sei vom Islam abgefallen bzw sei aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert, war aus den folgenden Überlegungen zu folgen:

2.2.2. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, zum Christentum konvertiert zu sein, war zum Zeitpunkt der Verhandlung am 07.05.2018 nicht glaubhaft. So brachte er die angeblichen Probleme mit seinem alten Glauben erst am Ende der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 25.01.2018 und damit zu einem Zeitpunkt vor, als ihm bereits bewusst sein musste, dass das Beschwerdeverfahren einen für ihn negativen Ausgang nehmen würde. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt nur angibt, nach einem neuen Glauben zu suchen, will er sich lediglich zwei Wochen später entschlossen haben, Christ zu werden. Dies, obwohl er bei der zweiten Verhandlung am 07.05.2018 über kaum Wissen über das Christentum verfügte, seine Konversionsentscheidung nicht nachvollziehbar begründen konnte und abgesehen vom Religionsunterricht nicht am kirchlichen Leben teilgenommen hat. Auch die Aussage des Zeugen XXXX (VH-Protokoll vom 07.05.2018, OZ 20, S 11 ff) konnte vor diesem Hintergrund zu keinem anderen Ergebnis führen, auch deshalb, weil der Zeuge zwar angab, der BF hätte ihn auf Grund seiner Fragen davon überzeugt, aus innerer Überzeugung Christ werden zu wollen, diese Aussage einer näheren Nachfrage nicht standhielt: So konnte der Zeuge über Rückfrage keine Frage sondern nur eine Meinung des BF nennen, wonach "bei Jesus die Liebe und im Islam das Schwert bzw Gewalt stark vorhanden wären". Hinzu kommt, dass der Zeuge über Frage, welche Maßnahmen er ergriffen habe, um eine Schweinkonversion zu erkennen, nur ausweichend geantwortet hat, weshalb davon auszugehen ist, dass eine solche Prüfung durch den Zeugen nicht stattgefunden hat.

2.2.3. Zu berücksichtigen ist aber, dass sich die Situation seither, dh eineinhalb Jahre später, wesentlich verändert hat:

So wurde der Beschwerdeführer am XXXX2019 römisch-katholisch getauft und hat zwischenzeitlich umfangreiches Wissen zum Christentum gesammelt und die christlichen Glaubensprinzipien verstanden. Er kennt das apostolische Glaubensbekenntnis, Bibelstellen und weiß über den Ablauf einer Messe Bescheid (VH-Protokoll vom 20.11.2019 OZ 29 S 3 ff).

Er nimmt seit etwa eineinhalb Jahren mehrmals pro Woche am kirchlichen Leben teil, indem er sowohl den Glaubensunterricht als auch die Gottesdienste regelmäßig und interessiert besucht hat und auch nach seiner Taufe nach wie vor besucht. Darüber hinaus engagiert er sich aktiv und regelmäßig in der Kirchengemeinde, indem er bspw bei Veranstaltungen der Kirche teilgenommen und geholfen hat ("1000 Lichter Fest", "Kirchenheuriger") und an Veranstaltungen der Kirchengemeinde teilgenommen, wie Wanderungen (Zg XXXX , VH Protokoll vom 20.11.2019, OZ 29 S 10 ff), teilgenommen hat.

Er trägt seinen Glauben auch aus der Kirchengemeinde hinaus, indem er seinen Schulkollegen und engeren Bekannten über seine Konversion und seine Erlebnisse beim Glaubensunterricht (Zg XXXX , VH Protokoll vom 20.11.2019, OZ 29 S 10) berichtet, die zum Teil auch (wie Klassenkammeraden und der Klassenvorstand) an seiner Taufe teilgenommen haben.

Obwohl er als introvertiert beschrieben wird, zeigt er sich innerhalb und außerhalb des religiösen Unterrichts am Christentum interessiert und gestaltet sein religiöses Leben auch aktiv selbst, indem er in und außerhalb des Unterrichts aktiv Fragen zum Glauben gestellt hat (Zg XXXX , VH Protokoll vom 20.11.2019, OZ 29, S 12), sich seine Taufpatin selbst gesucht hat und auch Dritte, wie die Zeugin XXXX , über ihre Meinung zum Christentum befragt hat (Zg XXXX , VH Protokoll vom 20.11.2019, OZ 29 S 14).

