Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Purtscheller als Vorsitzenden sowie die Richter des Oberlandesgerichtes Dr. Kohlegger und Dr. Engers als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei *****, gegen die beklagte Partei *****, vertreten durch Heinzle-Nagel Rechtsanwälte (OG) in Bregenz, wegen EUR 28.713,81 s.A., über den Rekurs der für die klagende Partei bestellten Verfahrenshelferin *****, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 9.12.2019, 4 Cg 28/17s-35, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Dem Rekurs wird dahin F o l g e gegeben, dass der angefochtene Beschluss ersatzlos a u f g e h o b e n und dem Erstgericht aufgetragen wird, den Rekurs der Verfahrenshelferin ***** vom 6.12.2019 (ON 34) gegen den Beschluss des Erstgerichtes vom 28.10.2019 (ON 32) dem Rekursgericht vorzulegen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls u n z u l ä s s i g .
Begründung:
Text
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung von EUR 28.713,81 s.A.. In diesem Verfahren besteht gemäß § 27 Abs 1 ZPO absolute Anwaltspflicht.
Mit Beschluss vom 28.10.2019 (ON 32) bewilligte das Landesgericht Feldkirch dem Kläger für dieses Verfahren Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis f und Z 3 ZPO. Das Mehrbegehren auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 2 und Z 5 ZPO wurde (rechtskräftig) abgewiesen. Das Erstgericht erachtete in seiner Begründung dieses Beschlusses die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers als nicht offenbar mutwillig oder aussichtslos. Aufgrund des vorgelegten Vermögensbekenntnisses sowie der dazu eingereichten Unterlagen seien die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe im entsprechenden Umfang gegeben. Mit Bescheid des Ausschusses der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 20.11.2019 wurde Rechtsanwältin ***** für den Kläger zur Verfahrenshelferin bestellt.
Gegen den Beschluss vom 28.10.2019 richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Verfahrenshelferin mit einem Abänderungsantrag dahin, dass der Verfahrenshilfeantrag zur Gänze abgewiesen werde. Begründend wurde ausgeführt, dass nach den vorliegenden Verfahrensergebnissen eine Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts des Klägers durch die Prozessführung nicht anzunehmen sei.
Dieser Rekurs wurde mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 9.12.2019 vom Erstgericht als unzulässig zurückgewiesen, da dem Verfahrenshelfer nach der Rechtsprechung (EFSlg 46.640) im vorliegenden Fall kein Rekursrecht zukomme.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Verfahrenshelferin mit einer Rechtsrüge und einem Abänderungsantrag dahin, „den vorliegenden Rekurs für zulässig zu erklären, in der Sache selbst zu entscheiden“ und dem Rekurs der Verfahrenshelferin vom 6.12.2019 Folge zu geben.
Der Beklagte und der Revisor haben sich am Rechtsmittelverfahren nicht beteiligt.
Der nunmehr vorliegende Rekurs der Verfahrenshelferin ist unabhängig von ihrer Legitimation zur Erhebung des Rekurses vom 6.12.2019 zulässig, weil eben gerade diese Rechtsmittellegitimation abzuklären ist.
Der Rekurs ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Dem Erstgericht ist darin zuzustimmen, dass nach herrschender Ansicht dem Verfahrenshilfeanwalt gegen den Beschluss auf Bewilligung der Verfahrenshilfe kein Rekursrecht zusteht (für viele OLG Innsbruck 2 R 150/16z, 4 R 204/11y; LG Feldkirch 1 R 125/16i AnwBl 2016/8460; LGZ Wien EFSlg 76.043 [Klauser/Kodek JN-ZPO18 § 72 ZPO E 13]; vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny3 II/1 § 72 ZPO Rz 6 Anm 22 unter Hinweis auf LGZ Wien EFSlg 46.640).
