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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AsylG 2005 §34 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A M, vertreten durch MMag. Florian Ortner, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Am Heumarkt 7/12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 2019, W212 2216693-1/5E, betreffend Einreisetitel gemäß § 35 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Österreichische Botschaft in Nairobi), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der minderjährige Revisionswerber ist Staatsangehöriger Somalias. Er stellte am 24. April 2018 bei der Österreichischen Botschaft in Nairobi einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) und machte geltend, dass seiner Mutter mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 16. November 2015 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt worden sei.
2 Mit Eingabe vom 27. April 2018 ergänzte der Revisionswerber sein Vorbringen. Es lägen fallbezogen die Voraussetzungen nach § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 vor. Einerseits habe die Trennung der Familie keineswegs freiwillig stattgefunden, vielmehr sei die Bezugsperson (die Mutter des Revisionswerbers) überstürzt geflüchtet und habe sich gezwungen gesehen, ihre Kinder zurückzulassen. Der Revisionswerber und sein Bruder (der ebenfalls einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 35 AsylG 2005 gestellt hatte) seien zwei der insgesamt drei Kinder, welche aus der Ehe der Bezugsperson mit ihrem ersten Ehemann stammten. Der erste Ehemann sei im Jahr 2009 von Mitgliedern der Al Shabaab-Miliz getötet worden. Die Bezugsperson sei daraufhin von diesen verschleppt, schwer misshandelt und dazu gezwungen worden, einen dieser Männer zu heiraten. Aus dieser zweiten Ehe sei das vierte Kind der Bezugsperson hervorgegangen. Nachdem die Bezugsperson im Jahr 2012 geflüchtet sei, habe ihr zweiter Ehemann das gemeinsame Kind sowie eines der drei Kinder der Bezugsperson aus erster Ehe unter Zwang und Gewaltanwendung zu sich genommen. Die Bezugsperson wisse seither nicht, wo sich diese beiden Kinder befänden. Der Revisionswerber und sein minderjähriger Bruder seien seit der Flucht der Bezugsperson bei der Großmutter aufgewachsen, wobei aus Angst vor dem zweiten Ehemann kein Kontakt zur Bezugsperson möglich gewesen sei. Die Bezugsperson habe ihre Kinder bzw. ihre Mutter (Großmutter des Revisionswerbers) einmal telefonisch kontaktiert. Die Großmutter habe daraufhin jedoch aus panischer Angst vor dem zweiten Ehemann jegliche weitere Kontaktaufnahme verweigert. Die Großmutter sei in weiterer Folge mit dem Revisionswerber und dessen Bruder nach Kenia geflüchtet, von wo aus seit Anfang des Jahres 2018 der Kontakt zur Bezugsperson wieder aufgenommen worden sei. Die Trennung der Familie sei auf die Flucht der Bezugsperson zurückzuführen. Diese habe sich gezwungen gesehen, ihre Kinder zurückzulassen. Das Familienleben könne in keinem anderen Staat fortgeführt werden. 3 Das BFA teilte mit Schreiben vom 25. Juli 2018 gemäß § 35 Abs. 4 AsylG 2005 mit, dass es fallbezogen nicht wahrscheinlich sei, dass einem Antrag auf internationalen Schutz stattgegeben werden würde. Es lägen die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 nicht vor und es erscheine die Einreise des Revisionswerbers aus Gründen des Art. 8 EMRK nicht geboten. 4 Der Revisionswerber übermittelte zu dieser Mitteilung eine Stellungnahme, in der er im Wesentlichen das bereits mit Schreiben vom 27. April 2018 erstattete Vorbringen wiederholte. 5 Das BFA teilte im Hinblick auf diese Stellungnahme der Österreichischen Botschaft in Nairobi mit, dass die negative Wahrscheinlichkeitsprognose aufrechterhalten werde. 6 Mit Bescheid vom 22. November 2018 wies die Österreichische Botschaft in Nairobi den Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) in Verbindung mit § 35 AsylG 2005 ab.
7 Der Revisionswerber erhob Beschwerde und berief sich ergänzend darauf, dass die Versäumung der in § 35 Abs. 1 AsylG 2005 normierten dreimonatigen Frist nicht auf das Verschulden der betroffenen Familienmitglieder zurückzuführen sei. 8 Mit Beschwerdevorentscheidung vom 20. Dezember 2018 wies die Österreichische Botschaft in Nairobi die Beschwerde gemäß § 14 Abs. 1 VwGVG als unbegründet ab.
