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Baurecht - WienNorm
BauO Wr §129 Abs10Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Straßmann und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Degischer und Dr. Domittner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Gehart, über die Beschwerde der S AG in W, vertreten durch Dr. Arnulf Hummer, Rechtsanwalt in Wien I, Maysedergasse 5, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 19. April 1985, Zl. MDR-B III-20/84, betreffend Widerruf einer Baubewilligung und Abtragungsauftrag, nach durchgeführter Verhandlung, und zwar nach Anhörung des Vortrages des Berichters sowie der Ausführungen des Vertreters der beschwerdeführenden Partei, Rechtsanwalt Dr. Alexander Deskovic, und des Vertreters der belangten Behörde, Senatsrat Dr. HH, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, als darin die Vorschreibungen in Teil II, Z 1, Z 2, Z 3, Z 5, Z 6, Z 7, Z 8 und Z 9, des erstinstanzlichen Bescheides bestätigt wurden; im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 20.020,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien (MA 64) vom 11. April 1963 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 71 der Bauordnung für Wien und gemäß § 1 des Gebrauchsgebührengesetzes die Baubewilligung erteilt, eine Tankstelle in Wien, S-Straße vor dem Haus Nr. nn, nach Maßgabe der Pläne und der Baubeschreibung zu errichten; die Tankstelle besteht aus drei unterirdischen Treibstoffbehältern von je 10.000 Liter Inhalt, drei elektrisch betriebenen Zapfsäulen, den entsprechenden Lichtmasten und einem Bedienungskiosk in Glas- und Stahlkonstruktion und den sonstigen in der technischen Beschreibung angeführten Betriebseinrichtungen. Begründend wurde ausgeführt, auf Grund der im Zuge des Ermittlungsverfahrens eingeholten Amtssachverständigengutachten werde als erwiesen angenommen, daß durch die Errichtung der Tankstelle bei Berücksichtigung der erteilten Auflagen öffentliche Interessen nicht beeinträchtigt würden. Die Bewilligung habe deshalb nur auf Widerruf erteilt werden können, weil die Anlage mit dem bestimmungsgemäßen Zweck des Grundes (Verkehrsfläche) nicht in Einklang stehe und daher bei Bedarf entfernt werden müsse.
Mit Bescheid vom 28. Dezember 1966 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 71 der Bauordnung für Wien die Baubewilligung für die Zulagerung eines 10.000 Liter-Kessels für Ofenöl und die Aufstellung einer Zapfsäule für dieses Produkt entsprechend Plänen und technischer Beschreibung erteilt. Im übrigen blieben die bisherigen Bedingungen unverändert.
Am 23. Mai 1984 beantragte die Magistratsabteilung 28 beim Gemeinderatsausschuß Bauten, den straßenmäßigen Ausbau der S-Straße zwischen der A-Brücke und der B-Brücke im 3. Bezirk beiderseits der Bundesstraße B 227 grundsätzlich zu genehmigen und den Auftrag zur Durchführung der erforderlichen Vorarbeiten (Grundfreimachung udgl.) zu erteilen. Dieser Antrag wurde mit Beschluß des Gemeinderatsausschusses Bauten vom 19. Juli 1984 angenommen.
Daraufhin erließ der Magistrat der Stadt Wien (MA 35) am 23. Oktober 1984 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung nachstehenden Bescheid:
"I.) Der Magistrat der Stadt Wien widerruft die gemäß § 71 der Bauordnung für Wien erteilten Baubewilligungen MA 64-1098/62 vom 11. November 1963 und MA 64-4629/66 vom 28. Dezember 1966 für eine Tankstelle an o.a. Standort.
Die Tankstelle besteht im wesentlichen aus einem 5,20 m x 9,5 m großen Kiosk, einem 10,6 m x 7,0 m großen Flugdach, einer Zapfsäuleninsel und vier unterirdischen Behältern mit einem Inhalt von je 10.000 l.
