TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/7 W271 2170972-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.11.2019
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Entscheidungsdatum

07.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W271 2170972-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung mündlicher Verhandlungen zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: "BF"), ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Tadschiken, stellte am XXXX bei einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der am XXXX in der XXXX durchgeführten Erstbefragung gab der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX in der Provinz Maidan Wardak, Distrikt Nerkh, Dorf XXXX , geboren worden, habe zehn Jahre lang eine Schule besucht und bislang keine Beschäftigung ausgeübt. Der BF gab weiters an, über eine Familie im Herkunftsland zu verfügen: Diese bestehe aus seinen Eltern, zwei Brüdern und einer Schwester. Seine Familie, der es finanziell gut gehe, besitze Grundstücke im Ausmaß von XXXX und lebe vom Ertrag der Ernte.

Als Fluchtgrund führte der BF im Wesentlichen an, dass in seiner Heimatregion die Taliban sowie andere Gruppierungen wie die Daesh herrschen würden. Diese hätten den BF, der die Aufforderung nicht ernst genommen habe, dazu angehalten, am Jihad teilzunehmen. Der BF sei dann von der Hizb-i Islami entführt worden und habe sich drei Tage lang in deren Gefangenschaft befunden. Mittels Lösegeldzahlung ( XXXX Afghani) durch seinen Vater sei dieser schließlich freigekauft worden. Aus Angst um sein Leben habe der BF danach seine Heimat verlassen.

3. Aufgrund von Zweifeln an der Altersangabe des BF wurde ein Gutachten zur Volljährigkeitsbeurteilung eingeholt und dessen Mindestalter zum Untersuchungszeitpunkt mit 19 Jahren (damit Geburtsjahr XXXX ) festgelegt.

4. Am XXXX erfolgte die Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: "BFA") in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer Vertrauensperson des BF. Die Frage, ob es Probleme mit der Dolmetscherin oder dem Protokoll in der Erstbefragung gegeben habe, verneinte der BF.

Dieser führte an, nicht genau zu wissen, wann er auf die Welt gekommen sei (nach seinen Berechnungen sei er aber ca. 19 Jahre alt), und dass er in der Provinz Maidan Wardak, im Dorf XXXX , geboren und aufgewachsen sei. Dort habe der BF die Schule zehn Jahre lang besucht. Seine Eltern und eine Schwester würden nach wie vor im Heimatdorf leben, wo sein Vater der Dorfälteste sei und es viele Grundstücke sowie ein größeres Haus gebe; die finanzielle Situation der Familie sei eine sehr gute. Bis zur Gefangenschaft des BF habe dessen Vater auch in einem Ministerium gearbeitet. Die beiden Brüder des BF würden nunmehr im Iran wohnen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt schilderte der BF zusammengefasst, dass sein Vater einen Drohbrief der Hizb-i Islami erhalten habe, in dem von der Gruppierung gefordert worden sei, diese in finanzieller Hinsicht oder beim Jihad zu unterstützen. Zwei Wochen später sei der BF dann von drei Männern auf zwei Motorrädern festgenommen und anschließend in einem Auto mit drei Personen zu einem Kuhstall gebracht worden, wo er drei Nächte festgehalten sowie geschlagen worden sei. Danach habe die Familie des BF einen weiteren Drohbrief erhalten, in dem die Gefangenschaft des BF bekannt gegeben worden sei, woraufhin dessen Vater mit den anderen Dorfältesten gekommen sei und XXXX Afghani bezahlt sowie etwas unterschrieben habe. Der BF sei einen Tag lang zuhause gewesen, ehe er die Nachricht erhalten habe, die Taliban würden glauben, er arbeite als Spion der Hizb-i Islami. Daraufhin hätten seine Eltern gemeint, dass er aus Afghanistan flüchten müsse.

