TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/20 W191 2198753-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.01.2020
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Entscheidungsdatum

20.01.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W191 2198753-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde des minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch seine Mutter XXXX , geboren am XXXX , diese vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Georg Bürstmayr, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2018, Zahl 1099818609-152024375, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.12.2019 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Die Beschwerdeführer (in der Folge BF), XXXX , geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX , geboren am XXXX (BF2), und ihre minderjährigen gemeinsamen Kinder XXXX , geboren am XXXX (Tochter, BF3), XXXX , geboren am XXXX (Sohn, BF4), und XXXX , geboren am XXXX (Sohn, BF5), afghanische Staatsangehörige, reisten irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellten, die minderjährigen Kinder gesetzlich vertreten durch ihre Eltern, am 17.12.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).

Eine EURODAC-Abfrage ergab keine Übereinstimmung bezüglich der erkennungsdienstlichen Daten der BF.

1.2. In ihrer Erstbefragung am folgenden Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie in ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) am 21.02.2018 gaben die BF1 und der BF2 im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache "Farsi-Dari" (Erstbefragung) bzw. Dari (Einvernahme) im Wesentlichen Folgendes an:

Die BF machten Angaben zu ihrer Person und zu ihren Lebensumständen. Sie hätten einige Jahre lang im Iran afghanische Schulen besucht. Die BF1 habe zu Hause für afghanische Firmen Tätigkeiten ausgeübt (Bügeln, Verpackungen, Lebensmittel Reinigen), der BF2 habe am Bau, als Verkäufer im Bazar und als Schneider gearbeitet.

Die BF1 gab an, sie stamme aus der Provinz Bamian und habe Afghanistan mit ihrer Familie verlassen, als sie zwei Jahre alt gewesen sei, und dann in Mashhad (Iran) gelebt. Ab ca. sechs oder sieben Jahren habe sie drei Jahre lang in Herat (Afghanistan) gelebt, wo ihr Vater und ihr Bruder längere Zeit (der Vater eineinhalb Jahre in Kandahar, der Bruder drei Monate in Herat) inhaftiert gewesen seien. Seither habe sie wieder im Iran gelebt. Ihre engeren Verwandten (etwa ihre Eltern und Geschwister) würden nach wie vor im Iran leben, sie habe Kontakt zu ihnen.

Der BF2 gab an, er habe im Iran gelebt, seitdem er ein Jahr alt gewesen sei. Sein Vater sei ca. 2007 nach Afghanistan zurückgeschoben worden. Seitdem der BF2 sein Mobiltelefon auf der Reise verloren habe, habe er zu ihm, wie auch zu seinem damals in Kabul lebenden Bruder, keinen Kontakt mehr.

Als die Ausreise auslösenden Grund gab der BF2 an, dass er im November 2015 als afghanischer Staatsangehöriger in Mashhad auf der Straße von der iranischen Polizei verhaftet und nach Afghanistan auf einen Militärstützpunkt abgeschoben worden sei, wo schiitische Hazara schlecht behandelt, einer erschossen und die anderen bedroht worden seien. Ihm sei angedroht worden, dass er in Syrien in den Krieg ziehen solle. Er habe gemeinsam mit einigen anderen flüchten können und sei schlepperunterstützt wieder in den Iran gereist, von wo er mit seiner Familie nach Europa gereist sei.

Als Fluchtgrund machten die BF geltend, dass sie im Iran nicht legal aufhältig gewesen seien und ihre Kinder keine Chancen auf eine Ausbildung und eine Zukunft gehabt hätten.

Die BF machten Angaben zu ihrer Reiseroute.

Der BF2 gab an, er leide seit ca. sieben Jahren stressbedingt an Psoriasis (Schuppenflechte), und legte Belege hiefür vor.

Die BF legten zahlreiche Belege betreffend ihre Integrationsbemühungen in Österreich (Deutsch- und sonstige Kursbesuche, Schulbesuch von BF3 und BF4, Ausübung von gemeinnützigen Tätigkeiten, zahlreiche Empfehlungsschreiben, Ausübung von Taekwondo von BF2, BF3 und BF4, BF4 ist Mitglied in einem Fußballverein) vor.

