TE Vfgh Erkenntnis 1996/10/10 B2832/94

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Veröffentlicht am 10.10.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AufenthaltsG §1 Abs2
AufenthaltsG §9 Abs3
AufenthaltsG §13 Abs3
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die Versagung der Aufenthaltsbewilligung für einen bei einer inländischen Firma beschäftigten ungarischen Lastkraftwagenlenker aufgrund Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit im entscheidenden Punkt der Anwendbarkeit des Aufenthaltsgesetzes auf die bloß kurzfristigen beruflich bedingten Aufenthalte des Beschwerdeführers im Inland

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein ungarischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Ungarn, ist seit 1991 bei einem Unternehmen mit dem Sitz in Wien als Lastkraftwagenlenker beschäftigt. Dem unwidersprochen gebliebenen Beschwerdevorbringen zufolge endete die Geltung des ihm von der österreichischen Botschaft in Budapest zuletzt erteilten Sichtvermerks mit 21. Jänner 1994. Nachdem der Beschwerdeführer anläßlich einer Vorsprache bei der Botschaft zwecks Einbringung eines neuen Antrags vor Ablauf der Geltungsdauer des Sichtvermerks auf das Erfordernis einer Beschäftigungsbewilligung hingewiesen und diese seinem Arbeitgeber mit Bescheid vom 5. Jänner 1994 erteilt worden war, brachte er im Weg der Botschaft einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem AufenthaltsG ein, der am 2. März 1994 beim Magistrat der Stadt Wien einlangte. Im Antrag bezeichnete er sich als Grenzgänger, führte als Wohnsitz seine Wohnungsanschrift in Ungarn an und sah vom Ausfüllen des Antragsformulars insoweit ab, als dieses Angaben über eine "gesicherte Unterkunft in Österreich" vorsieht. Der Beschwerdeführer gab (durch Ausfüllen eines im Vervielfältigungsverfahren hergestellten Vordrucks) eine von seinem Dienstgeberunternehmen bestätigte "Pendler-Erklärung" ab, derzufolge er seinen ständigen Wohnsitz an der angegebenen Adresse in Ungarn habe, täglich in das Bundesgebiet einreise, um einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen und danach täglich wieder an seinen Wohnsitz im Ausland zurückkehre.

2. Mit Bescheid vom 3. August 1994 versagte der Landeshauptmann von Wien die beantragte Bewilligung und begründete dies unter Bezugnahme auf §9 Abs3 AufG (darunter ist hier und im folgenden stets das AufenthaltsG, BGBl. 466/1992, idF vor der Novelle BGBl. 351/1995 gemeint) sowie die Verordnung der Bundesregierung BGBl. 72/1994 damit, daß die Quote von Bewilligungen für Wien bereits erschöpft sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in welcher er ua. bezweifelte, daß eine Aufenthaltsbewilligung überhaupt erforderlich sei. Er brachte in diesem Zusammenhang insbesondere vor, daß er sich überwiegend in Ungarn aufhalte und dort als Lkw-Lenker Waren befördere; die Aufenthaltsbewilligung benötige er lediglich zur Beförderung von Waren von und nach Österreich für seinen österreichischen Arbeitgeber. Er sei sohin zwar bei einem österreichischen Arbeitgeber beschäftigt, übe aber seine Arbeit vorwiegend nicht in Österreich aus. Da er in Österreich keinen Wohnsitz habe, in Ungarn wohne und sofern er nach Österreich einreise ohnehin am gleichen Tag nach Ungarn zurückkehre, sei er als Grenzgänger anzusehen, der keine Aufenthaltsbewilligung benötige.