5. Mit Schreiben vom XXXX gab der BF eine Stellungnahme zu den bei der BFA-Einvernahme überreichten Länderberichten ab. Darin äußerte sich dieser eingangs zu den Missverständnissen aufgrund der mangelhaften Übersetzung des Dolmetschers betreffend die berufliche Tätigkeit des Vaters des BF und der unzureichenden Nachvollziehbarkeit von Teilen des Protokolls aufgrund der Beschränkung auf den Verweis "Nachfragen". Anschließend bezog der BF Stellung zur schlechten Sicherheitslage in Afghanistan, führte die für ihn relevanten UNHCR-Risikoprofile an (Familienangehöriger eines hochrangigen Regierungsmitgliedes sowie einer wohlhabenden Person, Mann im wehrpflichtigen Alter, "verwestlichter" Rückkehrer und Angehöriger einer Minderheit) und bemerkte, dass für ihn auch in Kabul oder einer anderen afghanischen Großstadt wegen des Fehlens eines sozialen Netzes und der Bekanntheit des Vaters des BF keine Möglichkeit zur Wiederansiedelung bestehe. Zudem wies der BF auf seine erfolgreiche Integration hin.

6. Mit Bescheid vom XXXX wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

7. Der BF erhob am XXXX gegen sämtliche Spruchpunkte Beschwerde. Es wurde besonders hervorgehoben, dass der BF bei einer Rückkehr wegen seiner (unterstellten) politischen Gesinnung als vermeintlicher Spion bzw. aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie von den Taliban und Hizb-i Islami verfolgt werde; diese Gefahr sei im gesamten Staatsgebiet allgegenwärtig. Diesem würden aber auch Zwangsrekrutierung und eine Gefährdung aufgrund des Aufenthaltes in einem westlichen Land drohen. Im Herkunftsland herrsche überdies eine schlechte Sicherheits- und Versorgungslage für Rückkehrer, weshalb keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe.

8. Die Beschwerdevorlage erfolgte mit Schreiben vom XXXX . Am selben Tag langte der Akt beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: "BVwG") ein.

9. Das BVwG führte am XXXX in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und im Beisein eines Rechtsvertreters und einer Vertrauensperson des BF sowie zweier Behördenvertreter eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Zu Beginn der Vernehmung wies der BF darauf hin, dass es Probleme mit der Übersetzung des Berufes seines Vaters gegeben habe. Außerdem sei fehlerhaft protokolliert worden, dass sein Vater nur zwei Jahre lang die Tätigkeit im Ministerium ausgeübt habe. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes sei fälschlicherweise festgehalten worden, dass drei Personen mit zwei Motorrädern gekommen seien, dabei seien es zwei Personen auf einem Motorrad und eine Person im Auto gewesen.

10. Mit Eingabe vom XXXX schickte der BF Unterlagen zu seinen medizinischen Behandlungen nach und plädierte, dass ihm subsidiärer Schutz mangels gewährleisteter medizinischer Versorgung in Afghanistan zuzuerkennen sei. Weiters verwies der BF darauf, dass ihm eine Verfolgung der Taliban aufgrund ihrer informellen Strukturen im gesamten Land drohe. Anschließend kommentierte der BF das aktuelle Länderinformationsblatt sowie die UNHCR-Richtlinien 2018 und tätigte - bezugnehmend auf die weiteren herkunftsbezogenen Berichte aus der vorangegangenen Beschwerdeverhandlung - Ausführungen zur Sicherheits- und Versorgungslage in seiner Herkunftsprovinz sowie in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif.

11. Das BVwG forderte zum Fall des BF eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation an, die am XXXX beantwortet wurde.

12. Am XXXX fand eine weitere mündliche Verhandlung in der Angelegenheit in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein einer Rechtsvertreterin und einer Vertrauensperson des BF statt.

13. Mit Beschluss vom XXXX wurde vom BVwG ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet "Unfallchirurgie" bestellt, der ein Gutachten zum Gesundheitszustand des BF, hg. eingelangt am XXXX , erstattete.

14. Am XXXX wurde eine weitere Beschwerdeverhandlung in der Sache in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein einer Rechtsvertreterin des BF abgehalten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Person des BF

1.1.1. Der BF trägt den Namen XXXX und führt das Geburtsdatum XXXX . Sein Aliasgeburtsjahr ist XXXX . Dieser ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Volksgruppenangehöriger der Tadschiken und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Der BF beherrscht die Sprachen Dari und Paschtu in Wort und Schrift. Paschtu und Dari gehören zu den offiziellen Landessprachen in Afghanistan.

1.1.2. Der BF ist volljährig, ledig sowie kinderlos und wurde in der Provinz Maidan Wardak, Distrikt Maidan Shahr, Dorf XXXX , geboren. Dort besuchte er zehn Jahre lang eine Schule und half ab und zu einem Automechaniker oder in der Landwirtschaft der Familie aus.

