TE Vfgh Erkenntnis 2019/12/11 E3358/2019 ua

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Veröffentlicht am 11.12.2019
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten betreffend eine irakische Familie; keine Feststellungen hinsichtlich des Herkunftsorts der Beschwerdeführer und einer innerstaatlichen Fluchtalternative

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 3.728,40 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I.       Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1.       Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um irakische Staatsbürger. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin stellten am 2. November 2015 Anträge auf internationalen Schutz. Bei der Drittbeschwerdeführerin handelt es sich um die am 2. September 2016 in Österreich geborene Tochter des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin. Nach deren Geburt wurde ein Antrag auf Durchführung eines Familienverfahrens gestellt.

2.       Mit gleichlautenden Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22. Dezember 2016 wurden die Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen; ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) wurde nicht erteilt; gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß §46 FPG zulässig sei; gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3.       Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 30. Juli 2019 als unbegründet abgewiesen.

3.1.    Das Bundesverwaltungsgericht gibt in der Entscheidung folgende Länderberichte betreffend die Situation von Kindern im Irak wieder:

"Kinder

Die Hälfte der irakischen Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind nach Angaben der Vereinten Nationen in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage betroffen. Sehr viele Kinder und Jugendliche sind durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA 12.2.2018). Laut UNICEF machten Kinder im August 2017 fast die Hälfte der damals drei Millionen durch den Konflikt vertriebenen Iraker aus (USDOS 20.4.2018).

Art29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Irak ist dem Zusatzprotokoll zur VN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 12.2.2018). Das Gesetz verbietet die kommerzielle Ausbeutung von Kindern, sowie Pornografie jeglicher Art, einschließlich Kinderpornografie (USDOS 20.4.2018).

Im Falle einer Nichtregistrierung der Geburt eines Kindes werden diesem staatliche Leistungen wie Bildung, Lebensmittelbeihilfe und Gesundheitsversorgung vorenthalten. Alleinstehende Frauen und Witwen hatten oft Probleme bei der Registrierung ihrer Kinder. Kinder, die nicht die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, haben ebenfalls keinen Anspruch auf staatliche Leistungen. Humanitäre Organisationen berichten von einem weit verbreiteten Problem bezüglich Kindern, die im IS-Gebiet geboren worden sind und keine von der Regierung ausgestellte[n] Geburtsurkunden erhalten (USDOS 20.4.2018).

Die Grundschulbildung ist für Kinder, die die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der kurdischen Autonomieregion besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten. Der Zugang zu Bildung von Kindern, die aufgrund des Konfliktes intern vertrieben wurden, ist stark ein[ge]schränkt (USDOS 20.4.2018). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7 Prozent), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der Autonomen Region Kurdistan fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig. In den vom IS beherrschten Gebieten fand kein regulärer Schulunterricht statt (AA 12.2.2018). Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News 19.1.2018; vgl UNICEF 31.1.2017). Armut wirkt sich nicht nur negativ auf die Bildung, sondern auch auf die Gesundheit von Kindern aus (UNICEF 31.1.2017). 22,6 Prozent der Kinder im Irak sind unterernährt (AA 12.2.2018). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF 31.1.2017).

Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem. Im Jahr 2011 waren 46 Prozent der Mädchen im Alter von 10 bis 14 Jahren familiärer Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.4.2018). Die Zahl der Fälle von Kindesmissbrauch nimmt zu. Soziale Medien helfen verstärkt bei der Aufdeckung von Missbrauch und Folter (Al Monitor 2.5.2017). Berichten zufolge verkaufen Menschenhandelsnetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland. Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln und Drogen zu verkaufen (USDOS 28.6.2018). Auch Kinderprostitution ist ein Problem. Da die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung neun Jahre beträgt und in der Autonomen Region Kurdistan elf, behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer. Strafen für die kommerzielle Ausbeutung von Kindern reichen von Bußgeldern und Freiheitsstrafen bis hin zur Todesstrafe. Es lagen jedoch keine Informationen darüber vor, mit welcher Wirksamkeit der Staat diese Strafen durchsetzt (USDOS 20.4.2018).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Das Gesetz begrenzt die Arbeitszeit für Personen unter 18 Jahren auf sieben Stunden pro Tag und verbietet Beschäftigungen, die der Gesundheit, Sicherheit oder Moral von Personen unter 18 Jahren schaden. Trotzdem gibt es im ganzen Land Fälle von Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen. Es gibt dokumentierte Fälle von durch den Konflikt intern vertriebenen Kindern, die gezwungen wurden Kinderarbeit zu leisten. Versuche der Regierung Kinderarbeit zB durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos (USDOS 20.4.2018)."