3. Mit Bescheid vom 10. November 1994 wies der Bundesminister für Inneres dieses Rechtsmittel ab und versagte die Bewilligung unter Berufung auf §9 Abs3 AufG sowie die bereits zitierte Verordnung wegen Erschöpfung der Quote. Das Vorliegen der Bewilligungspflicht begründete die Berufungsbehörde folgendermaßen:

"Gemäß §1 Abs3 AufG brauchen Fremde keine Bewilligung, wenn sie als Grenzgänger aufgrund eines Staatsvertrages zur Einreise und zum vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind. Im Gegensatz dazu fallen Pendler unter den Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes. Pendler sind Fremde, die ihren ordentlichen Wohnsitz im benachbarten Ausland haben, täglich in das Bundesgebiet einreisen, um einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und danach wieder an ihren Wohnsitz zurückzukehren, wenn sich der Ort ihrer Erwerbstätigkeit nicht in einem unmittelbar an der Grenze liegenden politischen Bezirk befindet. Zu dieser Personengruppe wird auch auf die Regelung des §5 Abs1 (Nachweis der Unterkunft) AufG verwiesen. Nach Ihrer eigenen Angabe sind Sie von der Behörde als Pendler anzusehen und dementsprechend zu behandeln. Dies wird durch Ihre vorgelegte Pendlererklärung dokumentiert."

4. Dieser Berufungsbescheid ist Gegenstand der vorliegenden Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher der Beschwerdeführer im wesentlichen die Verletzung bestimmter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die Bescheidaufhebung begehrt.

Der Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Die Beschwerde erweist sich, da sämtliche Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, als zulässig; sie ist auch gerechtfertigt.

1. Das durchgeführte Verwaltungsverfahren ist geradezu dadurch gekennzeichnet, daß die belangte Behörde eigenständige Ermittlungen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes unterließ, obgleich ihr widersprüchliche Parteibehauptungen in entscheidungswesentlichen Punkten vorlagen. Es bedarf keiner näheren Erörterung, daß die vom Beschwerdeführer unter Verwendung eines Formulars vorbehaltlos abgegebene sogenannte Pendler-Erklärung, welche eine arbeitstägliche Erwerbstätigkeit in Österreich zum Ausdruck bringt, mit seinem Berufungsvorbringen schlechthin unvereinbar ist, demzufolge er seine Arbeit vorwiegend nicht in Österreich ausübt und im Fall der Einreise nach Österreich am selben Tag nach Ungarn zurückkehrt. Vor dem Hintergrund der noch darzustellenden Rechtslage hätte dieses unterschiedliche Tatsachenvorbringen einer zureichenden Klarstellung durch vorzunehmende Beweiserhebungen bedurft (etwa durch die Vernehmung des Beschwerdeführers als Partei bzw. durch geeignete Erhebungen bei seinem Dienstgeberunternehmen); die belangte Behörde war im vorliegenden Fall nicht befugt, begründungslos die sogenannte Pendler-Erklärung als in eine bestimmte Richtung weisende Sachverhaltsdarstellung ihrer Entscheidung zugrundezulegen und das widerstreitende Vorbringen in der Berufungsschrift zu übergehen.

2. Der angefochtene Bescheid beruht - abgesehen von der Handhabung des §9 Abs3 sowie der sogenannten Quotenverordnung - der Sache nach auf einem Umkehrschluß aus §13 Abs3 sowie auf der Rechtsvermutung, die §1 Abs2 Z2 festlegt. Diese - in der Bescheidbegründung nicht ausdrücklich bezeichneten - Bestimmungen haben (was die Z2 im §1 Abs2 anlangt, in Zusammenhang wiedergegeben) folgenden Wortlaut:

§1 Abs2:

Von Fremden, die sich

1. innerhalb eines Kalenderjahres länger als sechs Monate tatsächlich oder

2. zur Ausübung einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit

in Österreich aufhalten, wird für Zwecke dieses Bundesgesetzes jedenfalls angenommen, daß sie in Österreich einen Hauptwohnsitz begründen.

§13 Abs3:

Bis zum Inkrafttreten der in §1 Abs3 Z2 vorgesehenen Staatsverträge bedürfen Fremde keiner Bewilligung nach diesem Bundesgesetz, die ihren Wohnsitz in einem Nachbarstaat haben, in den sie täglich zurückkehren, und die sich zur Ausübung einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit in einem unmittelbar an der Staatsgrenze liegenden politischen Bezirk in Österreich aufhalten.