II.) Der Magistrat der Stadt Wien erteilt gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien der S AG den Auftrag, die im Sinne von Teil I.) dieses Bescheides konsenslos gewordene Tankstelle bis 31. Mai 1985 abzutragen.
Vorgeschrieben wird:
1.) Die unterirdischen Behälter sind vollkommen zu entleeren, von brennbaren Gasen freizumachen und auszubauen. Die solcherart entstehenden Baugruben sind mit einem nicht setzungsgefährdeten Material aufzufüllen, wobei eine lagenweise Verdichtung vorzunehmen ist.
2.) Alle übrigen unterirdischen Einbauten sind bis auf eine Tiefe von 60 cm unter das Fahrbahnniveau zu entfernen.
3.) Die Fahrbahnoberfläche ist nach Durchführung der Abbrucharbeiten im Einvernehmen mit der MA 28 provisorisch zu befestigen.
4.) Für den öffentlichen Verkehr beeinträchtigende Maßnahmen bei der Durchführung der Abbrucharbeiten ist bei der MA 46 eine gesonderte Bewilligung einzuholen.
5.) Mit dem Abbruch darf erst nach vollständiger Räumung des Gebäudes und nach Abschaltung der Wasser- und Stromanschlüsse begonnen werden.
6.) Die Abbrucharbeiten sind nach den Regeln der technischen Wissenschaften mit besonderer Rücksicht auf die auftretenden Gefahrenmomente durchzuführen. Auf den Bestand der Nachbarobjekte ist Rücksicht zu nehmen. Unnötige Belästigungen und Staubentwicklungen sind zu vermeiden.
7.) Das Umwerfen ganzer Mauerteile ist verboten und nur bei erhöhter Vorsicht und unter fachkundiger Aufsicht zulässig.
8.) Der Haus- bzw. Entwässerungskanal ist bei der Einmündung in den öffentlichen Straßenkanal abzumauern. Hierüber ist ein Befund der MA 30 einzuholen.
9.) Der Beginn und der Abschluß der Abbrucharbeiten ist der MA 28 und der MA 35 schriftlich mitzuteilen. Der abschließenden Meldung an die MA 35 ist der Befund der MA 30 beizulegen.
10.) Bei der Durchführung der Abbrucharbeiten sind die Bestimmungen der Kundmachung vom 1. Oktober 1973, MA 64-1898/73 (Aufgrabungskundmachung) einzuhalten.
11.) Die angeordneten Maßnahmen sind unter Heranziehung von hiezu berechtigten Gewerbetreibenden durchzuführen."
Begründend führte die Baubehörde erster Instanz aus, daß im Zuge des straßenmäßigen Ausbaus der B 227 "Donaukanalstraße" zwischen der A-Brücke und der B-Brücke auf Seite des 3. Bezirks die begleitenden Flächen als Gemeindestraßen ausgebaut werden sollten. Das Projekt sehe eine Begleitstraße zur Aufschließung des anrainenden Industriegebietes und eine Grüngestaltung mit durchgehender Promenade und Radweg vor. Dies bedinge einen vollkommenen Umbau bzw. eine Neugestaltung der Verkehrsfläche zwischen der Baulinie und dem Donaukanal im gegenständlichen Bereich. Nach dem vorliegenden Projekt komme die bestehende Tankstelle der Beschwerdeführerin im künftigen Fahrbahnteiler bzw. der Begleitstraße zu liegen. Der Fortbestand der Tankstelle würde also die Durchführung des im öffentlichen Interesse liegenden Projektes verhindern. Damit sei der Widerruf der Baubewilligungen auszusprechen gewesen. Gemäß § 128 Abs. 10 der Bauordnung für Wien seien Bauanlagen, für die keine Baubewilligung existiere, abzutragen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung im wesentlichen keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Abänderung, daß eine Erfüllungsfrist von sechs Monaten ab Rechtskraft des Bescheides festgesetzt werde; gleichzeitig wurden Bescheiddaten berichtigt. Begründend führte die belangte Behörde aus, daß die Bewilligungen widerrufen werden sollten, da im Bereich, in dem sich die bewilligten Bauten befänden, der Ausbau einer öffentlichen Verkehrsfläche erfolgen sollte, was ein ausreichender Grund für den Widerruf einer Baubewilligung für ein Bauwerk, das auf der Verkehrsfläche zu stehen käme, sei. Wenn die Beschwerdeführerin behaupte, bei einer anderen Führung der Begleitstraße könne die Tankstelle bestehen bleiben, so sei diesem