1.1.3. Die Eltern und eine Schwester des BF leben nach wie vor im Heimatort, wo der Vater zu den Dorfältesten zählt. Die Familie wohnt in einem größeren Haus, besitzt Grundstücke im Ausmaß von XXXX und lebt vom Ertrag der Ernte. Die Familie lebt auch von Pachteinnahmen. Früher war der Vater des BF für das Justizministerium tätigt; dieser teilte die Gehälter an die Mitarbeiter aus. Der BF hat einmal im Monat Kontakt zu seinen Eltern und seiner Schwester.

Die zwei Brüder des BF verließen kurze Zeit nach dem BF das Dorf; diese halten sich derzeit im Iran auf und arbeiten in der Baubranche. Der Vater des BF hat vier Brüder und drei Schwestern. Auf der Vaterseite gibt es 15 Cousins und Cousinen, auf der Mutterseite etwa 10 Cousins und Cousinen. Ein Onkel des BF wohnt ebenfalls im Heimatdorf, darüber hinaus hat der BF Verwandte in Ghazni. Weitere Angehörige leben in Pakistan und dem Iran.

1.1.4. Der BF verließ Afghanistan im XXXX , reiste am XXXX in Österreich ein und stellte an diesem Tag im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die Schleppung des BF wurden von dessen Vater USD XXXX gezahlt. Dieser Betrag wurde durch die kurzfristig organisierte Verpfändung familieneigener Grundstücken erlangt.

1.1.5. In seinem Herkunftsstaat ist der BF nicht vorbestraft, er war auch nicht politisch tätig und hatte keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

1.1.6. Der BF leidet unter immer wiederkehrenden Rückenschmerzen und an einem Vitamin D-Mangel. Weiters wurde bei ihm eine Schilddrüsenunterfunktion diagnostiziert und eine Röntgenschwachbestrahlung wegen einer früheren Fasciitis planaris angeordnet. Es besteht beim BF weder ein Fersensporn, noch Morbus Bechterew.

Aus dem eingeholten Gutachten des Sachverständigen aus dem Fachgebiet "Unfallchirurgie" ergibt sich:

Rückenschmerzen

o Funktionsbeeinträchtigungen: Beim BF können endlagige Bewegungseinschränkungen bei der Lendenwirbelsäule sowie Schmerzen beim Heben und Tragen schwerer Gegenstände eintreten.

o Leistungskalkül und Arbeitsfähigkeit: Dem BF ist die Vornahme leichter und mittelschwerer Tätigkeiten, fallweise auch schwere Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen möglich. Arbeiten in überwiegend vorgeneigter Körperhaltung sind auszuschließen, kniende und hockende Tätigkeiten sowie Arbeiten in exponierter Position sind möglich. Die Gehstrecke ist nicht eingeschränkt und öffentliche Verkehrsmittel sind benützbar. Unter kalkülskonformer Tätigkeit sind Krankenstände zukünftig nicht zu erwarten.

o Therapie: Die Rückenschmerzen des BF sind durch aktive Heilgymnastik günstig zu beeinflussen; fallweise können schmerzstillende Medikamente (etwa XXXX ) hilfreich sein. Der Zustand des BF kann alleine durch Muskelaufbau im Bereich des Rückens wesentlich verbessert werden.

Schilddrüsenunterfunktion

o Funktionsbeeinträchtigungen: Beim BF kann dadurch ein Schwächegefühl, eine depressive Stimmungslage, erniedrigter Blutdruck sowie verlangsamte Herzfrequenz ausgelöst werden, was über den Zeitverlauf zu einer Abnahme der Leistungs- und Arbeitsfähigkeit führt.

o Therapie: Die Schilddrüsenunterfunktion ist durch die Einnahme von Hormonen (etwa XXXX ) medikamentös einstellbar und führt dann zu Symptomfreiheit.

Entzündung der Sehnenplatte

o Funktionsbeeinträchtigungen: Eine solche Entzündung kann eine Gangstörung und Gangbildstörung hervorrufen. Dies liegt jedoch beim BF nicht vor.

o Therapie: Es ist - weil diese Erkrankung nicht mehr feststellbar war - keine Behandlung notwendig, eine Röntgenbehandlung kann - im Fall des Auftretens - zu nachhaltiger Schmerzfreiheit führen.

