TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/28 W159 2201571-1

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Veröffentlicht am 28.08.2019
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Entscheidungsdatum

28.08.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §33 Abs1
VwGVG §7 Abs4

Spruch

W159 2201571-1/11E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch Edward W. DAIGNEAULT, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lärchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24.11.2017, Zl. 1088968004/151439224 beschlossen:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG iVm § 7 Abs. 4 VwGVG als verspätet zurückgewiesen.

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2018, Zl. 1088968004+151439224 zu Recht erkannt:

B)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruch des angefochtenen Bescheids zu lauten hat:

"Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 15.01.2018 wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG abgewiesen."

C)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Somalias, reiste im September 2015 gemeinsam mit Verwandten in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 27.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Nach Erhebung einer Säumnisbeschwerde und Durchführung einer niederschriftlichen Einvernahme wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 24.11.2017, 1088968004/151439224, den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab und erteilte ihr auch keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1-3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Das BFA verfügte die Zustellung dieses Bescheids mittels RSa-Sendung an den Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin. Am 01.12.2017 langte der Rückschein dieser Sendung beim BFA ein, wonach der Rechtsanwalt den Bescheid am 29.11.2017 persönlich übernommen habe.

Am 15.01.2018 brachte die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsanwalt beim BFA die gegenständliche Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.11.2017 ein und verknüpfte diese mit einem näher begründeten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie

einem - damit verbundenen - Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

Mit Bescheid vom 28.05.2018, 1088968004+151439224, wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 AVG ab.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsanwalt innerhalb offener Frist Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

Die Beschwerdeführerin begründete spätestens am 29.08.2017 zu ihrem Rechtsanwalt, Edward W. DAIGNEAULT, ein Vollmachtsverhältnis zur Vertretung im weiteren Asylverfahren. Aufgrund dieses Vollmachtsverhältnisses veranlasste BFA die Zustellung seines - über den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz negativ absprechenden, eine Rückkehrentscheidung verfügenden und die Zulässigkeit der Abschiebung nach Somalia aussprechenden - Bescheids vom 24.11.2017 an den genannten Rechtsanwalt mittels RSa-Sendung. Ein dazu bevollmächtigter Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzlei nahm diese Sendung am 29.11.2017 entgegen.

In der Kanzlei wurde daraufhin in einem händisch geführten Terminkalender eingetragen, dass die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.11.2017 mit Ablauf des 27.12.2017 ende bzw. bis dahin eine Beschwerde beim BFA einzubringen sei. Der für die Beschwerdeführerin sowie ihre Familienmitglieder vom Rechtsanwalt bzw. seiner Kanzlei angelegte Akt wurde nicht in der Reihenfolge der Beschwerdefristen eingeordnet, sondern aufgrund des sperrigen Aktenvolumens am Boden liegen gelassen. Der die Beschwerdeführerin und ihre Verwandten betreffende Akt kam unter die für den 03.01.2018 kalendierten Beschwerden zu liegen.

Der für die Überwachung der Fristen des gegenständlichen Akts verantwortliche Kanzleimitarbeiter war vom 27.12.2017 bis 29.12.2017 auf Urlaub; der Rechtsanwalt selbst war am 27.12.2017 ebenfalls nicht in der Kanzlei zugegen. An diesem Tag überwachten ein seit dem Jahr 2004 in der Kanzlei beschäftigter Mitarbeiter sowie eine seit 2016 dort tätige Mitarbeiterin die Einhaltung der im Terminkalender für den 27.12.2017 vermerkten Fristen. Angesichts der im Kalenderblatt des 27.12.2017 unter dem Namen anderer Mandanten gesetzter Abhakungen sowie des Umstands, dass der die Beschwerdeführerin betreffende Akt nicht am Stapel der anderen an diesem Tag zu erledigenden Rechtsmitteln lag, gingen die beiden Mitarbeiter irrtümlich davon aus, dass die Beschwerde für die Beschwerdeführerin und ihre Familie bereits abgefasst wurde.