Vorbringen entgegenzuhalten, daß durch die auf § 71 der Bauordnung für Wien gestützte Baubewilligung nicht etwa ein Recht auf Mitgestaltung jener Vorhaben erworben werde, die den Grund des Widerrufs bildeten. Auch die wirtschaftlichen Interessen der Beschwerdeführerin am Weiterbestand der Tankstelle könnten demnach ein Recht auf deren Weiterbestand trotz beabsichtigten Ausbaus der Verkehrsflächen nicht begründen. Da nach § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien Abweichungen von den Bauvorschriften zu beheben und vorschriftswidrige Bauten, für die eine nachträgliche Baubewilligung nicht erteilt worden sei, zu beseitigen seien, sei auch der Auftrag zur Beseitigung der konsenslos gewordenen Tankanlage rechtmäßig. Es sei daher auch Punkt II des Bescheides zu bestätigen. Lediglich die Erfüllungsfrist sei unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin neu festzusetzen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften; durch den Bescheid erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf gesetzmäßige Anwendung der Bauordnung für Wien, insbesondere deren § 71, verletzt; aus den Ausführungen ergibt sich, daß sie sich auch durch aus Anlaß der Beseitigung der Tankstelle vorgeschriebene Auflagen beschwert erachtet.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung erwogen:
Gemäß § 71 der Bauordnung für Wien können Bauten, die vorübergehenden Zwecken dienen oder nicht dauernd bestehen bleiben können, sei es wegen des bestimmungsgemäßen Zweckes der Grundfläche, sei es, weil in begründeten Ausnahmefällen die Baulichkeit den Bestimmungen dieses Gesetzes aus sachlichen Gegebenheiten nicht voll entspricht, auf eine bestimmte Zeit oder auf Widerruf bewilligt werden. Im vorliegenden Fall stand die Widmung der mit der Tankstelle bebauten Fläche als Verkehrsfläche einer Baubewilligung gemäß § 70 der Bauordnung für Wien entgegen, sodaß nur eine Bewilligung auf Widerruf in Betracht kam. Daß die Behörde in der Begründung, warum die Bewilligung nur auf Widerruf habe erteilt werden können, nicht nur auf den Widerspruch mit der Widmung hingewiesen, sondern auch erklärend dargelegt hat, daß der Bau "daher" bei Bedarf entfernt werden müsse, hat keinerlei normative Bedeutung: Im Gegensatz zu den Ausführungen der Beschwerdeführerin stellt eine derartige Begründung keinerlei Einschränkung des im Bescheidspruch vorgesehenen Widerrufsrechtes nach § 71 der Bauordnung für Wien dar. Die Zulässigkeit des Widerrufs ist daher nur insofern beschränkt, als die Behörde nicht ohne zureichenden Grund davon Gebrauch machen darf. Der Verwaltungsgerichtshof hat schon mehrfach (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 9. März 1964, Zl. 1881/63, und vom 20. Jänner 1969, Zl. 1051/68) ausgesprochen, daß ein für die nächste Zukunft in Aussicht genommener Ausbau einer öffentlichen Straße ein ausreichender Grund für den Widerruf einer Baubewilligung für ein Bauwerk darstellt, das auf dieser Verkehrsfläche zu stehen käme. Dies darf nicht so verstanden werden, daß die Behörde zur Begründung ihres Widerrufs, ähnlich einem Enteignungsverfahren die Notwendigkeit des Straßenbaus überhaupt und des Baues gerade in dieser Trassierung nachzuweisen hätte. Die zu verhindernde Willkür beim Widerruf ist schon dann auszuschließen, wenn, wie hier, der zuständige Gemeinderatsausschuß die Planung genehmigt und die Grundfreimachung aufgetragen hat, sodaß ein konkretes Projekt vorliegt. Bei der Auslegung der Gründe für den Widerruf nach § 71 der Bauordnung für Wien darf ja nicht übersehen werden, daß eine derzeitige Bewilligung im Regelfall eine Durchbrechung der sonstigen Vorschriften für die Bewilligung von Bauten darstellt. Wenn die belangte Behörde daher den Widerruf der widerruflichen Baubewilligungen bestätigt hat, ist ihr keinerlei Rechtswidrigkeit unterlaufen.