Tätigkeitsprofil: Dem BF sind sitzende, stehende und gehende Tätigkeiten möglich, ausschließlich sitzende Tätigkeiten oder ausschließlich stehende Tätigkeiten ohne die Möglichkeit, die Körperhaltung zu ändern, sind zu vermeiden.

Aktuelle Medikation: Der BF nimmt regelmäßig Tabletten für seine Schilddrüsenerkrankung und gelegentlich Schmerzmittel für seine Rückenbeschwerden ein.

Der BF ist innerhalb des Leistungskalküls/des Tätigkeitsprofils arbeitsfähig und selbsterhaltungsfähig.

Der BF läuft im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes unmittelbar in einen lebensbedrohlichen Zustand zu geraten. Im Fall seiner Rückkehr ist eine schleichende Verschlechterung des Allgemeinzustands zu erwarten, wenn er keiner Schilddrüsenmedikation zugeführt wird.

Die Leiden des BF sind in Afghanistan behandelbar und die - außer hinsichtlich der Schilddrüsenmedikation - nur fallweise erforderlichen Medikamente, insbesondere in den größeren Städten, erhältlich. Der BF kann sich diese Medikation leisten. Der BF kann auch (finanzielle) Unterstützung durch seine Familie erwarten.

1.1.7. Im Bundesgebiet verfügt der BF über keine Verwandten.

1.1.8. Dieser wohnt aktuell in einer Flüchtlingsunterkunft in XXXX , geht keiner regelmäßigen bezahlten Beschäftigung nach und lebt von der Grundversorgung. Er erledigt Reinigungsarbeiten in seinem Wohnheim, wofür er ein wenig Geld erhielt. Der BF bemühte sich um einen Job, jedoch bisher erfolglos.

Der BF hat ein Jahr lang das XXXX besucht, im Zuge dessen er in Deutsch, aber auch in Fächern wie Mathematik, Englisch und Elementen des Pflichtschulabschlusses unterrichtet wurde; vom Jugendcollege wurde er auch zu drei Praktika geschickt, die er problemlos absolvierte. Im Jahr XXXX hat der BF eine Übergangsklasse für Flüchtlinge an der Berufsschule für Baugewerbe besucht, die aber im Folgejahr eingestellt wurde. Im XXXX nahm dieser an einem Modul bei der XXXX teil.

Der BF absolvierte seit seinem Aufenthalt im Bundesgebiet mehrere Deutschkurse (Niveau B1), legte aber keine Sprachprüfung ab. In seiner Freizeit geht er schwimmen und macht Fitness für seinen Rücken. Für den BF wurde ein Sozialbericht ausgestellt, der dessen Integrationswillen und seine angenehme sowie hilfsbereite Art unterstreicht. Der BF hat österreichische Freunde.

1.1.9. Der BF ist in Österreich nicht vorbestraft, er war nicht von einer gerichtlichen Untersuchung in Österreich betroffen und hat keine Verwaltungsstrafe erhalten.

1.1.10. Der BF praktiziert - obwohl er nach wie vor Moslem ist - seit seiner Ankunft im Bundesgebiet den Islam nicht mehr; beispielsweise isst sowie trinkt er zu Zeiten des Ramadans und betet nicht. Eine Apostasie ist beim BF nicht eingetreten. Auch ein nachhaltig nachgelassenes Interesse an seinem Glauben konnte nicht festgestellt werden.

1.2. Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates

1.2.1. Der Vater des BF erhielt Anfang XXXX einen Drohbrief der Hizb-i Islami, in dem dieser dazu gefordert wurde, seine Tätigkeit im Ministerium aufzugeben und die Gruppierung finanziell zu unterstützen oder einen seiner Söhne in den Jihad ziehen zu lassen. Etwa zwei Wochen darauf wurde der BF von Anhängern der Hizb-i Islami entführt und drei Tage lang in einem Stall festgehalten - darüber wurde die Familie des BF durch einen zweiten Drohbrief in Kenntnis gesetzt. Gegen die Zahlung eines Lösegeldes iHv XXXX Afghani durch den Vater des BF wurde dieser schließlich freigelassen. Seit der Lösegeldzahlung droht für den BF seitens der Hizb-i Islami keine spezielle Gefahr.