Dieser Irrtum fiel im Kanzleibetrieb nach der Rückkehr des für die Überwachung der Fristen ursprünglich verantwortlichen Kanzleimitarbeiters aus seinem Urlaub am 02.01.2018 auf. Daraufhin brachte der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin am 15.01.2018 den gegenständlichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand samt nachgeholter Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.11.2017 beim BFA ein.

2. Beweiswürdigung:

Der unter Pkt. I. dargelegte Verfahrensgang ergibt sich unbestritten aus dem Inhalt der Verfahrensakten.

Dass spätestens am 29.08.2017 ein Vollmachtsverhältnis zur Vertretung im weiteren Asylverfahren zum Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin bestand, ist aus der durch diesen Anwalt an diesem Tag eingebrachten Säumnisbeschwerde ersichtlich, in der sich der Anwalt auf die erteilte Vollmacht berief. Der festgestellte Zustellvorgang ergibt sich eindeutig aus der im Verwaltungsakt aufliegenden Zustellverfügung sowie dem ebenso im Akt befindlichen Rückschein und wird auch von der Beschwerdeführerin im Wiedereinsetzungsantrag bzw. ihren Beschwerden nicht bestritten. Hinsichtlich des festgestellten Geschehensablaufes nach der Übernahme des Bescheids vom 24.11.2017 folgt das Bundesverwaltungsgericht - ebenso wie das BFA - den Ausführungen im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie der gegenständlichen Beschwerde. Dem Wiedereinsetzungsantrag ist auch eine Kopie des handschriftlich geführten Fristenblatts für den 27.12.2017 angeschlossen, aus dem die Art und Weise der für diesen Tag vorgemerkten Fristeneintragungen sowie deren Streichungen bzw. Abhakungen hervorgehen. Angesichts des sohin unstrittigen Sachverhalts ist auch keine mündliche Verhandlung zur näheren Erörterung desselben oder eine Befragung der namhaft gemachten Kanzleimitarbeiter notwendig. Die Auflösung der Vollmacht zum vormaligen Rechtsanwalt ergibt sich aus der Vollmachtsanzeige des nunmehrigen Rechtsanwalts der Beschwerdeführerin vom 15.11.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A:

Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 24.11.2017 betrug gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG vier Wochen. Diese Frist wird ab dem Zustellungszeitpunkt berechnet.

Der angefochtene Bescheid wurde dem Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin am 29.11.2017 im Wege der Übernahme durch einen dazu bevollmächtigten Kanzleimitarbeiter zugestellt. Die Zustellung des Bescheids an diesem Tag wird auch seitens der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Die vierwöchige Rechtsmittelfrist endete mit Ablauf des 27.12.2017. Die erst am 15.01.2018 erhobene Beschwerde erweist sich daher als verspätet.

Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 24.11.2017 ist somit als verspätet zurückzuweisen.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Zu B:

Macht eine Partei gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG glaubhaft, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach § 33 Abs. 3 VwGVG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den Fällen des Abs. 1 bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen.

Gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG hat bis zur Vorlage der Beschwerde über den Antrag die Behörde mit Bescheid zu entscheiden, § 15 Abs. 3 leg. cit. ist sinngemäß anzuwenden. Ab Vorlage der Beschwerde hat über den Antrag das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden.

§ 33 Abs. 4 VwGVG kann verfassungskonform nur die Bedeutung zugemessen werden, dass über Wiedereinsetzungsanträge, die bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde eingebracht werden, von dieser, und über jene, die ab Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht eingebracht werden, von jenem mit Beschluss zu entscheiden ist (VwGH 28.09.2016, Ro 2016/16/0013).

Das BFA war somit zuständig, über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden, weil dieser dort unter einem mit der Beschwerde gegen den Bescheid gestellt wurde.

Der Bescheid des BFA vom 24.11.2017 wurde dem Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin am 29.11.2017 durch Übernahme durch einen dazu bevollmächtigten Kanzleimitarbeiter zugestellt. Die Zustellung des Bescheids an diesem Tag wird auch seitens der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Die vierwöchige Rechtsmittelfrist endete mit Ablauf des 27.12.2017. Der Wiedereinsetzungsantrag vom 15.01.2018 wurde rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 33 Abs. 3 VwGVG gestellt, weil der anwaltliche Vertreter der Beschwerdeführerin am 02.01.2018 von der Versäumung der Rechtsmittelfrist betreffend den Bescheid vom 24.11.2017 erfuhr.