1.3 Mit Schreiben ihres anwaltlichen Vertreters vom 01.03.2018 (offenbar irrtümlich datiert mit 01.03.2017, "Aufgetragene Äußerung"), erstatteten die BF eine ergänzende Stellungnahme, in der sie insbesondere darauf hinwiesen, dass die BF1 und die BF3 in Österreich selbstbestimmt ihr Leben gestalten würden. Die BF1 gehe alleine oder mit ihrer Tochter Einkaufen und sei in der (Wohnsitz-] Gemeinde aktiv. Dadurch, dass nun der BF5 einen Kindergarten besuche, könne sie erstmals Weiterbildungsmöglichkeiten ergreifen.

Die BF3 habe noch nie in Afghanistan gelebt, jedwede Traditionen und Verhaltensregeln dieses Landes seien ihr daher fremd. Sie trainiere gemeinsam mit anderen Mädchen und Jungen Taekwondo, besuche eine Mittelschule und wolle studieren und Ärztin werden.

Unter Verweis auf diverse Berichte zu Afghanistan wurde auf die schlechte Sicherheits- und Versorgungslage hingewiesen und beantragt, dass den BF - einer Familie mit vier minderjährigen Kindern und einem nicht gesunden Vater, die zudem aus dem Iran komme und daher in Afghanistan schon wegen ihrer Sprache stigmatisiert werde - internationaler Schutz zuerkannt werde.

Beigelegt war dieser Stellungnahme ein handschriftliches Schreiben der BF3, in dem diese in deutscher Sprache und Schrift auf mehreren Seiten rückblickend von ihren einschneidenden und bedrückenden Erlebnissen als fünfjähriges afghanisches Kind im Iran berichtete.

1.4. Mit im Wesentlichen gleichlautenden Bescheiden vom 09.05.2018 wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom 17.12.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen den Status von Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt IV. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde den BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.) Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF "2 [zwei] Wochen" [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person der BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen der BF sei unglaubhaft. Sie hätten keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung der BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihnen keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.

Die BF würden nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllen, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung der BF nach Afghanistan.

Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass die BF bezüglich ihrer behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund ihrer Sprach- und Lokalkenntnisse glaubwürdig wären. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.

Zum Fluchtvorbringen der BF wurde ausgeführt, dass zwar auffällig sei, dass sie ihre in der Einvernahme vorgebrachten Gründe (Abschiebung des BF2 nach Afghanistan) nicht schon in der Erstbefragung vorgebracht hätten, diese aber dann widerspruchsfrei und glaubhaft dargelegt hätten. Es stünde ihnen aber eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen.

1.5. Gegen diese Bescheide brachten die BF mit Schreiben ihres anwaltlichen Vertreters fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

In der Beschwerdebegründung wurde im Wesentlichen moniert, dass das BFA das Verfahren nicht ordnungsgemäß geführt habe. Auf die von den BF vorgebrachte Führung eines selbstbestimmten Lebens ("westlicher Lebenstil") von BF1 und BF3 sowie auf die Lage von Minderjährigen sei in den angefochtenen Bescheiden nicht hinreichend eingegangen worden. Die Lage in Afghanistan sei sehr schlecht. Aus diversen Berichten und Judikaten (etwa aus Frankreich und Deutschland sowie aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs - VfGH zu "westlich orientierten Frauen") wurde zitiert.

Die BF beantragten unter anderem die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

1.6. Am XXXX wurde XXXX als Tochter von BF1 und BF2 in Vöcklabruck geboren und laut BFA am 12.08.2019 auch für sie ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Nach Einvernahme ihrer Mutter als gesetzlicher Vertreterin am 23.10.2019 wies das BFA mit Bescheid vom 21.11.2019 auch diesen Antrag gemäß §§ 3 und 8 AsylG ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel und erließ eine Rückkehrentscheidung.