1.2.2. Der BF und seine Familie hatten im Herkunftsstaat niemals spezielle Probleme mit den Taliban, wenngleich die Taliban jährlich Ernteabgaben von der Familie forderten; auch nach der Ausreise des BF sind seine Angehörigen nicht in den Fokus der regierungsfeindlichen Gruppierung geraten. Der BF wurde auch nie persönlich von den Taliban bedroht. Dem BF wird seitens der Taliban nicht vorgeworfen, dass er ein Spion der Hizb-i Islami ist. Weder aus diesem Grund, noch aufgrund seiner Eigenschaft als Sohn seines Vaters, war er in Afghanistan einer lebensbedrohlichen oder seine körperliche oder geistige Integrität beeinträchtigenden Gefahr ausgesetzt, noch ist dies bei einer Rückkehr zu befürchten.

1.2.3. Ein militärischer Hintergrund war beim BF nicht festzustellen; es konnte auch sonst nichts festgestellt werden, was den BF in den Augen der Taliban oder einer anderen regierungsfeindlichen Gruppierung als wahrscheinliches Ziel einer Zwangsrekrutierung erscheinen ließe. Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan daher auch nicht mit erhöhter Wahrscheinlichkeit (Zwangs)Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen.

1.2.4. Es konnte darüber hinaus nicht festgestellt werden, dass in Afghanistan gegen den BF persönlich eine integritätsbedrohende Handlung oder Maßnahme, insbesondere wegen seines Geschlechts, seiner Rasse, Religion, Nationalität Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung, gesetzt wurde oder eine solche Handlung oder Maßnahme unmittelbar bevorstand oder er eine solche Bedrohung im Falle seiner Ausweisung nach Afghanistan überall im Land zu befürchten hätte.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften, insbesondere wegen seiner Volkszugehörigkeit oder seiner (allenfalls unterstellten) Eigenschaft als "verwestlichter" Rückkehrer aus Europa, eine gegen ihn gerichtete integritätsgefährdende Bedrohung erlitten hat, eine solche unmittelbar bevorstand oder er eine solche Bedrohung im Falle seiner Ausweisung nach Afghanistan speziell zu befürchten hätte.

1.3. Situation im Herkunftsstaat

1.3.1. Integrierte Kurzinformationen

KI vom 04.06.2019

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019-31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019). Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht.

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b). Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen.

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

KI vom 01.03.2019

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

KI vom 22.01.2019

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 08.01.2019

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

KI vom 23.11.2018

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.08.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Weder die Taliban, noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018).

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

KI vom 29.10.2018

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet.

KI vom 19.10.2018

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah-Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

(Auszüge aus folgender Quelle: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 [Stand:

04.06.2019, in Folge: "LIB"], Pkt. 1. "Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen")

1.3.2. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage in Afghanistan für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018). Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Taliban-Angriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder.

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018). Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018).

Regierungsfreundliche Kräfte

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018). Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 3. "Sicherheitslage")

Eine weitere aufständische Gruppierung ist die Hezb-e-Islami-Gulbuddin (HIG). Die HIG ist gegenwärtig ideologisch und politisch mit den Taliban verbündet, auch wenn es gelegentlich zu Konfrontationen mit Mitgliedern der Taliban in den Gebieten, in denen die HIG am aktivsten ist (nördlich und östlich von Kabul gelegene Provinzen), gekommen ist. Dem CRS zufolge wird die HIG weithin nicht als wichtiger Faktor auf dem Kampffeld Afghanistan erachtet und hat sich bislang hauptsächlich auf öffentlichkeitswirksame Angriffe ("high-profile attacks") fokussiert (CRS, 6. Juni 2016, S. 22).

Ende September 2016 berichtet Osman Borhan vom Afghanistan Analysts Network (AAN), dass ein Friedensabkommen zwischen Hekmatyar und dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani abgeschlossen wurde. Allerdings ist es Osman zufolge unwahrscheinlich, dass das Abkommen einen deutlichen Rückgang des derzeitigen Gewaltlevels zur Folge haben wird, zumal die Hezb-e Islami derzeit so gut wie gar nicht mehr auf dem Schlachtfeld präsent ist. (Osman, 29. September 2016)

(Auszug aus folgender Quelle: ECOI, Überblick über die Sicherheitslage in Afghanistan, abrufbar unter:

https://www.ecoi.net/de/laender/afghanistan/themendossiers/allgemeine-sicherheitslage-in-afghanistan, Pkt. 2.2.)

1.3.3. Grundversorgung und Wirtschaftslage

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung und Wirtschaft")

1.3.3.1. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

Projekte der afghanischen Regierung

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u.

a. der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).