Die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrags der Beschwerdeführerin erfolgte zu Recht:

Ein Ereignis im Sinne des - zu § 33 Abs. 1 VwGVG insoweit gleichlautenden - § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes als jedes Geschehen ohne Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen (VwGH 26.06.1985, 83/03/0134 ua.). Ein Ereignis ist dann unabwendbar, wenn es durch einen Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden konnte. Es ist als unvorhergesehen zu werten, wenn die Partei es tatsächlich nicht miteinberechnet hat und dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (VwGH 17.02.1994, 93/16/0020).

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten oder Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen haben (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/01/0125). Leichte Fahrlässigkeit liegt nur dann vor, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht (VwGH 01.06.2006, 2005/07/0044).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. auch dazu VwGH 31.05.2017, Ra 2017/22/0064 mwN) trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Berufliche rechtskundige Parteienvertreter müssen bei Erfüllung der Sorgfaltspflichten strengeren Anforderungen gerecht werden als sonstige (rechtsunkundige) Personen (VwGH 19.09.1991, 91/06/0067; 01.06.2006, 2005/07/0044; 23.06.2008, 2008/05/0529). Dies gilt nicht nur für das eigene Handeln, sondern auch hinsichtlich der Tätigkeit ihrer Mitarbeiter. Der rechtskundige Vertreter der Partei hat gegenüber der ihm als Hilfsapparat zur Verfügung stehenden Kanzlei alle Vorsorgen zu treffen, die notwendig sind, um die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben zu gewährleisten, welche ihm aus dem Bevollmächtigungsverhältnis obliegen (VwGH 22.05.1997, 96/21/1048; 20.01.1998, 97/05/0329; 20.12.2001, 2000/16/0637). Die berufsgebotenen Vorkehrungen betreffen vor allem die Organisation des Kanzleibetriebs (VwGH 22.09.1998, 98/17/0157; 04.09.2003, 2003/09/0108; 17.07.2008, 2008/20/0305) und die wirksame Überwachung der Angestellten in Bezug auf die Einhaltung vor allem der Rechtsmittelfristen (VwGH 24.01.2019, Ra 2019/21/0008; 16.09.2003, 2003/05/0160; 17.07.2008, 2008/20/0305).

Das Verschulden eines Bediensteten eines rechtskundigen Parteienvertreters kann aber nicht schlechterdings dem Verschulden des Vertreters oder der Partei gleichgehalten werden (VwGH 26.09.1990, 90/10/0062; 16.02.2004, 99/17/0202; 17.07.2008, 2008/20/0305). Es ist dem beruflichen rechtskundigen Vertreter selbst und - auf Grund des Bevollmächtigungsverhältnisses - letztlich der von ihm vertretenen Partei nur dann zuzurechnen, wenn der Vertreter die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Kontrolle der Tätigkeit der Mitarbeiter unterlassen hat und damit seiner Überwachungspflicht nicht nachgekommen ist (VwGH 22.09.1998, 98/17/0157; 25.11.2003, 2003/17/0305; 23.06.2008, 2008/05/0081).

Nur wenn der berufliche rechtskundige Vertreter die berufsgebotene Sorgfaltspflicht bei der Kontrolle der Evidenzhaltung und Wahrnehmung von Terminen und Fristen erfüllt hat, können Fehler und Irrtümer, die einer bisher objektiv geeigneten und bewährten Kanzleikraft unterlaufen und eine durch die konkreten Umstände des Einzelfalls entschuldbare Fehlleistung darstellen, eine Wiedereinsetzung rechtfertigen (VwGH 26.07.1995, 95/20/0242; 26.07.2001, 2001/20/0402; 31.07.2006, 2006/05/0081).