Dies wird zusammengefasst überwiegend damit begründet, dass § 72 Abs 2 ZPO auch dem Gegner sowie dem Revisor gegen in Verfahrenshilfeangelegenheiten ergehende Beschlüsse das Rekursrecht einräumt, während der Verfahrenshilfeanwalt in dieser Bestimmung nicht genannt wird. Dieser habe die Möglichkeit, einen Antrag nach § 68 Abs 1 oder 2 ZPO (Erlöschen und Entziehung der Verfahrenshilfe) zu stellen und einen darüber abschlägig entscheidenden Beschluss mit Rekurs zu bekämpfen. Nach herrschender Ansicht wird hingegen auch dem auf Seiten des Prozessgegners dem Verfahren beigetretenen Nebenintervenienten ein eigenes Rekursgericht zugebilligt (M. Bydlinski Rz 6 mwN; vgl auch OLG Innsbruck 3 R 70/19x, 3 R 85/19b Punkt III.). Die Rekurslegitimation des Gegners und des auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenienten sowie des Revisors wird im Allgemeinen mit einer Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten in Verfahrenshilfeangelegenheiten und einem wirksameren Schutz gegen Missbrauch dieses Instituts begründet (vgl M. Bydlinski Rz 6, 6/1).
Der Rekurssenat erachtet die vorstehenden Argumente für nicht überzeugend:
Durch den Beschluss auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in Verbindung mit dem Bescheid zur Bestellung eines Verfahrenshelfers wird dieser in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt berechtigt und verpflichtet, für die Verfahrenshilfe genießende Partei einzuschreiten, ohne dass er im Regelfall hiefür ein Honorar bzw unmittelbar eine Entschädigung (vgl §§ 68 Abs 2, 70 letzter Satz ZPO, §§ 16 Abs 3, 47 RAO) erhält. Selbst wenn man diesen wirtschaftlichen Aspekt außer Betracht lässt, wird durch die Bestellung zum Verfahrenshelfer wegen der damit verbundenen Rechte und Pflichten (mit denen wiederum zB auch der Aspekt der Haftungsproblematik verbunden ist) die Rechtsstellung desselben berührt. Schon deshalb ist ihm ein eigenes Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung des Verfahrenshilfebeschlusses zuzubilligen (vgl zur Beschwer Fasching ZPR² Rz 1714 ff insbesondere Rz 1717; Kodek in Rechberger ZPO5 Vor § 461 Rz 20 ff). Vergleichbares trifft weder für den Gegner und den Nebenintervenienten auf seiner Seite noch für den Revisor zu. Diese sind durch den Verfahrenshilfebeschluss nicht unmittelbar in ihrer Rechtssphäre, sondern allenfalls nur mittelbar oder gar nur in wirtschaftlicher Hinsicht betroffen (vgl M. Bydlinski Rz 6/1), weshalb es ihnen an der an sich für ein Rechtsmittel erforderlichen (formellen bzw materiellen) Beschwer mangelt. Aus diesem Grund ist es naheliegend, dass § 72 Abs 2 ZPO den Gegner und den Revisor ausdrücklich nennt, indem er auch ihnen ein Rekursrecht zubilligt. Der Gesetzestext und die erkennbare Absicht des Gesetzgebers schließen damit die Rekurslegitimation des Verfahrenshilfeanwaltes nicht aus.
Auch die Überlegung, durch eine Ausweitung der Rekurslegitimation die Kontrollmöglichkeiten zu erweitern und Missbrauchsfälle möglichst zu vermeiden, spricht gerade nicht gegen die Rekurslegitimation des Verfahrenshelfers sondern für diese. Wenn einerseits durch die entsprechende Bestimmung Kontrollmöglichkeiten erweitert und Missbrauch eingedämmt werden sollen, wäre es nicht erklärbar, warum dadurch andererseits die Rechtsmittellegitimation eines am Verfahren über die Bewilligung der Verfahrenshilfe Beteiligten (der häufig jedenfalls nicht weniger Einsicht in die wirtschaftlichen Verhältnisse der betreffenden Partei haben wird als die übrigen Beteiligten) ausgeschlossen werden sollte. Warum sollte also dem Verfahrenshilfeanwalt die Anfechtung des Beschlusses über die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Wahrung dieser allgemeinen Interessen nicht möglich sein, während man sogar dem Nebenintervenienten des Gegners, der in § 72 Abs 2 ZPO ebenfalls nicht genannt wird, das Recht auf Erhebung eines Rekurses zugesteht?