Er richtet sein Leben zum Teil an christlichen Werten, insbesondere der Nächstenliebe, aus (BF, VH Protokoll vom 20.11.2019, OZ 29 S 7; Zg XXXX , VH Protokoll vom 20.11.2019, OZ 29, S 12).

Hinzukommt, dass der Beschwerdeführer den Zeugen XXXX , der als Novizenmeister in seinem Kloster regelmäßig die Ernsthaftigkeit der Aufnahmewerber prüft und der auch die Ernsthaftigkeit des Konversionswunsches des Beschwerdeführers geprüft hat, im Rahmen der regelmäßigen Kontakte und religiösen Ausbildung von der Ernsthaftigkeit seiner Hinwendung zum Christentum überzeugt hat (Zg XXXX , VH 20.11.2019, OZ 29, S 14).

Letztlich lassen sich inzwischen auch Gründe für die Konversion des Beschwerdeführers ableiten: die nunmehrige intensive Beschäftigung des BF mit dem Christentum in Verbindung mit der Offenheit der christlichen Priester, die er als außergewöhnlich ansieht (Zg XXXX , VH Protokoll vom 20.11.2019, OZ 29, S 15), und die starke Prägung des Christentums durch das Prinzip der Nächstenliebe, das für den Beschwerdeführer besondere Bedeutung hat; die Relevanz der Nächstenliebe für das Leben des Beschwerdeführers wird übereinstimmend von ihm und den Zeugen genannt und steht mit der vom BF zitierten Bibelstelle des barmherzigen Samariters, die er als seine Lieblingsstelle der Bibel nennt, (VH Protokoll vom 20.11.2019, OZ 29, S 8) im Einklang.

Zwar wäre zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme am 20.11.2019 bei der Schilderung seiner Tauferlebnisse und seiner Hinwendung zum Christentum eine gewisse emotionale Betroffenheit zeigt, dies lässt sich allerdings durch seine Introvertiertheit und die psychische Belastung durch die gerichtliche Einvernahme erklären.

2.2.4. In einer Gesamtabwägung war daher den Angaben des Beschwerdeführers zu folgen, wonach er - zwar nicht zum 07.05.2018, aber zum Entscheidungszeitpunkt - aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert ist.

3. Rechtlich folgt daraus:

Zu A):

3.1. Asyl nach § 3 AsylG 2005:

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinn des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (in Folge kurz als "GFK" bezeichnet) ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva).

Auch einer von Privatpersonen bzw privaten Gruppierungen ausgehender und auf einem Konventionsgrund beruhender Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 03.03.2017, Ra 2016/01/0293). Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann aber nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der GFK genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl VwGH 06.07.2011, Zl 2008/19/0994; 24.02.2015, Ra 2014/18/0063; zum Erfordernis der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit siehe VwGH 15.03.2016, Ra 2015/01/0069).

Relevant kann dabei nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; zum Entscheidungszeitpunkt muss mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu rechnen sein (vgl ua VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212).

3.2. Zu den individuellen Fluchtgründen:

Angewendet auf den Sachverhalt bedeutet das, dass dem Beschwerdeführer auf Grund seiner Abwendung vom Islam und seiner Zuwendung zum Christentum sowohl von staatlicher als auch von privater Seite Benachteiligungen ausgesetzt ist, die bis zu seiner Tötung führen können. Eine Unterdrückung seines aus innerer Überzeugung bestehenden Glaubens ist ihm nicht zumutbar.

Der BF hat daher im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen, nämlich auf Grund seiner religiösen Überzeugung, zu befürchten. Er kann nicht auf eine innerstaatliche Fluchtmöglichkeit verwiesen werden, weil die Verfolgung von Konvertiten für das gesamte Staatsgebiet Afghanistans besteht. Der bekämpfte Bescheid war daher aufzuheben und dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine im Rahmen der vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Grundsätze vorgenommene Beweiswürdigung, hier zur Frage, ob der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert ist, ist nicht reversibel.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, befristete
Aufenthaltsberechtigung, gesamtes Staatsgebiet, Konversion,
Nachfluchtgründe, Religion, wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W258.2172288.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.06.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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