Was die Einhaltung von Rechtsmittelfristen betrifft, so ist dafür der berufliche rechtskundige Parteienvertreter selbst verantwortlich (VwGH 19.09.1997, 96/19/0679; 20.05.02003, 2003/02/0028; 28.05.2008, 2008/21/0320) und nicht etwa jener Kanzleiangestellte (allein), der den Termin in den Kalender einträgt. Der Anwalt selbst hat die Fristen festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie ihre richtige Eintragung - und richtige Streichung (VwGH 19.09.1997, 96/19/0679; 05.11.1997, 97/21/0673; 03.04.2001, 2000/08/0214) - im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen (VwGH 24.11.1998, 98/14/0155; 30.10.2003, 2003/15/0042; 29.05.2008, 2008/07/0085). Diese Verpflichtungen treffen ihn auch dann, wenn der Mitarbeiter überdurchschnittlich qualifiziert ist und deshalb mit der selbständigen Besorgung bestimmter Kanzleiarbeiten einschließlich der Führung des Fristenvormerks betraut wurde und es bisher zu keinerlei Beanstandungen gekommen ist (VwGH 19.09.1997, 96/19/0679; 16.10.2003, 2001/03/0029; 28.05.2008, 2008/21/0320). Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ist es durchaus zumutbar, dass ein Rechtsanwalt, der von seinem Mandanten mit der Einbringung eines Rechtsmittels gegen eine Entscheidung beauftragt wird, seiner damit übernommenen Verpflichtung und Verantwortung auf diese Weise persönlich nachkommt (VwGH 11.05.1984, 83/02/0501; 15.10.1991, 91/05/0182). Nimmt er die ihn selbst treffenden Verpflichtungen nicht wahr oder unterlaufen ihm dabei Fehler, trifft ihn ein Verschulden, das sich auf die von ihm vertretene Partei auswirkt (VwGH 14.12.1995, 95/19/1254; 26.07.2001, 2001/20/0402).

Wenn der rechtskundige Parteienvertreter die Berechnung der Rechtsmittelfrist und ihre Eintragung in den Terminkalender nicht selbst besorgt, sondern einem Mitarbeiter überlässt, hat er durch geeignete Kontrollen sicherzustellen, dass keine Fehler passieren oder solche rechtzeitig erkannt werden. Er verstößt gegen seine anwaltliche Sorgfaltspflicht und handelt grob fahrlässig, wenn er weder im Allgemeinen noch im Besonderen wirksame Überwachungssysteme vorgesehen hat, die bei Versagen eines Mitarbeiters die Versäumung der verfahrensrechtlichen Frist auszuschließen geeignet sind (VwGH 20.01.1998, 97/05/0329; 20.12.2001, 2000/16/0637; 29.05.2008, 2008/07/0085). Nur das Verschulden eines geeigneten und vom rechtskundigen Parteienvertreter ordentlich überwachten Mitarbeiters stellt einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund dar (VwGH 25.05.2000, 99/07/0198; 20.12.2001, 2000/16/0637). Irrtümer und Fehler eines Mitarbeiters, die zur Versäumung einer Frist oder mündlichen Verhandlung führen, vermögen also nur dann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu rechtfertigen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens muss die Fehlleistung einem bisher objektiv geeigneten und bewährten Kanzleiangestellten unterlaufen sein, und zweitens muss der Parteienvertreter die berufsgebotene Sorgfalts- und Überwachungspflicht bei der Termin- und Fristenevidenz eingehalten haben (VwGH 03.04.2001, 2000/08/0214; 20.12.2001, 2000/16/0637).

Eine Überwachung des mit der Führung des Fristenkalenders betrauten, erfahrenen und verlässlichen Mitarbeiters "auf Schritt und Tritt" ist nicht erforderlich (VwGH 29.04.2005, 2005/05/0100; 08.11.2005, 2005/17/0200; 19.04.2007, 2007/09/0019). Wie oft und intensiv eine Hilfskraft überwacht werden muss, bestimmt sich nach ihrer Ausbildung, Einschulung und Verlässlichkeit, die erst bejaht werden kann, wenn sich der Mitarbeiter längere Zeit hindurch bewährt hat (VwGH 27.02.1996, 95/08/0259).