9 Der Revisionswerber beantragte die Vorlage seines Rechtsmittels an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). 10 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde gemäß § 35 AsylG 2005 als unbegründet ab. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das BVwG für nicht zulässig. 11 Das BVwG führte begründend im Wesentlichen aus, dass der Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels außerhalb der in § 35 Abs. 1 AsylG 2005 vorgesehenen dreimonatigen Frist und auch außerhalb der in § 75 Abs. 24 AsylG 2005 normierten dreimonatigen Übergangsfrist gestellt worden sei. Die Erteilungsvoraussetzungen nach § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 seien nicht erfüllt. Die Voraussetzungen gemäß § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 lägen nicht vor. Auch nach der Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) dürfe den Aspekten des wirtschaftlichen Wohls eines Landes durch die Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Regelung des Familiennachzugs im Rahmen der öffentlichen Interessen ein hoher Stellenwert eingeräumt werden. Art. 8 EMRK gebiete es keineswegs, dass in allen Fällen der Familienzusammenführung jedenfalls internationaler Schutz zu gewähren sei. Vielmehr werde im Regelfall ein Aufenthaltstitel nach den fremdenrechtlichen Bestimmungen in Betracht kommen. Die Verfahren nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) stellten in Österreich den gesetzlich vorgeschriebenen Weg für einwanderungswillige Drittstaatsangehörige dar, um einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Wenn sich - wie hier wegen Fehlens der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 - eine Familienzusammenführung durch Inanspruchnahme des § 35 AsylG 2005 als nicht möglich erweise und von einem Antragsteller ein anderer Weg und zwar insbesondere nach § 46 NAG zu beschreiten sei, um eine Familienzusammenführung zu erreichen, so stehe dies nicht im Widerspruch zu Art. 8 EMRK. Im Einzelfall könne zur Vermeidung eines verfassungswidrigen Ergebnisses (etwa im Blick auf Art. 8 EMRK) oder auch zur Erzielung einer unionsrechtskonformen Interpretation der nationalen Rechtslage eine Abkoppelung des im NAG verwendeten Begriffes des "Familienangehörigen" von seiner in § 2 Abs. 1 Z 9 NAG enthaltenen Legaldefinition geboten sein.
Der Revisionswerber habe zwar weitwendig ausgeführt, warum sich die Bezugsperson gezwungen gesehen habe, ohne ihre beiden minderjährigen Kinder im Jahr 2012 die Flucht anzutreten und bis zum Jahr 2018 keinerlei Kontakt mit diesen zu pflegen. Es könne aber der Beurteilung des BFA insoweit gefolgt werden, als fallbezogen von einer "qualifizierten Minderung des Familienlebens" ausgegangen werden müsse und daher die Voraussetzung, dass zur Aufrechterhaltung des Familienlebens eine Familienzusammenführung dringend geboten wäre, nicht vorliege. Es sei folglich bei einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalls nicht gemäß § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens "dringend" geboten, eine Familienzusammenführung durch Erteilung eines Einreisetitels im Sinn von § 35 AsylG 2005 zu ermöglichen. Die "völlig unsubstantiierten" Ausführungen in der Beschwerde, wonach die Versäumung der dreimonatigen Frist für die Antragstellung im Sinne des Urteils des EuGH vom 7. November 2018, K B gegen Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie, Rs. C- 380/17, aufgrund der Lebensumstände des Revisionswerbers objektiv entschuldbar sei, seien nicht geeignet, die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen des § 35 AsylG 2005 "außer Kraft zu setzen".
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit auf ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0568) beruft. Darüber hinaus wendet sich die Revision gegen die durch das BVwG vorgenommene Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK.
13 Das BFA erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Die Revision erweist sich im Hinblick auf das oben dargestellte Zulässigkeitsvorbringen als zulässig und begründet. 15 § 35 Abs. 1 und 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, lauten (samt Überschrift):
"Anträge auf Einreise bei Vertretungsbehörden
§ 35. (1) Der Familienangehörige gemäß Abs. 5 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und der sich im Ausland befindet, kann zwecks Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 einen Antrag auf Erteilung eines Einreisetitels bei einer mit konsularischen Aufgaben betrauten österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland (Vertretungsbehörde) stellen. Erfolgt die Antragstellung auf Erteilung eines Einreisetitels mehr als drei Monate nach rechtskräftiger Zuerkennung des Asylberechtigten, sind die Voraussetzungen gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 zu erfüllen.