Gemäß § 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien sind Abweichungen von den Bauvorschriften zu beheben und es ist der vorschriftswidrige Bau, für den eine nachträgliche Bewilligung nicht erteilt worden ist, zu beseitigen. Der Beschwerdeführerin ist zwar zuzugeben, daß von einem zu beseitigenden vorschriftswidrigen Bau erst gesprochen werden kann, wenn die gegen Widerruf erteilte Baubewilligung rechtskräftig widerrufen worden ist. Damit war zwar die Vorgangsweise der I. Instanz unrichtig, doch hat der Verwaltungsgerichtshof lediglich eine Rechtswidrigkeit des letztinstanzlchen Bescheides zu beurteilen. Da mit dessen Zustellung aber die Rechtskraft des Widerrufs eingetreten ist und bei der Fristsetzung für die Abtragung ohnehin auf die Rechtskraft Bedacht genommen wurde, kann der Gerichtshof eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides insofern nicht erkennen. - Auch die Beschwerdeführerin zieht ja nicht in Zweifel, daß die Beseitigung der auf Grund der widerrufenen Baubewilligungen errichteten Bauten als Folge des Widerrufs aufgetragen werden kann.
Teilweise mit Recht wendet sich die Beschwerdeführerin jedoch gegen die im Rahmen des Beseitigungsauftrages erteilten Auflagen.
§ 129 Abs. 10 der Bauordnung für Wien sieht nämlich lediglich die Beseitigung des vorschriftswidrigen Baues vor, nicht aber darüber hinausgehende Maßnahmen. Damit sind die Aufträge zur Entleerung und zum Ausbau der unterirdischen Behälter (Punkt 1, erster Satz) erfaßt, aber weder die Auffüllung unter lagenweiser Verdichtung (Punkt 1, 2. Satz) noch gar die provisorische Befestigung der Fahrbahnoberfläche (Punkt 3). Wegen des untrennbaren Zusammenhanges des Punktes 2, worin von "übrigen" Einbauten die Rede ist, mit Punkt 1 kann jener nicht für sich bestehen bleiben, es mußten daher die Punkte 1 - 3 zur Gänze der Aufhebung verfallen. Punkt 5 umfaßt Angelegenheiten, die nicht in den Kompetenzbereich der Baubehörde fallen; auch, wie die Abbrucharbeiten durchzuführen sind (Punkte 6 und 7), ist nicht Gegenstand des Verfahrens zur Erlassung eines Beseitigungsauftrages. Punkt 8 und 9 schließlich sind im Gesetz überhaupt nicht gedeckt. Wegen der Möglichkeit einer Vollstreckung durch Zwangsstrafen wird die Beschwerdeführerin entgegen der in der Verhandlung vertretenen Ansicht der belangten Behörde durch diese Auflagen sehr wohl beschwert. Lediglich die Punkte 4, 10 und 11 können als (unbedenkliche) gesetzliche Hinweise angesehen werden. Hinsichtlich der anderen Auflagen war aber der Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Damit erübrigte sich eine gesonderte Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Soweit nichtveröffentlichte Erkenntnisse des Gerichtshofes zitiert wurden, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, verwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.
Wien, am 19. November 1985
Schlagworte
Auflagen BauRallg7Baubewilligung BauRallg6Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Allgemein BauRallg9/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1985:1985050105.X00Im RIS seit
28.08.2019Zuletzt aktualisiert am
28.08.2019