Ein beruflicher rechtskundiger Parteienvertreter hat seine Kanzlei aber jedenfalls so zu organisieren, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt (VwGH 13.11.1998, 98/19/0219; 04.09.2003, 2003/09/0108; 17.07.2008, 2008/20/0305) und nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen ist (VwGH 17.04.1998, 98/04/0036; 23.02.2006, 2006/07/0028; 14.11.2006, 2006/03/0149). Dabei ist durch richtigen Einsatz entsprechend qualifizierter Mitarbeiter (VwGH 14.04.1994, 94/06/0047) und durch hinreichende, wirksame Kontrollen dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten infolge menschlichen Versagens so weit wie möglich ausgeschaltet werden (VwGH 21.05.1996, 96/05/0047; 14.11.2002, 2001/09/0177; 24.09.2003, 97/13/0224).

Mängel in der Kanzleiorganisation, die nicht mehr als minderer Grad des Versehens eingestuft werden können, liegen beispielsweise vor, wenn keine hinreichenden organisatorischen Vorkehrungen dahin getroffen sind, dass bei der Bearbeitung von Einlaufstücken die Möglichkeit der Verlegung in anderen Akten (VwGH 22.03.1991, 91/10/0018; 23.02.1993, 91/08/0170) oder des Verrutschens zu einer nicht oder kaum wahrnehmbaren Stelle (VwGH 30.05.1997, 96/02/0608; vgl. auch VwGH 09.07.2002, 2002/01/0216; 31.03.2006, 2006/02/0003) ausgeschlossen ist. Eine auffallende, der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehende Sorglosigkeit des Wiedereinsetzungswerbers liegt nach der (äußerst umfangreichen) Judikatur des VwGH zudem beispielsweise dann vor, wenn die Partei die Rechtsmittelfrist deshalb versäumt, weil sie irrtümlich den Bescheid in die ein anderes Verwaltungsverfahren betreffende Mappe eingelegt hat (VwGH 29.01.1992, 92/02/0070).

Im Lichte dieser Judikatur sind im vorliegenden Fall in der Kanzleiorganisation des vormaligen Rechtsanwalts der Beschwerdeführerin jedenfalls Mängel auszumachen, die - zumindest in ihrer Gesamtheit - nicht mehr einen bloß minderen Grad des Versehens begründen:

Zum einen zeigt schon der Umstand, dass der Akt der Beschwerdeführerin (und ihrer Familienangehörigen) wegen seines Umfangs am Boden gelegt werden musste und "deshalb" unter die erst für den 03.01.2018 kalendierten Beschwerden "zu liegen" "kam", keine Kanzleiorganisation auf, die eine solche "Verreihung" von Akten möglichst ausschließt. Dass der Akt - oder zumindest ein Teil davon - aufgrund seines Umfangs auf dem Boden platziert werden musste, stellt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts für sich genommen noch keine auffallende Sorglosigkeit dar; im Wiedereinsetzungsantrag wird aber nicht einmal ansatzweise aufgezeigt, welche Vorkehrungen in der Rechtsanwaltskanzlei getroffen wurden, um zu verhindern, dass ein solcher Akt - der ja nach den eigenen Angaben des Rechtsanwalts gerade aufgrund seines Umfangs bereits ins Rutschen gekommen war - nicht auf einem anderen (offenbar ebenso am Boden gelagerten) Fristenstapel "zu liegen" kommt. Das Fehlen eines Systems, das bei am Boden liegenden Akten eine falsche Einordnung größtmöglich ausschließt, begründet ein als auffallende Sorglosigkeit zu wertendes Organisationsverschulden des rechtskundigen Parteienvertreters der Beschwerdeführerin, welches sich diese zurechnen lassen muss (vgl. VwGH 30.05.1997, 96/02/0608; 09.07.2002, 2002/01/0216; 31.03.2006, 2006/02/0003).