Wenn §1 Abs2 Z2 (verkürzt zitiert) von Fremden spricht, die sich zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit in Österreich aufhalten, so ist damit - wie sich einerseits aus dem spezifischen Wortsinn des Ausdrucks "aufhalten" bzw. dem korrespondierenden Substantiv "Aufenthalt" und andererseits aus dem Zweck der Regelung ergibt - nicht etwa jegliche, wie immer geartete erwerbswirtschaftlich motivierte Anwesenheit in Österreich gemeint, sondern bloß eine solche, die ein gewisses Mindestmaß an Kontinuität und Stetigkeit des Arbeitens in Österreich in sich schließt; hiebei ist es nicht von Belang, ob eine Arbeitstätigkeit, welche ein derartiges Mindestmaß nicht erreicht, nach den gegebenen Umständen ein kurzes Unterkunftnehmen in Österreich erfordert. (So sei beispielsweise auf den von dieser Vorschrift gewiß nicht umfaßten Fall hingewiesen, daß ein aus dem Ausland kommender Lkw-Fahrer durch Österreich fährt und auf der Durchreise hier allenfalls nächtigt und hiezu eine Unterkunft bezieht.) Träfe sohin die in der Berufung des Beschwerdeführers geschilderte Sachlage zu, daß er sich arbeitsbedingt nur fallweise nach Österreich begibt und ausschließlich (zumindest aber - wenn man die betreffenden Berufungsausführungen als nicht wörtlich gemeint verstehen will - im Regelfall) am selben Tag nach Ungarn zurückkehrt, so wäre sie nicht der bezogenen Gesetzesbestimmung zu unterstellen.

Das Nichtbestehen einer Bewilligungspflicht nach dem AufenthaltsG in Ansehung einer solchen Sachlage könnte aber auch nicht mit einem Umkehrschluß aus dem vorhin im Wortlaut wiedergegebenen §13 Abs3 in Frage gestellt werden. Diese Vorschrift bezieht sich nämlich ausschließlich auf solche (in ihr näher beschriebene) Fremde, die (arbeits)täglich nach Österreich einreisen und am selben Tag wiederum ausreisen; gerade eine derartige (arbeits)tägliche Einreise nach Österreich läge jedoch in einem Fall wie dem des Beschwerdeführers nicht vor, der gemäß seinem Berufungsvorbringen nicht regelmäßig sondern bloß gelegentlich nach Österreich fährt und (wenngleich vielleicht nicht ausnahmslos) am selben Tag wieder an seinen Wohnsitz in Ungarn zurückkehrt.

3. In ständiger Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof zu dem nur österreichischen Staatsbürgern verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht den Standpunkt eingenommen, daß eine Verletzung dieses Rechtes insbesondere dann vorliegt, wenn die Behörde jegliche Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterläßt (zB VfSlg. 10338/1985 oder 11213/1987). Nach Ansicht des Gerichtshofs gilt im Hinblick auf den Schutzumfang des durch das BVG BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (s. dazu B2318/94 vom 28.6.1995 oder B1691/95 vom 30.11.1995) das gleiche für dieses Fremden zustehende Recht.

Der bekämpfte Bescheid war sohin aus den dargelegten Erwägungen aufzuheben, weil er den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf das Beschwerdevorbringen weiter einzugehen. Die Beantwortung der nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens allenfalls auftretenden Frage, ob der Beschwerdeführer bei nicht gegebener Bewilligungspflicht nach dem AufenthaltsG eines Sichtvermerks nach dem FremdenG bedarf, ist nicht Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens.

4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 3.000 S auf die Umsatzsteuer.

III. Dieses Erkenntnis wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Rassendiskriminierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B2832.1994

Dokumentnummer

JFT_10038990_94B02832_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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