3.2.    In Bezug auf den Herkunftsort bzw die Situation, die die Beschwerdeführer im Irak erwartet, führt das Bundesverwaltungsgericht Folgendes aus:

"In Bagdad, woher die Beschwerdeführer stammten, sind keine Berichte von zerstörten Schulen bekannt. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass ein regulärer Unterricht in den Schulen Bagdads nicht stattfinden würde. Die verbesserte Sicherheitslage ermöglicht es Kindern mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, sicher und ohne durch sicherheitsrelevante Vorfälle behelligt in Bagdad die Schule und andere Bildungseinrichtungen besuchen zu können.

[…]

Die Beschwerdeführer konnten auch nicht schlüssig aufzeigen, weshalb ihnen keine innerstaatliche Fluchtalternative offen gestanden wäre. Es wäre ihnen nämlich möglich und zumutbar gewesen, innerhalb der Autonomen Kurdenzone des Nordirak einen anderen Ort aufzusuchen, hätten sie sich bedroht gefühlt.

[…]

Dass im Irak, insbesondere im sogenannten sunnitischen Triangel nördlich von Bagdad durch kriegerische Auseinandersetzungen mit dem IS in der Vergangenheit Schulen zerstört wurden und kein regulärer Unterricht stattfindet, vermag nicht taugliche Schlussfolgerungen auf die Situation in Bagdad, woher die Beschwerdeführer stammten, zu ziehen. Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, das sehr detaillierte Informationen und Quellenangaben enthält, berichtet nicht von zerstörten Schulen in Bagdad oder davon, dass kein regulärer Unterricht in den Schulen Bagdads stattfinden würde. Die festgestellte und im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation glaubhaft dargestellte verbesserte Sicherheitslage ermöglicht es Kindern mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, sicher und ohne durch sicherheitsrelevante Vorfälle behelligt in Bagdad die Schule und andere Bildungseinrichtungen besuchen zu können, weshalb die entsprechenden Feststellungen zu treffen waren.

Aus den oben zitierten Quellen geht auch hervor, dass Schulen während der Herrschaft des IS zerstört wurden, doch gilt dies vor allem für ländliche Gebiete und nicht für den Raum Bagdad. In Städten wie Bagdad ist der Schulbesuch keineswegs ausgeschlossen und auch ein Leben für Kinder möglich.

[…]

Die Sicherheitslage ist, nachdem der IS besiegt worden ist, deutlich besser geworden. Sie ist in Bagdad etwa deutlich besser als in der drittgrößten Stadt der USA.

[…]

Es ist aufgrund der Länderfeststellungen zu erwarten, dass die Beschwerdeführer im Irak in ihrer Heimat in Kurdistan sicher leben werden können.

[…]

Die mj. BF3 wird als Kind im Irak, in Kurdistan, wo die Familie herstammt, nicht gefährdet oder bedroht.

[…]

Zum Ausspruch, dass die Abschiebung in den Irak, Autonome Kurdenzone Nordirak, zulässig ist […]".

4.       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend gemacht wird und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass es das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf das Fluchtvorbringen unterlassen habe, sich mit wesentlichen Beweismitteln auseinanderzusetzen und wesentliche Teile des Parteivorbringens ignoriert habe. Es fehlten zudem konkrete Feststellungen betreffend die Herkunftsregion der Beschwerdeführer, teils werde auf Bagdad abgestellt, teils auf "Kurdistan". Auf Grund dieser widersprüchlichen Ausführungen sei nicht nachvollziehbar, ob das Bundesverwaltungsgericht von einer Herkunft der Beschwerdeführer aus den genannten Regionen ausgehe oder ob es diese als potentielle innerstaatliche Fluchtalternativen erachte. Das Bundesverwaltungsgericht hätte zunächst den konkreten Herkunftsort feststellen müssen, um in einem zweiten Schritt zu überprüfen, ob dieser als Zielort im Falle einer Rückkehr in Frage käme. In weiterer Folge hätte es sich ausdrücklich mit der dortigen Situation der Minderjährigen auseinandersetzen müssen. Eine Auseinandersetzung mit grundlegenden Kindeswohlüberlegungen fehle und es sei nicht nachvollziehbar, wie das Bundesverwaltungsgericht unter Berücksichtigung der Länderberichte zu dem Schluss komme, dass ein reales Risiko einer gegen Art2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung nicht bestehe.