Darüber hinaus zeigt das vom Vertreter mit dem Wiedereinsetzungsantrag selbst vorgelegte Fristenblatt seines Kalenders, dass damit kein Fristenführungssystem etabliert ist, das das Versäumen einer Rechtsmittelfrist hinreichend unwahrscheinlich macht: So befinden sich auf den insgesamt 17 handschriftlichen Einträgen auf diesem Blatt jeweils eine

(Kanzlei-)Aktennummer, der Name des oder der Mandanten, ein Erledigungsschlagwort ("Beschwerde", "Stellungnahme", "Bekanntgabe" und "Abtretung") sowie die Einbringungsstelle. Mandantenname und Erledigungsschlagwort sind dabei aber nach keinem erkennbaren Muster unterschiedlich durchgestrichen oder abgehakt, wobei nicht alle Einträge doppelte Streichungen bzw. Abhakungen aufweisen und die jeweiligen Abzeichnungen zudem mehrfach in andere Zeilen hineinreichen (so zB. bei der Abzeichnung in der Zeile unter dem Namen der Beschwerdeführerin, bei der das Häkchen auch über die darüber liegende Zeile reicht). Angesichts des Umstands, dass - wie aus dem in Kopie vorgelegten Kalenderblatt des 27.12.2017 hervorgeht - offenkundig nicht einmal liniierte Blätter für die Führung des Fristenkalenders in Verwendung standen, muss diese Art der Fristenführung als besonders fehleranfällig beurteilt werden. Die Kanzleiorganisation des Rechtsanwalts der Beschwerdeführerin ist daher auch in dieser Hinsicht nicht dergestalt, dass nach menschlichem Ermessen die Versäumung von Fristen ausgeschlossen wäre.

Am Rande ist anzumerken, dass auch die Mitarbeiter des Rechtsanwalts in der konkreten Situation am 27.12.2017 ihren Sorgfaltspflichten nicht ausreichend nachkamen. Der Erledigungsvermerk auf dem Kalenderblatt zeigt - trotz dargelegter Fehleranfälligkeit des Kalenderblatts - hinreichend deutlich auf, dass sowohl die Namen als auch die Erledigungsschlagworte der darunter- und darüberstehenden Klienten abgehakt wurden. Jene für die Beschwerdeführerin und ihre Familie wurden hingegen nicht abgehakt. Weshalb die beiden Mitarbeiter des Rechtsvertreters - trotz des behaupteten Vieraugenprinzips - davon ausgingen, dass diese Frist bereits erledigt sei, scheint daher nicht nachvollziehbar und wurde vom Rechtsanwalt auch nicht plausibel dargelegt. Es mag dahinstehen, ob der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin seiner von der Judikatur geforderten Überwachungspflicht gegenüber seinen Mitarbeitern durch die Einführung des Vieraugenprinzips bei der Kontrolle von Fristen nachkam, weil ihm - wie auch das BFA zutreffend erkannte - bereits ausgeführt eine für die vorliegende Rechtsfrage qualifiziert mangelhafte Kanzleiorganisation vorzuwerfen ist.

Die Beschwerde gegen den den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abweisenden Bescheid des BFA vom 28.05.2018 ist damit abzuweisen (vgl. die zu den Familienangehörigen der Beschwerdeführerin gleichlautend ergangenen hg. Entscheidungen vom 01.08.2018, W236 2201576-1; vom 14.08.2018, W196 2201573-1; vom 20.08.2018, W215 2201574-2; vom W237 2201578-2).

Das BFA hätte die Antragsabweisung jedoch auf die Rechtsgrundlage des § 33 Abs. 1 VwGVG stützen müssen, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt (vgl. VwGH 28.09.2016, Ro 2016/16/0013). Die Abweisung der Beschwerde hat daher unter einer entsprechenden Maßgabe zu erfolgen.

Zu C:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; zudem fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in dieser auch nicht uneinheitlich beantwortet, sondern ergibt sich aus der oben zitierten, umfangreichen Rechtsprechung des VwGH.

Schlagworte

Verspätung, Wiedereinsetzung, Wiedereinsetzungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W159.2201571.1.00

Zuletzt aktualisiert am

21.10.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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