Das "Citizens' Charter National Priority Program" z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018).

(Auszüge aus folgender Quelle: LIB, Pkt. 21. "Grundversorgung und Wirtschaft")

Der Arbeitsmarkt in Afghanistan ist herausfordernd und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Die Abschätzung der Arbeitslosenrate ist wegen des informellen Charakters des Markts schwierig. Auch für höher gebildete und höherqualifizierte Personen ist es, nach einer Quelle der UN schwierig, ohne ein Netzwerk Arbeit zu bekommen und ohne jemanden zu haben, welcher jemandem einem Arbeitgeber vorstellt. Afghanistan wird von Amnesty International als hochgradig korrupt beschrieben. Nepotismus ist weitverbreitet und die meisten höheren Positionen in der Verwaltung und Gesellschaft im Allgemeinen werden auf Grundlage von Beziehungen und früheren Bekanntschaften verteilt. Aus Sicht eines Arbeitgebers ist es sinnvoll, jemanden aus seinem eigenen Netzwerk aufzunehmen, weil man genau weiß, was man bekommt. Wenn jemand aus der erweiterten Familie aufgenommen wird, so bleiben die Ressourcen im Familiennetzwerk. Eine Studie aus 2012 der ILO über Beschäftigungsmuster in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher einstufen als formale Qualifikationen und, dass dies der Schlüssel zur Sicherung von Beschäftigung wäre. Nach einer Analyse von Landinfo hat sich daran seit 2012 nichts geändert.

Nach der IOM gibt es lokale Webseiten, welche freie Stellen im öffentlichen und privaten Sektor ausweisen. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, unregulierten Arbeitsmarkts. Der Arbeitsmarkt besteht hauptsächlich aus manueller Arbeit ohne die Anforderung für eine formale Ausbildung und gibt das niedrige Bildungsniveau wieder.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan, Afghanistan Networks aus Februar 2018 [in Folge: "EASO-Bericht Netzwerke"], abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/Afghanistan_Networks.pdf, Pkt. 4.1.)

Laut ALCS 2016-17 können 2 Millionen Afghanen - 23,9% der gesamten Erwerbsbevölkerung - als arbeitslos eingestuft werden, was bedeutet, dass sie nicht arbeiten oder eine Beschäftigung suchen oder weniger als acht Stunden pro Woche arbeiten. Junge Afghanen treten jedes Jahr in großer Zahl in den Arbeitsmarkt ein, aber die Beschäftigungsmöglichkeiten können aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten.

Afghanistan war seit 2011-2012 mit einem starken Anstieg von Armut konfrontiert, wobei sowohl die städtischen als auch die ländlichen Armutsraten zunahmen. In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind.

Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann. ALCS 2016-2017 stellte fest, dass nur 19,8% aller in Afghanistan beschäftigten Personen öffentlich und privat angestellt sind oder Arbeitgeber sind, was bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer eine gefährdete Beschäftigung darstellt.

52,6% der Landbevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt, während die städtische Beschäftigung vielfältiger ist. 36,5% der Erwerbsbevölkerung sind in verschiedenen Dienstleistungsbereichen beschäftigt und nur 5,5% in der Landwirtschaft.

Die Hauptstadt hat einen großen Anteil an Angestellten, während Selbständigkeit im Vergleich zu ländlichen Teilen des Landes weniger verbreitet ist. Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen. Zu den wichtigsten Arbeitgebern in Kabul zählen kommunale, soziale und persönliche Dienstleistungen sowie die öffentliche Verwaltung.

In Herat Stadt gibt es Möglichkeiten in Bezug auf Handel, Import und Export von Waren, Bergbau und Produktion. Ungefähr die Hälfte der Erwerbsbevölkerung sind Tagelöhner. Einige der jahrhundertealten handwerklichen Erzeugnisse (Teppiche, Glas, Stickereien) haben überlebt, während sich auch eine Reihe moderner industrieller Tätigkeiten entwickelt hat (z.B. Lebensmittelverarbeitung und -verpackung).

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO, Afghanistan Key socio-economic indicators, Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City [in Folge: "EASO-Bericht Sozioökonomische Schlüsselindikatoren", abrufbar unter:

https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/EASO_COI_Afghanistan_KSEI_April_2019.pdf, Pkt. 4.2.1.)