5.       Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der es im Wesentlichen ausführte, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung unglaubhaft gewesen sei und auf die Situation für Kinder im Irak sowie die Herkunftsregion der Beschwerdeführer eingegangen worden sei.

II.      Erwägungen

1.       Die Beschwerde ist zulässig.

2.       Soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichtzuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:

2.1.    Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg. cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2.2.    Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes geht nicht eindeutig hervor, aus welcher Region innerhalb des Iraks die Beschwerdeführer stammen und wohin diese nach ihrer Abschiebung zurückkehren sollen. Teils wird Bagdad als Herkunfts- und Rückkehrort bezeichnet, teils wird auf die Autonome Kurdenzone, Nordirak, abgestellt. Im Rahmen der Feststellungen wird keine Aussage über den Herkunftsort getroffen, im Rahmen der Beweiswürdigung wird primär auf Bagdad abgestellt. Insbesondere die Situation für Kinder wird stets im Zusammenhang mit Bagdad geprüft: "In Bagdad, woher die Beschwerdeführer stammen, sind keine Berichte von zerstörten Schulen bekannt. […] Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation […] berichtet nicht von zerstörten Schulen in Bagdad oder davon, dass kein regulärer Unterricht in den Schulen Bagdads stattfinden würde. […] In Städten wie Bagdad ist der Schulbesuch keineswegs ausgeschlossen und auch ein Leben für Kinder möglich." Erst im Rahmen der rechtlichen Beurteilung und im Hinblick auf die Zulässigkeit der Abschiebung wird mehrheitlich "Kurdistan" als Heimat der Beschwerdeführer bezeichnet.

Vor dem Hintergrund der Berichtslage zum Irak und des Umstandes, dass sich die Situation im Herkunftsstaat je nach Region unterschiedlich darstellt, wären jedoch Feststellungen zu treffen gewesen, aus welcher Region die Beschwerdeführer stammen und ob ihnen eine Rückkehr in diese Region möglich ist bzw ob eine konkrete innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die ihnen eine Einreise dorthin und einen Aufenthalt in einer Weise ermöglicht, die den Anforderungen des Art3 EMRK Rechnung trägt.

Insbesondere bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter, volatiler allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte in den Herkunftsländerinformationen hat sich das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich mit der Situation von Minderjährigen auseinanderzusetzen. Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben, welche Bedeutung die Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige haben (vgl zB VfGH 9.6.2017, E484/2017 ua; 11.10.2017, E1803/2017 ua; 25.9.2018, E1463/2018 ua; 26.2.2019, E3837/2018 ua; 13.3.2019, E1480/2018 ua; 26.6.2019, E2838/2018 ua, 26.6.2019, E1846/2019 ua).

Aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes geht nicht hervor, welche Region als Herkunftsort oder innerstaatliche Fluchtalternative herangezogen wird, sodass es auch an der erforderlichen Auseinandersetzung mit der Situation, die die Beschwerdeführer in dieser Region erwartet, mangelt. Auf Grund dessen fehlt zudem die – insbesondere vor dem Hintergrund der Länderberichte zur Situation von Kindern im Irak – nötige Prüfung, wie sich die Lage für Kinder in dieser Region darstellt. Dadurch, dass es das Bundesverwaltungsgericht somit unterlassen hat, sich mit der aktuellen Lage in jener Region auseinanderzusetzen, aus der die Beschwerdeführer stammen bzw die als innerstaatliche Fluchtalternative fungieren soll, und diese in der Begründung des Erkenntnisses mit der individuellen Situation der Beschwerdeführer in Beziehung zu setzen, hat das Bundesverwaltungsgericht Willkür geübt (zu diesen Anforderungen in den Irak betreffenden Fällen vgl VfGH 7.3.2017, E2100/2016; 7.3.2017, E1848/2015; 9.6.2017, E566/2017; 11.6.2018, E4317/2017).

Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Zulässigerklärung der Rückkehrentscheidung bzw der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, ist es somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.

3.       Im Übrigen (soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Asylstatus richtet) wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Asylstatus richtet, abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

III.    Ergebnis

1.       Die Beschwerdeführer sind somit durch die angefochtene Entscheidung, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise, abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2.       Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3.       Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4.       Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 501,40 sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von € 720,– enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag zuzusprechen.

Schlagworte

Asylrecht, Ermittlungsverfahren, Entscheidungsbegründung, Kinder, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2019:E3358.2019

Zuletzt aktualisiert am

25.02.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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