Der Bescheid wurde zunächst rechtsunwirksam an die Mutter der BF zugestellt und erst nach Hinweis des gewillkürten Vertreters rechtswirksam diesem zugestellt sowie mit Bescheid vom 02.12.2019 gemäß § 62 Abs. 4 AVG "von Amts wegen insofern berichtigt, als das die rechtliche Vertretung im Asylverfahren vom Rechtsanwalt Mag. Georg Bürstmayr übernommen wurde." (Schreibfehler im Original)

Auch gegen diesen Bescheid erhoben die BF mit Schreiben ihres Vertreters vom 18.12.2019 das Rechtsmittel der Beschwerde an das BVwG.

1.7. Das BVwG führte am 02.12.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi durch, zu der die BF in Begleitung ihres gewillkürten Vertreters und einer Vertrauensperson persönlich erschienen. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an einer Verhandlung.

Dabei gaben die BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):

"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?

BF: Dari. Wir sprechen darüber hinaus aufgrund unseres Aufenthaltes im Iran Farsi.

RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für die BF?

D: Farsi.

RI befragt BF, ob sie D gut verstehen; dies wird bejaht.

[...]

Zur heutigen Situation:

RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?

BF: Ja.

RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?

BF1, 3 und 4: Nein.

BF2: Ich habe Hautprobleme. Ich habe Psoriasis, wegen Stress.

BF2 zeigt seinen rechten Unterarm, aber der ganze Körper ist davon betroffen.

BF2: Ich gehe regelmäßig zur Psychotherapie, einmal pro Monat, bezahlt teilweise von der Gebietskrankenkasse.

[...]

Die BF haben bisher keine Bescheinigungsmittel bezüglich ihrer Identität vorgelegt und legen auch heute keine vor.

Bezüglich ihrer Gesundheit, ihres Fluchtvorbringens sowie ihrer Integration in Österreich haben sie Belege vorgelegt (Sport, gemeinnützige Tätigkeiten, Deutschprüfungsbestätigungen, zahlreiche Empfehlungsschreiben) und legen heute weiters vor: ein Konvolut an Belegen, das zum Akt genommen wird.

[...]

Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen

Lebensumständen:

RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?

BF: Die Daten bzgl. BF1 und BF2 sind richtig. Die Geburtsdaten von

BF3 und BF4 lauten richtig: BF3: XXXX (entspricht umgerechnet XXXX), BF4: XXXX (entspricht XXXX ).

RI an BF: Woher wissen Sie diese Daten?

BF2: Wir haben die Geburtsdaten auf die letzte Seite des Koran geschrieben.

RI: Warum haben Sie diese Daten nicht schon bei der Erstbefragung angegeben?

BF2: Ich habe diese Daten genauso bei der Erstbefragung angegeben, aber der Dolmetsch hat sie falsch umgerechnet.

BFV [Vertreter der BF]: Erst bei der Vorbereitung der Beschwerdeverhandlung ist diese falsche Umrechnung hervorgekommen, die BF haben uns das mitgeteilt.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF: Wir sind Hazara.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?

BF: Wir sind schiitische Moslems.

RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?

BF: Wir haben im Jahr 1381 in Mashhad geheiratet.

Angemerkt wird, dass die BF1 selbstbewusst und gleichberechtigt an der Ermittlung des genauen Datums mit dem BF2 mitgewirkt hat.

RI: Sind Sie verlobt, oder beabsichtigen Sie, in nächster Zeit zu heiraten?

BF3 und 4: Nein.

RI: Haben Sie Kinder?

BF1: Ich habe vier Kinder.

RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?

BF1 und 2: Wir haben vier Klassen die afghanische Schule im Iran besucht.

Angemerkt wird, dass die Verhandlung immer wieder zu einem großen Teil auf Deutsch geführt wird.

RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?

BF1 und 2: Wir haben für die afghanische Gemeinde Tätigkeiten ausgeübt, die BF1 Reinigungs- und sonstige Haushaltstätigkeiten, der BF2 Schneidertätigkeiten.

RI: Geben Sie bitte soweit wie möglich chronologisch an, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

BF1: Ich bin im Alter von zwei Jahren in den Iran gekommen. Mit sieben bis zehn Jahren war ich in der Provinz Herat aufhältig.

BF2: Ich bin mit ca. einem Jahr in den Iran gekommen. Vor ca. vier Jahren bin ich nach Afghanistan, Provinz Herat, abgeschoben worden und nach einigen Tagen schlepperunterstützt wieder in den Iran gegangen.

RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

BF1: Meine Verwandten leben im Iran.

BF2: Mein Vater und mein Bruder haben in Kabul gelebt. Ich habe seit meiner Ausreise, seit der Türkei, keinen Kontakt mehr zu ihnen. Mein Bruder hat mir gesagt, dass ihn die Taliban ein paar Mal bedroht hätten. Ich weiß nicht, wo sie sich befinden.

Zur derzeitigen Situation in Österreich:

RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?

BF1: In Salzburg lebt eine Cousine (Tochter meiner Schwester) seit langer Zeit. Wir telefonieren ca. einmal pro Monat und besuchen uns auch manchmal.

RI: Haben Sie Kontakt zu Österreichern? Haben Sie in Österreich wichtige Kontaktpersonen, und wie heißen diese?

BF: Wir haben viele Freund- und Bekanntschaften in Österreich.

RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.

RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?

BF2, 3 und 4: Wir verstehen, was Sie sagen.

BF1: Ich verstehe etwas mehr als die Hälfte von dem, was Sie sagen.

RI stellt fest, dass die BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und teilweise flüssig auf Deutsch beantwortet haben.

RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs, oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?

BF1: Ein Bekannter kommt seit ca. drei Monaten wöchentlich einmal zu mir, um mit mir eine bis zwei Stunden Deutsch zu lernen. Ich habe die Prüfung A1 absolviert und den Kurs A2 besucht.

RI: Haben Sie Arbeit in Österreich? Gehen Sie einer regelmäßigen Beschäftigung nach?

BF: Der BF2 verfügt über eine Mehrzahl an Einstellungszusagen. Die BF1 hat Reinigungsarbeiten in der Volksschule ausgeübt.

Die Verhandlung wird um 10:20 Uhr unterbrochen und um 10:25 Uhr fortgesetzt.

RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach? Wie ist Ihr Tagesablauf?

BF4: Ich besuche derzeit die vierte Klasse der Neuen Mittelschule und möchte nachher eine Lehre als Elektrotechniker absolvieren. Ich spiele Fußball in einem Verein.

BF3: Ich besuche derzeit die Polytechnische Schule. Ich fahre mit dem Fahrrad dorthin. Die Schule dauert oft bis 15 oder 16 Uhr. Ich unternehme dann etwas mit meinen österreichischen Freundinnen. Ich besuche den Schwimmunterricht mit einem Burkini. Meine Freundinnen haben kein Problem damit. Ich betreibe auch Taekwondo.

BF2: Jeden Samstag betreibe ich ebenfalls Taekwondo.

Angemerkt wird, dass BF2, BF3 und BF4 die Fragen auf Deutsch beantwortet haben.

BF1: Ich kümmere mich um den Haushalt und die Kinder. Den BF5 bringe ich täglich zu Fuß zum Kindergarten. Ich gehe Radfahren und, ebenfalls mit Burkini, Schwimmen. Ich gehe alleine Einkaufen. Wenn die Kinder einmal groß sind, möchte ich gerne arbeiten, etwa in den Bereichen Behindertenhilfe, Altenhilfe oder Kindergarten.

RI an BF1: Wen soll Ihre Tochter einmal heiraten?

BF1: Sie soll selbst entscheiden, wen sie heiraten will.

RI: Ist Ihre Ehe arrangiert worden?

BF1: Ja, durch unsere Eltern.

RI: Sind Sie damit zufrieden?

BF1 und BF2: Wir haben Glück gehabt.

RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?

BF2: Nein.

RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen an Ihren Herkunftsstaat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?

BF1: Ich telefoniere ca. dreimal in der Woche mit meiner Mutter und mit meinem Bruder.

BF2: Ich habe auch mit der Familie meiner Frau Kontakt, zu meiner Familie habe ich keinen Kontakt.

Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:

RI an BF1: Warum können Sie jetzt nicht nach Afghanistan zurückkehren?

BF1: Ich bin mit einem Jahr in den Iran gekommen. Als ich sieben war, musste ich miterleben, wie die Taliban mit unserer Familie umgegangen sind. Mein Bruder und mein Vater waren in Herat im Gefängnis. Aufgrund dieser Erlebnisse kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ich dort in Freiheit leben könnte. Auch ist die Regierung gegen die Minderheit der schiitischen Hazara eingestellt.