...
(4) Die Vertretungsbehörde hat dem Fremden aufgrund eines Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach Abs. 1 oder 2 ohne weiteres ein Visum zur Einreise zu erteilen (§ 26 FPG), wenn das Bundesamt mitgeteilt hat, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz durch Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten wahrscheinlich ist. Eine derartige Mitteilung darf das Bundesamt nur erteilen, wenn
1. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§§ 7 und 9),
2. das zu befassende Bundesministerium für Inneres mitgeteilt hat, dass eine Einreise den öffentlichen Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht widerspricht und
3. im Fall eines Antrages nach Abs. 1 letzter Satz oder Abs. 2 die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 erfüllt sind, es sei denn, die Stattgebung des Antrages ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten.
Bis zum Einlangen dieser Mitteilung ist die Frist gemäß § 11 Abs. 5 FPG gehemmt. Die Vertretungsbehörde hat den Fremden über den weiteren Verfahrensablauf in Österreich gemäß § 17 Abs. 1 und 2 zu informieren. ..."
16 Zunächst wirft die Revision dem BVwG zu Recht vor, jegliche taugliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen, wonach aufgrund der vom Revisionswerber geschilderten Umstände die Versäumung der dreimonatigen Frist zur Stellung von Anträgen gemäß § 35 Abs. 1 erster Satz AsylG 2005 objektiv entschuldbar sei, unterlassen zu haben.
17 In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde im Hinblick auf das Urteil des EuGH vom 7. November 2018, C-380/17, bereits festgehalten, dass der österreichische Gesetzgeber die Erteilung von Aufenthaltstiteln in jenen Konstellationen, die - wie hier - § 34 Abs. 2 AsylG 2005 unterliegen, nicht über das NAG, sondern über das AsylG 2005 regeln wollte (VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0568; zur Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 AsylG 2005 mit dem asylspezifischen Zweck, für die nachziehenden Personen nach Einreise in das Bundesgebiet ein Familienverfahren im Sinn des § 34 AsylG 2005 zu eröffnen, VwGH 3.5.2018, Ra 2017/19/0609; 21.2.2017, Ra 2016/18/0253, 0254). 18 Auch hätte der Gesetzgeber zur Herstellung eines unionsrechtskonformen Zustandes - bei objektiv entschuldbarer Versäumung der Dreimonatsfrist - in jenen Fällen, in denen nach Einreise eines Antragstellers in das Bundesgebiet § 34 Abs. 2 AsylG 2005 gilt, nicht auf das NAG verwiesen, weil § 35 AsylG 2005 gerade der Erteilung von Einreisetiteln zum Zwecke der Durchführung eines Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG 2005 dient (siehe ebenfalls VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0568). Aus diesem Grund erweist sich die Frage, ob die Versäumung der in § 35 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 genannten Frist als objektiv entschuldbar zu qualifizieren ist, auch im Revisionsfall als relevant.
19 Vor diesem Hintergrund belastete das BVwG, das trotz der vom Revisionswerber für die Versäumung der dreimonatigen Frist geltend gemachten Gründe keine nähere Prüfung dieser Gründe vornahm, die Abweisung des Antrags auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 Abs. 1 AsylG 2005 auf das Fehlen der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 stützte und den Revisionswerber auf die Möglichkeit einer Familienzusammenführung nach dem NAG verwies, das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
20 Bei der Beurteilung der Gründe für die Versäumung der in § 35 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 genannten Frist hat nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens eine Auseinandersetzung mit den im Verfahren vor der Vertretungsbehörde vorgebrachten Umständen zu erfolgen. Außerdem ist in der Entscheidung über den vorliegenden Antrag nach § 35 AsylG 2005 nachvollziehbar zu begründen, weshalb von der objektiven Entschuldbarkeit der Versäumung dieser Frist oder im gegenteiligen Fall von einer mangelnden objektiven Entschuldbarkeit (und daher von der Verpflichtung zum Nachweis der in § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 genannten Voraussetzungen) auszugehen sei. Eine solche Auseinandersetzung mit den vom Revisionswerber ins Treffen geführten Gründen ist im angefochtenen Erkenntnis unterblieben. 21 Das BVwG vertrat im Übrigen die Auffassung, es sei fallbezogen aus Gründen des Art. 8 EMRK nicht geboten, gemäß § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 von der Prüfung der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 Abstand zu nehmen. 22 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass diese Frage überhaupt nur dann zum Tragen käme, wenn eine Versäumung der Dreimonatsfrist nicht objektiv entschuldbar ist. Sollte nämlich eine objektive Entschuldbarkeit im Sinne des bisher Gesagten vorliegen, wäre auf die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 schon aus diesem Grund nicht abzustellen. Folglich bestünde in diesem Fall auch für die Durchführung der in § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 vorgesehenen Interessenabwägung kein Anlass.