Das Rekursrecht des Verfahrenshilfeanwaltes kann aber auch nicht mit dem Hinweis auf dessen Möglichkeit, einen Antrag auf Erlöschen oder Entziehung der Verfahrenshilfe nach § 68 Abs 1 und 2 ZPO zu stellen, verneint werden. § 68 Abs 1 ZPO normiert mit dem Erlöschen der Verfahrenshilfe eine Reaktionsmöglichkeit auf geänderte Verhältnisse (Fucik in Rechberger ZPO5 § 68 Rz 1). Dies ergibt sich schon aus der Formulierung des Gesetzestextes, wonach die Verfahrenshilfe für erloschen zu erklären ist, als Änderungen in den Vermögensverhältnissen der Partei dies fordern, oder die weitere Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Damit kann der Antrag auf Erlöschen der Verfahrenshilfe das Rechtsschutzinteresse des Verfahrenshelfers nicht zur Gänze abdecken.
Dies gilt auch für die Möglichkeit, einen Antrag auf Entziehung der Verfahrenshilfe zu stellen. Dieser ist nämlich nur dann möglich, wenn sich herausstellt, dass die seinerzeit angenommenen Voraussetzungen nicht gegeben gewesen sind. Davon ausgehend ist zB die Verfahrenshilfe nicht zu entziehen, wenn sie rechtsirrtümlich bewilligt wurde (Fucik Rz 1). Dies bedeutet mit anderen Worten, dass der Verfahrenshilfeanwalt keinen Antrag auf Entziehung der Verfahrenshilfe stellen kann, wenn diese - ausgehend von einer richtigen Tatsachengrundlage - aufgrund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung bewilligt wurde. In diesem Fall hat der Verfahrenshelfer tatsächlich nur die Möglichkeit, die Bewilligung der Verfahrenshilfe (als Grundlage für den Bestellungsbescheid) mit Rekurs zu bekämpfen. Es kann aber nicht dem Gesetzgeber unterstellt werden, dass er mit der Formulierung des § 72 Abs 2 ZPO dem Verfahrenshelfer diese Möglichkeit nehmen wollte. Dies würde auch ein unerträgliches Rechtsschutzdefizit bedeuten.
Die herrschende Ansicht räumt dem Verfahrenshilfeanwalt ein Rekursrecht ein, wenn sein Antrag auf Erlöschen oder Entziehung der Verfahrenshilfe nicht erfolgreich ist, obwohl auch dies einen Beschluss nach dem entsprechenden Titel der ZPO betrifft und somit § 72 Abs 2 ZPO zum Tragen kommt, in dem der Verfahrenshilfeanwalt (und im Übrigen auch der Verfahrenshilfewerber) nicht genannt wird (werden), was inkonsequent erscheint (auch wenn er in den erwähnten Fällen wegen der Erfolglosigkeit seines Antrages formell beschwert und in § 68 Abs 1 und 2 ZPO als möglicher Antragsteller genannt ist).
Nur am Rande sei erwähnt, dass die herrschende Judikatur zu § 61 Abs 2 StPO und § 45 RAO eine Beschwerdelegitimation des im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Verteidigers gegen die entsprechenden Bestellungsbeschlüsse annimmt, zumal dessen Rechte bzw Pflichten aber auch sein Honoraranspruch davon betroffen sein sollen und damit seine Beschwer gegeben sei (RIS-Justiz RS0113952, RS0125078; vgl OLG Innsbruck ua 11 Bs 84/19v unter Hinweis auf Tipold in WK-StPO § 87 Rz 15).
Der Rekurs der Verfahrenshelferin vom 6.12.2019 gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 28.10.2019 ist daher zulässig, weshalb dem nunmehr vorliegenden Rekurs im Sinn seiner zutreffenden Ausführungen und eines erkennbaren entsprechenden Abänderungsantrages Folge zu geben und dem Erstgericht aufzutragen war, den seinerzeit eingebrachten Rekurs dem Rechtsmittelgericht vorzulegen.
Eine Kostenentscheidung konnte entfallen, weil die Rekurswerberin (zutreffend - § 72 Abs 3 letzter Satz ZPO) keine Kosten verzeichnete.
Der Revisionsrekurs gegen diese den angefochtenen Beschluss inhaltlich abändernde Entscheidung ist gemäß § 528 Abs 2 Z 4 ZPO jedenfalls unzulässig.
Textnummer
EI0100074European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0819:2020:00300R00004.20T.0220.000Im RIS seit
27.03.2020Zuletzt aktualisiert am
27.03.2020