Angemerkt wird, dass die BF1 sehr bewegt wirkt (weint kurz).

RI: Sie halten sich doch an islamische Bekleidungsvorschriften, wieso droht Ihnen dann eine Gefahr?

BF1: Das Problem ist nicht die Bekleidung, sondern die Einstellung gegen die religiöse Minderheit der Hazara.

Angemerkt wird, dass die BF1 eine dunkelblaue Blue-Jeans, weiße Sneaker, eine karierte Bluse sowie einen Schal trägt, der das Haar teilweise bedeckt. Sie ist geschminkt. Die Fingernägel sind lackiert.

Auch die BF3 ist geschminkt. Sie trägt dunkelblaue Leggins, weiße Sneaker, ein Jeanskleid und eine Bluse. Sie trägt ein Kopftuch, das das Haar bedeckt. Die Fingernägel sind lackiert.

RI an BF1: Es gibt Gegenden in Afghanistan, wo die Hazara die überwiegende Mehrheit stellen, etwa in bestimmten Teilen von Kabul, oder im Hazarajat. Warum können Sie dort nicht leben?

BF1: Die Freiheit in Afghanistan ist für mich keine Freiheit. Ich kann mich dort nicht als freier Mensch bewegen. Ich habe keine Rechte. Ich konnte dort nicht in die Schule gehen. Ich könnte nicht alleine aus dem Haus gehen. Ich könnte mit keinem fremden Mann sprechen. Ich könnte nicht Schwimmen gehen, etc.

RI an BF3: Was möchten Sie einmal machen?

BF3: Ich möchte einmal Ärztin werden. Zuvor beginne ich einmal damit, dass ich Krankenpflegerin werde.

RI an BF3: Warum möchten Sie nicht nach Afghanistan gehen?

BF3: Weil ich dort keine Rechte hätte, insbesondere als Frau und als schiitische Hazara. Ich könnte dort nicht in die Schule gehen, könnte keinen Beruf erlernen. Irgendwann müsste ich dann heiraten, weil ich eine Last für meine Eltern wäre.

RI an BF4: Wie sehen Sie das alles?

BF4: Das stimmt alles. Ich und mein Vater könnten dort leben, aber meine Mutter und meine Schwester als Frauen nicht. Aber auch wir könnten uns dort nicht ganz frei bewegen, wir könnten z.B. keinen Sport machen.

Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens der BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.

Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.

RI folgt BFV Kopien dieser Erkenntnisquellen aus und gibt ihm die Möglichkeit, dazu sowie zu den bisherigen Angaben der BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben oder Fragen zu stellen.

Die anwesende Vertrauensperson gibt dazu an, dass die BF1 wollte, dass der BF2 bei der Geburt des neugeborenen Kindes dabei sei. Er hätte die Nabelschnur durchtrennt.

BF1: Ich bin sehr froh, dass das kleine Mädchen in diesem Land geboren ist.

BFV an BF3: Hatten Sie schon einmal einen Freund in Österreich?

BF3: Ja.

BF3 erzählt über dieses Vorkommnis.

RI befragt BFV, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.

RI befragt BF, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen wollen; dies wird verneint.

RI befragt BF, ob sie D gut verstanden haben; dies wird bejaht.

[...]"

Die BF3 erzählte in der Verhandlung von ihrem österreichischen Freund, den sie beim Taekwondo-Training kennengelernt habe, und dass ihre Eltern davon wüssten und dies akzeptierten, was die BF1 und der BF2 in der Verhandlung auch bestätigten.

Die BF1 erweckte in der Verhandlung den Eindruck einer starken und selbstbestimmten Persönlichkeit, die mit ihrem Ehemann mindestens auf Augenhöhe verkehrte, wenngleich sie sich von ihren - negativen - Erlebnissen in Afghanistan sichtlich berührt zeigte.

Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).

Das BFA beantragte schriftlich die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde. Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.

2. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

* Einsicht in die dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragungen am 18.12.2015 (BF1 bis BF5) und der Einvernahmen vor dem BFA am 21.02.2018 (BF1 bis BF5) sowie 23.10.2019 (BF6), die Stellungnahme der BF vom 01.03.2018 [irrtümlich mit 01.03.2017 datiert], die von den BF vorgelegten zahlreichen Belege zu ihrer Integration in Österreich und die Beschwerde vom 24.05.2018

* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 205 bis 307 im Verwaltungsakt der BF1, sowie Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016)

* Einvernahme der BF (BF1 bis BF4) im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 02.12.2019 sowie Einsichtnahme in das in der Verhandlung zusätzlich vorgelegte Konvolut an Belegen betreffend Integration der BF und Gesundheit des BF2

* Einsichtnahme in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der BF:

o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat, über die Lage der Frauen und Kinder, über die Lage der Angehörigen der Volksgruppe der Hazara sowie die Lage in den Provinzen Bamyan und Herat (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019)

3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):

Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:

3.1. Zur Person der BF:

3.1.1. Die BF führen die Namen XXXX , geboren am XXXX (BF1), ihr Ehemann XXXX , geboren am XXXX (BF2), und ihre minderjährigen gemeinsamen Kinder XXXX , geboren am XXXX (Tochter, BF3), XXXX , geboren am XXXX (Sohn, BF4), XXXX , geboren am XXXX (Sohn, BF5), und XXXX , geboren am XXXX (Tochter, BF6).

Die BF sind ist Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der BF ist Dari, sie sprechen aufgrund ihres langen und zum Teil lebenslangen Aufenthaltes im Iran auch Farsi.

3.1.2. Lebensumstände:

Die BF1 und der BF2 stammen aus der Provinz Bamian (Afghanistan) und übersiedelten als Kleinkinder mit ihren Familien nach Mashhad (Iran), wo sie ca. im Jahr 2002 heirateten. Sie besuchten einige Jahre lang im Iran afghanische Schulen und waren erwerbstätig (die BF1 übte zu Hause für afghanische Firmen Tätigkeiten aus wie Bügeln, Verpackungen, Lebensmittel Reinigen, der BF2 arbeitete am Bau, als Verkäufer im Bazar und als Schneider).

Die BF1 lebte als Kind ca. drei Jahre lang in Herat (Afghanistan), wo ihr Vater und ihr Bruder längere Zeit (der Vater eineinhalb Jahre in Kandahar, der Bruder drei Monate in Herat) inhaftiert worden seien. Seither lebte sie wieder im Iran, wo auch ihre engeren Verwandten (Eltern und Geschwister) lebten, zu denen sie Kontakt habe.

Der Vater des BF2 wurde ca. 2007 nach Afghanistan zurückgeschoben. Seitdem der BF2 sein Mobiltelefon auf der Reise verloren habe, habe er zu ihm wie auch zu seinem damals in Kabul lebenden Bruder keinen Kontakt mehr.

Der BF2 ist nach seinen Angaben im November 2015 nach Afghanistan abgeschoben worden und anschließend wieder schlepperunterstützt in den Iran gereist, von wo die Familie nach Europa aufgebrochen sei.

Die BF3, der BF4 und der BF5 sind im Iran geboren und aufgewachsen, die BF6 ist in Österreich geboren.

3.1.3. Der BF2 leidet - stressbedingt - seit einigen Jahren an Psoriasis (Schuppenflechte) und steht in ärztlicher Behandlung.

Die BF verließen Afghanistan bzw. den Iran aus angegebenen Gründen und stellten am 17.12.2015 (BF1 bis BF5) bzw. 12.08.2019 (BF6) jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

3.1.4. Die BF bemühen sich um ernsthaft, intensiv und erfolgreich um ihre Integration in Österreich. BF1 und BF2 haben Deutsch- und sonstige Kurse besucht, BF3 und BF4 besuchen die Schule. Die BF sind Mitglieder in Sportvereinen (BF2, BF3 und BF4: Taekwondo, BF4: Fußball), sie üben gemeinnützige Tätigkeiten in der Gemeinde aus und legten zahlreiche Empfehlungsschreiben vor. Der BF2 verfügt über mehrere Einstellungszusagen für Erwerbstätigkeiten.