23 Darüber hinaus lassen die § 35 Abs. 4 Z 3 AsylG 2005 betreffenden Überlegungen des BVwG, die in der Annahme einer "qualifizierten Minderung des Familienlebens" des Revisionswerbers und der Bezugsperson (seiner Mutter) infolge langjähriger Trennung der beiden münden, zu Unrecht die geltend gemachten (fluchtbezogenen) Gründe außer Acht, die zu dieser Trennung geführt haben. Auf solche Gründe wäre aber bei einer gesamtheitlichen Abwägung der im Sinn von Art. 8 EMRK maßgeblichen Interessen Bedacht zu nehmen gewesen (siehe dazu auch EuGH 7.11.2018, C-380/17, Rn. 53, wonach die mit der Flüchtlingseigenschaft des Zusammenführenden verbundenen Besonderheiten, nämlich z.B. die unter Umstanden fluchtbedingte Trennung der Familienangehörigen, bei individualisierter Überprüfung der in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG genannten Voraussetzungen zu berücksichtigen sind). 24 Ferner hat der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen, dass bei der Beurteilung, ob ein Eingriff nach Art. 8 EMRK zulässig ist, zu beachten ist, ob eine Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist und ob auf Grund einer aus Asylgründen bedingten Trennung der Familie der Eingriff in das Familienleben als unzulässig zu werten wäre (VwGH 11.11.2013; 2013/22/0224; 13.11.2012, 2011/22/0081). Da der Mutter des minderjährigen Revisionswerbers der Status der Asylberechtigten zukommt, steht im vorliegenden Fall bereits fest, dass eine Fortsetzung des Familienlebens im gemeinsamen Herkunftsland nicht in Betracht kommt. In einem solchen Fall ist der mit der Verweigerung des Einreisetitels verbundene Eingriff in das Familienleben zwar nicht jedenfalls unzulässig, es muss aber entsprechend der soeben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dem öffentlichen Interesse an der Vornahme dieser Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen sein, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden (im Zusammenhang mit der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen VwGH 24.9.2019, Ra 2019/20/0446; 16.5.2019, Ra 2019/21/0050; 6.9.2018, Ra 2018/18/0026).
25 Auch unter diesem Gesichtspunkt lässt das angefochtene Erkenntnis eine den Anforderungen des Art. 8 EMRK entsprechende Abwägung der für und gegen eine Verweigerung des beantragten Einreisetitels sprechenden öffentlichen und familiären Interessen vermissen (zu Angelegenheiten der Einwanderung sowie zu der im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zu berücksichtigenden Frage, ob dem Familienleben im Herkunftsland unüberwindbare Hindernisse entgegenstehen, vgl. etwa EGMR 1.3.2018, Ejimson gg. Deutschland, 58681/12, Z 57; EGMR (GK) 3.10.2014, Jeunesse gg. Niederlande, 12738/10, Z 107). 26 Aus den dargelegten Erwägungen erweist sich das angefochtene Erkenntnis als inhaltlich rechtswidrig. Es war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
27 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte im Hinblick auf § 39 Abs. 1 Z 4 und Z 6 VwGG abgesehen werden.
28 Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am 17. Dezember 2019
Gerichtsentscheidung
EuGH 62017CJ0380 K und B VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019180242.L00Im RIS seit
11.02.2020Zuletzt aktualisiert am
11.02.2020