Die Löhne für Gelegenheitsarbeit in Herat-Stadt im Mai 2018 lagen rund 17 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt. Damit steht die Lohnentwicklung im Kontrast zu Entwicklungen in anderen urbanen Zentren Afghanistans.

(Auszug aus folgender Quellen: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.09.2018 ["Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre"], unter Angabe weiterer Quellen)

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan und ein Industriezentrum mit großen Produktionsbetrieben und einer großen Anzahl kleiner und mittlerer Unternehmen, die Kunsthandwerk, Teppiche und Teppiche anbieten. Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als relativ stabil. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt waren Service- und Verkäufer.Die größte Gruppe der Beschäftigten in der Stadt waren Service- und Vertriebsmitarbeiter (23,1%), gefolgt von Managern/Fachleuten/Technikern und Angestellten (20,9%).

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Bericht Sozioökonomische Schlüsselindikatoren, Pkt. 4.2.1.)

In Mazar-e Sharif lagen die Löhne für Gelegenheitsarbeit im Mai 2018 4,5 Prozent über dem Fünfjahresdurchschnitt.

(Auszug aus folgender Quellen: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13.09.2018 ["Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif aufgrund anhaltender Dürre"], unter Angaben weiterer Quellen)

Bei der Arbeitssuche besonders relevant sind alle Arten von Netzwerken, von denen die Verwandten im Verband von Großfamilien hervorzuheben sind, aber auch Netzwerke, die auf einem gemeinsamen Hintergrund oder auf gemeinsamen Arbeits- oder Bildungserfahrungen beruhen. Es wird zum Beispiel berichtet, dass sich die jüngsten Siedlungen in Kabul häufig aus Bewohnern mit einem gemeinsamen regionalen oder ethnischen Hintergrund zusammensetzen, die sich ausschließlich aufeinander stützen, um Wohnraum und Arbeit zu finden. Quellen berichten, dass erweiterte Familiennetzwerke für Rückkehrer bei der Suche und Aufrechterhaltung von Beschäftigung und Wohnraum von entscheidender Bedeutung waren. Bei unbegleiteten Minderjährigen, alleinstehenden Frauen und Haushalten mit weiblichem Haushaltsvorstand waren die Anfälligkeiten trotz familiärer Unterstützung höher. Viele Rückkehrer, insbesondere solche ohne familiäre Bindungen, ließen sich in Städten nieder, weil sie der Ansicht waren, dass diese sicherer und die Existenzgrundlage besser sei.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO, Country Guidance:

Afghanistan aus 2019 [in Folge: "EASO-Länderleitfaden 2019"], abrufbar unter https://www.easo.

europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Afghanistan_2019.pdf, Seite 134)

1.3.3.2. Nahrungsmittelsicherheit

Sozioökonomische Schlüsselindikatoren

44,6% der Afghanischen Bevölkerung (ca. 13 Millionen) leben in schwerer bis moderater Lebensmittelunsicherheit; 2011 waren es noch 30,1%. Ein Anstieg wurde in allen Bevölkerungsgruppen beobachtet, wobei der stärkste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu beobachten war. Während der Aussaat im Winter (Dezember 2017 bis Februar 2018) kam es zu einer längeren Trockenheitsperiode. UNOCA ist der Ansicht, dass die Trockenperiode 2018 etwa zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung betroffen hat. Die Lebensmittelsicherheit in Kabul und Mazar-e Sharif wurde im Dezember 2018 vom "Famine Early Warning System" (FEWS) als "stressed" (selbst mit humanitärer Hilfe wies mindestens einer von fünf Haushalten nur einen minimalen Nahrungsmittelkonsum auf, und konnte sich einige wesentliche Ausgaben für andere Zwecke nicht leisten ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden) und in Herat als "crisis" (trotz humanitärer Hilfe war mindestens jeder fünfte Haushalt unterernährt oder lag über der üblichen akuten Unterernährung oder war nur geringfügig in der Lage, den Mindestnahrungsbedarf zu decken) bezeichnet.

(Zusammenfassung aus folgender Quelle: EASO-Leitfaden 2019, Seite 132, unter Verweis auf den EASO-Bericht Sozioökonomische Schlüsselindikatoren)

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Auszug und Zusammenfassung aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation "Lage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif auf Grund anhaltender Dürre" vom 13.9.2018 (in der Folge: "ABSD Dürre") und der ACCORD-Anfragebeantwortung

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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