3.1.5. Die BF sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

3.2. Zu den Fluchtgründen der BF:

3.2.1. Fluchtgründe betreffend BF1 und BF3:

BF1 und BF3 sind auf Eigenständigkeit bedachte Frauen, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert sind. In Österreich kleiden, frisieren und schminken sich BF1 und BF3 großteils nach westlicher Mode und üben Tätigkeiten alleine - ohne Mann - und selbständig aus. Die BF1 hat erstmals in ihrem Leben aufgrund des Besuches ihrer kleinen Kinder im Kindergarten die Möglichkeit, Weiterbildungsmöglichkeiten zu ergreifen, und will später einmal in den Bereichen Behindertenhilfe, Altenhilfe oder Kindergarten erwerbstätig sein.

Die BF3 besucht eine Polytechnische Schule, hat einen großen Freundeskreis und betreibt vielerlei Sport. Sie möchte zunächst Krankenpflegerin und später einmal Ärztin werden.

BF1 und BF3 lehnen die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und können sich nicht vorstellen, (wieder) nach dem konservativ-afghanischen Wertebild zu leben. Ihre Einstellung und ihr Lebensstil stehen im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Zwängen, denen Frauen dort mehrheitlich unterworfen sind.

Vor dem Hintergrund dieser grundlegend und auch entsprechend verfestigten anderen Lebensführung würden die BF1 und BF3 im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan von dem dortigen konservativen Umfeld als am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierte Frauen angesehen werden.

3.2.2. Fluchtgründe betreffend BF2, BF4, BF5 und BF6:

Die BF haben ein Vorbringen, dass sie individuell als Angehörige der Volksgruppe der Hazara asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wären, nicht konkret erstattet bzw. im Beschwerdeverfahren nicht weiter thematisiert oder aufrechterhalten.

Eigene Fluchtgründe für BF2, BF4, BF5 und BF6 wurden somit nicht glaubhaft gemacht.

3.2.3. Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF von der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten auszuschließen wären.

3.3. Zur Lage im Herkunftsstaat der BF:

Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der BF getroffen:

3.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 13.11.2019", Schreibfehler teilweise korrigiert):

"[...] 2. Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.04.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.05.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015), und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.05.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.04.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.05.2019). Die ursprünglich für den 20.04.2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.09.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.04.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für fünf Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.04.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.04.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.03.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 13.03.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 02.09.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21.10.2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.04.2019; vgl. USDOS 13.03.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28.09.2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14.11.2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden, und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben, und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.03.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 06.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.05.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.05.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.05.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.01.2004, USDOS 29.05.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.01.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 02.09.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.03.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 02.09.2019; vgl. AAN 06.05.2018, DOA 17.03.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 02.09.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert, und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht, und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.03.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss, und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.01.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.06.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.01.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.06.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.08.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 08.09.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.08.2019; vgl. NZZ 12.08.2019; DZ 08.09.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.01.2019; vgl. DP 28.01.2019, MS 28.01.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigte Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.05.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere Warlords, statt (Qantara 12.02.2019; vgl. TN 31.05.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.02.2019; vgl. NYT 07.03.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.03.2019; vgl. WP 18.03.2019).

Vom 29.04.2019 bis 03.05.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 06.05.2019 bis 04.06.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 06.05.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.05.2019).

3. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 03.09.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.04.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.06.2019; vgl. AJ 12.04.2019; NYT 12.04.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.04.2019; vgl. NYT 12.04.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.06.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel, die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.07.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.01.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss, als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 08.09.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.04.2019; vgl. NYT 19.07.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 03.09.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 07.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.08. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.04.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte, die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren, und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran, ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 03.09.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich es keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 03.09.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 07.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 07.12.2018; vgl. ARN 23.06.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan (UNGASC 03.09.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.02.2019).

[...]

Für den Berichtszeitraum 10.05. - 08.08.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevante Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 03.09.2019). Für den Berichtszeitraum 08.02 - 09.05.2019 registrierte die UN insgesamt 5249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.06.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.05 - 08.08.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle, bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 03.09.2019).

Im Gegensatz dazu registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit

29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

[...]

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.01.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.01.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Ter

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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